TL:DR:
- Nevex war noch ein halbes Jahr in Eisenschmiede, wo er seine Gemeindehausarbeit weiter gemacht hat und von einem Priester unterrichtet wurde.
- Danach ging Nevex nach Neutüftlerstadt, um wieder zu seinen Wurzeln zu finden.
- Der Aufenthalt war nicht lang geplant, zog sich dann aber über Jahre, wo er in immer weitere Projekte verwickelt wurde.
- Lebenszeichen und Briefaustausch mag es unregelmäßig gegeben haben, aber er war da mehr auf sich und seine Projekte fixiert.
IC-Post
Lange war es her, dass Nevex in Sturmwind gewesen war. Zumindest sagte das der Kalender, so lange war es ihm wirklich nicht vorgekommen. Gnomeregan verwirrte seine Zeitwahrnehmung da wohl etwas. Weder hatte er dort wirklich Pausen zum Nachdenken gehabt, noch war man da besonders daran interessiert, was sich draußen abspielte… Oder so war zumindest Nevex’ Eindruck in Neutüftlerstadt bestätigt worden. Es war selten genug gewesen, dass er aus Eisenschmiede gehört hatte und noch seltener von weiter weg. Und statt Politik und persönliche Beziehungen wurde einfach viel, viel mehr über die eigenen Projekte geredet und daran gearbeitet.
Und dabei konnte man schon mal die Zeit vergessen, seien es nun Stunden, Tage oder Monate. Vergessen? Verlieren? Wie dem auch sei, wenn man wirklich etwas zu tun hatte, war die Zeit einfach nicht so wichtig. Und er hatte fast durchgehend etwas zu tun gehabt. Selten das, was er geplant hatte, aber immer etwas. In Neutüftlerstadt musste er nicht erst große Vertrauensbarrieren überwinden, wenn er Hilfe anbot, fand man etwas zu tun, und wenn er nicht wusste wie, war man gerne bereit es ihm zu zeigen oder ihn mit der passenden Literatur aufholen zu lassen.
Er hatte nicht gewusst, wie sehr er das vermisst hatte. Fast sein gesamtes Erwachsenenleben hatte er auf Reisen oder bei anderen Völkern verbracht und das Leben in der gnomischen Gesellschaft nie so intensiv mitbekommen wie jetzt. Die Perspektive seiner Kindheit war auf jeden Fall eine sehr andere gewesen, vielleicht war er damals noch nicht bereit gewesen, es so anzunehmen wie es war. Vielleicht war es auch nicht so wie früher und der Fall Gnomeregans hatte die Veränderungen zu verantworten. Was es auch war, er hatte keinerlei Zweifel, dass es die richtige Entscheidung gewesen war herzukommen.
Dabei war er anfangs gar nicht überzeugt gewesen. Es hatte sich damals mehr wie eine Niederlage angefühlt, als ein sinnvolles Projekt. Kaum ein halbes Jahr hatte er mit Meister Gidoin gehabt, bevor dieser klar machte, dass Nevex erstmal mehr über sich selbst lernen sollte, bevor er mit den Lehren des Zwerges und der Kirche wirklich etwas anfangen konnte. Und der erste Schritt dafür wäre, zu seinen Wurzeln zurückzugehen. Zu verstehen, wer er damals war, um zu verstehen, wer er heute war und wirklich zu fühlen, wer er sein wollte. Er hatte Jahre mit minimaler Anleitung studiert und er hatte gedacht, die Antworten darauf schon zu haben, aber der Zwerg war unnachgiebig wie immer gewesen und hatte ihn fast wörtlich vor die Tür gesetzt.
Und Nevex hatte Wochen gebraucht, bis er sich dazu durchringen konnte, den Rat anzunehmen. Sein erster Reflex war gewesen, seine Lichtstudien endgültig zum Fehlschlag zu erklären und wieder etwas zu machen, zu dem er tatsächlich qualifiziert war. Wenn er in mehreren Jahren nicht so weit gekommen war, dass ein Lehrer irgendwas mit ihm anfangen konnte, welchen Sinn hatte es schon, es nochmal zu versuchen? Er war offenbar ungeeignet als Priester. Zu verkopft, zu unflexibel, zu uneinsichtig. Aber nach Neutüftlerstadt zu gehen war so oder so überfällig, also hatte er seinen Posten am Gemeindehaus aufgegeben und war dorthin gereist.
Und natürlich hatte Meister Gidoin recht gehabt. Im Rückblick war es so offensichtlich. Und hatte ihm Seyraa nicht auch schon dasselbe gesagt? Aber wie so oft sein erster Instinkt war, wenn es ernst wurde, war er weggelaufen. Er hatte sich niemals wirklich mit dem Fall von Gnomeregan, den Überlebenden und der Situation dort auseinandergesetzt. Er hatte sein Leben woanders fortgeführt und so getan, als wäre “nach vorne schauen” dasselbe wie nicht zurück zu schauen. Neutüftlerstadt hatte ihn eines besseren belehrt. Fast alle dort lebten für die Zukunft. Sie alle arbeiteten an Erfindungen und Ideen, die die Welt langfristig verbessern sollten. Und sie alle taten das im Schatten Gnomeregans. Die Fehlschläge der Vergangenheit waren immer präsent und keiner versteckte sich davor. Im Gegenteil, man lernte daraus.
Es hätte von vornherein klar sein sollen. Das war es auf intellektueller Ebene auch gewesen. Aber es zu erleben und sich der Lage zu stellen… Erst das machte es emotional real. Und auch das hätte er gewusst. Anderen hätte er genau dazu geraten. Aber für sich selbst? Da hatte er allen Widerstand gegen die Idee rationalisiert. Er hatte gar nicht gewusst, wie gut er darin geworden war, sich selbst zu täuschen.
Und was für eine Erleichterung es wäre, damit aufzuhören. Innerhalb der ersten Tage in Neutüftlerstadt rutschte er bereits in mehrere Projekte von anderen Gnomen, nach ein paar Monaten startete er eigene. Er half bei der Forschung zu Schleimlingen, er arbeitete an Experimenten zur Umwandlung von elektrischer in arkane Energie, unterstützte richtige Heiler bei der Behandlung von Lepragnomsymptomen, er begleitete Expeditionen in die gefallene Stadt auf der Suche nach Geistern. Und er arbeitete mit Anderen zusammen an der Forschung zum Licht, redete mit Überlebenden aus seiner Kindheit und organisierte eine Gedenkfeier für die Verlorenen.
Mehr als zwei Jahre war es offenbar so gelaufen. Selten hatte er überhaupt über die Welt außerhalb der diversen Projekte, in die er sich einbrachte, nachgedacht. Oder warum er eigentlich gekommen war. Er hatte viel gelernt und wenig geplant. Es war nicht so, als hätte er seine Freunde da draußen vergessen, es war nur nie etwas gewesen, dass er nicht hinausschieben sollte. Ein Schmunzeln huschte über seine Lippen. Mit anderen Worten, er war kurz davor, nach seinem Fehlschlag vor Eisenschmiede und Sturmwind weg zu laufen, so wie er es vorher mit Gnomeregan gemacht hatte. Da war der Brief wohl gerade richtig gekommen.
Er faltete das Papier zusammen und steckte es in seine Tasche. Es war schön, dass man an der Akademie noch manchmal an ihn dachte. Mal sehen, ob er helfen konnte.