Vorbereitungen zum Rat der Horde;
die Runenlegerin
Direkt nach den Feierlichkeiten der Frühjahr-Tagundnachtgleiche, dem Kosh’harg, liefen auch schon die Vorbereitungen des nächsten, festlichen Ereignisses an; dem Rat der Horde. Als hätten gewisse Halsabschneider ein Gespür dafür, ließ auch der erste Goblin nicht lange auf sich warten. Mit einer lauten Maschine auf drei breiten Rädern rollte der kurz geratene Händler vor das Donnerblutdorf. Dabu´ka hatte schon immer eine gewisse Vorsicht, was Goblins betraf. So ließ sie den fahrenden Händler nicht hinein; seine ausflüchtigen Reden, er sei am Ende des südlichen Brachlandes, inmitten der kargen Berglandschaft, mit einem Blutelfen verabredet, streuten nur noch mehr Skepsis der Orcin gegenüber. Mit hochgezogener Braue lauschte die Marak den hibbeligen Worten, als hätte der Goblin nur wenig Zeit zum Palavern. Bei der Anpreisung seiner Waren ließ dieser sich dafür umso mehr Zeit.
Das Angebot sah augenscheinlich auch gar nicht so schlecht aus; da waren verschiedene Stoffe und gut riechende Lederwaren, handgearbeitete Bögen, die dem Nachwuchs zu Gute kommen konnten. Dabu´kas Interesse an den Dingen, die mit viel Glitzer zu bezahlen waren, wurde größer, vor allem an dem Punkt, als der kleine Händler mehrere Kisten gut aussehender Äpfel zeigen ließ. Frische Äpfel waren in den Frühjahrestagen noch Mangelware, welch ein glücklicher Zufall sie geradewegs aufgetischt zu bekommen. Immer wieder fragte der Goblin wegen der Bezahlung seines Glitzers nach, mit einer abwiegenden Handbewegung beschwichtigte Dabu´ka diesen nur zu gerne und inspizierte die Ware weiter.
Natürlich ließ die Orcin zunächst einen der Äpfel vom Goblin vorkauen, sicher war sicher. Erst nachdem dieser weiter aus seinen eigenen kurzen Beinen stand probierte auch sie einen dieser Köstlichkeiten. Zufrieden pfiff sie ein paar starke Orcs ihrer Wachen heran, um die Kisten ins Dorf zu schleppen. Die Äpfel konnte der Maruk für die Vorbereitungen des Rates sehr gut gebrauchen; schließlich sollte seine Schnapsbrennerei die nächsten Tage nicht still stehen. Der Händler sah zu, wie seine Ware abtransportiert wurde, wollte ihr gar bis zum Handel Abschluss folgen, oder nicht außer Augen lassen; doch der Eintritt blieb ihm verwehrt. Dabu´ka aber hielt Wort, ließ sich einen großen, schweren Sack bringen, samt Proviant für die Rückfahrt.
Der Goblin hatte keine Hände frei, um in den Sack genauer hineinsehen zu können, schon komplimentierte ihn die Orcin in Richtung seiner Maschine und hielt ihn an mit seiner Knatterkiste unverzüglich den Rückweg anzutreten, ehe das Wetter drohte umzuschlagen. Mit lautem Geratter zog der Goblin zufrieden ab, gewiss würden sie sich wieder sehen und vielleicht ist ihm dann die Orcin etwas besonnener bestimmt; er durfte sich jedenfalls über einen großen Sack voller glitzernder Steine freuen, die im Berg abgebaut wurden.
Zufrieden ging Dabu´ka durch das Dorf und besah sich die Anstrengungen die unternommen wurden, um es den Gästen des bevorstehenden Rates angenehm zu machen. Fleisch und Fisch wurde bereits geräuchert, ein herrlicher Duft von Essen, der sich mit den Frühling mischte. Es wurde immer wärmer, die nähere Umgebung belebter; Dabu´ka liebte diese Zeit.
Ihr Gang brachte sie auch an der etwas abgelegenen Hütte der alten Grotha vorbei. Hier roch es immer ein wenig anders, wie bei einigen Schamanen. Die Marak schob die Felle des Einganges vorsichtig zurück, um einen Blick hineinwerfen zu können. Räucherstäbchen und die vielen getrockneten Kräuter gaben diesen wunderbaren Duft von sich. Dabu´ka war aufgeregt und wollte sich die Zeit etwas nehmen, um die Runenlegerin zu befragen. Der Alten konnte man natürlich nichts vorenthalten und scheinbar wusste, oder ahnte, sie bereits von diesem Besuch, denn die Mitte der Hütte war bereits mit einer gewebten Sitzdecke ausgelegt.
