Das Sprengkommando an der Kapelle und ein Angebot für Reas
Die Zauberin des Sprengkommandos, Jael Spektralia, erreichte den neutralen Ort mit dem Gnomjäger und Reas, dem Seefahrer erst spät am Abend, als bereits die Nacht angebrochen war. Sie waren froh, den gesicherten Ort in den Pestländern erreicht zu haben, und von den Streitern der Argentumdämmerung wurden sie herzlich empfangen und in ein kleines Zelt in der Nähe des Kommandaten eingeladen.
Die Geisterklinge Alyndra war rasch bei ihnen und bedankte sich bei ihnen für ihr Erscheinen. Sie verriet dem Sprengkommando, dass sie möglicherweise nicht gebraucht würden, war aber froh um ihre Präsenz dort, wenn es doch erforderlich wäre. Jael wollte sich bei der Geisterklinge nach dem Grund erkundigen, doch Alyndra winkte ab, es ginge bloss um ein familiäres Thema. Das Sprengkommando würde es früh genug erfahren, wenn es ihrer Hilfe bedürfte. Die Leerenelfe lud das Sprengkommando Drei schliesslich zu einem üppigen Nachtessen ein, an dem sie selbst aber nicht teilnahm.
Kügelchen liess es sich aber trotzdem nicht nehmen, ausgiebig zu tafeln und zu zechen. Beim grossen Lagerfeuer gleich unterhalb der Kapelle setzten sie sich also hin und liessen es sich auf Kosten der Leerenelfe gut gehen. Jael entdeckte die beiden Blutelfen, die ebenfalls bei der Kapelle waren, sich aber im Hintergrund hielten. Eine der Blutelfen trug eine blutelfische Robe und hatte markante, goldene Haare. Der Zauberin kam sie bekannt vor.
„Kurt, schau dir die goldgelockte Elfe mal an. Fällt dir was auf?“ Fragte Jael den Gnomjäger. Dieser blickte auf, während ihm der Saft eines Bärenburgers von den Lippen tropfte, und er musterte die Sin’Dorei lange. Aber dann schüttelte er sein Köpfchen: „Was soll mir an dem Elfchen auffallen? Die sehn doch alle gleich aus. Und die sind auch nicht mehr unsere Freunde.“
Reas fügte hinzu: „Bestimmt eine Zauberin, eine Hexe oder sowas. Ihre Kollegin jedenfalls scheint kräftiger zu sein. Aber wen kümmern schon die Blutelfen?“
„Mich. Denn das Elfchen hat uns doch vor ein paar Jahren zur Freiheit verholfen. Weisst du nicht mehr, Kügelchen?“ Präzisierte Jael.
Dem Gnomjäger blieb ein Stück Burger im Hälschen stecken, und er musste es mit ein paar Schlückchen Zwergenstarkbier herunterspülen. Als er sein Stimmchen wieder hatte, blickte er die Zauberin erstaunt an: „Wie bitte? Das, das war doch diese Priesterin, die ihren Namen nicht nennen wollte. Ja natürlich, ich erinnere mich an diese Geschichte.“
Reas zuckte mit seinen Achseln: „Welche Geschichte denn? Ihr Gnome sprecht mir einfach zu oft in Rätseln.“
„Eine lange Geschichte mit Lepragnomen in Silbermond, die keine waren. Und ein Lepragnom war unsere Zauberin. Und dank einer Priesterin haben wir sie befreien können. Uiui, das war ein gefährliches Abenteuerchen!“ Verkündete Kügelchen und klatschte in seine Händchen. Und Jael fügte hinzu: „Und ich denke, das war diese Elfe dort drüben.“
Die besagte Blutelfe spürte, dass die Gnome über sie sprachen, blickte kurz auf und musterte sie, aber wandte sich gleich wieder ab, um mit ihrer Kameradin weiter zu diskutieren.
„Merkwürdig, dass sie uns nicht erkennt. Hach, ich Dummchen!“ Sagte die Zauberin und klatschte sich mit ihren Händchen an die Stirn. „Das war ja nicht hier, das war in der anderen Welt.“
„Stimmt, das war drüben beim Sprengkommando Neun!“ Fügte Kügelchen hinzu.
Reas wurde es zuviel. Er runzelte die Stirn, leerte seinen Starkbierbecher und stand auf: „Bitte verzeiht mich. Gewisse Themen hier sind mir einfach zu viel. Eure rübergeholte Schleicherin benahm sich so merkwürdig als sie mich sah. Aber ich muss nicht alles wissen. Ich werde mich hier noch kurz umsehen, und danach ziehe ich mich zurück.“
Jael blickte ihm sorgenerfüllt nach, doch liess sie ihn gehen. Der Seefahrer schlenderte durch den befestigten Ort und sah sich um. Schliesslich erklomm er eine Befestigungsmauer, stand zwischen den Zinnen und blickte ins Dunkel der Nacht hinaus. Nach einer Weile vernahm er eine Stimme, die aus dem Nichts zu kommen schien: „Ein wunderbarer Ort, nicht wahr? Auch ich bin gerne irgendwo oben und überblicke die weite, weite Welt. Wir sind uns sehr ähnlich, Reas.“
Neben ihm trat die Leerenelfe Alyndra aus den Schatten und verbeugte sich vor ihm.
