[Zwei Heiler]
Ihre Hand lag flach auf den Verzierungen der Brustplatte, kühl unter ihrer Wange. Die Augen standen noch offen, der Blick leer, nach innen gerichtet. Es war so unwirklich, dass sie unweigerlich darauf wartete aufzuwachen. Sie wagte es nicht sich zu rühren, um den Moment nicht zu stören.
Er vergrub die Nase in ihrem Haar und atmete tief ein. Sprach nichts und hielt sie so, in dieser Umarmung aus Wärme und Metall, die sich verfestigte und an Realität gewann. Im Innen und Außen.
Als alles reell genug war, um die Illusion zu wecken, sich nicht gleich wieder in Luft aufzulösen, hob sie den Kopf gegen seine Hand, streckte sich und küsste ihn noch einmal. Langsam, zart und vorsichtig, als sei alles fragil.
Und er erwiderte den Kuss in ebenjener Intensität als gäbe es nichts schöneres, als sich zu küssen als bestünde man aus Glasgespinst. Er war mehr als nur der Mann, der sich alles nahm, was bei drei nicht auf dem Baum war. Mehr als nur ein Rüpel, ein Lichtbengel und Fuchtler. Er war Serathis, und viel zu geschickt für nur eine Ausprägung dieser Sache.
Es klopfte an der Tür. Dreimal, deutlich. Nuianna zuckte zusammen und fuhr zurück, die Hand über dem Mund, die den verräterischen Glanz verwischte.
Serathis lehnte sich zurück und erhob sich. „Ja?!“, er sah in Richtung Tür. Falls das der Heiler war, hatte er ein beschissenes Timing.
Ein durch die Tür kaum hörbares Räuspern ging einer Ausweisung in lauterem Tonfall voran, von welcher zwei Drittel der Silben verschluckt wurden. Die Isolierung hier stimmte jedenfalls.
Serathis bewegte die Hand, damit die Tür sich öffnete.
„Danke sehr“, lautete die Erwiderung auf die Geste und ein hochgeschossener Elf betrat das Turmzimmer. Insignien der Kirin Tor sowie das Zeichen der medizinischen Gelehrten waren schmucklos in den Beutel geprägt worden. Das Haar war so hell, dass kaum ein Unterschied zwischen einem blond oder etwaigen weiß bestand, die Haut dagegen war beinahe grau und schimmerte gegen das Licht in seichtem arkanen Glanz. Er überragte Serathis um beinahe einen Kopf. Die Hände waren außerordentlich schmal. „Keros“, stellte er sich vor, „in Kürze.“ Die weißen Augen überflogen das Zimmer, blieben an der Magierin hängen und beinahe umgehend lag ein magisches Flimmern in der Luft. „Das ist die Patientin, um derentwillen geschickt wurde?“ versicherte er sich, ohne zweifelnd zu klingen.
„Phoenixklinge, Blutritterorden“, stellte sich Serathis vor und nickte dann militärisch korrekt. „Ja, richtig. Wir haben sie bewusstlos vorgefunden, ich habe eine erste leichte Lichtheilung auf das Hämatom an ihrer Schläfe gewirkt.“
Der Heiler nickte seicht und bewegte sich sehr selbstverständlich auf das Bett zu, neben dem er den Beutel ablegte und auf dessen Bettrand er sich niederließ. „Erzmagierin“, leitete er die Geste ein, die umgehend folgte, „bitte haltet einen Augenblick still während ich euren Kopf untersuche.“ Keros hob beide Hände an, deren Spinnenbeindünne Finger beinahe den Kopf umspannten, als er die Hände darum legte. Nuianna sagte kein Wort. Kurz huschte ihr Blick zu Serathis und kehrte wieder zu Keros zurück. Die Spannung in der Luft nahm zu, beinahe schien es, als würde sie flackern. Vor allem um den Kopf der Magierin herum wurde das Bild undeutlich, als sei sie einer Art Vibration ausgesetzt.
Serathis hob eine Braue. Das hatte er noch nicht gesehen. Er betrachtete alles sehr genau, besonders was der Heiler dort tat.
Die Luft klarte auf und der Heiler löste den Griff. Er sah ernst aus. „Was auch immer euer Freund getan hat, es sind keine Blutungen oder anderweitige Schäden mehr vorhanden. Haltet euren Kopf für einige Tage ruhig, um nachträgliche Verspannungen zu lösen und fahrt mit der Therapie fort, die ihr offensichtlich gut vertragt.“ Er drehte den Kopf und musterte Serathis. Diesmal fiel das Nicken deutlicher aus. „Gute Arbeit“, bemerkte er, „geschieht nicht oft, dass ich überflüssig bin“, senkte den Blick, griff nach seinem Beutel und zog ein Formular heraus, das er über dem Knie ausfüllte und dann Nuianna zum Unterzeichnen hinhielt.
