[A/RP] Mondklingen (ehemals Orden der Dalanari)

Am nächsten Tag legte Avalora das erste Mal seit langem ihre Rüstung wieder an. Es war auf eine Art und Weise ungewohnt, aber doch zugleich immer noch so vertraut.

Sie erinnerte sich daran, wie sie das erste Mal diese Art Rüstung angelegt hatte. Damals war sie vom Rang einer Rekrutin in den nächsthöheren aufgestiegen. Ihr Großvater selbst hatte ihr dabei geholfen, diese Rüstung anzulegen, war sie doch anders als die, die die Rekruten damals trugen. Mittlerweile war es anders. Die Rekruten trugen die gleiche Rüstung ihren Fähigkeiten entsprechend wie die anderen. Lediglich die Offiziere trugen teils andere Uniformen oder auch nur andere Umhänge.

Avalora griff nach dem Wappenrock, der fein säuberlich zusammengelegt auf ihrem Bett lag. An ihm war das Abzeichen der Einheit befestigt, und sie strich vorsichtig darüber. Ihr Blick fiel auf die goldene Brosche mit dem gleichen Wappen. Sie hatte es erhalten, als ihr Großvater aus persönlichen Gründen das Kommando niedergelegt und sie zur neuen Kommandantin der Einheit ernannt hatte. Vorsichtig löste sie die goldene Brosche. Es erschien ihr nicht richtig, sie jetzt noch zu tragen. Sie gehörte ihrem Großvater, vor allem jetzt, da er zurückgekehrt war.

Behutsam legte sie die Brosche auf ihr Bett und streifte sich dann den Wappenrock über. Sie sah sich in ihrem Quartier um. Ihre Waffen fehlten, doch sie vermutete, dass sie sich in der Waffenkammer befanden.

Sie atmete noch einmal tief durch und verließ dann mit der goldenen Brosche in der Hand ihr Quartier.

Sie steuerte direkt auf das Büro ihres Großvaters zu. Die Wachen unten am Eingang salutierten, als sie Avalora sahen, und gaben den Weg für sie frei. Sie erwiderte den Salut und machte sich auf den Weg nach oben.

Ihr Großvater war nicht allein. Selenya und Araes waren bei ihm. Avalora hörte ihre Stimmen, als sie sich der Tür näherte.

Fast schon zaghaft klopfte sie an den Türrahmen.

„Herein", ertönte die Stimme von Garin.

Avalora trat ein und salutierte vor ihrem Großvater. Ihrem Onkel und ihrer Tante nickte sie leicht zu.

„Melde mich zum Dienst", sagte Avalora.

Garin erhob sich von seinem Schreibtisch und trat auf sie zu. Araes und Selenya folgten ihm. Alle drei musterten Avalora prüfend.

Avalora stand in ihrer straffen militärischen Haltung vor ihnen. Garin sah ihr einen Moment lang in die Augen, ehe er langsam um sie herum ging und sie von allen Seiten betrachtete.

Schließlich stand er wieder vor ihr. Nun waren es Selenya und Araes, die einmal um sie herum gingen und sie von allen Seiten musterten. Dann nahmen sie wieder ihre Plätze hinter Garin ein.

Avalora blieb geduldig stehen und zeigte nicht eine Regung.

Garin musterte seine Enkeltochter noch einmal prüfend. Dabei fiel sein Blick auf den Wappenrock, und er hob eine Augenbraue.

„Wo ist die goldene Brosche?“, fragte er.

„Sie ist hier“, antwortete Avalora, hob ihre Hand und öffnete sie.

„Und warum trägst du sie nicht?“

„Es erscheint mir nicht richtig. Du hast sie mir damals gegeben, als du das Kommando niedergelegt und mich zur neuen Kommandantin ernannt hattest. Nun bist du wieder zurück und hast auch wieder das Kommando. Von daher gehört die Brosche wieder dir, nicht mir“, antwortete Avalora und sah ihren Großvater an. „Ich weiß, wie viel sie dir bedeutet. Indem ich die Brosche nicht mehr trage, erkenne ich das an und auch deinen Rang als oberster Befehlshaber der Einheit.“

Garin sah sie überrascht an.

„Darf ich?“, fragte sie und deutete auf seinen Wappenrock.

Araes und Selenya schmunzelten, während Garin nur nicken konnte.

„Diese Brosche gehörte einst deinem Ziehvater, Dalar Bärenklinge“, sagte Avalora, während sie dicht an ihren Großvater heran trat. „Er war ein Adliger der Kaldorei und führte eigene Wachregimenter, in denen du gedient hast. Als die Dämonen das erste Mal angriff, hat Dalar Bärenklinge seine Wachregimenter mobilisiert und versucht, so viele Bürger wie möglich zu evakuieren. Als ein Trupp von Dämonen euch angriff, hielt Dalar Bärenklinge zusammen mit vielen seiner Wachen den Feind auf, so dass ihr anderen fliehen konntet. Er bezahlte dafür mit seinem Leben.“

Sie ließ sich Zeit, während sie fast schon feierlich die goldene Brosche am Wappenrock ihres Großvaters befestigte.

