Jede Nacht hörte Kommandantin Vy’luun die Schreie der Leidenden, der Verblutenden, der totgesagten Brüder und Schwestern. Jede Nacht stählte sie ihren Geist aufs Neue, starrte diesen ihr noch immer so fremden Planeten nieder und zählte die Stunden, bis das Licht triumphieren würde.
Ihre Zähne mahlten hart aufeinander, während sie völlig blind in der Dunkelheit ihr Scharfschützengewehr auseinanderbaute und wieder zusammensetzte.
Wenn die Schatten für sie kommen sollten, würde sie bereit sein.
„Rückzug! Zurück zur Vindikaar! Lektor, Anachoretin! Bringt die Verletzten zum Teleporter! Die anderen sichern den Rückzug!“ Die Befehle waren monoton, gleich einer Maschine, scharf und gespenstisch direkt. Die Kommandantin zögerte keine Sekunde, wenn Gefahr drohte.Die Lichtgeschmiedeten und ihre Begleiter der 7. Legion rannten durch dunkle Gänge, ein kompliziertes System aus Tunneln, welche als eine kleine Basis in Nazjatar für die Nagatruppen diente. Aus irgendeinem Grund wussten die Naga, dass die Infiltrationseinheit durch diesen verlassenen Trakt in die Basis eindringen würde.
„Schilde aufstellen. Haltet sie auf, während der Teleporter bereit gemacht wird!“ Schildbatterien wurden platziert und mit Licht infusiert, mehrere Schützen nahmen Stellung und verschanzten sich hinter Gesteinsformationen. Dann wurde alles Schwarz.
„Kristallleuchten aktivieren! Bringt Licht ins Dunkel!“ Schnaubte die alte Kommandantin, sah aus ihrem verbliebenen, rechten Auge den Gang entlang und gab einen gleißend hellen Warnschuss ab. Für einen Moment sah man Gestalten auf sie zukommen. Dies waren keine Naga.
„Linke Flanke, Sperrfeuer. Rechte Flanke, Sprengstoffe bereit machen!“ Der kalte Schweiß rann über die abgestorbene linke Gesichtshälfte der Kommandantin, kullerte über den bernsteinfarbenen Kristall, welcher in ihre leere linke Augenhöhle eingesetzt worden war, um die verpestete Dunkelheit, welche sich in ihre Haut gefressen hatte, zurückzuhalten.
„Rückzug auf mein Zeichen! Sprengstoffe zünden! Drei, zwei-…“ Die Schildbatterien verschwanden in der Dunkelheit und mit einem Mal war es still um sie geworden. Das Auge suchte nach den Schützen, die den Rückzug sichern sollten, doch alles war Schwärze.
Sie schnaubte scharf aus, dann machte sie kehrt und rannte zu jener kleinen Kammer, in welcher die Teleportationsmatrix vorbereitet wurde. Alle anderen waren bereits entkommen. Sie würde sich an die Namen der Gefallenen erinnern, so, wie sie es seit zehntausenden von Jahren getan hatte.
Dann trat sie ins Licht.
Es war ein sonniger Tag, ein warmer Tag, ein guter Tag, um die Universität von Mac’Aree zu verlassen, hinaus ins weite Grasland zu gehen und zu entspannen. Wäre es ein solch entspannter Tag gewesen, dann würde man vermutlich viele Eredar auf kleinen, bunten Decken wiederfinden, die Pärchenweise im Gras saßen, doch an diesem Tag fand man niemanden an den üblichen Stellen.
Eine vielleicht einhundert Jahre alte Eredarfrau strich ihr kurzes, hellblondes Haar zur Seite und verbarg das Gesicht hinter ihren Händen. Sie war in ein sommerliches, hellblaues Kleid gehüllt, hatte sich auf einem Felsbrocken am Wegesrand niedergelassen und schluchzte unkontrolliert.
Ein weiterer ähnlich junger Eredar trat an ihre Seite, legte seine Hände um ihre Wangen und küsste ihre Stirn. „Shh, shh, mein Funke, was schmerzt dich, dass Du so weinst?“ Hauchte er ihr ins Ohr und warf die Arme dann um ihren zierlichen Körper.
