[ Tee für vier ]
Serathis hatte kaum zwei Schritte aus dem Schrank heraus gemacht und Nuianna dann durchaus sanft aber nachdrücklich wieder abgesetzt - eigentlich war er gerade dabei das tun zu wollen und im Nachhinein war er sich selbst gar nicht mehr sicher, ob er es denn schon so getan hatte, wie es im Kopf höchst plastisch ausgemalt war, da hämmerte es derart unvermittelt und hochfrequentiert an die Tür, dass beide Köpfe herumfuhren. „MACH AUF“, tönte eine Frauenstimme, die dunkel und etwas heiser klang, aber eine beeindruckende Lautstärke durch das Holz schickte. „AUFMACHEN, WIR HABEN KEINE ZEIT.“
Mit einem langgezogenen Einatmen und parallelem Brauenheben sah Serathis zu Nuianna und bedeutete ihr, stehen zu bleiben. Der Goldjunge in Rüstung schritt auf die Tür zu und strich sich in der Bewegung die roten Strähnen zurück. Überraschungen hatte es nun wahrlich genug gegeben und Serathis hatte vermutlich für sein Maß an Begegnungen der dritten Art eine neue Skala anlegen müssen. Mit Schwung öffnete er die Tür und sah auf die Person hinab, die so dringend Einlass begehrte. „Wer hat keine Zeit, hm?“ Fels in der Brandung und dennoch mit dem Schalk der Jugend in den Augen, so stand er dort, schirmte den Rest des Raumes und damit auch Nuianna mit Körper und Rüstung ab.
Exotisch war wohl das Mindeste, mit dem man die Elfe hätte beschreiben können, die da auf der Schwelle stand und ihm beinahe eine gescheuert hätte - mit einem gar zierlichen, aber metallbehandschuhten Fäustchen. Sie schnaubte mit einem niedlichen Blähen ihrer scharf geschnittenen Nasenflügel - einer Nase wie mit Nether und Licht geschnitten - überschattet von einem düsteren Stirnrunzeln, schwarzem Haar, dunkler Haut und beinahe weiß leuchtenden Augen. Sie war fast nackt. Oder zumindest deutete ihr Aufzug eher auf einen Wanderzirkus hin als auf … ja - auf was? Eine Bauchtänzerin mit klirrendem Gürtel und flirrender, dunkler Magie der Art, die man sich für einen kleinen Kick gern auf der Zunge zergehen ließ. Stark verdünnt und nicht jeden Tag. Man war ja nicht lebensmüde.
Ein bisschen zu schwer vielleicht, die Kleidung. Alles wirkte auf den zweiten Blick weitaus stabiler als so ein Tanzpüppchenkostüm. Ihr Blick brannte an ihm entlang zu Boden und wieder hinauf. Und mit den Worten: „Mmmh, Fleisch.“ und einem nach hinten gerichteten „Komm!“ schob sie ihn mit gespreizten Fingern beiseite und zerrte eine weitere Elfe hinter sich her in den Raum, die hinter ihrer raumgreifenden Erscheinung so blass und unscheinbar wirkte, dass Serathis sie erst jetzt wahrzunehmen begann.
Ihn aus dem Weg zu schieben war nicht so einfach, aber Serathis machte einen Schritt zur Seite und man konnte leicht übersehen, dass seine Augen weniger auf der nackten Haut der Elfe lagen als mehr auf der Erscheinung an sich und dem dunklen Flirren seiner Adern, als sie vorbeiging. Das Licht in ihm ließ ein Wohlgefühl folgen, ohne dass er wusste, was genau nun was auszuleveln versuchte.
„Ich nehme an du kennst die Gesellschaft hier“, sagte er und schloss die Tür wieder. Es fehlte eigentlich nur noch dass der unnütze Magister aus Silbermond wieder um die Ecke bog um ihre verquere Party perfekt zu machen.
Die Zeit lief, nicht nur für ihn.
Die blasse dritte im Bunde war sogar noch hellhäutiger als Nuianna, das Haar sehr hellblond und die Augen von ausgesprochener Farblosigkeit, so als seien sie erloschen. Auch diese Elfe wirkte, als sei sie einem Buch entsprungen. Sie trug Hörner auf dem Kopf und Bekleidung, wie man sie aus den Klischeehaften Kostümierungen kannte, wenn Kinder versuchten, die Drachenaspekte darzustellen. Dieser Aufzug hier war eindeutig den bronzenen zuzuordnen und gar nicht so billig gemacht. Sie warf ihm ein zuckendes, unsicheres Lächeln zu, richtete den Blick dann aber wieder auf die Magierin - nicht die, die noch immer ihre Hand gepackt hielt, sondern seine Magierin, die sich allem voran schwer tat, ihre Fassung zu bewahren.
Man konnte Nuianna direkt dabei zusehen, wie sie sich sammelte, als sie Serathis einen kurzen, intensiven Blick zuwarf, bevor sie sagte: „Tee?“ Sich umdrehte und im Nebenraum verschwand.
