Fiebertraum
Wo immer eine Krankheit ihr Werk tut, ist das Fieber nicht fern. Schweißtreibende Hitze, die den Körper mit Schwäche schlägt und den Geist verwirrt. Gefürchtetes Zeichen dafür, dass das Leben seinem Ende entgegen geht.
Und doch ist es nicht das Fieber, das den Tod bringt. Im Gegenteil ist das Fieber vielmehr ein Aufbäumen des Lebens, ein letztes Mobilisieren der Kraft und der beste – möglicherweise der einzige – Freund, der dem Kranken noch geblieben ist.
Fieber ist kein Teil der Krankheit. Fieber ist der Kampf um Leben oder Tod.
Nun ist Azeroth selbst mit einer Krankheit geschlagen. Ein siechender Riese, dessen Zeit scheinbar unumstößlich verrinnt.
Der Geist ist benebelt und im Wahn geplagt von den Erinnerungen an die Vergangenheit, an all den Hass, all die Furcht, all das Blutvergießen und all den Schmerz. Blind und müde.
Das Herz ist verdorrt und erkaltet und unempfindlich gegenüber den Tränen die vergossen werden und dem eigenen verstummten Gewissen. Sein Schlag ist nur noch ein Schatten seiner selbst.
Die Arme wiegen schwer und heben sich kaum und wenn, dann um in blinder Wut kurz und klein zu schlagen was immer sie erreichen können und sich dabei nur das eigene Fleisch zu zerreißen.
Und während der Gigant stirbt, zeigen sich die Zeichen seiner Krankheit. Bruder kämpft gegen Bruder und Schwester gegen Schwester während die Welt stirbt und ihre Kinder leiden.
Und nun zerbricht der Himmel als wäre er eine platzende Pestbeule. Ein letztes Zeichen der Krankheit, das auch der Blinde nicht übersehen kann.
Vielleicht ist es an der Zeit das Fieber zu entfachen.
Vielleicht ist es an der Zeit den Geist zu wecken und seine Augen zu öffnen, auf dass er endlich wieder erkennt, was er einst war, was er ist und – vor allem anderen – was er sein könnte.
Vielleicht ist es an der Zeit das Herz im Takt der Trommeln zum schlagen zu bringen, es mit neuer Kraft zu erfüllen und diese im Rausch des gerechten Zorns durch den Körper zu pumpen.
Vielleicht ist es an der Zeit die Hände zu einer Faust zu ballen und mit Weisheit und Umsicht zu führen, auf dass sie mit geeinter Macht das Übel zerschmettern.
Vielleicht ist es – erneut – an der Zeit das Fieber zu entfachen.
Erneut müssen wir etwas von uns geben, um uns dem Schicksal entgegen zu stellen.
Erneut werden wir nach Nordend gerufen um dort für eine Zukunft zu kämpfen, für die wir uns vor unseren Kindern nicht schämen müssen.
Erneut werden wir das Fieber entfachen.
Gyldor lässt noch einen Moment seinen Blick auf der Buchseite ruhen während er den Federkiel zurück in das Tintenfass steckt. Ein paar Minuten verharrt er so und wartet geduldig bis die Tinte genug Zeit hatte zu trocknen, um dann das Buch zu schließen und in die dafür vorgesehene gewachste Tasche zu stecken. Diese wird sogleich gegriffen und findet seinen Platz, neben dem treuen Schwert, am Gürtel.
„Ein zerbrochener Himmel…“ spricht er kaum hörbar seine Gedanken aus und verlässt mit entschlossenen Schritten den Raum.