Nach dem Kriegsrat…
Sir Alrik Fjertan
Alrik hatte sich, nachdem der Kriegsrat zu Ende gegangen war, eigentlich der Aushebung der Gräben und der Aufstellung der Palisade widmen wollen, doch statt das direkt im Anschluss damit begonnen wurde vertagten die Verantwortungsträger es auf den Folgetag, weshalb der Ritter seine angestaute Wut mit kraftzerrender Ertüchtigung nicht abbauen konnte.
Stattdessen musste der Lordaeroner mit dem Platz direkt vor dem eigenen Zelt vorliebnehmen, den er im festen Takt auf und abging. Immer wieder ging er vier Schritte vor, machte auf dem Absatz kehrt und ging wieder zurück. Ein Vorgang der sich über Minuten wiederholte, während seine Miene eine gefährliche Ruhe ausstrahlte, die Bereitschaft zeigte, das aufgewühlte Innere zu entfalten, wenn die Möglichkeit sich bot.
Und doch hielt er es in sich gefangen und verbannt, statt es zu entladen.
Der Ritter wusste, dass Folter ein Mittel zum Zweck war; ein bedauerlicherweise noch immer gängiges Mittel. Seit Jahrzehnten, gar Jahrhunderten und Jahrtausenden praktiziert, um möglichst kurzfristig an Informationen zu kommen, die ansonsten – nicht immer, aber oftmals – schwerer zu beschaffen waren, wenn man sie überhaupt auf anderem Wege bekommen konnte.
Im Zweifel um einfach nur die Gewissheit zu erlangen, dass die Wahrheit gesprochen wurde, statt einer Lüge anheim zu fallen.
Doch rechtfertigen solche Gründe diesen Weg?
Womöglich ein gerechtfertigter Grund für jene, deren Pragmatismus alle Ketten der ethischen Normen sprengt und deren Sittlichkeit am Ende lediglich ein hohles Gefäß ist, dessen Inhalt in Wahrheit Egoismus selbst beschreibt und droht bei der geringsten Erschütterung aus dem Gefäß zu schwappen.
Wo der Zweck das Mittel heiligt und der Weg niemals das Ziel ist, sondern nur das Ende zählt und die Gesamtheit dessen als gängige Moral tituliert wird, solange es der Sache dient.
Und war die Moral nicht immer ein Teilstück – gar die Definition! – der gesellschaftlichen Regeln, Normen und Wertmaßstäben, welcher man angehörte, oder sollte es nicht viel mehr so sein?
Zugegeben musste er sich eingestehen, dass niemand, und damit auch er selbst nicht, frei von Egoismus lebte. Es lag in der Natur des Lebewesens an sich selbst zu denken, doch auch wenn es natürlich war an sich selbst zu denken musste es Grenzen geben, die offenbar bei vielen viel zu niedrig angesetzt schien.
Der Gedanke ließ ihn nur den Kopf schütteln. Es spiegelte mehr wieder, als er eigentlich wahrhaben wollte und doch war es heute nicht das erste Mal gewesen, das er solchen Entscheidungen beiwohnte. Entscheidungen die er ungewollt und im Stillen zu tolerieren hatte und es würde nicht das letzte Mal sein.
Ab irgendeinem Punkt musste in Alrik ein Themenwechsel stattgefunden haben, denn statt weiterhin eine Schneise vor dem Zelt durch das stete auf und ab zu produzieren, und die vorherige Thematik weiter zu zerdenken, verschwand er ins Zelt.
Dort zog er sich die Rüstung vom Leib und entzündete danach eine Kerze als Lichtquelle, bevor er zusammen mit einem mitgebrachten Büchlein – andere frönten dem Alkohol, oder lasen für die innere Ruhe in den Schriften ihres Glaubens – sich unter der Decke des Lagers verkroch und den eigenen Verstand in eine fremde Welt entfliehen lies, statt der Hässlichkeit der illusionistischen Realität zu folgen.
Was folgte war eine lange Nacht, in der die Gedanken in einer anderen, schöneren Welt abtauchen konnten, bis er die Kerze, die zu dem Zeitpunkt bis zur Hälfte runtergebrannt war, mit dem letzten, halbwegs wachen Gedanken auspustete.
Als der Kopf dann das den zum Kissen zusammengerollten Umhang berührte holte ihn der Schlaf und eine angenehme Schwärze lies all die restlichen Bedenken verstummen.
… und am nächsten Tag.
Sir Alrik Fjertan
So erholsam die Nacht gewesen war, hatten am Morgen danach die Erinnerungen an den Kriegsrat seine Gedanken dominiert. Er konnte nicht einfach ignorieren was entschieden worden war. Noch konnte er es für sich selbst akzeptieren, aber er war gezwungen es zu tolerieren.
Das ärgerte ihn zwar nicht so stark wie die durch den Rat abgesegnete Entscheidung, doch es ärgerte ihn.
Diese grenzenlose Machtlosigkeit!
Im ersten Versuch nahm der Ritter ein Frühstück zu sich, in der Hoffnung das ein voller Magen etwas an den Gedanken ändern konnte. Doch es änderte sich nichts.
Im zweiten Versuch nahm sich Alrik der Arbeit am Wall und dem Graben an. Nahm die Hacke und Schaufel zur Hand und verausgabte sich zwei Stunden an der Erschaffung einer notdürftigen Wehranlage. Dennoch änderte sich nichts.