Ohne ein Wort zu sagen setzte sich die Marak und ließ ihren Blick noch ein wenig durch die Räumlichkeiten schweifen. Der Duft stimulierte die Orcin ruhiger. „Du brauchst einen offenen Geist, Jungblut.“ Die Stimme der Alten war angenehm warm; bei ihr fühlte sich Dabu´ka wie ein Kind, dass keine Ahnung von dem hatte, womit sich die weise Frau beschäftigte. Grotha setzte sich ihr gegenüber, kaute an einem Kräuterstängel und musterte ihren Besucher ruhig, innig, aber gewiss nicht abwertend.
„Stelle den Runen und Ahnen deine Frage, sei offen für die Antworten. Wähle aber bewusst, keine die mit ja oder nein zu beantworten ist; denn deine Wege können mehrere Kreuzungen innehaben.“ Dabu´ka überlegte und nahm sich diese Bitte zu herzen. „Welche Erfahrung wird mir am Rat der Horde widerfahren?“ Grotha schenkte ihr ein sanftes Lächeln, schloss die Augen und begann mit einem leisen Summton, um sich zu konzentrieren. Als ihr Körper leicht ins Wanken kam nahm die Alte ein Säckchen mit ihren Runensteinen in die Pranke, schüttelte diese klackernd und mischte somit Dabu´kas Schicksal.
„Wähle vier Runen, lege sie aufgedeckt nebeneinander. Die Erste wird deine aktuelle Situation zeigen, die Zweite wo deine Sorgen liegen, die Dritte was notwendig sein wird und die Vierte, welches Ergebnis du zu erwarten hast.“ Schnaufend und murrend steckte Dabu´ka ihre Pranke in den Sack, schloss ihre Augen dabei, um sich von ihrem Gefühl leiten zu lassen. Nacheinander wählte sie blind ihre vier Steine des Runenorakels und legte sie einzeln nebeneinander auf. Die alte Grotha besah sich die eingeritzten Zeichen und nickte zufrieden, ehe sie mit ihrer Erklärung begann.
„Kenaz trägt die Elemente Feuer und Erde inne. Kleine Erfolgserlebnisse bringen dich deinem Ziel etwas näher, denn nicht nur ein großer Schritt, sondern auch ganz viele kleinere führen stets zu einem Ergebnis. Deine Persönlichkeit kann sich langsam weiter entwickeln, bringe Ruhe in deinen Körper und Seele. Achte immer darauf deine innere Stärke gut und positiv einzusetzen und niemals, um Macht zu erlangen. Andernfalls wird sich alles früher oder später gegen dich wenden können. Beziehungen sind sehr wichtig in dieser Zeit. Achte auf deine Partner und führe Beziehungen in Liebe, nicht in Abhängigkeit.“
Grotha erklärte die Rune etwas genauer. Kenaz ist die Rune der Heilung und Regeneration. Das innere Feuer kann genutzt werden, um sich von Unstimmigkeiten zu befreien oder alte Wunden zu heilen. Sie symbolisiert Inspiration und Kreativität sowie Weisheit und Offenbarung.
Kenaz ist aber auch die Rune des Feuers, der Fackel, und somit ein Symbol für Erschaffung. Sie verkörpert den Willen und die Fähigkeit, etwas zu erschaffen und hervorzubringen. Sie steht für die Kombination aus Fähigkeit und Wissen. Das Feuer der Fackel kann kontrolliert und somit sinnvoll eingesetzt werden. Fasziniert nickte Dabu´ka die Erklärung ab und schaute neugierig auf die nächste Rune ihres persönlichen Orakels.
Die Runenlegerin brummte: „Algiz trägt das Element der Erde und der Luft ins sich. Es kann eine Zeit des Wandels auf dich zukommen, die von Rückschlägen geprägt sein könnten. In dieser Zeit könntest du etwas sensibel und emotional sein. Es gilt also sich immer wieder neu zu motivieren und ins Positive zu denken; alles hat stets seinen Grund. Bleib umsichtig, besonnen und nutze die Kunst des Erkennens; es könnten ein paar Gefahren auf dich lauern und dir Steine in den Weg legen wollen. Benötigter Schutz wird deiner aber sicher sein, keine Sorge. Es kann durchaus auch eine sehr lehrreiche Zeit für dich werden, Jungblut. Diese Phase steht nämlich auch für viel Liebe und Geborgenheit.“
Dabu´ka besah sich diesen Stein etwas interessierter an und schmunzelte; denn sie glich irgendwie einem Hirsch. Ohne dass die Gedanken ausgesprochen wurden nickte die Alte bekräftigend, ehe sie die Bedeutung des Steines erklärte. „Die Rune Algiz ist eine starke Schutz Rune, sie schützt vor Feinden und vor dem Bösen. Sie symbolisiert einen Elch, welcher mit seinem mächtigen Geweih gegen Angriffe von Feinden gewappnet ist; und sich damit schützen kann. Der Elch ist groß und mächtig, aber auch ein sehr feinfühliges Tier. Dieses Feingefühl steht für die Empfänglichkeit spiritueller Einflüsse, positiv, wie auch negativ. Vor den negativen Einflüssen sollte man sich schützen. Folgst du deinem Instinkt, so bist du auf dem richtigen Weg.“
Der Rauch in der Hütte wurde etwas stärker, der Duft kräftiger und Sinnesweitender. Grotha nahm die nächste Rune in die Pranke, die Dritte, die für die Notwendigkeit stand. Interessiert beugte sich Dabu´ka neugierig nach vorn, um ihre weiteren Ausführen besser lauschen zu können.
