Hyaena - Geschichte(n) einer Troll-Jägerin

Teil 3

Kapitel 9

Orgrimmar


Ihr tat der Rücken weh.
Es war ungewohnte Arbeit für sie, doch das Ergebnis war sogar halbwegs zufriedenstellend. Ob es auch tatsächlich tauglich war, Eis und Schnee zu trotzen, würde sich zeigen. Doch fürs Erste sollte es reichen. Sie streckte sich und lies die Gelenke knacken.
Die Lichtstrahlen waren ein sehr großes Stück weiter gewandert und die Dämmerung würde nicht mehr lange auf sich warten lassen. Dschungeleintopf sollte es heute geben. Bei dem Gedanke gab ihr Magen ein lautes Geräusch von sich. Ob Taih Tigerfleisch bekommen hatte? Wenn nicht wäre es auch nicht schlimm gewesen. Sie freute sich auch so auf einen Abend mit ihrem Bruder. Der letzte ihrer Familie der ihr geblieben war. Und auch der einzige der sich auf den Weg gemacht hatte sie zu suchen. Leider sah sie ihn nur sehr selten. Es hielt sie nie lange in der Stadt, rastlos wie sie war. So sah sie ihren Bruder nur selten.
Und ihn mitnehmen? Nein. Nicht in seinem instabilen Zustand. Der hatte bei einem Versuch schon mehrmals katastrophale Folgen gehabt an die sie sich nicht gerne erinnerte. Auf keinen Fall konnte sie ihn mitnehmen.

Sie trat aus ihrer Werkstatt heraus und sah, dass die Sonne bald hinter den Bergen, die Orgrimmar umschlossen, verschwunden sein würde. Sie beschloß sich noch etwas umzusehen und die steifen Glieder wieder durchblutet zu kriegen.
Der große Platz vor der Feste Grommash, zwischen dem Auktionshaus und dem "Gebrochenen Hauer" war noch sehr belebt und ständig kamen immer mehr durch die Stadttore hinzu, um vor Einbruch der Nacht noch eine Mahlzeit und einen Platz zum Schlafen zu ergattern. Eine bunte Mischung vielerlei Völker und Tiere traf hier Tag für Tag zusammen. Sie blieb einfach etwas abseits stehen und besah sich das Treiben. Soviel Volk wie sie hier in einer Stunde zu sehen bekam, begegnete ihr manchmal monatelang nicht. Und so stand sie nur da und beobachtete.