Die Magierin sah perplex aus, malte eine Unterschrift auf die Seite und reichte Keros das Schreibwerkzeug unter einem halblaut geäußerten, der Form genügenden Dankeswort zurück.
„Ich bin kein Heiler“, sagte Serathis nur und sah ebenso perplex aus wie Nuianna. Wie? Das war es? Darauf hatte man stundenlang warten müssen? Sein Blick ging zu ihr und dann wieder zu Keros.
Der hatte das Formular wieder eingesteckt und war aufgestanden. Er wandte sich Serathis zu. „Was Ihr seid oder zu sein glaubt, als was Ihr euch bezeichnet oder auch nicht ist für das Ergebnis offensichtlich irrelevant. Gute Genesung und einen schönen Tag, die Herrschaften.“ Obwohl keine Tür in der Wand zu sehen war, wandte sich der Heiler exakt der Stelle zu, an der sie sich befand, wartete bis ihm aufgetan wurde und verließ die Wohneinheit.
Der Rotschopf wirkte so perplex, dass die Öffnung der Tür verspätet kam. Dann wandte er sich wieder Nuianna zu. „Ich bin kein Heiler“, wiederholte der Junge und kratzte sich dann am Kopf. „Der Termin für meinen Rückteleport steht auch schon. Bedeutet das, dass du wieder mit nach Silbermond kommst?“
„Ich denke nicht“, sagte sie, klang aber nicht überzeugt. „Ich habe gar nicht wirklich gelesen, was auf dem Zettel stand“, fügte sie hinzu und sah verwirrt aus.
„Ich auch nicht…Äh…“ Er wirkte ein wenig hilflos, so wie er dort stand und versuchte die Situation für sich zu sortieren. „Und ich muss diesen elenden Angebermagier auch noch irgendwie zurückschaffen“, murmelte Serathis.
„Was?“ sagte sie und klang nun vollends verwirrt.
„Was?“, meinte er ebenfalls und sah sie an. „Was meinst du?“
„Wen meinst du?“ fragte sie und sah ihn an.
„So ein Kerl den mir der Turm auf den Hals geschickt hat…“, sagte Serathis und drehte sich zu ihr um. „Ein Magier aus Silbermond.“
Den Namen von Daal hatte er sich nicht gemerkt. Der war ja auch viel zu lang.
„Aha“, sagte Nuianna und wirkte einen weiteren Augenblick unschlüssig. Dann schlug sie die Decke zurück und machte Anstalten aufzustehen.
„Du bleibst mal schön sitzen. Was willst du überhaupt machen?“ Serathis hob eine Braue und machte ebenfalls Anstalten, sie wieder ins Bett zu schicken.
„Ich will“, sagte sie und sah sich an ihrem Vorhaben gehindert, „Ich will aufstehen?“ Als sei das nicht offensichtlich gewesen. „Ich muss …“ Ihr Blick ging zu ihrem Schreibtisch und sie kam nicht dazu den Satz zu vollenden, bevor Serathis vor ihr stand. Immerhin hatte sie die Füße aus dem Bett geschoben. Sie hingen in der Luft. Irgendwie ebenso wie sie selbst.
„Was musst du?“ Er sah zum Schreibtisch. „Du willst jetzt nicht arbeiten, oder? Ganz dumme Idee, junge Dame.“
Als sie den Blick hob hatte ihr Gesicht jenen leisen unterschwelligen Ausdruck ausgeprägter Willensstärke, wie ihn oft Kinder im Angesicht einer unbezwingbaren Herausforderung aufwiesen - bevor sie ins kalte Wasser sprangen oder einen Baum erkletterten beispielsweise. „Ich will“, setzte sie an und verwarf den Satz wieder. „Wollte“, verbesserte sie, „nur nachfragen - was ich jetzt tun soll. Das … nicht mehr.“ Sie sah noch immer trotzig aus - die Art Widerwillen die sich schwierig fügte, aber es dennoch tat.
Zurück bewegte sie sich nicht.
„Bleib sitzen. Ich hole dir Papier und Schreibzeug“, sagte er und wich zurück, drehte sich um und marschierte auf den Schreibtisch zu.
Sie stand vollends auf und richtete das Hemd in dem sie steckte, bevor sie sich wieder setzte.