Sie presste ihr Gesicht in die linke Halsbeuge des Mannes und krallte die Hände hilflos in den Stoff seines Hemdes, während sie am ganzen Leib zitterte. „Heilkundige Ki’taara hat bestätigt, dass ich unfruchtbar bin. Ich werde dir keine Kinder gebären können … Nuraan.“ Nach ihren Worten weinte sie verzweifelt in den Hemdkragen des Eredarstudenten hinein.
Er schloss die Arme um sie und streichelte über ihren Rücken hinweg, dann küsste er das Ohr seiner Geliebten und lächelte sein bestes Lächeln. „Nun, wir werden auch gemeinsam glücklich werden. Du und ich. Wer weiß, welche Aufgaben uns nach der Universität erwarten werden.“
Dann verblasste das Bild und die Schwärze kehrte zurück.
„Rückzug auf mein Zeichen! Sprengstoffe zünden! Drei, zwei-…“ Stille und Dunkelheit umschloss den Flur, in welchem noch bis vor einem Moment ihre Soldaten gestanden hatten. Irritation erfüllte sie, dann schüttelte sie den Kopf, um klar zu denken.
Mit einem Satz drehte sie sich um und sprintete in Richtung der Teleportationsmatrix. Dort lagen die Anachoretin Thetae und der Lektor Thorvar, ohnmächtig. Sie griff nach der lichtgeschmiedeten Anachoretin, packte sie unter den Achseln und zog sie zum Transporter. Nach einem Moment verschwand Thetae im Licht.
Die Schwärze schlang sich an den Wänden des kleinen Raumes entlang, während Kommandantin Vy’luun nun den deutlich schwereren Thorvar zur Matrix schleppte. Keuchend aktivierte sie den Teleporter erneut und auch er löste sich in Lichtpartikel auf.
Dann richtete sie sich auf, aktivierte die Matrix erneut und trat ins Licht.
Felfeuer. Die Welt stand in Flammen. Ihre Heimat stand in Flammen. Die kleine Scharfschützentruppe von Lichtgeschmiedeten analysierte die Umgebung und identifizierte ihr Ziel in einem vorgeschobenen Außenposten der Brennenden Legion. Tar’zhunax, Kommandant der Terrorstaffel, deren Aufgabe es war, die verbliebenen Feinde der Brennenden Legion auf Argus ausfindig zu machen und zu versklaven.
Vy’luun blickte zu ihrem Geliebten hinüber. Die beiden einstigen Eredar hatten viele tausende Jahre auf Einsätzen verbracht, hatten eine Vielzahl von Welten bereist und erkundet, um den Kampf gegen die Legion schließlich zurück auf ihren Heimatplaneten zu tragen.
Als Eliteeinheit der Armee des Lichts waren sie an vorderster Front im Arguskrieg eingesetzt worden. In der antorischen Ödnis sollten sie nun erste Infiltrationsoperationen durchführen, um den Weg nach Antorus zu öffnen.
Erneut sah sie durch das Fernrohr hinunter zu den Dämonen, die ihre Präsenz nicht zu spüren schienen. Sie nickte knapp, dann bedeutete sie den anderen, sich bereit zu halten.
„Ziel erfassen und ausschalten, auf mein Zeichen.“ Ihre Finger zählten hinunter. Drei. Zwei. Eins. Dann zerriss eine Explosion den Boden unter ihren Hufen und die kleine, sieben Draenei umfassende Gruppe, stürzte hinab in das Tal.
Mit schwerem Husten kam die Scharfschützin zu sich, spuckte Blut und hievte sich aus dem Dreck. Dann kroch sie über die Überreste zweier Mitglieder ihrer Einheit, überprüfte ihren Puls und sandte ein Stoßgebet, um sie ins Licht zu leiten. Leises Keuchen wandte ihre Aufmerksamkeit in Richtung eines halb verschütteten Draenei. Sie eilte zu ihm hinüber, befreite ihn aus den Trümmersteinen und sah hinab auf sein Gesicht. „Nuraan! Es war eine Falle! Wir müssen fliehen! Kannst Du stehen?“
Der am Kopf blutende Draenei nickte ernst, sah sich dann um und griff nach seinem Gewehr, welches er vom Schmutz und Staub befreite. „Die Verletzungen spielen keine Rolle. Wir suchen die anderen, dann brechen wir den Einsatz ab. Die Legion wusste, dass wir heute zuschlagen würden. Wir hätten niemals aufbrechen dürfen. Gut, ich sichere die Position.“
Ein stilles Nicken der Zustimmung folgte von Vy’luun, dann kroch sie durch den Dreck und suchte nach den Überresten der Einheit. Sie fand Teile, Gliedmaßen, aber keine weiteren Lichtgeschmiedeten. Ihre sonnengelben Iriden wanderten zu Nuraan. Mit einem leisen Pfiff signalisierte sie „Rückzug“, woraufhin die beiden aufbrachen und den Hang zu erklimmen begannen.