Plötzlich drehte eine junge Troll in der Menge den Kopf zu ihr und ihre Blicke trafen sich. Ohne auch nur zu zögern schritt die Troll auf sie zu. Hyaena wurde auf einmal etwas unruhig. Die wollte doch nicht zu ihr? Sie wandte den Kopf und sah hinter sich, aber da war niemand. Also doch. Als sie wieder nach vorn schaute stand die junge Troll auch schon vor ihr und schaute sie an. Hyaenas Augen glitten schnell einmal über diese freche Troll. Viel Leder, rote Haare in denen eine vielzahl Knochen steckte und ein gewinnendes Grinsen auf dem Gesicht. Und in den Augen lag etwas, was ihr merkwürdig vertraut vorkam. "Taz" grüßte die Troll. "Ich bin Bhangrha. Und du?" "Taz." Jeng'a war noch ganz verwirrt. Bei den Loas, was will die bloß? "Ich bin Jen...ähh... Hyaena heiss ich, werd ich genannt meine ich. Ja, Hyaena."
Bhangrha grinste, leicht amüsiert. "Taz Hyaena. Seh dich zum ersten mal hier. Biste nicht oft in Orgrimmar, oda?" Hyaena schüttelte den Kopf, sagte aber nichts. Bhangrha blickte zur Hyäne, die neben ihnen hockte und sie nicht aus den Augen liess. "Hey Du. Du heißt nicht zufällig Troll?" Noch breiter grinsend wanderten ihre Augen von der Hyäne zu Jeng'a und wieder zurück. "Hübsche" sagte Jeng'a nur. Die andere Troll strahlte sie an. "Oh, Danke" "Ähhh nein, ich meine doch. Ach Unsinn. Sie da, sie heißt Hübsche" Sie spürte wie ihr das Blut ins Gesicht schoß.
Bhangrha lachte laut und hockte sich hin um Hübsche hinter dem Ohr zu kraulen. "Was denn mit deim Ohr passiert, hmm?" Jeng'a starrte auf die beiden vor ihr, unfähig irgendwas zu sagen. "Biste ganz allein hier? Wo is dein Stamm?" Es dauerte eine Weile, bis Hyaena merkte, dass sie gemeint war. "Mein Stamm? Weit wech. Ich geh da nich mehr hin. Nie mehr." Sie war selbst erstaunt was sie da sagte. Was ging das diese junge Troll an? "Wie traurich." Hübsche legte sich auf den Rücken und genoß das Kraulen, dass sich jetzt auf ihrem Bauch fortsetzte. "Wenn dir zu einsam sein sollte, schließ dich doch uns an. Wir sin ne kleine Gruppe. Wildherzen nennen wir uns. Bunter Haufen. Alle irgendwie gestrandet." Sie blickte jetzt Hyaena an, ohne jedoch das Kraulen zu unterbrechen. Hyaena konnte irgendwie nicht klar denken. "Ja, klar. Gerne. Nen Wildherz sein." Wer bei den Loas sprach da? Das war doch nicht wirklich sie. Bhangrha stand auf und strahlte Hyaena an. "Taz'Dingo! Dann biste ab jetzt eine von uns. Willkommen Hyaena, Wildherz. Du wirst sehn, es gefällt dir bestimmt bei uns. Was haste heut noch vor?" "Essen, mit meim Brudah. Jetzt." Hyaena war sichtbar überfordert und wollte jetzt nur noch schnell weg. Das letzte Wort kam somit etwas überhastet aus ihrem Mund.
Bhangrha liess sich nichts anmerken, das Grinsen blieb auf ihrem Gesicht. "Dann lasses dir schmecken. Bis zum nächsten ma." Sie winkte noch einmal ihr und Hübsche zu und tauchte dann wieder in der Menge weg.
Hyaena starrte abwesend hinterher. Was hatte sie denn bloß da geritten? Sie die Einzelgängerin, schloß sich Leuten an, von denen sie nur eine gesehen hatte und niemanden kannte? Immer noch fassungslos, machte sie sich auf den Weg ins Tal der Geister.
Und erst nachdem sie eine kleine Strecke des Weges zurückgelegt hatte ging ihr auf, dass es an den Augen dieser Bhangrha lag. Sie meinte etwas gesehen zu haben. Etwas dass sie mit Num'a gemein hatte.
Teil 3

Epilog

Orgrimmar


Ein Ächzen ging durch das ganze Luftschiff. Befehle wurden gebrüllt und die Goblinmannschaft rannte hin und her, eilig bemüht den Anordnungen des Kapitäns nachzukommen. Seile und Tampen wurden eingeholt, aufgerollt und verstaut und während es ganz langsam Fahrt Richtung Nordend aufnahm, stand die aufgehende Sonne noch nicht hoch genug, als dass ihre Strahlen über die Spitzen der Orgrimmar umschliessenden Berge auf die Stadt unter ihr trafen. Anders jedoch an Bord.
Während die Stadt noch in dunkler Dämmerung getaucht war, flammte die Ostseite des Schiffes in der Morgensonne auf und für kurze Zeit hatte man den Eindruck in einer Höhe mit der Sonne zu sein, ja sie eben noch sogar übertroffen zu haben.
Es waren nicht viel Passagiere an Bord. Neben den üblichen Händlern, hauptsächlich Soldaten, die ihre Kameraden in Nordend ablösen sollten und den einen oder anderen Glücksritter. Doch die meisten hatten sich unter Deck verkrochen. Die morgendliche Kühle zur frühen Stunde und bestimmt auch bei einigen die Höhenangst sorgten dafür, dass ausser der Mannschaft kaum jemand dieses Schauspiel des Lichtes des neuen Tages mitbekam.