Serathis pflückte Feder und Pergament vom Schreibtisch und reichte ihr beides, nachdem sie sich wieder hingesetzt hatte. „Wen fragt man da…also…schreibst du dem Heiler von eben?“
„Ich schreibe direkt an den Turm und erbitte eine Kopie der Diagnose“, sagte sie konzentriert, während sie bereits schrieb, beendete unter einigen Mühen die kurzgefasste Nachricht und sah zu Serathis, während sie das Pergament faltete. Ihre nackten Füße gerieten nur kurz in taumelnde Bewegung, bevor sie sich zwang still zu halten, das Pergament in den Nether schickte und sagte: „Wie viel Zeit haben wir noch?“
„Ich weiß nicht genau…ich denke eine halbe Stunde oder eine Stunde?“ Noch einmal beugte er sich hinab und deckte ihre Füße wieder zu. „Der Turm muss definitiv wissen, dass es dir gut geht, aber ich kümmere mich darum.“
„Darum dass es mir gut geht oder …“ Weshalb zum Nether sie auch nur noch daran denken konnte, Griffe anzuschrauben oder daran, was sich unter diesen elenden Schichten Metall verbarg oder an diese Küsse die so zart gewesen waren wie ein Wolkenweben. Ihre Gedanken waren alles andere als fokussiert. Und wenn sie gekonnt hätte, hätte sie ihn aus diesem gewaltigen Blechhaufen direkt zu sich ins Bett gehext. Zu spät realisierte sie, dass sie das letzte gemurmelt hatte, deutlich genug, um verstanden zu werden. Nach dem ersten Schrecken hielt der starrköpfige Ausdruck wieder Einzug in ihr Gesicht und sie verkniff es sich gerade so die Arme zu verschränken um ihre Betretenheit zu überspielen.
Er lachte nicht einmal unterdrückt und richtete sich zu voller Größe auf. „Soso“, machte er, als sage das alles und sah auf sie hinab wie ein Lehrmeister auf das kleine Schulmädchen. Randlegal von vorne bis hinten. „Das ist ein sehr schöner Blechhaufen, den mir der Turm spendiert hat. Aber du…hast ja deutlich weniger an.“
„Ich schenke mir zu Winterhauch einen arkanen Dosenöffner“, konterte sie und verschränkte die Arme nun doch. Ihr Ausdruck war die reinste Herausforderung. Sie schob unter der Decke die Beine übereinander.
„Ich schenke dir zu Winterhauch ein durchsichtiges Spitzenhöschen“, konterte er und ging auf die Knie, schob die Decke langsam von ihren Füßen.
Es fuhr ihr mittendurch, dieser furchtbare Satz. Dieser furchtbare Junge, diese Geste … sie quiekte und zog die Knie so schnell an, dass sie sich beinahe die Nase geprellt hätte.
Serathis grinste verboten und griff nach ihrem Fuß. „Wo willst du denn damit hin, junge Dame? Was ist deine Lieblingsfarbe? Ich muss immerhin schon anfangen zu sparen für all diese spärliche, knappe, verbotene Spitze“, sagte er - und wie er es sagte. Das schien ihm Spaß zu machen.
„Oh zur Hölle mit dieser Rüstung“, murrte sie und dann folgte ein Wort der Macht, das ihn zwar nicht entkleidete, aber sämtliche Schnallen und Arretierungen löste. Wenn möglich, sah er jetzt so derangiert aus wie sie sich fühlte, während sie tunlichst noch immer versuchte, ihm den Fuß zu entziehen. „Ich dachte es soll ohnehin durchsichtig sein?“ brachte sie heraus, „Spielt die Farbe dann noch eine Rolle?“
„Aber sicher, für die Spitze.“ Er setzte sich auf und arretierte seine Rüstung wieder. „Nuianna, so viel Zeit haben wir nicht. Aber ich habe…nun ja, eine gewisse Verpflichtung, mich um dein Wohlbefinden zu sorgen…also…“ Und dann ging er wieder in die Knie, setzte da an, wo er aufgehört hatte. Der Fuß, die Bettdecke, die er langsam höher schob. „Also…?“
„Weiß“, sagte sie misstrauisch und ließ ihm den Fuß. „Was hast du vor? Bei den Titanen, Serathis, ich rutsche auf mir selbst aus. Ich bin nicht sicher ob das unter meldepflichtige Folter fällt.“
„Ich…kümmere mich…“, murmelte er und schlug die Decke beiseite, griff ihren Fuß und hob ihn an seine Lippen, um ihn zu küssen. „Foltern können die anderen, ich bin immerhin ein…Naturtalent mit Licht.“
Sie zuckte und presste die Lippen aufeinander. Das Bein zitterte im Knie, aber sie ließ ihm den Fuß. „Du folterst sehr wohl“, minimierte sie die Silben, „und das weißt du auch. Das macht dir Spaß!“
„Das ist keine Folter. Ich spreche ein Lichtgebet für deine schnelle Genesung“, erzählte er ihrer milchweißen Haut und schob die Lippen langsam aufwärts, während seine Hand in ihre Kniekehle glitt.
