In Gadgetzan bei der wöchentlichen Postausgabe am Schiff wurde eine kleine Holzkiste von einem vernarbten, etwas schwer atmenden und schief an einer Gehstütze laufenden Goblin entgegengenommen. Sein Name - sofern er auch tatsächlich der auf dem Paket ausgezeichnete Original-Empfänger war - war Wrizzle, der seine Beute gespannt und auch reichlich irritiert zu seiner spärlichen Behausung trug.
Der Weg dorthin war kein einsamer, denn mehrere Goblins zeigten sich nicht weniger neugierig als er selbst und verlangten etwas über Inhalt und Absender der Kiste zu erfahren. Einer wollte es ihm gar direkt entreißen, was nur durch den Stockschlag eines weiteren verhindert werden konnte, der sich im nächsten Moment an Wrizzle wandte, um ihm drei Silberlinge für die Rettung und fünf weitere für Geleitschutz abzunehmen.
Vor dem anvisierten Haus meinte dann ein Herr mit Zylinder auch noch Einfuhrzoll und sonstige Steuern eintreiben zu wollen. Der Zahlung entging Wrizzle durch einen weiteren Stockhieb des Begleiters, der den selbst ernannten Zöllner um dessen Zylinder und Wrizzle um noch einmal drei Münzen erleichterte. Doch das mochte ein vergleichsweise kleiner Verlust sein, wenn man so schwer verletzt gewesen war, dass man sich nun als Krueppel kaum mehr selbst verteidigen konnte, dachte Wrizzle.
Ein Glück, dass man als derart bemitleidenswertes Geschöpf die Herzen einiger Angehöriger anderer Völker, die auf der Durchreise waren, nur zu oft auf seiner Seite hatte. Viele meinten zwar nur, ihm Essen spendieren zu müssen, doch auch mit Essbarem und insbesondere mit Wasserschläuchen ließ sich hier in der Wüste jede Menge Zaster verdienen, und die Geschichte wie er in der Mine von mehreren Felsbrocken zerquetscht und von Silithidensäure verätzt worden war - den Teil wie er im schlimmsten Moment des Unfalls als ihm klar geworden war, dass die Säure direkt neben seinem Kopf zu Boden tropfte, sein eigenes Gesicht geistesgegenwärtig selbst mit dem Zeug bespritzt hatte, ließ er natürlich außen vor - brachte ihm genug Sympathien und natürlich auch Münzen und noch mehr Lebensmittel ein, um ein zufriedenes Goblinleben führen zu können.
Da nahm man die Fußtritte derer, die ihn als den Schmutz ansahen, in dem er bettelnd saß, doch hier und da gerne hin und machte sich einen Spaß daraus, sich hin und wieder damit zu revanchieren, eben jenen völlig ohne jegliche erdenkliche Absicht ein Bein zu stellen, wenn sie ihn im Vorübergehen bewusst übersahen oder ihnen von hinten kleine explosive Knallkörper zwischen die Füße zu werfen. Woher die gekommen waren, bemerkten sie nie! Wer verdächtigte denn auch einen wertlosen Krueppel …
Hach ja, seit dem Unfall in der Azeritmine, den er Dank der kleinen rothaarigen Gnomin, die nicht einmal einen kleinen Obolus für ihre Bemühungen, ihn am Leben zu erhalten haben wollte, haarscharf überlebt hatte, liebte Wrizzle alles an seinem Leben. Gegen einen Teil des Azerits, das er noch beiseite geschafft hatte ehe sie zurück nach Gadgetzan gebracht worden waren, hatte er sich aus seinem bisherigen Arbeitsverhältnis frei gekauft und war nun selbständiger Geschäftsmann. Als solcher war er natürlich vollkommen selbst für sich verantwortlich, was durchaus auch ins Geld ging. Schließlich benötigte er immer wieder Schutz, wehrlos wie er nunmehr war - oder sich gab. Eine Rolle zu spielen bedeutete ja auch, sie vollends auszufüllen. Doch auch seine Ohren brachten ihm gutes Geld ein, und passende Kontakte hatte er ja noch von früher. Nur, dass er nun auf der richtigen Seite stand, um sie für sich, und nur für sich alleine nutzen zu können.
Nun, heil in seinem kargen Unterschlupf angekommen, verscheuchte er seinen Begleiter und unterstrich die Ablehnung weiterer Bewachung, indem er die Tür von innen mit dem kleinen Tischchen und dem einzigen Stuhl, den er sein Eigen nannte, verrammelte.
Behutsam stellte er die Kiste auf seiner Pritsche ab, las noch einmal den Absender ab „Mexa, Gnomenhaus Eisenschmiede, Mystikerviertel“ und beschloss trotz aller Neugier, sich zunächst zu waschen und in seine saubere Kleidung zu schlüpfen ehe er sich neben der Kiste niederließ, um sie zu öffnen.
Im Inneren lag oben auf ein gewissenhaft gefaltetes Papier, das er auseinanderfaltete. Schief grinsend begann er zu lesen.
