Gimpelweise
Eine Erzählung in Trochäen mit Binnenreimen
von Mystikerin Tenaar
Auf dem Aste eines Baumes,
Waldessaumes größter Buche,
Lebte lange, friedlich singend,
Lieblich klingend, eine schöne
Gimpeldame. Sprach dann sinnend 5
Als dort glimmend Sonne lachte:
„Meine Küken sind entflogen,
Hab‘ erzogen sie zum Wohle
Uns‘rer Zukunft; schwere Bürde!
Manche Hürde legt das Leben. 10
So auch heute: Muss ich achten
Liebe Wachteln, mir doch sagten
Balde wäre Kälteanfang,
Winters Anklang: Noch ist‘s sonnig!
Muss ich finden viel zu essen, 15
Möcht‘ mich messen mit des Herbstes
Prallen Äpfeln: Schön und rundlich!
Sorgen schrecklich mach mir keine
Um die Kleinen. Nein, sie werden
Schon nicht sterben! Habe ihnen 20
Übermittelt all mein Wissen.
Werd‘ sie missen restlich Leben,
Meine Zeiten hier auf Erden,
Weiß sie werden überdauern.
Doch bin hungrig, muss zur Suche, 25
Fern der Buche find‘ ich Futter -
So ich hoffe.“ Flog vom Baume
An dem Saume großen Waldes,
Gimpeldame wollte ziehen,
Wollte fliehen vor dem Hunger; 30
Hörte dann ein lautes Singen,
Saitenklingen eines Spielmanns,
Auf der Zither Melodien
Diese liehen ihre Achtung.
Folgte Spur des Musikklanges, 35
Fels des Sanges, Spielmanns Rastplatz,
Auf dem Steine silb‘ner Klarheit
Sang er Wahrheit schöner Wälder.
Blauer Hut und Mantel grauer
Gleich dem Schauer ferner Sterne 40
War‘n die Augen, silbern-helle,
Auch wie Quelle tief voll Ruhe.
„Kommt und lauscht doch meinem Spiele,
Möchte viele Freunde machen!
Mag die Tiere, auch die Pflanzen, 45
All die ganzen Waldlandwesen!
Bin der Spielmann, alt und fröhlich!“
Einig war‘n sich all die Tiere,
Rehe sprangen zu dem Manne,
Ganz im Banne war‘n die Vögel, 50
Lurche kamen aus dem Schlamme,
Von dem Stamme kamen Hörnchen,
Auch die Bärin aus der Ferne
Schaute gerne nach dem Spielmann.
Wonne hob sich über Wonne, 55
Doch die Sonne küsste Abend,
Gimpeldame sang zur Zither,
Doch dann riet der alte Spielmann
Zu der späten Nachtesruhe.
Eine Truhe voller Futter, 60
Voller Nüsse, voller Beeren,
Ließ er leeren von den Tieren;
Für die Lurche Käfer kleine,
Was vom Schweine für die Bärin.
Vor der kleinen Gimpeldame, 65
Friedlich zahme Gimpeldame,
Weiser Sänger kniete nieder,
Wisser Lieder alt und magisch,
Alter treuer Zitherspieler.
„Bist fragiler als die andern, 70
Kleine Dame, friedlich singend,
Lieblich klingend! Bist mir teuer,
Kleine Dame! Einen Segen
Möcht‘ ich geben, doch bin müde.
Werde rasten, kehre wieder, 75
Müde Glieder schlechter zaubern.
Erster Schneefall ist das Zeichen,
Werd‘ am gleichen Platze singen,
Lasse klingen meine Zither.“
Gimpeldame sprach da leise: 80
„Alt und weise, Zitherspieler,
Kommt der Winter, kalt und grausam,
Dunkel, furchtsam, wird es werden,
Und die Äste all gebrochen,
Ganz verkrochen all die Tiere, 85
Werde warten, werde schauen,
Nach dem blauen Hute deinen,
Werde warten, werde singen,
Meine Schwingen weit ausbreiten,
Werde tanzen, werde warten, 90
In dem Garten dieses Waldes,
Auf den Spielmann, alt und treue,
Schön und neue Lieder wünschend.“
Zeit verging im schönen Walde
Und schon balde kam der kalte 95
Schnee vom Himmel; Zitherspieler,
Weiser vieler alter Lieder,
Kehrte heim zum Fels des Sanges,
Stein des Klanges. Suchend Blicke
Fanden keinen Gimpel kleinen. 100
„Möchte meinen, möchte denken,
Meine Freunde halten Worte,
An dem Orte meines Spieles
Sollten wir uns wiedersehen.
Muss ich gehen, weitersuchen.“ 105
Einen Fuchs, der still und heimlich
Im Gebüsch sich tarnen wollte,
Bat der Spielmann anzuhalten.
„Lass mich walten, listig Füchslein!
Kluger Rotfuchs! Bleibe stehen, 110
Hör mein Flehen! Muss dich fragen
Über Fräulein Gimpeldame,
Diese zahme Gimpeldame,
Denn sie ist dem Wald entschwunden.
Tiefe Wunden reißt dies in mir, 115
Kann nichts finden, kann nichts sehen -
Hör mein Sehnen, ich dich bitte!“
„Jägers Hunde, Störenfriede,
Nennen Diebe alle Füchse,
Kann mir denken, dass sie bissen, 120
Dass sie rissen Gimpeldame;
Denn schon lange, ja schon lange,
Ist ihr Sange nicht zu hören.