Das Zittern gerann in eine unregelmäßige Regelmäßigkeit, während Nuianna flacher zu atmen begann. „Du lügst“, formulierte sie mit den beiden Gehirnzellen ihres Sprachzentrums, die sich offiziell zur Asexualität bekannt hatten. Sie fragte sich, ob Zeit das einzige Problem war.
„Blasphemie…“, flüsterte er und sein Atem strich wie Seide über ihre Haut. „Das heilige Licht manifestiert durch mich muss dich nun leider bestrafen.“ Ein leichter Ruck teilte ihre Schenkel, die Decke flog ganz zur Seite.
Sie schnappte nach Luft und ihre Hände griffen in die Laken. „Findest du das nicht ein bisschen fanatisch?“ stichelte sie halbherzig.
„Nein“, brummte er zufrieden und zog sie mit einem weiteren Ruck dichter an seine Lippen, so dass sie wirklich wie eine Beinahe-Gekreuzigte vor ihm lag. „Mmh…“
Ein überraschter Laut über die Plötzlichkeit, nicht über die Tatsache an sich, entfuhr ihr, aber dann atmete sie durch und hob den Kopf, um zu sehen was er tat - vielleicht auch nur um zu sehen wie er aussah, wenn er dachte. Daran dachte. An Gebete und Strafen und Licht.
Sein Kopf war beinahe ganz verschwunden und nur die Schwingungen der Luft übertrugen das murmelnde Gebet dicht an ihrer Haut. Ein Hauch, ein Flüstern. Wie ein Entweiher der Unwürdigen, gnadenlos zart.
Sie ließ den Kopf zurückfallen und seufzte, abgehackt und kurzatmig. Zeit, Zeit, verflucht sei die Zeit. „Du bringst… mich um“, keuchte sie leise. „Du legst… es wirklich… darauf… an…“
„Ich bete für deine Seele…hör zu“, flüsterte er nur und griff in die Spitze, die sie schützte. „Du bekommst was Neues“, entschuldigte er sich, als er das Höschen aus Spitze mit einem zackigen Riss seinem Glauben opferte.
„Du wirst …wirklich …sparen müssen“, kommentierte sie zuckend das Rucken und Ratschen. Das war schon das zweite gewesen. War Zeit wirklich das einzige verfluchte Problem!?
„Ich werde auf der Straße betteln…“, meinte er leichthin und brachte sich dann zum Schweigen, indem er so überzeugend um Licht bat, dass es jeden wahrhaft Gläubigen beschämt hätte.
Das Gegenteil von Schweigen war bei ihr der Fall. Falls sie wortlos um Vergebung flehte, dann hatte das lediglich mit Blasphemie der reinsten Sorte zu tun. Die Töne, die er ihr entlockte, waren heilige Musik einer ganz eigenen Kirche, und was auch immer er predigte, sie bekannte sich voll und ganz dazu.
Serathis bemühte sich um sie und den Gesang. Als wäre er der heiligste Sünder von allen, der sich nun von seinen Sünden befreite, indem er für ihr Seelenheil um Vergebung bat. Die Gedanken, die wenigen, die er noch hatte, waren so unverschämt, dass jedes Wort an ihrer seidenen Haut ein eigener Eklat war. Jede Berührung Feuer, Lippen und Zunge der Funken.
Verflucht sei die Zeit. Und da, eine Winzigkeit bevor ihre Knie vollends unkontrolliert zu beben anfingen, hielt sie sie einfach an. Sie bäumte sich auf, griff nach seinem Kopf und entzog sich ihm. Ihre Augen brannten in flüssigem Gold. Nichts regte sich mehr außer ihnen beiden. Der Lärm der Stadt war verstummt, die Vorhänge unbewegt. Ihr flacher, schneller Atem war das einzige Geräusch, bevor sie sich zu ihm hinunterkrümmte um sich selbst in seinem Mund zu finden.
Was hatte sie jetzt wieder getan? Serathis küsste sie, noch während er das dachte und drückte sie zurück in die Kissen ohne dass es Kraft bedurft hätte. Sie war fragil und er ein Mann in glänzend schöner Platte, der noch viel schöner ohne war. „Du schummelst…“, flüsterte er rau an ihren Lippen und fügte das weiße Nachthemd der Liste seiner Schulden hinzu, als wäre er der reichste Mann der Welt.