"Lieber Wrizzle,
wie geht es Dir? Mir geht es gut! Wir sind gut wieder zu Hause angekommen, und stell Dir vor, das Unterwasserboot, von dem ich Dir erzählt habe, gehört nun tatsächlich uns! Ich glaube, die Zwerge waren auch ganz froh, dass sie es los geworden sind. Und wir bauen es jetzt fürs ZRK! als Hauptquartier um. Die Liese ist auch mit dabei. Also das Rennboot. Und die bauen wir natürlich auch noch um. Sie war ja am Ende schon ein bisschen kaputt. Aber so können wir sie auch gleich komplett so umbauen wie es uns am besten gefällt.
Geschenke für zu Hause haben wir dann noch in Pandaria eingekauft. Für Pankly und Noée hab ich ein kleines Stoff-Shed-Ding gefunden. Das sah ganz lustig aus. Also die. Also zwei. Für jede von beiden hab ich einen gekauft. Für Ezzlin hab ich so eine Seife gefunden, die die Pandaren zum Baden nehmen. Die duftet nach Blumen und ist bestimmt toll für ihre Haare. Und Wankly und Alice hab ich pandarische Gewürze mitgenommen. Für Nevex wollt ich noch ein Buch über Mogu-Geister suchen, aber dazu hätte ich wohl nochmal in eins der Kloster gemusst oder so, und dafür hatten wir dann doch keine Zeit mehr. Dafür hab ich dann einfach ganz viele Reisküchlein für alle mitgenommen. Nevex kriegt dann einfach nochmal extra welche für ihn ganz alleine. Der wohnt ja nicht bei uns im Gnomenhaus.
Pips und Fridolin - das sind die beiden Hähne, die ich die ganze Zeit beschützen musste. Also den beiden geht es auch gut. Fridolin war am Anfang ziemlich angriffslustig, aber inzwischen hat er sich auf dem Ziegenhof gut eingelebt und hat den alten Gockel in den Ruhestand geschickt. Der ist aber ganz froh darüber. Glaub ich. Er schläft jetzt viel mehr. Und länger. Sogar wenn Fridolin alle aufweckt. Vom Ziegenhof hatte ich Dir ja erzählt. Käthe, also die echte Käthe, nicht die, die ich dabei hatte, und den anderen geht es auch gut, auch wenn Käthe am Anfang ein bisschen beleidigt mit mir war. Wär ich wohl auch gewesen an ihrer Stelle. Aber jetzt hat sie ja Fridolin. Pips wohnt zur Zeit bei uns im Gnomenhaus. Also, bei mir unterm Bett. Der hat vor allem möglichen Angst und kam auf dem Ziegenhof nicht so gut zurecht. Jetzt ist er ein bisschen ruhiger. Niffin hatte erst Sorge, dass er uns jeden Morgen früh wecken würde. Aber der kräht gar nicht. Der piepst nur manchmal ganz leise und auch nicht so, dass man davon wach wird. Ich hoffe aber trotzdem, dass er irgendwann ein bisschen normaler wird. Aber an seiner Stelle hätt ich auch Alpträume von anderen Kampfhähnen, schreienden Leuten und Rasierklingen und so was alles. Gut, dass ich ihn da rausgeholt habe!
Hier in Eisenschmiede geht es auch allen gut. Wir haben inzwischen sogar Mechagonier getroffen! Kannst Du Dir das vorstellen? Echte Gnome, die sich selbst äh … optimiert haben! Also mit Technikzeug. Da gibt es Leute, die sich die Augen raus operieren und sich dafür eine komplette Brille und noch mehr in den Kopf einsetzen lassen, weil das angeblich besser ist als ihre Augen. Einstellen muss man das aber trotzdem immer wieder auch manuell. Da bleib ich lieber bei meiner Brille. Die kann ich zum schlafen runter tun. Aber schlafen tun die ja auch nicht. Die laden sich höchsten auf oder so. Und überhaupt, kannst Du Dir vorstellen wie man Fleisch mit Metall verwachsen lassen kann? Das klingt total eklig. Find ich. Aber Balinde war natürlich schon in Mechagnomien und hat sich eine neue Prothese machen lassen. Balinde ist eine Zwergin, die mal meine Freundin war. Die ist so ein Paladin und hat als wir in Uldaman waren aus Versehen ihre Hand verloren. Mit der mechagnomischen Hand scheint sie jetzt ziemlich zufrieden zu sein. Mal gucken, wie lange das anhält.
Jedenfalls möchte Niffin, dass die Mechagonier uns einen Teleporter bauen. Oder mehrere. Mit dem können wir dann schneller auf dem Unterwasserboot sein und müssen nicht von Menethil aus mit dem Boot zum neuen Anlegesteg fahren. Ich bin ja immer noch für einen Tunnel vom Ziegenhof aus, aber das dauert ihm wohl zu lange. Ich werd trotzdem mal gucken, ob das mit dem Tunnel nicht zusätzlich funktioniert. Irgendwie. Mein Buddelbot alleine ist dafür ja leider zu klein, und ich muss erst Käthe reparieren. Auf der Heimfahrt hab ich die kaputten Teile schon auseinandergenommen, aber sie ist doch ganz schön lädiert und braucht unbedingt zwei neue Flügel. Mal sehen, was ich ihr dann gleich noch alles mit einbaue, wo ich sie schon auseinandernehme.
