Mercy mit den Mercs?

Friedliche Sonnenstrahlen bescheinen das Dach des Gasthauses. Doch nicht lange, denn bald ziehen düstere Wolken auf. Mit einem Mal schlägt ein Blitz in das Haus ein. Die Dachbalken sind zerborsten und dort, wo einst der Stammtisch war, ist nun nur mehr ein Häufchen Asche. Nanu? Das Häufchen ist zu groß, als dass es nur durch den Stammtisch alleine entstanden sein könnte. Mit einem Mal schimmert es herbstfarben. Ein Flügel gräbt sich hervor und sogleich noch einer. Entkräftet befreit sich der Vogel, zu dem sie gehören, und wispert: „So schnell bringt man einen Feuerraben nicht um. Aber die Dinge, die ich gesehen, die ich erlebt habe… sie sind schrecklich.“ Bob, der Gastwirt, reicht ihm ein Glas Wasser zur Stärkung und stellt ihm einen Stuhl hin. Der Rabe spricht weiter: „Nie wieder will ich an der Seite von Söldnern kämpfen.“

Die kleine Erzählung oben vermittelt bestimmt schon, dass ich den Mercs keine Gnade gewähre. Ich habe mich in die Untiefen des Söldner-Modus begeben und bis einschließlich dem Schwarzfels alle Kopfgelder gemacht. Das war mein erklärtes Ziel, um mir ein möglichst umfassendes Bild zu verschaffen, aber es war nicht leicht für mich, diesen Weg zuende zu gehen. Mehr als einmal wollte ich einfach aufhören, aber dann hat mich meine Sturheit weitergetrieben, die mich in WoW das Rezept für den Sandsteindrachen oder die donnernde Rubinwolkenschlange erfarmen ließen ^^

Genug der Umschweife, fangen wir mit meinen Eindrücken an:

Story

Sehr belanglos, man erfährt im Grunde nichts, was nicht bereits schon bekannt war. Nach dem gloriosen Tamsin-Kapitel ist das ein jäher Absturz. Zum Vergessen.

Optik

Diesbezüglich gibt es von mir einen Daumen runter in der Größe von Sargeras. Die Spielbretter sind äußerst lieblos gestaltet und ich habe Verdacht, dass das Reinzoomen und Verdunklen des Randes während des Kampfes diesen Fakt verschleiern soll. Außerdem wird der Modus durch Blizzards geldgierige Entscheidung, ihn in Hearthstone hineinzupferchen, nur unnötig zurückgehalten. Wenn man Mercenaries grafisch mit dem Titel vergleicht, von dem es geklaut inspiriert ist, nämlich Shadow Raids Legends, dann stinkt es extrem ab. Mit einer eigenständigen Engine wäre da bestimmt viel mehr gegangen.

Was den Modus zusätzlich nach einer halbgaren Geschichte stinken lässt, sind recycelte Portraits und einige Übersetzungsfehler, die mir aufgefallen sind. Und da haben wir noch nicht mal den Gameplay-Teil berührt. Spoiler: Er reißt es nicht raus.

Gameplay

Grundsätzlich bin ich dem Grundprinzip, dass man eine Truppe zusammenstellt und sie auflevelt, nicht abgeneigt. Die vielen Pokemon-Spiele, deren Eigentümer ich bin, bezeugen das. Bei Mercenaries fehlt mir allerdings die Motivation, alle zu sammeln und zu leveln. Für mich ist das in folgenden Aspekten begründet:

-Das Spiel bestraft mich, wenn ich Mercenaries spiele. Obwohl PvE in diesem Modus sehr wichtig ist, gibt es weiterhin nur dieselbe läppische Summe an EP, die man in den Solo-Abenteuern bekommt. Um das auszugleichen, müsste ich also sehr viel Zeit in einen Modus investieren, der mir allerdings keinen Spaß macht.

-Der Levelprozess ist von Grund auf falsch designt: Wenn man mit Level 15 die letzte Fähigkeit eines Söldners freigeschalten hat, kennt man im Grunde schon alles von diesem Söldner. Man kriegt dann zwar über den Gegenstand mit Level 30 oder vielleicht ein bisschen früher, wenn man das Event mit dem mysteriösen Fremden bekommt, wieder etwas Neues, aber in der Zwischenzeit ist absolute Dürre.

