[RP-Story - Sin'dorei] Morgengrauen

*Er wusste es gleich.
Die Erkenntnis kroch heran, wie das fahle Morgengrau der Dämmerung, das sich durch den Spalt in den Vorhängen schob und spärlich erstes Tageslicht warf. Grau in Grau. Es nahm den Schatten die Tiefe und zeichnete sie weicher, ließ die Konturen des Zimmers deutlicher werden und hauchte Farbe über alles, was zuvor nur dunkel gewesen war.

Doch das fahle Morgengrau konnte nichts gegen die Dunkelheit tun, die sich in ihm auszubreiten drohte.
Er brauchte nicht erst den Arm auszustrecken, um auf die andere Seite des Bettes zu tasten, um es zu wissen.

Er wusste auch so, dass die Seite längst kalt und leer war.
Verlassen.
Erneut.

Lonvar Sommerglanz öffnete die Augen und sogar in diesem matten, diffusen Licht waren sie so blau wie ein wolkenloser Sommerhimmel. Die Farbe war echt - obgleich er kein Hochelf war und die Geschichte dazu hielt er gut verborgen, denn diese Geschichte barg mehr Dunkelheit, als er sich zugestehen wollte. Ebenso wie die Geschichte der silbernen Halskette, die um seinen Nacken lag und an deren Enden sich zwei uralt wirkende Hundemarken des Militärs befanden. Verwaschenes alt-thalassisch war in sie geprägt. Ein Spruch und ein Name. Ein Geschenk von jemand anderem zu einer anderen Zeit, die er fast vergessen hatte. Vergessen wollte. Doch wie das so ist, mit Narben - sie prägen einen, ob man sie nun auf der Haut oder der Seele trägt.

Doch er betrachtete die Kette und ihr Geheimnis nicht. Seine Augen starrten auf den Ring an seinem linken Ringfinger. Es war kein besonderes Schmuckstück - für alle anderen, die es betrachteten, zumindest. Kein Edelmetall, das glänzte. Kein mit Edelsteinen besetztes Prunkstück oder ein Siegelring, das einen großen Namen und ein edles Wappen zur Schau stellen sollte… Nein.

Gefertigt war der Ring aus Holz und mit mühevoll hergestellten Schnitzereien und schmückenden Elementen verziert. Es war eine einzigartige Arbeit. Derjenige, der sie hergestellt hatte, hatte nur diesen einen Ring angefertigt. Das erste und einzige Mal, dass er dies getan hatte. Es war ein schlichtes und dennoch bedeutsames Schmuckstück für ihn gewesen. Es hätte der Beginn von etwas Neuem sein sollen. Ein Versprechen.
Doch dann hatte sich der Schnitzer feige erneut verpisst. Still. Heimlich. Mitten in der Nacht.

Und zurück blieb Lonvar.
Erneut allein.
Und nur mit einem gebrochenen Versprechen an seinem Ringfinger, das ihn zu verhöhnen schien in seiner Schlichtheit.

Die sommerblauen Augen verengten sich zu gefährlichen Schlitzen, als er die Muskeln straffte und sich erhob. Die Bettwäsche raschelte leise dabei, doch schien es sonst kein Geräusch zu geben. Das Morgengrau traf auf das blonde Haar des Elfen, als er sich in ein Sitzen aufrichtete und die schlanken, kräftigen Beine über den Bettrand schwang. Lang floss es um breite Schultern und einen kräftigen Rücken, fast bis zum Steiß inzwischen. Er hatte es wachsen lassen und gepflegt, weil es ihm gefallen hatte.

Er schluckte hart.
Wie viel er durchgemacht hatte. Wie viel er erlebt und erlitten hatte. Für ihn. Und dieser Bastard von einem räudigen Straßenköter besaß die Unverschämtheit und die Ehrlosigkeit, ihn erneut zu verlassen. Wieder in einer Nacht-und Nebelaktion. Ohne das Rückgrat zu besitzen, wenigstens seine Gründe zu offenbaren. Er hatte ihn getäuscht. Erneut.

Die Hand des Schattenläufers schoss nach vorn, zum Gürtelbund, an dem die beiden Dolche in ihren Scheiden warteten. Treuere Klingen als dieser Windhund von einem Verräter. Er riss eine der Klingen aus der Scheide und ärgerte sich in diesem Moment das erste und letzte Mal in seinem Dasein, dass sie kein Geräusch dabei machte. Nicht einmal ein zartes Singen, nicht einmal ein Summen, ja nicht einmal ein metallisches Seufzen, wie es Schwertern zueigen war. Doch diese Waffen waren auch dazu gemacht, stumm zu sein, damit man sie nicht kommen hörte und eigentlich liebte er genau das an ihnen.