Die dunkelhäutige Elfe drehte den Kopf, ließ die Hand der Blonden los, die augenblicklich ein Gefühl der Verlorenheit um sich verbreitete und in sich zusammenzusinken schien, und schob geräuschvoll, ohne Serathis weiterhin zu beachten, aber immerhin vier Stühle um einen Tisch zusammen. Die Papiere darauf wischte sie kurzerhand mit prüfenden Blicken auf einen unordentlichen Stapel zusammen und ließ sie neben einem der Regale zu Boden fallen.
Dann holte sie die blonde Elfe ab und drückte sie auf einen der Stühle, auf dem sie sich nahezu sofort auf ihre Hände setzte und auf ihrer Wange zu kauen begann.
Drei Frauen wie sie unterschiedlicher kaum sein konnten und doch war eine gewisse Ähnlichkeit nicht zu leugnen. Waren es die Gesichtszüge oder der Körperbau? Die Mimik oder die Satzmelodie? Das war schwer zu sagen. Für einen kurzen Augenblick lagen beide Augenpaare auf Serathis, das weißglühende und das erloschene. Und auch der Blick, mochte er sich noch so unterschiedlich äußern, war jeder auf seine Art und Weise unangenehm.
Die Resolute hatte sich nicht gesetzt, sondern umfasste lose die Lehne des Stuhls, auf der das Drachenmädchen platziert worden war, ohne sich darauf abzustützen oder anzulehnen. Es sah beinahe so aus, als hätte sie eine Beschützerfunktion inne. Sobald Serathis den gruselig toten Blick der blonden Elfe kreuzte, huschte ihrer zur Seite und ein rosefarbener Schimmer unterleuchtete ihre blassen Wangen. Blind war sie ganz offensichtlich nicht. Aber der fühlbare MANGEL an Licht schien an ihm zu zerren wie die Tiefe, wenn man zu lange in sie hineinstarrte.
Im Nebenraum waren leise Geräusche zu hören, das Klirren und silberne Klimpern von Porzellan und Besteck. Die gesamte Szenerie hatte eine eigenartige Dynamik an sich. Es wirkte wie ein gut eingespieltes Theaterstück, in dem jeder seine Rolle kannte - außer Serathis.
„Du hast mir gar nicht gesagt, dass wir Besuch erwarten“, sagte er mit sonorer Stimme und wandte den Blick von der Bauchtanzelfe und dem schüchternen Mädchen ab und wanderte in den Nebenraum, vornehmlich um Nuianna zur Hand zu gehen wie ein gut polierter und ausstaffierter Diener in viel zu unbequemer Rüstung. „Erklär mir das…“, flüsterte er in ihr Ohr als er sich an ihr vorbeischob und das Tablett aufnahm.
Sie reagierte nicht umgehend, sondern griff nach der Kanne und kehrte gemeinsam mit Serathis in den Hauptraum zurück, wo sie - inzwischen zumindest äußerlich gefasst - mit ruhiger Stimme sagte: "Ich darf vorstellen, Serathis - " Sie wies auf ihn und dann auf die beiden anderen. "Meine Schwestern. Valanna - " Eine kleine Pause folgte, in der sie kurz aber sehr kritisch eben jene musterte, aber dann ohne einen Kommentar zu deren Zustand fortfuhr: „Und Layal.“
Die Letztgenannte ließ sich eben nieder, ohne den Blick von Serathis gelassen zu haben. Viel zu lang, bevor er zu Nuianna flog. Irgendetwas sagte sie nicht, aber der Zug um ihren Mund war ein feines, beinahe spöttisches Lächeln. Wundersamerweise sah es nicht boshaft aus - liebenswert allerdings auch nicht. Vielleicht lag das an dem viel zu harten Strahlen der Augen. Sie waren zu hell. Irgendetwas stimmte nicht mit der Elfe.
Auch Nuianna sah Serathis an, nachdem der kurze Blickwechsel mit ihrer Schwester erfolgt war - so, als wolle sie ihn auslesen. Dann machte sie sich daran die Tassen zu verteilen, ihre Aufmerksamkeit aber war sichtbar nicht bei der Sache.
Ungeschickt griff die als Valanna vorgestellte Elfe nach Tellern und Tassen, versuchte zu helfen und hatte etwas eigenartig kindliches dabei, wie sie mit beiden Händen das umfasste und abstellte, was ihr gereicht wurde. Verschwörerisch beugte sie sich vor und flüsterte - zu laut, um es als geheim bezeichnen zu wollen: „Sie sind wieder da.“ Es klang so unheilvoll wie sie aussah. Verstört und verstörend.
Als Layal sie berührte, schloss sie den Mund und sank mit einem Seitenblick erneut im Stuhl zusammen.
„Wer?“
In all ihrer Contenance hatte sich Nuianna gesetzt und wartete nun nur noch darauf, bis auch Serathis Platz genommen haben würde, als Layal die kurze Stille mit zwei schlichten Worten brach, die keinen größeren inneren Tumult hätten auslösen können.
„Die Geißel.“
The Tenors w Lindsey Sterling - Who wants to live forever
https://www.youtube.com/watch?v=IbYG30ucL7Q