So lieber Wrizzle. Nun hoffe ich, dass es Dir wieder besser geht und die Narben im Gesicht nicht so schlimm sind. Aber vielleicht gefällt das ja irgendeinem Grünlingsmädchen.
Anbei schicke ich Dir auch noch ein paar Gnomkrapfen. Ich hoffe, sie schmecken Dir. Mit grüner Füllung haben wir leider keine. Da muss ich mal mit Alice drüber reden. Aber daran hab ich vor dem Brief jetzt nicht gedacht. Also vielleicht dann das nächste Mal. Vielleicht werden dann ja sogar richtige Goblinkrapfen draus oder so!
Liebe Grüße und schreib mir doch mal! Auch wenn Du irgendwas brauchst.
Deine Mexa
Die Gnomin, die für Dich gesungen hat und so was alles. Also die in der Azerithöhle. Nur damit Du mich nicht verwechselst."
Nicht minder irritiert, aber nun so schief grinsend wie man nur mit einem Narbengesicht aus Ätzwunden grinsen kann, hob er das Tüchlein an, unter dem die Krapfen lagen. Einen nahm er heraus, hielt ihn sich prüfend unter die Nase und biss schließlich davon ab. Nachdenklich nickend genoss er den Probehappen und legte den restlichen Krapfen wieder zurück in die Kiste. Rasch überschlug er den Inhalt - drei mal drei Krapfen in zwei Lagen machte 18. Mal - er wiegte den Kopf nachdenklich hin und her - 20 Silberlinge das Stück, wenn er sie mit den richtigen Argumenten, die ihm je nach Kundschaft spontan einfallen würden, als Delikatesse anpreisen würde, machte 360 Silber. Minus des Anbisses, machte mit Glück vielleicht noch 15 Silber plus 30 Silber aufwärts für die Geschichte wie es dazu gekommen war und der Krapfen am Ende doch noch gerettet werden konnte … ja, doch, das würde ein lohnendes Geschäft werden.
Wobei … der Blick fiel zurück in die Kiste … eigentlich schmeckten die Dinger ja wirklich gut. Also wirklich richtig gut! Und immerhin waren sie ein Geschenk für ihn - für ihn ganz alleine. Was, wenn er sie einfach für sich behielt? Oder wenigstens den einen angeknabberten? Oder wenn er einfach noch einen anderen anbiss? Das wären immerhin noch einmal zusätzliche 30 Silber aufwärts - falls es nicht schief ging. Zwei angebissene Krapfen brauchten gute Umsicht oder eine noch viel bessere Geschichte.
Ein Moment der Schwäche, der er beinahe nachgegeben hätte - doch dann ging ein Ruck durch ihn hindurch. Nicht doch! Er durfte sich seinen Bettlermagen nicht mit solchem Kram versauen. Sonst würde das am Ende einreißen und er würde vielleicht auch noch alles andere, was man ihm so zu Essen zusteckte behalten wollen. Und fett werden könnte er dabei außerdem noch! Nein, das war völlig ausgeschlossen. Entschieden knallte er den Deckel zurück auf die Kiste und verschloss sie. Für den Moment fand sie Platz unter seiner Pritsche. Doch morgen … morgen würde er damit ein kleines Vermögen machen.
Liegend durchforstete er den Brief der Gnomin noch einige Male. Ein … Ziegenhof. Na ja. Das ZRK! Ein Unterseeboot. Ein Rennboot. Mechagnome, Prothesen, und Teleporter. Er hatte diese Mexa ja tatsächlich ein wenig lieb gewonnen, so absurd ihm das inzwischen vorkam. Sie war nett zu ihm gewesen - vielleicht als erstes humanoides Wesen überhaupt in seinem Leben, was sich abscheulich gut angefühlt hatte, und allein, dass sie noch immer an ihn dachte und ihm nun sogar einen Brief und ein Geschenk geschickt hatte, ließ dieses Gefühl wieder in ihm aufwallen. Und handeln konnte sie auch. Aber die Informationen, die er aus dem Brief herausgelesen hatte, waren auch nicht zu unterschätzen. Dieses ZRK! sollte man in jedem Fall nicht so schnell aus den Augen verlieren. Wer weiß, für was der Kontakt noch gut sein würde oder wer sich eines Tages für die Informationen interessieren könnte, und was bedeuteten schon Freundschaft und Loyalität, wenn man sie vielleicht eines Tages zu Gold machen konnte?
Mit einem Lächeln auf den verzerrten Zügen rollte er sich auf die nicht schmerzende linke Seite und schloss die Augen. Für heute hatte er genug getan. Und morgen wartete ein harter Verkaufstag auf ihn.