Vorne an der Reling stand eine hochgewachsene Troll, eine große Hyäne mit zerfetztem linken Ohr neben sich. Unter Deck war sie nur kurz gewesen, um ihr weniges Gepäck zu verstauen. Die wenigen Minuten dort hatten sie beschliessen lassen, so wenig Zeit wie irgendmöglich dort zu verbringen. Zu dunkel, zu eng und ein säuerlicher Geruch schien sich in den Räumen festgesetzt zu haben. Ergebnis wohl so einiger see-, oder besser gesagt luftkrank gewordenen Passagieren.
Das Licht und die unter ihnen hinweggleitende Hauptstadt der Orcs wohl wahrnehmend, aber nicht einen einzigen Blick zurückwerfend, waren ihre Augen starr nach Norden gerichtet. So, als ob alles was irgendwie auch nur zählte, dort in weiter Ferne läge und ihr Körper zwar hier, aber der Geist schon dort weilte.

Doch ihre ganze Haltung täuschte. Denn die Bilder in ihrem Kopf kreisten noch um den gestrigen Abend.
Das traurige Gesicht ihres Bruders, als sie kundtat gleich am nächsten Morgen wieder aufzubrechen, der Dschungeleintopf der auf einmal fad schmeckte, dabei hatte Taih'u es tatsächlich geschafft Tigerfleisch aufzutreiben, und immer wieder die junge Troll, Bhangrha, und ihre Wildherzen.
Sie konnte es ihrem Bruder nicht erklären.
Es war nicht so, dass sie vor Nähe floh, wie sie in seinem Blick zu lesen glaubte. Auch wenn der Gedanke an Familie, sei es die echte wie ihr Bruder oder eine mögliche Gemeinschaft wie die dieser Wildherzen, in ihr zwiespältige Gefühle auslöste.
Sehnsucht und schmerzhafte Erinnerungen fanden sich zu gleichen Teilen darin.
Nein. Etwas in den Augen der jungen Troll hatte sie gepackt und nicht mehr losgelassen, sie daran erinnert, warum sie überhaupt hier war. Etwas dass ihre Ziehmutter beim Abschied gesagt hatte. Etwas, was sie immer wieder dazu trieb nirgendwo Platz zu fassen, sondern rastlos weiter und weiter zu ziehen.

Die letzten Jahre hatte sich jedoch eine Art Routine eingestellt. Ähnlich wie in einem riesigen Labyrinth, aus dem es keinen Ausgang gibt, war sie immer weiter gegangen.
Und mit den Jahren schwand nicht nur die Hoffnung jemals heraus zu finden, sondern genauso verblasste die Erinnerung an das “Warum“. Der einzige Sinn darin zu sein schien schliesslich der zu sein, lediglich den nächsten Schritt zu setzen. Und den nächsten. Und den nächsten.
Die junge Troll hatte sie wieder an dieses “Warum“ erinnert, Warum das alles so war. Weshalb sie überhaupt diese irrwitzige Reise nach Nordend machen wollte. Das Erlebnis war so eindringlich, dass es wie ein Ruf in ihr widerhallte. Es war Zeit.

Und so stand sie auf den Planken des Zeppelins und ihre Augen schauten nur nach Norden. Und in ihr wurde so etwas wie Gewissheit gross, ihrem Ziel endlich näher zu kommen. Sie konnte einfach nicht mehr warten. Nicht einen Tag länger.

