Nevex betrachtete die vor ihm aufgereihten kleinen Körper eine ganze Weile. Er hatte sie mit Aelfars Hilfe nach draussen gebracht, ihre Kleidung zurecht gerückt und sie in etwas würdevolleren Positionen nebeneinander gelegt. Er hatte darüber nachgedacht die Leichen zu verbrennen, aber er wusste nicht, wie die Kobolde hier mit ihren Toten umgingen, also wollte er ihnen die Gelegenheit finden sie selber zu bergen. Schließlich fällte er aber die Entscheidung sie aus den Tunneln heraus ins Tageslicht zu bringen. Immerhin war die Angst vor der Dunkelheit ein weit verbreitetes Merkmal der meisten Koboldkulturen. Vermutlich überließ man seine Verstorbenen nicht den Monstern in der Dunkelheit, wenn man an welche glaubte… Sofern man sich dann noch darum kümmerte.
Er seufzte und schüttelte den Kopf. Ein simples Gebet zum Licht hatte er über die kleinen Kreaturen gesprochen, das konnte kaum falsch sein, aber von hier an konnte er wohl nichts sinnvolles mehr tun. Auch wenn das bedeuten würde dass die Waldtiere sich bedienen würden, wenn die anderen Kobolde nicht zurückkehren sollten. Aber nun, wenn der Geist nicht hier gebunden war, und er sah wenig Grund zu glauben, dass das hier so sein würde, wäre da auch kein weiterer Schaden entstanden. Letztlich ging es hier eben nicht um die Verstorbenen. Es ging darum, wie ernst man ihr Leben nahm. Es ging darum ob man jemand sein wollte, der bereit war andere, auch Verbrecher, als denkende und fühlende Wesen anzuerkennen, oder ob man bereit war sie als Abfall zu sehen.
Die anderen hatten ihre Position da klar gemacht. “Nicht besser als Ratten”, hatte Lorgarn gesagt. Die Entscheidung die Kobolde auszuräuchern war leicht gefallen und die Idee ihnen irgendwelchen Respekt zu gewähren war nichtmal aufgekommen. Sie hatten nur irritiert gewirkt, als Nevex begann sich darum zu bemühen. Er tat sich schwer damit es ihnen nicht Übel zu nehmen, aber daran waren die Umstände hoffentlich Mitschuld. Es war eben alles so schrecklich schnell gegangen. Er war vielleicht eine halbe Stunde weg gewesen um die aufgebrachte junge Dame zu suchen und zu beruhigen und als er zum Lager zurück kam, war ein ganzer Trupp von der Karawane ausgezogen.
Die Kobolde hatten keine Chance gehabt. Die wenigen die versucht hatten sich zu wehren, oder im falschen Moment zu bedrohlich ausgesehen hatten, waren tot, die anderen waren dann schnell geflohen. Nevex musste nicht herum fragen um zu wissen, dass das keine Eskalation gewesen war, sondern von Anfang an der Plan. Was denn auch sonst? Mit den Kobolden verhandeln? Das würde doch nur das Überraschungsmoment aufgeben und mit “Ratten” war ja ohnehin nichts zu erreichen. Ratten.
Noch einmal betrachtete er die Leichen. Selbst die größeren waren nicht größer als der Gnom und alle waren dürr und ausgemergelt. Die Mine in der die wohnten hatten sie natürlich nicht selber gebaut, aber es sah auch nicht so aus als wäre da in letzter Zeit viel Aktivität gewesen, also war es schwer zu glauben, dass sie die jemandem abgenommen hatten der etwas damit vorhatte. Sie hatten nur den Fehler gemacht zu nah an besiedeltem Land zu leben und dort Dinge zu stehlen. Und so traf sie nun der gerechte Zorn, gekoppelt mit dem Versprechen von Belohnung für die Vergelter. Da hatten sie nicht den Hauch einer Chance. Es hatte nichtmal Verletzte gegeben. Nur Tote. Und für die Überlebenden war das vermutlich nur ein weiterer Rückschlag in einem Leben aus Rückschlägen. Sie würden das hinnehmen und weiter machen.
Das musste Nevex wohl auch. Er wünschte er könnte den anderen klar machen was er von der Situation hielt, aber das würde gerade niemanden überzeugen. Sie mussten da selber zu der selben Erkenntnis kommen und dafür mussten sie es erleben. Sie mussten erleben, dass auch so simple Leute mehr als Ungeziefer sein konnten und sie mussten erleben, dass man sie auch anders behandeln konnte. Es gab keinen schnellen Weg dahin, also musste der Gnom es wohl einfach vorleben. Und wenn sie zu ihm kamen um sein Verhalten zu verstehen… nun, dann hatte er hoffentlich eine Chance seine Position auszuführen wo man auch offener dafür mag. In Einzelgesprächen.
Er richtete sich auf. Zeit zu lächeln und weiter zu machen. Und sich ernstlich zu bemühen die kleinen Leichen niemandem vorzuwerfen…