Kann dir aber nicht mehr sagen
Unbehagen füllt mich bei dem 125
Schlimm‘ Gedanken. Frag die Kröte!
Sie dir böte guten Ratschlag.“
Zitherspieler konnt‘s nicht glauben:
„Hunde rauben keine Vögel!“
Sah ein Mäuslein, schnell, geschwinde, 130
Wie vom Winde angetrieben,
Durch den kalten Schneefall laufen.
Auf dem Haufen vieler Blätter
Saß es stille, quiekend sprechend:
„Füchslein irrend spricht nur Unsinn! 135
Schlange war es, bin mir sicher,
Schauerlicher Bodenschleicher,
Jagt die Vögel, auch uns Nager,
Tiere mag er ganz verschlucken.“
„Könnte sein, dass Schlang‘ ist schuldig.“ 140
Ungeduldig dacht‘ der Spielmann.
Fröstelnd in der Kälte stehend,
Kam ihm bebend ein Gedanke:
„Schlangen mögen keine Kälte!“
Dies erhellte seine Zweifel. 145
Durch den Walde ging die Wand‘rung,
Auf der Lichtung blieb er stehen,
Sah dort einen weißen Hasen
Schnelle rasen über Gräser.
„Flinker Hase! Halte inne, 150
Hab‘ im Sinne dich zu fragen,
Über Fräulein Gimpeldame,
Diese zahme Gimpeldame,
Denn sie ist dem Wald entschwunden.
Tiefe Wunden reißt dies in mir, 155
Kann nichts finden, kann nichts sehen -
Hör mein Sehnen, ich dich bitte!“
Zu dem Manne rief der Hase:
„Gleich dem Glase brauchst du Klarheit,
Denk‘ die Adler über Gipfeln, 160
Über Wipfeln, sind hier schuldig.
Angst sie machen allen Hasen
Froh hier rasen über Gräser.
Doch die Kröte wird mehr wissen,
Denn beflissen sieht sie alles, 165
Weise Kröte, Tümpelsänger,
Käferfänger, Wissenswahrer.“
„Alte Kröte muss ich wecken,
Denn verstecken in dem Boden
Tun sich Kröten, ist es Winter. 170
Doch dahinter muss ich kommen.“
An dem Tümpel angekommen,
Rief beklommen er gen Wasser:
„Weise Kröte! Darf ich‘s wagen,
Dich zu fragen, muss es wissen, 175
Über Fräulein Gimpeldame,
Diese zahme Gimpeldame,
Denn sie ist dem Wald entschwunden.
Tiefe Wunden reißt dies in mir,
Kann nichts finden, kann nichts sehen - 180
Hör mein Sehnen, ich dich bitte!“
Spielmann stand da lange wartend,
Doch dann quakend hob sich Erdreich,
Weise Kröte, Tümpelsänger,
Käferfänger, kam ans Lichte. 185
Spielmann hörte Kröte klagen:
„Muss ich‘s wagen dir zu sagen,
Was dem Vogel widerfahren,
Von Gefahren muss berichten,
Traurig Botschaft, düster Kunde, 190
Keine Hunde sind hier schuldig.
Auch die Adler über Gipfeln,
Über Wipfeln, sind nicht schuldig.
(Werd‘ nicht sprechen von der Schlange,
Angst und Bange wird mir bei ihr. 195
Unbetroffen ist sie diesmal.)
Nein!, ein Scheusal fremd dem Walde,
Es gern mordet ohn‘ zu fressen,
Möcht‘ vergessen seine Augen,
Ein still Jäger sanften Schrittes, 200
Lautlos Trittes, ist hier schuldig.
Es froh quälend spielt mit Opfern,
Armen Opfern, Tod befreit sie.
Gimpeldame wollte fliehen,
Wollte ziehen von den Klauen, 205
Konnte aber nicht entkommen,
Ganz benommen bin noch immer.
Weiter seh‘ ich als die andern,
Sah dich wandern in dem Traume
Den ich hatte unter Erde. 210
Also werde ich dir sagen
Meine Augen trauernd sahen:
Sah sie fahren in die Ferne -
Hinter Himmels bunten Bogen
Winde zogen ihre Seele.“ 215
„Dies nun ist der Gimpeldame
Traurig Sage.“, sprach der Spielmann.
Ging dann schweigend, ging dann weinend,
Doch dann keimend kam ihm Hoffnung.
„Ihre Küken sind entflogen, 220
Sind erzogen zu dem Wohle
Aller Zukunft – schwere Bürde!
Manche Hürde legt das Leben.
Hatte ihnen übermittelt,
Klug vermittelt, all ihr Wissen. 225
Werd‘ vermissen ihre Stimme.“
Zitherspieler, alt und weise,
Endet Reise auf dem Steine
Silb‘ner Klarheit, Fels des Sanges,
Musikklanges. Erst noch stille 230
Saß er schweigend, doch dann singend,
Sternwärts klingend, sprach er Worte:
„Auf dem Aste eines Baumes,
Waldessaumes größter Buche,
Lebte lange, friedlich singend, 235
Lieblich klingend, eine schöne
Gimpeldame, Sommers Zierde.“