Dann wurde der Himmel in tiefgrünes Leuchten getränkt, als die Teufelsartillerie den Hang zu bombadieren begann. Die beiden lichtgeschmiedeten Draenei waren winzig im Vergleich zu den einschlagenden Bomben. Splitter flogen in alle Richtungen, die Erde bebte unter den Einschlägen. Schließlich erreichten sie das obere Ende des Hangs, völlig entkräftet und voller Schmerzen.
„Wir … wir können nicht verweilen, Vy’luun.“ Schnaufte der kräftige Nuraan, das Gesicht mit eigenem Blut überströmt. „Wir müssen es zum Telepor-“ Plötzlich keuchte er laut auf, weitete die Augen und ging in die Knie, sah langsam auf seine Brust hinab.
Vy’luun riss ebenso die Augen auf, starrte entsetzt auf die Lanze, die ihren Geliebten durchbohrt hatte. „Nuraan! Nein!“ Sie taumelte auf ihn zu, wollte nach ihm greifen, doch mit einem Ruck wurde die Lanze samt Kette zurück zu ihrem Ursprung gezogen, und riss den Lichtgeschmiedeten mit sich zurück den Hang hinab. Neben ihr schlugen weitere Lanzen ein, und bevor sie Zeit zum Trauern hatte, schrie sie ihr Leid den Hang hinab und kroch auf allen Vieren in die Dunkelheit, fort von dieser verderbnisbringenden Einöde und entgegen der ihr von nun an drohenden Einsamkeit.
Sie starrte in die Dunkelheit, die den Flur erfüllte, und rannte zurück zur Teleportationskammer. Thorvar und Thetae hievte sie neben die Matrix, woraufhin die beiden zur Vindikaar teleportiert wurden. Erneut aktivierte sie die Matrix, doch das Teleportationssignal blieb aus. Sie spannte den Unterkiefer an. Etwas blockierte den Teleporter.
Von Zorn erfüllt drehte sie sich um, doch ihr Schädel fühlte sich an, als würde er bersten. Das verbliebene rechte Auge wurde zusammengekniffen und die Veteranin hunderter Schlachten ächzte vor Schmerz, dann stählte sie ihren Geist und starrte in die Finsternis. Nichts.
Das Gewehr wurde entriegelt und mehrfach schoss sie in das Dunkel, um Schemen ausfindig zu machen. Nichts. Kurz darauf ließ sie das Gewehr sinken und atmete tief ein und aus.
„Pheta thones gamera.“ Hauchte sie, dann aktivierte sie die neue Lichtgeschmiedetentechnologie, welche für den Einsatz gegen Leerenwesen entwickelt worden war. Die Prototypen befanden sich integriert in ihre Armschienen. Zwei rechteckige xenedar’sche Kristalle füllten sich mit Licht, bis das Licht sich manifestierte und formbar wurde. Sie schwang die Unterarme nach vorn geradeaus, woraufhin das Licht sich zu zwei langen Klingen ausdehnte. Wer benötigte Stahl, wenn eiserne Überzeugung und Magie den gleichen Nutzen bringen konnten?
Im Dunkel blieb alles still. Dann schossen einzelne Gestalten aus pechschwarzem Nebel auf die Kommandantin zu. Mit raschen Bewegungen, die die Dunkelheit förmlich teilten, wirbelte sie sich durch die immateriellen Feinde, spaltete sie und wurde dennoch dauerhaft in Schwärze eingeschlossen. Es mussten hunderte sein, tausende vielleicht. Sie konnte keinen Schemen als singuläres Wesen wahrnehmen. Alles schien verknüpft. Doch sie würde niemals untergehen.
