Nachthafen, vor ein paar Nächten…
Das leise Rascheln ihres Kilts und die gedämpften Geräusche der Nacht begleiteten ihre Schritte auf dem Pfad, der sich die Anhöhe hinauf wand. Im Vergleich zur relativen Geschäftigkeit des Träumerhains erschien ihr die Mondlichtung nahezu gespenstisch ruhig, wenngleich auch hier Brüder und Schwestern ihren Aufgaben nachgingen und ein fester Stab an Verteidigern und Aufsehern für die Sicherheit sorgten.
Am Fuß der Eingangsrampe angekommen, blieb Luthien kurz stehen, legte die Hände ins Kreuz und atmete einige Male tief durch. Ihr Blick wanderte prüfend über die Fassade des Gebäudes und blieb am Einheitswappen über dem Türbogen hängen. Sie nahm die Regung von Heimkehr wahr, die in ihr aufkam und ein sachtes Lächeln legte sich in ihre Mundwinkel. Es war ein gutes Gefühl wieder hier zu sein.
Abgestandene Luft und verstaubte Stille schlug ihr entgegen, als sie das Gebäude betrat. Es wirkte aufgeräumt, doch war offensichtlich, dass die Räumlichkeiten schon seit einer Weile ungenutzt waren. Wo sie sich wohl alle herumtrieben?
Mondbruch und Laubtanz vermutete sie im Eschental. Sternensang könnte an der Dunkelküste sein, hatte sie doch bei ihrer letzten Begegnung von Wiederaufbaubemühungen in den Küstendörfern erzählt. Vielleicht hatte es auch Kleandra Rindenbaum dorthin verschlagen. Tautropfen hielt sich möglicherweise auf der Mondlichtung auf, doch sie hatte sie noch nicht gesehen.
Luthien schob die schweren Vorhänge vollends zur Seite und befestigte sie in ihren Halterungen, ehe sie weiter in den Aufenthaltsbereich des Quartiers hineinging.
Auch Nebelfalke musste zwischenzeitlich in Nachthafen gewesen sein, hing doch seine Witterung noch in den Räumen ihrer kleinen Hütte am Ortsrand, als sie in der vergangenen Nacht auf der Lichtung eingetroffen war. Vielleicht war er noch in der Gegend oder auch schon wieder unterwegs in die östlichen Königreiche. Alles war möglich.
Nachdem sie die unteren Räumlichkeiten in Augenschein genommen hatte, wandte sie sich dem Aufgang zum Obergeschoss zu. Am Aushang hielt sie inne und ihr Blick wanderte über die Zeilen des letzten Einsatzplans, ehe sie sich streckte und das staubige Pergament abnahm, während ihre Gedanken weiter um die Brüder und Schwestern des Smaragdzirkel kreisten.
Gaomee, Gezeitenstrom, Silberklinge, Wildlauf, Shan’do Kal’delar, Schwester Morgenglühen, Tyrr… sie alle konnten sich theoretisch überall aufhalten. Der Zirkel hatte viel zu tun, es galt viel Heilung und Wiederaufbauarbeit zu leisten und die Kräfte waren weit verstreut. Zudem gab es beunruhigende Berichte aus dem Norden, mit denen sie sich nicht näher befasst hatte. Zumindest für den Augenblick wollte sie sich auf das Leben konzentrieren.
In den oberen Räumlichkeiten war die Luft ebenfalls staubig und abgestanden, und so schob sie auch hier zunächst die Vorhänge der balkonartigen Fensteröffnung zurück. Sogleich spürte sie sachten Luftzug, der nun ungehindert durch das Gebäude strömte. Sie entzündete eine kleine Öllampe und ließ sich mit einem leisen Seufzer in dem hochlehnigen Holzstuhl vor dem wuchtigen Schreibpult nieder. Einige Momente saß sie nur so da, strich sich gedankenverloren mit einer Hand über den gerundeten Leib, während ihr Blick über die Schränke, die Bücher und Ordner in den Regalen wanderte. Darin wusste sie unzählige Dokumente über die Aktivitäten und Einsätze des Smaragdzirkel in den vergangenen Jahren. ‚Ob und wann wohl neue hinzukommen?‘ überlegte sie still.
Unwillkürlich huschte ihr Blick über das Schreibpult, sie beugte sich leicht vor und hob mit einem Finger den Deckel der Mappe an, in der für gewöhnlich unbearbeitete Post gesammelt wurde, nur um festzustellen, dass bis auf ein paar leere Pergamente nichts darin war. Die kleine Kaldorei brummte leise, lehnte sich wieder zurück und strich mit der Hand über das Holz des Schreibpults , um dann Momente lang den Staub, der an ihren Fingern hängen blieb, zu betrachten.
Ein Gedanke nahm in ihrem Geiste Gestalt an und zauberte ein Lächeln auf ihre Lippen. Schließlich tat sie einen tiefen Atemzug und richtete sich im Stuhl auf. Luthien griff erneut nach der Sammelmappe und nahm die leeren Pergamente heraus. Eine ganze Weile lang hörte man nichts außer dem leisen Kratzen einer Feder auf Papier und das gelegentliche Klappern des Tintenbehälters.
"Gesegnet sei die Nacht, Geschwister
Einige Monde ist es nun her, seit der Smaragdzirkel vorläufig a.D. gestellt wurde und noch gibt es keine neuen Befehle des Cenariuszirkel. Gleichwohl möchte ich Euch herzlich zu einer informellen Zusammenkunft nach Nachthafen einladen. So es Eure Zeit und aktuellen Aufgaben erlauben, würde ich mich freuen, Euch in der letzten Nacht des 9. Mondes in Nachthafen zu sehen.
Elune erleuchte Eure Pfade.
Gez. Luthien Nachtfeder"
Sie beendete die letzte Nachricht, legte die Feder beiseite und streckte sich… nur um im nächsten Moment ächzend zusammen zu zucken. „Du bist also auch wieder wach…“ murmelte sie und massierte leicht die malträtierte Stelle, während sie den Bewegungen des Kindes in ihrem Leib nachfühlte. „…nun gut, ich bin ohnehin fertig.“
Luthien erhob sich und nahm sorgsam die Nachrichtenpergamente auf. Kurze Zeit später wanderte die kleine Kaldorei durch Nachthafen, zum Eulenhort.