Mit missgelaunter Stimmung und ohne Worte hatte er einem Kameraden das Werkzeug übergeben und eine Entscheidung gefasst.
Der erste Weg führte ihn durch den Ort, wo er rechts wie links nach einer bestimmten Person suchte. Nicht selten blieb er stehen – musterte ungewollte den ein oder anderen Volksvertreter länger – und hielt Augen, aber auch Ohren nach dem Objekt seiner Suche offen. Dann fand er sie.
Caiothea Weidenglanz. Blutelfe, Zauberbrecherin und Kommandantin des Aschensturms.
Zielgerichtet hielt er auf sie zu und im ersten Moment mochte es wirken, als würde er sie mit seiner Wut verbal konfrontieren wollen, doch der Ritter schien im letzten Moment selbst zu merken, welche Miene er aufgesetzt haben musste.
Was folgte war eine Verneigung des Hauptes und eine, der Begrüßung vorangestellte, Entschuldigung, ehe er mit gefasster und erst bemühter, dann sicherer ruhe Stimme sein Anliegen verkündete.
Ein Zweikampf.
Blutelfe gegen Mensch. Zauberbrecherin gegen Ritter. Horde gegen Allianz. Was Alrik brauchte war nicht stumpfe, gleichbleibende Arbeit, oder die Ablenkung eines Buches. Es musste etwas sein, das ihn forderte; Grenzen sprengte und der Lordaeroner kannte die Elfen vom Schlachtfeld. Zwei Stück, das wusste er sicher, hatten bereits sein Leben gegen ihn verloren, während er selbst beim Zweiten beinahe selbst sein Leben verwirkt hatte. Doch ganz egal wie er darauf zurückschaute, war es nicht Können gewesen, sondern Glück, das ihn hatte den Sieg davontragen lassen.
Dieser Kampf versprach jedoch mehr als nur die Chance klaren Geistes zu gelangen. Er würde Informationen bekommen, wie die Zauberbrecher kämpften. Wie die Blutelfen sich bewegten, kämpften, dachten, agierten und am Ende entschieden. Gleichsam präsentierte er sich und einen Teil der menschlichen Schwertkunst, der eigenen Gedanken und am Ende ein Stück der Menschlichkeit selbst.
Es war ein geben und nehmen.
Wenn auch der Zweikampf – die Elfe hatte dem zugestimmt – Anfangs lediglich ein geben war.
Die Regeln waren einfach gewesen. Wer drei eindeutige Körpertreffer landete, der gewann die Runde. Stiche an gefährliche Körperregionen und gegen den Helm waren verboten, ähnlich wie direkte Hiebe mit der Schneide. Die Breitseite jedoch war in Ordnung.
Stolze sieben runden kämpften sie und Alrik verlor die ersten drei Runden ohne auch nur einen wertbaren Treffer zu landen, aber er verbesserte sich. Er wuchs an der Kampfkunst der Elfe. Wo er die erste Runde beinahe hoffnungslos verloren hatte, sah es in der dritten Runde gut genug aus, dass er sogar zwei Treffer landen konnte, ehe sie mit dem dritten Treffer auch diese Runde für sich entschied.
Dann jedoch drehte sich das Blatt. Drei weitere Runden in Folge erlag die Elfe, während die zweite dieser drei Runden sogar der Ritter ohne Gegentreffer für sich entscheiden konnte, was im letzten Durchgang, mit zwei zu drei Treffern für Alrik, sich wieder relativierte.
Doch die interessanteste Runde blieb der letzte Durchgang.
Der Ritter brachte der Elfe buchstäblich das bis zum Erbrechen einstudierte Fechtbuch entgegen, in der Absicht den Sieg davon zu tragen, während sie das elfische Lehrbuch rezitierte. Sie gaben sich nichts. Erst landete sie einen Treffer an seiner Seite, während er im nächsten Schlagabtausch, begonnen in der Schrankhut, zuerst ihren Angriff begegnete und im Folgeangriff den dadurch entblößten Schulterbereich der Elfe traf.
Kaum das sie in der Ausgangsstellung zurück waren setzte sie ihm zu. Anfänglich konnte er der Angriffswelle folgen, parierte und wich beinahe gekonnt ihren Angriffen aus, aber kassierte am Ende der Schlagabfolge doch einen klaren Treffer gegen den Unterarm.
Darauffolgend versuchte sie es erneut, doch innerhalb der nächsten Angriffskette sah Alrik eine Blöße und war nicht nett genug, aber auch nicht zu langsam, um diese nicht zu nutzen.
Im letzten Durchgang der Runde – es stand zwei zu zwei Treffer! – ging es schnell. Sie schlug zu und er parierte, ließ ihre Klinge zur Seite abgleiten und stach in Richtung ihres Brustpanzers. In dem Moment an dem er auf Widerstand traf spürte er den Schildschlag gegen seine rechte, offene Seite.
Damit war nicht nur der Durchgang, sondern der gesamte Kampf ein Unentschieden und es hatte ihm gebracht, worauf er gehofft hatte.
Nicht nur, dass er nun ein besseres Verständnis für die Kampfkunst der Elfen gewonnen hatte, sondern er hatte auch eine Klarheit erlangt. Eine mit der er zwar noch immer nicht die Entscheidung des Kriegsrats gutheißen, aber damit arbeiten konnte.