Schließlich knisterte es in ihrem Rücken, dann erfüllte sich das Zentrum des Raumes mit warmem Licht als die Teleportationsmatrix wieder funktionierte. Während sie Angriffen der Schemen auswich, wieder andere Schemen zerschnitt und erstach, trat sie langsam rückwärts und spürte die Wärme in ihrem Rücken näher kommen. Dann gab sie sich ihr hin und verschwand im Licht.
Nur die Dunkelheit war es, die zurückblieb.
Die goldgelbe Iris der Kommandantin flackerte, während sie sich in Richtung des gleißenden Lichts schleppte. Die Rune auf ihrer Stirn flammte auf und strahlte wie eine Fackel in die Welt: Ewigkeit. Das war ihre Bestimmung. Dem Licht treu ergeben bis zum Ende aller Tage. Die goldbeschlagenen Hufe klackten über den steinernen Boden, während das laute Ächzen der erschöpften Kommandantin an den Wänden wieder hallte. Sie streckte die Hand nach dem Licht aus, welches sie zurück zur Vindikaar bringen würde …
Und dann verblasste das Licht.
Das verbliebene rechte Auge blinzelte einmal, dann folgte ein schweres Schnauben, wobei der Blick hinab auf die lichtgeschmiedete Transportationsmatrix wanderte, welche ungewöhnlicher Weise danach aussah, als hätte sie bereits einige Zeit dort unbenutzt gestanden.
Die Kommandantin ging neben der Matrix in die Knie, das Gewehr sank auf den Boden in den Staub. Schweiß rann über das halbverfaulte Gesicht der Veteranin hunderter Kämpfe und Schlachten. Ihre monotone, ausgelaugte Stimme erklang dumpf, als sie den Teleporter mit einer Hand vom Staub befreite. „Kommandantin Vy’luun… an Vindikaar. Benötige… sofortige Extraktion.“
Danach ergriff sie ihr Gewehr und begann dies mit zittrigen Fingern nachzuladen und auf Funktionstüchtigkeit zu überprüfen. Durch die verfilzten, von Schmutz und Schweiß verklebten, einst alabsterfarbenen Haare überblickte das rechte Auge das Halbdunkel der kleinen Kammer, in welcher die Einheit die Notfallteleporationsstation eingerichtet hatte. Außer ihrem Atem antwortete ihr nur die Stille.
Sie zählte die Kristallmunition, die ihr verblieb. Drei Patronen. Ihre Gedanken waren wirr. Zu viele ungewöhnliche Erinnerungen, die sie teils für Jahrtausende unterdrückt, aber nie vergessen, hatte, waren in ihr Bewusstsein zurückgekehrt. Die Irritation zeichnete sich in einer Krampfader an ihrer rechten Schläfe ab, die nicht zu pochen aufhören wollte. Ein erneutes, schweres Schnauben, welches die überforderte Lunge äußerst beanspruchte.
Dann ein leises, fernes Geräusch. Es erinnerte an ein seidenes Tuch, welches über den Boden strich. Die Kommandantin suchte das Halbdunkel ab. Der Puls begann erneut zu rasen. Mit der Zeit wuchs das Streichen zu einem Kratzen an, wie ein alter Strohbesen, der über Holz schabte. Das goldgelbe Auge der Kommandantin suchte vehement nach dem Ursprung des Geräusches. Schließlich schwall es zu dem Ächzen eines Schranks an, den man hart über den Boden zog und dabei keine Rücksicht auf Kratzer nahm. Das Geräusch schmetterte von einer Wand zur anderen, doch der Ursprung war nicht ersichtlich.
Und dann füllte sich der Raum mit Schwärze, bis nur noch die Tätowierungen, das einzelne Auge und die Rune, die für Ewigkeit stand, die Kommandantin mit mattem Licht umspielten. „Zeig dich, Dämon! Deine Spiele sind vergebens!“ Keuchte die Kommandantin und richtete sich mühevoll auf, das Gewehr entriegelnd.
Doch es zeigte sich niemand. Und das Dunkel verblieb. Sodann stand die alte lichtgeschmiedete Scharfschützin umringt von Nichts. Mit einem Knistern flackerte der Transponder auf und die Matrix aktivierte sich. Erst dünn, dann stetig verbreiternd, öffnete sich das Lichtportal. Ein schwaches Aufatmen entwich der Kommandantin und sie rannte rasch in Richtung des Lichtes, und verschwand darin.