„Aus den überlebenden Wachen bildete sich unsere Einheit, die nach Dalar Bärenklinge benannt wurde, wenn auch in leicht abgewandelter Form. Die Wappenröcke seiner Wachregimenter wurden zu unserem Wappenrock. Die Rüstungen seiner Wachregimenter wurden zu den unseren. Das Wappen des Hauses Bärenklinge wurde zu den Abzeichen, die wir tragen“, fuhr Avalora fort.

Sie überprüfte den Sitz der goldenen Brosche noch einmal und sah ihrem Großvater dann in die Augen.

„Der Name der Einheit mag nicht mehr derselbe sein. Doch das Opfer von Dalar Bärenklinge und all den anderen, die damals ihr Leben gaben, um so viele Bürger zu retten, wird niemals vergessen werden. Die Rüstungen, ihr Stil und der Wappenrock werden immer an Dalar Bärenklinge und seine Wachregimenter erinnern. Das Wappen seines Hauses wird auf ewig unsere Wappenröcke als Abzeichen zieren“, schloss Avalora nun und strich abschließend über die Brosche, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen.

Selenya und Araes sahen ihre Nichte erstaunt an, doch dann ging ihr Blick zu Garin. Dieser sah seine Enkelin lange sprachlos vor Rührung an.

„Ich dachte, du hättest das alles vergessen“, sagte er leise.

Avalora schüttelte lächelnd den Kopf.

„Nein, ich habe es nicht vergessen, auch wenn ich damals vor meiner Reise etwas in der Richtung sagte“, erwiderte sie.

Garin lächelte erleichtert und gab seiner Enkelin einen Kuss auf die Stirn. Dann trat er einen Schritt zurück.

„Deine Rüstung ist dennoch nicht vollständig“, sagte er dann in einem etwas ernsteren Ton. „Deine Waffen fehlen.“

Er sah zu Araes und Selenya und nickte ihnen zu. Die beiden traten hinter den abgetrennten Bereich.

„Wie du sicherlich bemerkt hast, waren deine Waffen nicht in deinem Quartier“, fuhr Garin fort.

„Ja, das habe ich bemerkt“, bestätigte Avalora.

„Das hat auch einen Grund. Wir haben sie an uns genommen. Es ist an der Zeit, dass du bessere Waffen erhältst. Waffen, die deinem Können und deinem Status entsprechen. Waffen, denen du dich als würdig erwiesen hast in all den Jahren, die du schon in dieser Einheit dienst und die du nach meinem Weggang geleitet hast“, fuhr Garin fort und nickte dann Selenya zu. Dann trat er einen Schritt beiseite.

Avalora sah zu ihrer Tante, die nun auf sie zutrat. Auf ihren Handflächen präsentierte sie ihrer Nichte einen Dolch. Doch es war kein einfacher Dolch. Es war einer, der auch gleichzeitig ein Messer war, wie Avalora an der geschliffenen Klinge bemerkte.

„Dieser Dolch wurde aus feinstem Mondstahl geschmiedet“, erklärte Selenya. „Wie du siehst, ist die Klinge geschliffen. Du kannst damit also sowohl schneiden als auch zustoßen. Wir haben ihn extra so schmieden lassen, dass er in deinen Stiefel passt, so wie du es immer trägst. Wahlweise kannst du ihn natürlich auch am Waffengurt tragen. Das Heft ist wie auch sonst mit Leder umwickelt, und wie du siehst, prangt das Wappen der Einheit darauf.“

Sie überreichte ihrer Nichte den Dolch nebst dazu gehöriger Lederscheide. Avalora nahm beides ehrfürchtig entgegen, betrachtete den Dolch und verstaute ihn behutsam in der Lederscheide. Erst dann kam er in ihren rechten Stiefel.

Selenya, Araes und auch Garin verfolgten das Ganze mit einem Lächeln.

„Danke“, sagte Avalora, nachdem sie sich wieder aufgerichtet hatte.

„Das war noch nicht alles, wie du dir sicherlich denken kannst“, meinte Garin und nickte nun Araes zu.

Dieser winkte Avalora zu sich an den Tisch, der sonst als Ablage fungierte.

„Meine liebe Nichte, wir kennen deine Angewohnheit, zwei Einhänder im Kampf zu nutzen, obwohl du auch mit anderen Schwertern gelernt hast zu kämpfen. Aus diesem Grund haben wir dir gleich verschiedene Schwerter schmieden lassen. Sie alle bestehen aus dem gleichen Mondstahl, aus dem auch dein Dolch besteht, und bei jedem ist das Heft mit Leder umwickelt und besitzt das Wappen der Einheit als Prägung. Künftig wirst du also zwischen zwei Einhändern oder einem Anderthalbhänder wählen können. Wenn es dein Wunsch ist, dann lassen wir auch noch einen Zweihänder anfertigen“, erklärte er und wies auf die drei Schwerter. „Jedes Schwert verfügt über eine entsprechend große Lederscheide, natürlich ebenfalls mit dem Wappen der Einheit.“

Avalora betrachtete die Schwerter einen Moment lang, ehe sie nach den beiden Einhändern griff. Sie verstaute sie nacheinander in den Lederscheiden und befestigte sie am Waffengurt.