Die meisten Skillupgrades sind nur leichte Zahlendreher, also ist in der Hinsicht auch wenig zu erwarten. Im Prinzip erinnert mich die Phase von 15-30 an WoW vor Shadowlands, da man ab Level 80 oder so kaum mehr neue Fähigkeiten bekam, aber sich noch durch 40 weitere Level kämpfen musste.

Mit 2 Fähigkeiten mehr, die man jeweils auf Level 20 und 25 freischalten könnte, ließe sich dieses Problem elegant lösen und außerdem der unausweichlichen Monotonie vorbeugen, wenn jeder Söldner nur seine 3 Dinge hat.

Leider krankt der Levelprozess auch noch an einer anderen Stelle: Er ist viel zu früh beendet. Ich bin schon Anfang Winterquell mit allen meinen Söldnern auf Level 30 gewesen, hatte also noch fast 2 Zonen vor mir. Ab dann lässt sich der Fortschritt nur mehr in den Münzen bemessen, die sich mit schneckengleicher Geschwindigkeit ansammeln. Stellt euch mal vor, wenn man in Pokemon nach nur 2 Arenen schon auf dem Maximallevel wäre. Zwar gäbe es noch anderen Content, aber irgendwie hat die Motivation dann schon einen Schaden abgekriegt.

-Es gibt zu wenige Fähigkeiten. Diesbezüglich habe ich weiter oben bereits etwas erwähnt und dieser Punkt sollte ziemlich offensichtlich sein. Man kann dem zwar etwas vorbeugen, indem man zur Abwechslung auf andere Söldner wechselt, aber damit schiebt man die Katastrophe nur hinaus, anstatt sie zu lösen. Es würde der zwar vorhandenen, allerdings nicht allzu tiefgründigen taktischen Tiefe erheblich helfen, zusätzliche Fähigkeiten einzufügen.

-Apropos taktische Tiefe: Irgendwo im Forum wurde das Schere-Stein-Papier-System von Mercenaries mit Pokemon verglichen.

EINSPRUCH! zeigt vorwurfsvoll mit dem Zeigefinger

Pokemon hat durch das Vorkommen von Doppeltypen und weitaus mehr als nur 3 Typen eine weitaus größere Tiefe, bei der man sich tatsächlich auch Gedanken machen muss, welche Arten man in seinem Team haben will. Das ist in Mercenaries irrelevant, wenngleich ich es aufgrund der Tank/Heiler/DD-Verteilung in WoW nachvollziehen kann. Schere-Stein-Papier ist allerdings unnötiger Ballast. Im PvE macht es die Kämpfe zu einfach, weil man dann einfach die üblichen Verdächtigen auf die anderen üblichen Verdächtigen hetzt. Dass es mal zu Änderungen im Kampfplan kommt, ist nur selten der Fall. Wozu von der Optimalstrategie abweichen?

Das PvP indes wird dadurch unnötig glücksbasiert. Wenn man nicht sehen kann, welche Söldner der Gegner ablegt, gibt es im Prinzip 2 Herangehensweisen. Entweder legt man jeweils einen von jeder Sorte auf das Spielfeld oder man legt 2 von einer Sorte und einen 3., der den Konter der anderen 2 auskontert. Derjenige, der ersteres getan hat, wird gegen den Zweiten wahrscheinlich verlieren, weil einer seiner Söldner dann komplett ausgekontert wird. In weiterer Folge kann er aber auch nicht allzu viel gegen die 2, die er an sich kontern könnte, tun, weil sein Konter ausgekontert wird.

Selber auch auf die 2+1-Strategie zurückzugreifen macht es nur noch glücksabhängiger. So, wie er im Moment ist, ist der Start ins PvP nicht gerade ideal. Immerhin gibt es eine Lösung: Ein Draftsystem, bei dem man sieht, welchen Söldner der andere als 1. legt und dann legt man seinen Söldner usw.

Ich hätte es einfach viel schöner gefunden, wenn sie es dabei belassen hätten, dass die Roten tankig sind, die Blauen Fernkampf-DDs/Support und die Grünen Nahkampf-DDs…

-Neben diesen Punkten, die meine ohnehin nur spärlich vorhandene Lust, Mercenaries zu spielen, unter die Erde gebracht haben, gibt es allerdings auch Positives zu erwähnen. In den späteren Zonen ist Mercenaries nicht mehr brain-afk schaffbar und man muss auch etwas Gehirnschmalz aufbringen.