„Habe ich meinen Dienst erfüllt?“ Dachte sie sich und schloss für einen Moment erschöpft das rechte Auge.
„Nicht ganzzz.“ Erwiderte eine Stimme, die in ihrem Kopf dröhnte, als würde man sie anschreien.
Vy’luun riss das Augenlid auf und starrte in das undefinierbare Antlitz eines in Schatten gehüllten Wesens. Es war im wahrsten Sinn des Wortes gesichtslos. Dann sah sie an sich hinab, realisierte, dass ihr Körper fast gänzlich entblößt und sie völlig abgemagert, fast skelettdünn war. Die Fesseln schienen keine Bedeutung mehr zu besitzen, war ihr Leib nicht mehr im Stande, sich ihrem eigenen Willen zu beugen und sich zu bewegen.
„Bemerkenzzzwert, Kommandantin. Fazzzt dreißig Tage zzzind vergangen zzzeit Eurem kläglichen Unterfangen, unzzzere Pläne durchkreuzzzen zzzu wollen.“ Dröhnte die Stimme und schien ihren Kopf sprengen zu wollen – falls sie das nicht bereits getan hatte.
Das verbliebene Auge starrte im Delirium zur Decke empor ohne etwas wahrnehmen zu können. Verschwommen erschienen die Mitglieder ihrer Einheit, dann ihre Schwester und schließlich ihr einstiger Geliebter vor ihrem geistigen Auge. Die Gesichter waren verzerrt, in tiefe Schatten gehüllt.
Ihre Lippen waren spröde, ausgetrocknet und fast blutleer. Das warme Weiß ihrer Haut war der Farbe von frischem Schnee gewichen. Leichenblass formte sie nur einen Namen, hauchend. „Nuraan.“
Dann endete ihr Dienst. Eine einzelne Träne hatte sich aus dem rechten Augenwinkel gelöst und war an dem fahlen, zermürbten Gesicht der Veteranin hinabgerollt. Das sterbende Licht war mittlerweile umschlossen von Dunkelheit.
Ein letztes Mal flackerte die Rune auf ihrer Stirn auf. Ein letztes Mal bäumte sich das Herz der Lichtgeschmiedeten zum Schlagen auf. Ein letztes Mal umgarnte sie der Mantel aus reinem Licht und holte die treu ergebene Seele zu sich.
Dann zersplitterte die sonnengelbe Rune und tauchte alles in gleißende Helligkeit, woraufhin selbst die Schatten für einen Augenblick zurückweichen mussten. Ein Leuchtfeuer für alle Ewigkeit.
Schließlich erlosch das Licht, welches die alte Scharfschützin so lange begleitet hatte. Schließlich war ihr letzter Atemzug entwichen und die Lunge füllte sich nicht erneut. Schließlich verstarb Kommandantin Vy’luun und es war, als wüsste sie, dass sie in der Finsternis ihren Geliebten endlich wiedersehen würde.
Die Kommandantin fürchtete die Dunkelheit nicht.
Vy’luun hatte die Dunkelheit nie gefürchtet.
Sie hatte sich nach diesem Moment sehr, sehr lange gesehnt.
DREI MONATE SPÄTER.
DIE VINDIKAAR.
Mattes, honiggelbes Licht flimmerte in den Leuchtkristallen, welche sich in kleinen Kerzenleuchter-ähnlichen Halterungen an der steinernen Innenwand des sonst stillen, kühlen Raumes befanden. Eine zehntausende Jahre überdauernde Ruhe hatte sich in diesem Zimmer eingefunden, hatte sich eingenistet und hatte keine Veränderung geduldet. Doch hielt die Zeit für niemanden an, auch nicht für unsterbliche Lebewesen.
In der Kammer, in welcher sich so mancher gewiss verloren fühlte, herrschte Ordnung und Disziplin. Hier fand sich selbst nach vielen Wochen der Unberührtheit kein Staubkorn, hier war kein Dokument fehl am Platz, hier war die Zeit stehen geblieben in Erinnerung an jene, die diesen Raum nicht mehr mit ihrer Präsenz zum Leben erwecken konnte.
Der uralte Koloss sah hinab von der Vindikaar, hinab aus dem gewaltigen Kristallglasfenster, auf den Planeten, der zu seiner Heimat geworden war: Azeroth. Die breiten Nasenflügel spreizten sich, als sich ein Schwall von Luft den Weg in seinen Körper suchte und sich sein Brustkorb erhob, dann ließ er den Atem entweichen und nickte bestimmt, sich vom Antlitz Azeroths abwendend und zurück zum Schreibtisch tretend.