Garin begutachtete seine Enkeltochter mit einem zufriedenen Blick, ging dann aber hinter den Paravent, der das Büro von seinem Schlafbereich trennte.

„Zuletzt haben wir noch etwas Besonderes für dich“, sagte er und trat wieder hervor. Er hielt etwas hinter seinem Rücken versteckt und sah Avalora an.

Selenya und Araes traten nun zu ihrem Vater und richteten ebenfalls ihre Blicke auf Avalora.

„Eine Bogenschützin ist nicht vollständig ohne eine Bogen, der auf sie abgestimmt ist. Dein alter Bogen war gut, sehr gut sogar. Aber Selenya hat ihn überprüft und dabei festgestellt, dass er trotz all der guten Pflege deinerseits nicht mehr so gut in Schuss ist. Deshalb haben wir dir einen neuen anfertigen lassen“, sagte Garin und führte nun seine Hände nach vorne.

Avalora blinzelte mehrmals überrascht, als sie den Bogen und den Köcher sah. Es war ein Langbogen, wie sie ihn standardmäßig verwendete. Doch er sah anders aus als der, den sie gehabt hatte. Der neue Bogen war zwar ebenso wie der alte verstärkt, aber es sah eleganter und stabiler aus. Auch der neue Bogen hatte Federn als Zusatz, und am Schaft konnte sie das Wappen der Einheit ausmachen.

Ihr Blick fiel dann auf den Köcher. Dieser war aus einem stabileren Leder als ihr alter Köcher, und auch hier war das Wappen der Einheit angebracht.

Garin trat zu Avalora hin, während Selenya ihm den Köcher abnahm. Sie füllte ihn mit einem neuen Satz Pfeile und stellte sich dann neben Garin. Araes positionierte sich auf der anderen Seite seines Vaters.

„Avalora, dieser Bogen ist deshalb etwas ganz Besonderes, weil dein Vater vor langer Zeit einen ähnlichen für dich entworfen hat, ihn aber nie für dich bauen konnte“, erklärte Garin, während er ihr den Bogen hinhielt.

Avalora blinzelte erneut. Sie war sprachlos vor Rührung, und nur zögerlich streckte sie ihre Hände aus, um den Bogen entgegen zu nehmen. Ehrfürchtig und fast schon liebevoll betrachtete sie ihn und wog ihn in der Hand. Entgegen ihrer Erwartungen war er nicht so schwer, wie er aussah. Im Gegenteil, er hatte ein gutes Gewicht, das es ihr ermöglichte, ihn lange während eines Kampfes zu benutzen, ohne schnell zu ermüden.

„Für den berittenen Kampf wird dir ein Kurzbogen gleicher Art zur Verfügung gestellt“, sagte Selenya und reichte ihrer Nichte den Köcher. „Die Pfeile sowohl für diesen Bogen als auch für den Kurzbogen sind spezielle Anfertigungen. Sie können nur mit diesen beiden Bögen verwendet werden.“

Avalora schluckte leicht und sah ihre Tante an, während sie den Köcher ebenso ehrfürchtig entgegen nahm und sich schließlich umschnallte.

„Woher…?“, war alles, was sie hervorbringen konnte.

„Woher wir die Anleitung für den Bau haben?“, hakte Garin nach, und Avalora nickte.

„Thoraen und Aydryn haben sie während ihrer Reisen durch Zufall gefunden“, antwortete Araes. „Nachdem du in den Hyjal aufgebrochen warst, kamen sie zu uns und erzählten uns davon. Wir alle waren der Meinung, dass du diese Bögen nebst Pfeilen endlich erhalten solltest, als Erinnerung an deinen Vater.“

Avalora sah die drei nacheinander an. Auf ihrem Großvater verweilte ihr Blick länger.

Garin schien zu ahnen, was sie wollte, doch er schüttelte kaum merklich den Kopf.

Avalora schluckte erneut und nickte kaum merklich, was auch in Bezug auf die Worte ihres Onkels gedeutet werden konnte.

„Also, du bist nun vollständig gerüstet“, sagte Garin. „Bist du denn auch wirklich bereit, deinen Dienst wieder aufzunehmen?“

Avalora zögerte einen Moment, doch dann nickte sie entschlossen.

„Ja, das bin ich“, antwortete sie.

„Gut, dann wirst du für die nächsten vier Stunden am Eingang der Feste Wache halten. Danach treffen wir uns am Trainingsplatz“, sagte Garin.

„Jawohl“, antwortete Avalora automatisch und schulterte den Bogen.

„Wegtreten“, befahl Garin dann mit einem leichten Schmunzeln.

Avalora nickte ihm sowie Selenya und Araes noch kurz zu und verließ dann das Büro, um ihren Posten einzunehmen.