„Nein, das sind wir definitiv nicht. Nur unsere Art zu kämpfen ist ähnlich. Ich kämpfe gesetzlos, und Ihr meuchelt. Aber mehr Gemeinsamkeiten sind da nicht.“ Sagte Reas und tippte sich zum Grusse gegen die Stirn. Er musterte die Leerenelfe, die enganliegendes Leder trug, das ihre schlanke Figur betonte. Ihre leuchtenden, leeren Augen musterten ihn eindringlich und blickten gleichzeitig ins Nichts, während sie ihn anlächelte.
„Das lassen wir so stehen. Reas, ich werde Eure Hilfe brauchen, und ich werde Euch für Eure Hilfe selbstverständlich grosszügig bezahlen.“ Sie trat einen Schritt auf ihn zu, während der Seefahrer unbeirrt stehen blieb.
„Meine Hilfe? Wobei sollte ich schon von Nutzen sein?“
„Als meine rechte Hand. Ich bin daran, meine Familie, mein Haus auf Seiten der Allianz wieder aufzubauen, wo es auch hingehört. Ich brauche Eure Hilfe, damit das Haus Sternglanz dem König von Sturmwind mit all seinen Kräften dienen kann. Die Allianz braucht alle Hilfe, die sie kriegen kann. Das seht Ihr doch genauso?“ Verkündete Alyndra. Reas überlegte einen Moment und nickte dann wortlos.
„Wissst Ihr, meine jüngere Schwester, die Blutelfe Alween Sternglanz ist hier. Ich habe sie hierher bestellt. Sie muss das Erbe des Hauses an mich abtreten, es gehört nicht ihr. Ich bin gekommen, um es zurück zu fordern. Sie weiss es noch nicht, aber ich werde sie Morgen hier treffen. Ich gehe davon aus, dass die Verhandlungen erfolgreich sein werden, auf die eine oder andere Weise. Danach werde ich Euch brauchen, Reas.“
„Tut mir leid, aber dabei kann ich Euch nicht helfen. Thalassische Geschichten gehen mich nichts an.“ Doppelte der Seefahrer nach, doch die Leerenelfe quittierte mit einem Kichern.
„Die Gnome brauchen Euch noch weniger. Eure Dienste als Beschützer des Oberhauptes des Hauses Sternglanz würden besser zu Euch passen, als Botengänger für die «Kurzen» zu spielen. Ich habe Erkundigungen eingeholt. Ihr wart Sibella Kaufmann im Holzfällerlager eine grosse und zuverlässige Hilfe. Zu schade, dass es niemand zu würdigen wusste. Aber ich verspreche Euch, ich werde es zu schätzen wissen. Ich werde EUCH zu schätzen wissen.“ Sie trat näher auf ihn zu, nahm seine Hand die er zwar zurück ziehen wollte, sie aber dann gewähren liess. Sie musterte seine Hand und sagte: «Ihr habt starke, flinke Hände. Ein begabter Schleicher.»
Reas zog seine Hand zurück, und wie durch ein Wunder lag ein kleines Geldbeutelchen in seiner Hand. Er musterte es kurz und wollte es ihr zurück geben, doch sie schüttelte ihren Kopf.
„Nein, behaltet es bitte. Ein kleiner Beitrag für Euch. Ihr braucht mir heute nicht zu antworten, ich will keine übereilte Entscheidung. Ich bitte euch nur um Eines: Seid bitte Morgen mein drittes Auge und behaltet die Blutritterin Seradane Sternenstaub im Auge, ja? Ich werde mit meiner Schwester verhandeln, und die Ritterin wird sicherlich mit dabei sein.“
Reas überlegte einen Moment und nickte dann langsam: „Aye, ich werde es mir überlegen.“
Die Geisterklinge lächelte ihn nochmals an, und trat dann zurück in die Schatten. Reas öffnete das Geldbeutelchen und entdeckte 50 Goldmünzen darin. Er überlegte nochmals einen Moment, verschloss das Beutelchen dann und liess es in seine Gürteltasche wandern. Erst dann bemerkte er, dass sein eigener Giftbeutel verschwunden war. Dort hatte er stets seine persönlichen Gifte aufbewahrt, all die Pflänzchen, Ranken und Pilze aus dem Schlingendorntal und aus Drusvkar. Und der war weg. Bestimmt war es die Geisterklinge, und die 50 Goldstücke waren das Entgelt dafür, als sogenannte «Ehre unter Schurken». Er biss sich verärgert auf die Unterlippe, denn er liess sich nicht gerne selbst beklauen. Und er würde Alyndra Morgen zur Rede stellen.