Die schweren Hufe hallten an den Wänden des stillen Raumes wieder, schließlich gedämpft, als sie auf einen dünnen Teppich trafen, welcher sich in perfekter Vereinigung mit dem Schreibtisch zu einem Rechteck formte, wodurch ein hölzerner Stuhl, simpel und kerzengerade, fast elegant wirkte, als er sich exakt an das Ende des Teppichs schmiegte und das Rechteck ausfüllte. Hier, in diesem Raum, hatte alles genau einen Platz und jeder Platz hatte genau einen Zweck. Nichts war fehl, nichts war zu viel oder zu wenig. Es war alles so, wie es nicht vortrefflicher hätte sein können.
Der Lichtgeschmiedete mit alabasterfarbener Haut, einem schneeweißen Ziegenbart, der kein Ende nehmen wollte, buschigen, langen Augenbrauen und herzlichen Lachfalten um Augen- und Mundwinkel, blickte auf den Schreibtisch hinab und schmunzelte sanftmütig. Ja, die Kommandantin hatte ein Herz für Ordnung und Disziplin gehabt, und obwohl sie niemals ihr Leiden einer anderen Seele offenbart hatte, war er nun sicher, dass sie nicht mehr allein war in ihrem Streben, ihrem Dienst im Licht. Ja, Yazuun war sich gewiss, es war alles so, wie es sein sollte.
„Pheta thones gamera, Kommandantin. Ich bin gekommen, um mich zu verabschieden. Mein Dienst in der Armee des Lichts endet an diesem Tage. Ich bin alt, meine Wunden sind tief und meine Kraft nicht mehr unendlich. Natürlich verstehe ich, dass Ihr mich nicht einfach gehen lassen wollt, doch sehe ich mich anderweitig verpflichtet, dem Licht zu dienen. Ich sehe eine neue Aufgabe vor mir und ich will dieser nachkommen. Ich bin sicher, es werden andere meine Pflichten übernehmen können und unser Bestreben für alle Zeit fortsetzen. Fürchtet Euch also nicht, Vy’luun, fürchtet nicht die Dunkelheit. Wir werden triumphieren, das Licht wird triumphieren.“
Dann schwieg der alte Lichtweber, der Schreiber, der Träger des Kodex des Leuchtfeuers. Jener, der seit Anbeginn der Einheit die Namen aller, die ihnen begegneten, niedergeschrieben hatte. Der die Gefallenen in Erinnerung aufzeichnete, der die Aufträge der Einheit detailliert erfasste und der so manchen Tropfen Wein hatte von den Seiten des Kodex tupfen müssen, wenn die Abende lang und die Müdigkeit groß geworden waren.
Seine Hände griffen nach der schweren Kette, die den Kodex an seine Rüstung gebunden hielt, dann löste er das Schloss und bettete das riesige, uralte Buch perfekt vor dem hölzernen Stuhl auf den Tisch. Er öffnete den Kodex, blätterte weit und lang, um schließlich eine freie Seite zu finden. Dann griff seine rechte Hand nach einer dunklen Arakkoafeder, die eine junge, blauhäutige Draeneidame einst der Kommandantin geschenkt hatte, und tunkte die Feder in das Tintenfass auf der weiten rechten Seite des Tisches. Dann glitt die Federspitze über die Kodexseite.
Vy’luun –
Kommandantin der Einheit „Leuchtfeuer“ am Ende des tausendjährigen Krieges; einzige überlebende Soldatin der Einheit „Lichtbrand“ in der antorischen Ödnis; Geliebte des Nuraan (Gefallen in der antorischen Ödnis); Schwester der Vy’ruun; Anführerin, Kameradin, Freundin.
Ein Funke entfacht ein Leuchtfeuer
Das Licht ruft unsere Namen
Und wir werden antworten
Wir werden immer antworten
Gezeichnet, am Anfang von etwas Neuem,
Lichtweber Yazuun
Dann wartete er eine Weile, nickte schließlich und schloss den Kodex für eine fortan undefinierbare Zeit. Er würde seinen Platz in diesem stillen Raum einnehmen, an seinem rechtmäßigen Ort, bereit, von einem neuen Kommandanten geöffnet und fortgesetzt zu werden. Ja, die Stille würde dieses Zimmer wieder verlassen, irgendwann. Welche Rolle spielte schon das „wann“, wenn man unsterblich war?
