Feraziel betrachtete die Sterne und fragte sich, wo ihr Weg sie noch hinführen würde. Sie hatten heute die Straßen ausgespäht und die Zeitintervalle der Patrouillen in Erfahrung gebracht. Dabei war ihnen eine der Kohorten gefährlich nahe gekommen und das war ihre Schuld, die unmerkliche Bewegung das geringste Rascheln hätten fast alle zu nichte gemacht. Nur der Geistesgegenwart der Orc-Magierin die sich ihnen jüngst angeschlossen hatte war es zu verdanken, dass sie unentdeckt blieben. Hatte diese sich doch in einem brillianten schelmischen Ausbruch ihrer Magie bedient und den Busch in welchem Feraziel sich befand in kunstvollendeter Manier eines sich erleichternden Zwerges sprechen lassen! Sogar inklusive recht eindeutiger Stöhn- und “Lüftchen”-Laute. Woraufhin die Patrouille der Allianz grölend und lachend beruhigt weiter ihres Weges zog. Erst lange danach, nachdem sie wieder alle im Lager angekommen waren und ihre nächsten Pläne besprachen, wurde Feraziel wirklich klar was da geschehen war. Und dass das genaugenommen ziemlich peinlich gewesen war… sie konnte leider dennoch nicht drüber lachen, wie es die anderen taten.
Seufzend senkte Feraziel den Blick und betrachtete nachdenklich ihre knochigen Hände. Die pergamentartige Haut umschloss straff die verbliebenen Knochen und Reste von Sehnen, bleich und Weiß, die Konturen im Mondlicht glichen einer wunderschönen traurigen Symphonie und sie drehte ihre Arme bewundernd und zugleich todtraurig, als würde sie sie zum ersten mal betrachten. Sie fragte sich nicht zum ersten mal, warum sie noch mit so viel Menschlichkeit, Zweifel und Angst gestraft war. Andere Verlassene waren ihrer selbst so sicher, oft sogar skrupellos oder regelrecht bösartig aggressiv und egoistisch. Sie hatte bisher nur wenige getroffen die sie überhaupt als gemäßigt, noch weniger als freundlich bezeichnen würde. Gulturion, der sich ihrer Gruppe kurz nach ihr selbst angeschlossen hatte war sogar einer derjenigen, die glücklich waren tot zu sein! Feraziel schüttelte unmerklich den Kopf. Das verstand sie einfach nicht. Wie sich jemand über dieses makabre untote Dasein auch noch freuen konnte. Trotzdem mochte sie ihn, er gehörte noch zu den sehr jungen Verlassenen und hatte sich zumindest bisher offensichtlich ebenfalls noch einiges seiner Menschlichkeit erhalten können. Sie hoffte dies würde sich nicht noch ändern, sie hatte schon so viele in das Dunkel fallen sehen…
Sich wieder in Gedanken verlierend strich sie nachdenklich mit einem spitzen schlanken Finger über eine Stelle ihres linken Armes. Dort hatte sie sich während ihrer Erkundungsmission einige tiefe Kratzer zugezogen. Dennoch war die Haut auch dort nahezu makelos, nicht einmal ein Schatten war wahrzunehmen. Sie ärgerte sich immer noch, dass sie immer so ängstlich und unsicher war. Sie sprach es den anderen gegenüber nicht erneut aus und zum Glück schien es sich keiner gemerkt zu haben, aber sie war einst im Kampf ausgebildet worden. Doch eine rein theoretische Ausbildung war etwas völlig anderes, als wenn man dem Feind direkt gegenüber stand und handeln sollte und musste. Verbittert umschloss sie hart mit ihrer Hand ihren Arm und ballte die Faust. Das konnte so einfach nicht weiter gehen. Selbst ganz egoistisch gedacht musste sie endlich was ändern, dass sie noch in ihrem untoten Dasein weilte war purem Glück und der Hilfe anderer geschuldet. Nicht ihren Fähigkeiten. Und darauf konnte sie sich nicht immer verlassen. Sie lies betrübt wieder die Arme sinken. Wieder fiel ihr Blick auf ihre klamme bleiche Haut und sie fuhr über die Stelle an der sich die tiefen Kratzer befunden hatten. Untätig war sie nicht gewesen und sie war schon immer aufmerksam und gelehrig. Sie hatte den anderen bei ihrem Training zugesehen und es mit ihrem bisher gelernten in Verbindung gebracht. Sie verstand das Chi und seine Natur mittlerweile wesentlich besser und tatsächlich war sie mittlerweile so weit es bewusst im Einklang mit den Elementen kanalisieren zu können. Es kostete sie immer noch enorme Willenskraft und oft fehlte ihr bei der kleinsten Ablenkung die Konzentration, aber es war ein Anfang! Sie dachte daran wie sie die Kratzer ihres Armes mit einem kleinen kaum wahrnehmbaren Chi-Nebel hatte verschließen können. Meisterin Senlin war beeindruckt gewesen! Und jetzt in der Ruhe der Nacht fühlte sie tatsächlich auch eine Regung von Stolz und Freude darüber.
Etwas wie ein Lächeln stohl sich auf Feraziels Gesicht und sie lies sich rücklings ins Gras fallen, den Blick wieder auf die Sterne gerichtet, die Arme dem Himmel entgegen gestreckt. Sie schloss die Augen und lies einen ganz zarten Nebel um ihre Hände wabbern. Es war als würde ein Hauch Leben sie berühren und sie genoß das Gefühl, die Erinnerung, die Illusion von Sterblichkeit den es ihr vermittelte. Sie rollte sich bäuchlings herum und vergrub die Hände an der Brust, an das starre Herz geschmiegt. Kleine Grashalme schmiegten sich sacht an ihren Leib und streichelten im Einklang mit dem Wind sanft über ihre Haut. Feraziel zog eine Hand unter sich hervor, welche immer noch von einem sanften grünen Leuchten umgeben war und erwiederte ebenso sanft die Liebkosung der Natur, streichelte sanft über die zarten Halme. Neben sich nahm sie ungesehen den Hauch einer Bewegung war und spürte gleich darauf, wie sich acht kleine spitze Beine in ihren Rücken stachen und es sich dann recht unbequem zwischen ihren Schulterblättern bequem machten, ihr die Luft aus der Lunge drückten. Die kleine Spinne war ziemlich schwer. An ihrem Gesicht vorbei schob sich ein vorwitziges Bein und setzte sich auf ihrer Hand ab, die Spitze nun ebenfalls leicht vom Nebel umschlossen. Feraziel schloss die Augen und gab sich Erinnerungen an die formvollendete Schönheit der Natur in all ihrer Pracht hin, der Wärme der Sonne und dem Tosen des Windes. Fast einem Traume gleichend fand auch sie diese Nacht ein wenig Ruhe und Geborgenheit.