Er betrachtete die matte, geschwärzte Schneide für eine Sekunde, in der blanker Hass seine Sicht verschwimmen ließ. Sein Daumen strich über die Gravuren in der Seite, die Teil eines Spruches waren. Auf jeder Klinge ein Teil des Satzes, den er niemals vergessen konnte. Sein Credo. Sie hatten mehr Leben beendet, als er zählen konnte - und eine handvoll Leben hatte er mit diesen Dolchen beschützt. Er hatte einen Schwur geleistet. Er hatte gedient, war treu gewesen. Loyalität bis zum Tod, etwas anderes kannte und wollte er nicht. Und er hatte es geliebt - zu sein, wer er war. Was er war. Er hatte lediglich den Fehler gemacht, zu vertrauen. Ihm zu vertrauen. Und diesen Fehler hatte er gleich zweimal gemacht. Es stimmte, was man sagte; Gefühle machten einen schwach.

Der wild donnernde Herzschlag in seiner Brust pulsierte durch seine Adern und ließ die Venen seiner Arme anschwellen. Er erhob sich in einer fließenden Bewegung, die das dünne Laken von seinem makellosen Körper rutschen ließ. Es glitt zu Boden und hinterließ den Elfen nackt, der in dem Morgengrau tiefschwarze Schatten in den Raum zu werfen schien.

Eine Klinge konnte vieles tun. Sie konnte beschützen, sie konnte retten, helfen, befreien oder töten. Sie war ein Werkzeug und was ihr Schicksal war, lag in der Hand von dem, der sie führte.

Der Hund grollte dunkel, als er die erste Strähne seines langen, blonden Haares packte und grob an ihr riss, bis der Schmerz durch seine Kopfhaut schoss als würden glühende Nadeln in sie gestochen. Es tat gut, diesen Schmerz zu fühlen, der ihm ein Ventil bot, denn das wütende Brüllen, das er ausstoßen wollte, hielt er zurück.
Die Klinge schnitt geräuschlos und sanft durch die seidigen Strähnen und schimmernd fielen die ersten Haare zu Boden.
Lang.
Lang und wunderschön.

Er befreite sich von ihrer Lästigkeit und knurrte dabei wild genug, um die neugierige Elster zu verschrecken, die auf dem Fenstersims landete und zu ihm hineinspähte.
Der Vogel fuhr zusammen, als sie das Geräusch hörte und flatterte mit hektischen Flügelschlägen in den nächsten Blutbaum, um von dort zu schimpfen und zu keckern.
Wäre sie nicht geflüchtet, er hätte sie entzwei gerissen, so sehr tobte die Wut in ihm, mit der er sich die Haare vom Kopf trennte.

Irgendwann war er fertig und hinterließ das Zimmer so, wie es war. Lediglich seine Kleidung, die ordentlich auf einem Stuhl neben dem Bett lag, zog er wieder an.
Die Dolche geduldig wartend in den Scheiden an seinen Hüften.

Er lebte.
An seinem Ringfinger trug er ein gebrochenes Versprechen und in seiner Brust donnerte ein kräftiger Herzschlag gegen die Rippen.

Diesmal würde er sich nicht dazu herablassen, zu trauern.

Er verließ das Zimmer, ohne sich noch einmal umzusehen, mit all seinen Habseligkeiten.
Wohin ihn seine Schritte führen mochten, wusste er nicht - und es war ihm auch gleich.

Der kühle Wind eines verblassten Sommers fuhr durch kurzes blondes Haar und irgendwo keckerte eine Elster in einem Baum, als er sein Gepäck schulterte und der nächstbesten Straße zustrebte, die ihn irgendwohin führen würde.

Sicher brauchte man seine… Fähigkeiten…irgendwo.

Weit genug weg von hier.

Weit genug weg von ihm selbst.

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Diese Elfe sieht ihm nach. Durchaus ist ihr die Melancholie in seinen Augen aufgefallen, als er resigniert an ihr vorbei ging, ohne dass er dies zu bemerken schien.
Sie bleibt kurz stehen und ihre silber-blauen Augen scheinen ihn kurz eingiebig betrachten zu wollen, obgleich nur noch sein Rücken zu sehen ist.
Etwas betrübt senkt sie ihre langen Ohren. Sie muss weiter ihres Weges gehen.

Auch wenn sie sich abwendet, so liegt doch für einen kurzen Moment etwas in der Luft. Eine Art von Gefühl. Man könnte meinen, etwas zu spüren.
Etwas, das sagen würde:

„Ihr seid nicht gänzlich allein.“

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