Der altehrwürdige Lichtgeschmiedete wandte sich zum Gehen, bettete die Hand auf die Türklinke, schmunzelte und fragte sich, mit welchen Gedanken die Kommandantin wohl die Klinke hinab gedrückt haben mochte, wenn sie das Zimmer verließ – er hoffte, dass sie an manchen Tagen befreit gewesen waren von der Dunkelheit, die ihren Verstand ummantelt hatte.
QUARTIERE DER EINHEIT LEUCHTFEUER.
Yazuun verließ den weiten Flur und trat in die nun verlassen wirkenden Räumlichkeiten der Einheit ein. Einige Soldaten und Soldatinnen waren bereits versetzt worden. Er hätte so gerne noch einige Gespräche bei gutem Wein und geselliger Runde mit ihnen geführt, doch blieb die Zeit selbst für Unsterbliche nicht stehen.
„Ah, Lichtweber. Ihr habt also es vollbracht, den Weg vom Zimmer der Kommandantin bis hier her zu finden, welch meisterhafte Leistung.“ Kommentierte die junge, aber furchtbar belesene und seit langer Zeit in köstlich amüsanter Fehde zu ihm stehende lichtgeschmiedete Anachoretin.
„Bücherwurm- ähem, Thetae. Auch ich bin erfreut, Euch an diesem Tage wohlauf zu sehen. Wo ist Euer freundlicher Begleiter? Wo ist der gute Lektor?“ Fragte der alte Lichtweber und sah sich in den engen Gemächern um.
„Hier und dort, an jedem Ort.“ Schallte es aus der Abstellkammer, woraufhin der Lektor erschien und eine Kiste in das Zimmer trug und neben Thetae abstellte. „Wir tragen die letzten Überbleibsel an Dokumenten und Utensilien zur Krankenstation. Vorerst werden wir dort weiter arbeiten, bis wir neue Aufträge erhalten.“
„Ist dem so? Wohlandenn, mein Bester und meine Beste. Es war mir eine Freude. Wie ihr wisst, werde ich nicht auf der Vindikaar verweilen. Es zieht mich in die Ferne.“ Dann trat Yazuun näher, legte die breiten Arme um den prustenden Lektoren Thorvar und um die perplexe Anachoretin Thetae. Er drückte die beiden, sodass diese beide nach kurzer Zeit zu husten begannen und ihm auf den Rücken klopften. Nach einigen weiteren Momenten löste sich der Alte von den beiden und lächelte wärmstens auf sie hinab.
„Wir werden uns wieder sehen. Und beim nächsten Mal sehe ich euch doch wohl bitte ein wenig enger beieinander stehend, mhm?“ Er hob die rechte, buschige Augenbraue und zwinkerte den beiden zu, dann wandte er sich zum Gehen und gab einen kurzen Wink mit der linken Hand über die Schulter.
Dabei ließ er die im Gesicht leicht rötlich anlaufende Anachoretin und den sich am Hinterkopf kratzenden Lektoren zurück – beide starrten für einen Moment auf ihre Hufe hinab, bevor sie wieder ihren Pflichten nachkamen. Was war schon ein Abschied von Dauer, wenn Dauer irrelevant war?
TELEPORTATIONSPLATTFORM DER VINDIKAAR.
Das rhythmische Klacken eines Hufes, der ungeduldig auf den Boden trat und wieder abhob, war das Erste, was der alte Lichtgeschmiedete vernahm, als er den Saal erreichte, in welchem sich der Hauptteleporter befand. Ein breiter Rucksack war über die rechte Schulter geworfen, das Rüstzeug war weder lichtgeschmiedet, noch war es der siebten Legion angehörig. Der alte Koloss war fortan vom Dienst befreit.
Dem Hufklacken folgend, kam bald eine in simple, erdfarbene Töne gehüllte Draenei in Sicht. Nun, um ganz ehrlich zu sein, kam erst ihr Kleid in Sicht, an welchem sich der Alte hinaufarbeitete, bevor er die Gürtellinie erreichte, dann an den Hüften hinaufwanderte und … sehr ernst verschränkte Arme wahrnahm, auf welchen die Finger genervt entlangtippten. Ein rasches Räuspern des Lichtwebers folgte, er ließ sich viel zu leicht ablenken in diesen Tagen, seit diese wundersame, aus der Scherbenwelt stammende Schamanin der Einheit beigetreten war.
