Vaeren ließ die Feder sinken und starrte auf das Blatt vor sich. Zur Hälfte war es bereits mit seiner gleichmäßigen Handschrift beschrieben, zusammenfassende Worte zu der Mission, die er in jenen Stollen geführt hatte, den es nun nicht mehr gab. Die fellodernden Augen huschten über die enggeschriebenen Zeilen, während sein Geist versuchte, das Geschriebene einzuordnen und den Übergang wiederzufinden, der ihm gerade noch so klar vor Augen gestanden hatte.
Ziel der Mission war die Vernichtung des Ankers und ggf. die Sicherung von Erzen.
An letzterem waren sie gescheitert. Sie hatten keinen einzigen Stein aus dem Stollen ans Tageslicht gebracht, und Vaeren war im Nachhinein froh, dass sie sich damit nicht belastet hatten. Niemand konnte sagen, ob sie andernfalls die letzten Schritte bis zum Ausgang rechtzeitig geschafft hätten, ehe der Stollen über ihnen zusammenbrach. Es war so bereits ein knappes Unterfangen gewesen, und Vaeren wusste, dass der Umstand, keine Toten bestatten zu müssen, mehr als allem anderen dem Glück geschuldet war.
Die Anreise zum genannten Bergwerksstollen erfolgte mittels Reittieren, die in ausreichender Entfernung zurückgelassen wurden. Eine leerendurchwirkte Felsverschüttung vor dem Eingang konnte Sonnenläufer Kwatoko entfernen. Dahinter war starke Leerenpräsenz zu spüren. Zwei Wächter – versteinerte Orcs (?) – konnten niedergerungen werden.
Vaeren versuchte, sich die Bilder noch einmal vor Augen zu führen. Die beiden statuenhaften Gestalten beidseits der Stollenwand, seine Überzeugung, eine Illusion vor sich zu haben, die Erkenntnis, sich zum ersten Mal an diesem Tag geirrt zu haben. Er war ungewohnt fahrig gewesen, hatte teils nach Worten gesucht, Analysen ausgesprochen, ohne sie überprüft zu haben … Was ihm zunächst nur als Folge der fortdauernden Erschöpfung und der brennenden Sonne erschienen war, hatte sich jedoch mit jedem Schritt hinein in den Stollen stärker manifestiert.
Eine manipulative Wirkung jener Leerenpräsenz führte bei verschiedenen Mitgliedern des Einsatztrupps zu emotionalen Ausfällen (Panik, Aggression, Verwirrtheit, Phobien). Diese traten schubweise auf und konnten nur in einem sehr geringfügigen Maße beherrscht werden. Als sinnführend hat sich ein Bannkreis aus Licht erwiesen, den Ritter Gil’Ravardy gewirkt hat.
Er hätte früher die richtigen Schlüsse ziehen müssen, aber dem stand die immer wiederkehrende Wirrnis seines Geistes entgegen. Es war ein geschickter Zug des Ren’dorei, ausgerechnet ihm die Struktur zu nehmen, in der sich seine Gedanken sonst bewegten und die es ihm ermöglichte, logische Schlüsse und Entscheidungen zu treffen. Der Versuch, seinen Geist abzuschirmen, hatte es vorübergehend leichter gemacht, aber es war ihm nicht gelungen, sich dem Einfluss gänzlich zu entziehen. Dafür hatte er endlich Gelegenheit gefunden, sich das Wirken der Leere während der Manipulation anzusehen.
Der Stollen schien bereits längere Zeit verlassen. Die Leerenpräsenz wies auf eine Quelle weiter in der Tiefe hin. Tentakelbewehrte Leerenwesen lösten sich während unseres Vorrückens aus den Schatten und versuchten, Gewalt über uns zu erlangen. Licht erwies sich auch hier als nützlich, wenngleich der Gebrauch in dem Fall, dass eigene Leute zu Schaden kommen könnten, in Zukunft sorgsamer geprüft werden sollte. An einer Weggabelung kam es zu einer Auseinandersetzung mit zwei von Leere erfüllten Menschenmädchen, die von ihrem Meister sprachen. Eines ergriff Windfeder und versuchte sich an einem mentalen Angriff, der jedoch scheiterte, da der Körper des Wesens unter den massiven Angriffen andere (profan/ unter Lichteinsatz) zugrunde ging.