Ich bin in Winterquell bei dem einen Boss, für den es empfehlenswert wäre, Feuerschaden in der eigenen Truppe zu haben, ziemlich festgehangen. Als f2p-Spieler in dem Modus hatte ich auch keinen Zugriff auf einen Feuer-Söldner, also war mir diese Option verwehrt. Also habe ich auf Milhouse mit seinen Arkanen Geschossen gesetzt. Dasselbe später im Schwarzfels bei Thaurissan, der Nahkmäpfern das Leben ziemlich schwer macht.

Auf Heroisch ist das Ganze bestimmt noch mal knackiger, allerdings wollte ich mir das nicht mehr antun. Außerdem will ich kein Gold in ein unfertiges Alpha³produkt stecken. Bei höheren Schwierigkeitsgraden habe ich übrigens das Gefühl, dass das auch besser ginge, außer nur verschiedene Stufen anzubieten. Ein modulares System a la Hades, nach dem man sich bis ins letzte Detail einstellen kann, was schwerer wird und auf welche Art und Weise (mit dementsprechend mitskalierenden Belohnungen) wäre echt cool, doch irgendwie habe ich das Gefühl, dass Blizzard zu konservativ für so ein modernes System ist.

-Ebenso sehe ich das Potenzial, das in vielen Bereichen des Modus steckt. Z.B. sind diese unterschiedlichen Pfade auf der Karte an sich eine geniale Idee, die leider durch die paar immergleichen Events und Gegnerarten sabotiert wird. Da braucht es dringend mehr Varietät.

-Was mir in den Kämpfen aufgefallen ist: Die Gegner verwenden so gut wie fast immer dieselben Fähigkeiten in derselben Reihenfolge. Dass Blizzard der KI keine eigene Entscheidungsmöglichkeit, sondern nur ein schnell zusammengetippseltes Skript gegeben hat, ist ein Armutszeugnis. Wenn ich daran denke, dass Mercenaries ursprünglich für Darkmoon geplant war, dann schaudere ich bei der bloßen Vorstellung, wie unfertig alles damals gewesen sein muss.

Jedenfalls steigt durch diese Repetition der immergleichen Kämpfe und Events der Schnarchfaktor ins Unendliche.

Sonstiges

-Dass diverse Völker pauschal Horde und Allianz zugeordnet werden, dreht mir den Magen um. Unter den Lorefails sind unter anderem: Der Lichkönig, Milhaus, Illidan, Lady Anakondra und bestimmt jemand, den ich vergessen habe. Ich verstehe, dass nicht jeder WoW oder Warcraft kennt, aber mit einem Horde bzw. Allianzsymbol auf den Karten könnte man die Zugehörigkeit der Charaktere leicht erkennbar machen und dieser grotesken Einteilung, die im Moment existiert, den Garaus machen.

-Tribes nehmen einem in manchen Fällen zu viel Arbeit beim Erstellen einer Comp ab. Ihr wisst, wovon ich rede. hust hust

-Packs fühlen sich extrem unbelohnend an. Ein mageres Almosen an Münzen und wenn man Pech hat, kriegt man keinen Helden, sondern einen Skin. Dafür würde ich kein Gold ausgeben wollen.

-Die Bewerbung von Mercenaries als RPG empfinde ich als frech und irreführend. Nur, weil es Levelbalken, Aufwertungsmöglichkeiten und Gegenstände gibt, wird da noch kein RPG daraus. Dazu gehört noch so viel mehr. Ansonsten könnte man fast jedes Spiel, das heutzutage released wird, als RPG bezeichnen xD

-Die Auswirkungen des Mercenary-Release auf den Rest von Hearthstone sind :face_with_symbols_over_mouth:

Fazit

Mercenaries ist eine Baustelle, bei welcher der Architekt in unvergleichlicher Hybris einen kilometerhohen Wolkenkratzer entworfen hat, die Bauarbeiter aber gerade mal das Fundament für ein Einfamilienhaus gelegt haben. Diesen Modus werde ich ohne größere Änderungen nicht anrühren. Schade um die verpasste Gelegenheit. Als ordentlich entwickelter eigenständiger Triple-A-Titel hätte es so viel mehr gekonnt und bestimmt auch die handelsüblichen 60€ von mir erhalten. Aber Blizzard musste wie so oft in letzer Zeit Gier über Qualität stellen…

PS: Jetzt hat LordAnubis wieder einen Text, über den er sich aufregen kann ^^

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