„Weg damit“, flüsterte sie zurück, „sonst lasse ich sie schmelzen und koche dir den A.rsch.“ Die Ankündigung — oder Drohung? —klang gar nicht einmal so weit hergeholt. Welche Energie auch immer sie gerade kanalisierte, sie schien bodenlos zu sein.
Zeitkrümmungen, denn so lautet die eigentliche Bezeichnung für vermeintliche Stillstände der Zeit, biegen und dehnen den Moment um sich selbst und verlängern ihn so lediglich, frieren aber nichts ein. So hat derjenige im Auge der Temporaldehnung eine so langsame Zeitlupe der Geschehnisse um sich vor Augen, dass er nicht mehr im Stande ist, sie als bewegte Zeit wahrzunehmen. Während für ihn Stunden, Tage, Wochen, ja sogar Jahre vergehen können, geschieht für die Welt je nach Beschaffenheit der Verwerfung vielleicht nur eine Minute.
— Temporalmagie; Kapitel VIII; Irrtümer und Missverständnisse der Vierdimensionalität
„Solch schlimme Worte aus deinem Mund, junge Dame“, tadelte er sie und richtete sich auf. Und dann tat er das, was sie wollte, aber in einer Ruhe, die die Ewigkeit dehnte. Schnallen, Schließen, alles wurde geöffnet und abgelegt als sei es eine Show nur für sie und jeder Zentimeter seiner Haut golden.
Seine Bemerkung entlockte ihr ein kleines, schnaubendes Lachen. Sie wusste nicht so recht, was sie mit der Bezeichnung ‚junge Dame‘ anfangen sollte - aber sie verstand, dass es für diese Art von Spiel nur beschränkte Möglichkeiten gab und wenn sie ehrlich war, hätte sie selbst nicht gewusst, wie sie sich an seiner Stelle hätte nennen sollen. Sie ließ sich auf die Seite fallen und stützte den Kopf in die Hand, als habe sie dafür gezahlt. Nicht für die Stunde, für die ganze Nacht. Oder den Tag. Was machte das schon für einen Unterschied. Und schließlich hatte sie in der Tat dafür gezahlt. Die Magierin war nun schon so viele Jahre auf dieser Welt und es war stets das gleiche. Jede heranwachsende Generation dachte, dass man ab einem gewissen Alter über die Bedürfnisse in die Neutralität wuchs. Das Gegenteil war der Fall. Die Fülle an Details, die das Leben öffnete, brauchte Dekaden, um sich voll zu entfalten. Sie hatte vielleicht nicht jede genossen… aber jetzt und hier verschlang sie jedes bisschen, das er entblößte. Ihr Ausdruck hatte das Lachen nicht verloren. Sie geduldete sich. Doch ihre Augen waren hungrig.
Das, was er war, hätten profane Elfen als fleischgewordenes Buffet betitelt, aber es war mehr an ihm, auch wenn nicht auf den ersten Blick ersichtlich. In der verschobenen Zeit, in die die ihn katapultiert hatte, geschah nun das, wonach sich Nuianna den ganzen Morgen gesehnt hatte. Sie hatte seine ungeteilte Aufmerksamkeit, als er über sie kam und tief in ihre hungrigen Augen sah. Fast wollte er sie fragen, ob sie auch brav genug gewesen war, das zu verdienen. Aber der Moment war so heilig, dass er es viel zu sehr genoss und sie quälend langsam für sich beanspruchte.
Sie streckte die Hände nach ihm aus, berührte seine Haut, die so nah und so unberührbar gewesen war, sein Gesicht, das ihr das liebste so dicht vor Augen war, strich über das Kunstwerk seiner Schultern und der Hunger verschwand und wich der Wärme, die sie selbst nicht steuern konnte, wohl aber empfand. Ihr loses Haar floss wie geschmolzenes Kupfer über das reinweiße Laken und umkränzte ihr Gesicht in weichen Wellen, als sie so zu ihm aufsah. Ein flüchtiges lautloses Lachen huschte über ihr Gesicht. Er hatte sich etwas anders überlegt. In manchen Augenblicken fiel es ihr leicht, ihn zu lesen, auch wenn sie nicht sagen konnte, was er verworfen hatte. „Du bist so warm“, murmelte sie und fühlte einen wohligen Schauer über ihren Rücken kriechen. Und er roch wie der Himmel. Ein Himmel aus Feuer und Licht.
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