„Berkano nennt sich diese Rune hier und trägt die Elemente Wasser und Erde. Es kann eine Zeit der spirituellen Entwicklung für dich kommen. Dir steht genügend Energie zur Verfügung und du könntest manches erkennen, was anderen verborgen bleibt. Achte stets darauf, dass du mit dem notwendigen Maß an Demut und Fleiß vorgehst.“ Grotha schmunzelte nun ebenfalls, ihr blieb nicht verborgen, dass sich die junge Dabu´ka ebenfalls für den Schamanismus immer mehr interessierte. „Ein langsamer, stetiger Wandel oder ein Neubeginn auf der Grundlage alter Muster kann möglich sein, solange du nicht zum Stillstand kommst. Hab Vertrauen in dich selbst und bewege dich mit mutigen Schritten voran.“ Mit einem leichten Augenzwinkern grinste die Runenlegerin ein wenig breiter und glitt mit ihren Augen ein wenig an Dabu´ka hinab. „Die häuslichen Pflichten dürfen auch nicht außen vor gelassen werden, Jungblut. Die Zeichen stehen gut.“
Mit leicht hochgezogener Braue verstand die Marak nicht recht, auf was Grotha anspielte, bis sie begann die Rune mit dem markanten Zeichen etwas genauer zu erläutern. „Berkana steht für eine Birke und symbolisiert die Erneuerung, den Augenblick und das Wachstum. Sie verkörpert alles Werden und Sein. Sie steht für die Zeit eines Neubeginns und des Abenteuers. Kreative und neue Ideen können dabei helfen, Vergangenes hinter sich zu lassen und so Kraft für einen Neubeginn schöpfen zu können. Aus bereits Vergangenem sollten Lehren gezogen werden; wenn dies geschehen ist, so ist es an der Zeit nach vorne zu blicken, weiter zu gehen; um Platz für Neues zu schaffen. Sie zeigt die Zeit, mit mutigen Schritten voranzuschreiten. Die Birke symbolisiert auch, neben einem Neubeginn, Geburt und Wiedergeburt.“
Da konnte nun auch Dabu´ka sich ein schelmisch, zahniges Grinsen nicht weiter verkneifen und lachte erheiternd auf.
Die letzte, vierte Rune glich einem etwas breiteren Strich, wie ein Knochen. Grotha legte den erklärten Stein beiseite und widmete sich nun jenen, der sich um das Ergebnis des Orakels kümmern sollte. „Isa heißt diese Rune und ist das Element der Erde. In dieser Phase können alteingesessene Muster und Gewohnheiten manchmal zu einer Belastung werden, von denen du dich zu lösen solltest. Du kannst Blockaden überwinden, indem du auf Vergangenes zurück blicken kannst und diese Erfahrung zukünftig berücksichtigst und einbeziehst. Versuche immer neue Dinge kennenzulernen, Erfahrungen zu sammeln. Nutze die unverhoffte Ruhe, damit dein Innerstes sich ausbreiten und auch weiter entfalten kann. Dieses Gefühl kann sehr bereichernd sein und dir Energie schenken. Die Zeit der Selbstbeobachtung kann Wichtiges zutage bringen. Wenn du dies schaffst, kann dir das auch bei deiner Entwicklung sehr helfen. Es kann ein innerer, spiritueller, Fortschritt erreicht werden. Vermutlich gewinnst du in dieser Zeit nicht nur an Charakterstärke, sondern hast auch die Fähigkeit andere zu führen oder anzuleiten. Achte aber immer darauf, deine Macht und Einfluss nicht zu missbrauchen, dies könnte früher oder später zur einer starken Gegenreaktion führen. Für deine innere Entwicklung ist es sehr wichtig, dass du immer das notwendige Maß an Demut aufbringst.“
Erleichtert atmete Dabu´ka etwas aus. Sie hatte gehofft, dass die Runen nichts von Tod und Verderben offenbaren würden. Auch wenn die Worte und Ergebnisse etwas skurril für sie erschienen, war es eine angenehme Erfahrung. Die Marak würde gewiss noch einiges Verdauen müssen, innerlich; doch sie wusste sie würde es schaffen. Genauso wie sie den kommenden Rat schaffen würde. Mit ihrer gewonnen Erkenntnis gestärkt verließ sie die abgelegene Hütte, um weitere Vorbereitungen zu treffen; schließlich gab es noch viel und einiges zu tun, ein jeder sollte sich im Donnerblutdorf schließlich wohl fühlen.