„Dwayaa. Blaubeere. Verzeih, ich musste mich doch gebührend verabschieden … sowie einen meiner besten Weine einpacken, auf dass wir nicht verdursten mögen.“ Lachte Yazuun mit seinem tiefen Bassbariton und spielte die Unschuld in Person.
„Erstens, kann ich die Elemente um kühles Nass bitten. Zweitens, wolltest Du bereits vor einer Stunde hier sein. Drittens, nun, Drittens überlege ich mir noch.“ Sie schnaubte gehörig, griff dann nach ihrem kleinen Reiserucksack und sah zu ihm hinauf. „Du hast wirklich alles, was Du benötigst? Wir kehren nicht noch einmal um.“
Die bernsteinfarbenen Augen des Lichtwebers sahen hinab in ebenjene türkisfarbenen Augen, die seinem Blick fortwährend Stand hielten. „Ich habe alles, was mir wichtig ist.“ Sprach er dann und die Worte übertrugen eine Wärme, welche ein Leuchtfeuer hätten entfachen können.
Der Ernst begann aus den gefurchten, erbosten Stirnfalten der jüngeren Draeneidame zu verschwinden, bis sich ein gutmütiges Lächeln in ihrem Gesicht niederließ. „Gut, nun, dann ist es endlich Zeit aufzubrechen. Wir haben viel zu tun.“
„Wir sind unendlich, Dwayaa.“ Sprach Yazuun theatralisch und zwinkerte ihr zu.
„Das sind wir, aber Du bist zu gemütlich.“ Sie seufzte leise, schüttelte den Kopf und rollte mit ihren Augen, woraufhin Yazuun herzlich auflachte, sodass der gesamte Saal mit Glück erfüllt zu sein schien.
Gemeinsam traten sie auf die Teleportationsplattform. Ein letzter Blick des Lichtwebers glitt zurück durch den großen Saal der Vindikaar, dann griff er – der alte Charmeur – nach der kleinen Hand der jungen Schamanin und zog sie mit sich …
Ins Licht.
[ooc]
Mit diesen Worten nehme ich ein lang verspäteten Abschied wahr, der mir früher nicht gelingen wollte und für den es keine Entschuldigung geben kann.
Viel Zeit ist verstrichen und dennoch suchte ich hiermit einen Abschluss zu finden, für jene Mitspieler*innen, die mit mir lange Seit’ an Seit’ standen.
Ihr seid großartig. Chapeau!
Nungut, lange Rede, kurzer Sinn. Ich werde mich erinnern, wie es Vy’luun stehts geschworen hatte, an:
- Die Adler von Arathor (allen voran Elizabeth Strifent und Aestifer Taylor)
- Ren’dinoriel (ein individueller Dank geht an Anesthra, der ich viel schuldig blieb)
- die vielen einzelnen Begleiter auf unserem Zandalar-Plot
- Shyleerah und Shinyani (kein Versprechen, dass die Welt 'ne bessere wird, versprechen kann ich’s nicht, nur, dass ich alles dafür tu, und dass ich bei euch bin als eure Crew :P)
…meinen Gildenmitgliedern, von denen ich viele RL kennen und lieben lernen durfte - vielleicht sieht man sich mal wieder auf einem Mittelalterfest <3
- Thorvar: heart and soul, support for life :]
- Thetae: Bücher hast du nun wohl genug zum Lesen!
- Dacea: wie sitzt der Fellmantel um die Schultern?
- Kraigh: halt die Ohren steif und denk an die Kekse!
- Theldan: klein, aber oho!
- Darenis: ich hoffe, es geht dir gut, alte Seele.
- Dwayaa:
Es gibt gewiss noch weitere Namen, die vielleicht irgendwann auf meiner Liste landen werden, doch damit ist vorerst Schluss.
Danke für 'ne wunderbare Zeit, Aldor.
Vyvy out~
Auf wiedersehen Vy’luun! Schade das wir kaum bis garkeinen Kontakt hatten - Weder IC noch OOC!