Er hatte zugesehen, als das Mädchen nach Tarses Windfeder gegriffen hatte, und allein diese Erkenntnis rechtfertigte all die Mühen und Entbehrungen, die er bei dieser Mission auf sich genommen hatte. Die Erinnerung hielt er tief in seinem Geist und einem Speicherkristall verwahrt, bis er in Silbermond Gelegenheit finden, sie umfassend zu analysieren und damit vielleicht eine Grundlage für die Neuausrichtung seiner Forschungen zu erhalten.
Soldatin Silberschwert wurde bei dem Zwischenfall schwer verletzt. Der Umgang mit derartig machtvollen Leerenwesen birgt demnach eine nicht zu unterschätzende Gefahr für diejenigen Soldaten, die nicht durch wiederkehrende Meditation oder andere Techniken ihren Geist geschult haben, dem Einfluss etwas entgegen zu setzen. Bei dem Meister der beiden Mädchen handelte es sich um den bereits namentlich bekannten Leerenelfen Meister Milathir Gala’rit. Er schien anwesend zu sein, verschwand aber mit dem Ende des Kampfes, wobei anzunehmen ist, dass er die weiteren Vorgänge in dem Stollen auf andere Weise weiterhin beobachtete.
Gala’rit … Vaeren hatte bereits seit der ersten Nennung des Namens darüber nachgedacht, ob er den Elfen vielleicht kannte. Aus einer Zeit, ehe die Abtrünnigen fortgingen, um der Leere zu folgen. Aber weder Name und Stimme schienen ihm vertraut, und inzwischen war er sich sicher, dass Gala’rit sich ihm längst zu erkennen gegeben hätte, würden sie einander kennen. Dieser Leerenelf war einer jener überaus fähigen Arkanisten …. Leerenwirker, die sich ihres Könnens und ihrer Macht bewusst waren. Und dazu neigten, die Macht anderer zu unterschätzen. Wie Katzen, die in vermeintlicher Überlegenheit mit ihrer Beute spielten und entsetzt zu fauchen begannen, sollte sich die Beute wider Erwarten als gefährlich erweisen.
Der Anker befand sich in einer Konstruktion goblinischer Machart am Ende dieses Stollens. Er konnte dank lichtverstärkter Granaten vernichtet werden. Da der Stollen daraufhin einbrach, war für den Rückweg eine Translocation notwendig. Dabei wurden einige Mitglieder des Einsatztrupps verletzt. Aufgrund der Tatsache, dass auch die Pferde verschreckt waren und nicht alle in der Lage waren, selbstständig den Rückweg zur Feste im Sattel zurück zu legen, geschah die Rückkehr mittels eines weiteren Translocationszaubers.
Alle hatten überlebt, soweit Vaeren wusste. Sie waren erfolgreich gewesen und hatten den Anker zerstört. Erze hatten sie keine gesichert, aber nachdem mit Silberschwert die Fachfrau für derartiges schon früh nicht mehr einsatzfähig war, hatte sich dieser Teil der Aufgabe ohnehin erledigt.
Vaeren lehnte sich mit einem leisen Seufzer zurück und nahm den Glimmstängel zwischen die Lippen. Viele Erkenntnisse hatte diese Mission erbracht, aber er war sich sicher, dass Gala’rit und seine Auftraggeber die Vernichtung der Anker nicht einfach hinnehmen würden. Die Allianz wusste längst, was sie hier taten, und der Einschlag der Haubitze vor dem Tor machte deutlich, dass sie nicht bereit war zu warten, bis Verstärkung aus Orgrimmar eintraf. Es würde zum Kampf kommen, sehr bald. Und es erleichterte Vaeren zu wissen, dass er nicht länger allein auf die Kampfkraft der begleitenden Soldaten vertrauen musste, sollte dieser Kampf unerfreulich eng werden.