Ende Teil 3
Teil 4

Kapitel 1

Boreanische Tundra


Eisig war der Wind.
Hyaena schlug ihren Mantel noch enger um sich. Hübsche, ihre Hyäne, hatte sich winselnd wieder verkrochen, nachdem sie es nur kurz und dabei heftig zitternd auf Deck des Zeppelins ausgehalten hatte. Sie wird sich noch dran gewöhnen hoffte die Troll.
Ein fieses Lachen erklang neben ihr.
"Kalt was, Schätzchen." Ein Goblinhändler und Mitreisender gesellte sich zu ihr. Sie antwortete nicht. Die Atemwolken sprachen für sich. "Keine Sorge, wir sind fast da. Jeden Moment müsste die Kriegshymnenfestung auftauchen. Da gibt's genug Feuerkörbe um euch Neulinge warmzukriegen. Und auch vernünftige Klamotten kriegst du da." fügte er hinzu, einen flüchtigen Blick auf sie werfend. "Mit denen da machst du keine Woche in Nordend." Er selber war in dicken Pelz mit hohen Kragen gekleidet. Auch die Handschuhe sahen sündhaft teuer aus. "Ich hab mal einen Troll erlebt, der ist tatsächlich mit seinem Reitraptor hergekommen. Was ein Idiot." Wieder das fiese Lachen. "Ob er ihn gegessen hat weiss ich nicht, auf jeden Fall ist er ohne ihn wiedergekommen." Er spuckte in weitem Bogen über die Reling. "Nen verdammtes Reptil nach Nordend zu bringen. Ich fasse es nicht. Man könnte meinen, er hatte nur Dummköpfe gefressen. Das macht ihr doch, oder? Eure Feinde fressen um ihre Fähigkeiten und so zu kriegen. Baah, widerliche Vorstellung." Wieder spuckte er aus.
Hyaena ignorierte ihn. Zuerst hatte sie sich immer wieder provozieren lassen, aber schon nach wenigen Tagen ermüdete sie das Geschwätz nur noch. Was den Goblin nicht davon abhielt es immer wieder zu versuchen. Ausser ihnen waren nur wenig andere als ein Haufen grimmiger Orc-Krieger, Nachschub für die Festung, mit an Bord. Und keiner von ihnen zeigte sich den anderen Reisenden freundlich gegenüber. Vielleicht tauchte er deshalb immer wieder bei ihr auf. Zumindest wenn ihre Hyäne nicht in ihrer Nähe war. Immerhin war er gerade mal so groß wie Hübsche.
Sie ignorierte ihn weiterhin und starrte in dem immer dichter werdenden Nebel. Schließlich verzog sich der kleine Kerl wieder. Sie atmete auf.

Was sie aber wirklich etwas nervös machte, war dieser Nebel.
Wie bei den Loas orientierte sich die Mannschaft nur bei solchem Wetter? Sie stand an der Reling, aber ob ihre Sicht zwanzig oder nur zwei Trolllängen weit ging, vermochte sie nicht zu sagen. Egal in welche Richtung sie auch schaute, hinter der Reling war Schluß.
Zwischendurch kam es ihr so vor als würden Stimmen von unten aus dem Nebel heraufhallen, aber das konnte auch Einbildung sein. Wieder zog sie ihren gepolsterten Umhang enger um sich.

Plötzlich wurde die Schiffsglocke wie wild geschlagen und unter der Mannschaft brach hektisches Gerenne aus und sie sah zu, dass sie nicht im Wege stand.
"Was los hier?" rief sie einem Goblin, der sich nicht weit von ihr an einem schweren Tau zu schaffen machte, zu.
"Die Festung" rief er zurück. "Wir sind da. Geht runter und steht nicht im Weg!" Hyaena ignorierte das und drückte sich nur dichter an die Reling, denn plötzlich erhob sich aus dem Nebel neben ihnen eine riesige schwarze Wand. Fasziniert starrte sie die mächtige Erscheinung an. Und plötzlich wollte sie aufschreien, denn der Zeppelin fuhr geradezu in die Schwärze hinein. Sie hielt sich an der Takelage fest und hielt den Atem an.

Doch es passierte nichts. Der Zeppelin stieß nirgendwo gegen, sondern direkt vor ihnen schien es ein Spalt inmitten dieser Wand zu geben. Und den schienen sie anzusteuern.
Und auf einmal lichtete sich der Nebel und gerade voraus konnte sie flackernde Helligkeit von Feuern sehen und auch die Schwärze rechts und links wurden zu Wänden aus vernietetem Stahl. Geschickt lenkte die Goblinmannschaft das Flugschiff in diese eisernen Schlucht.
Einen Augenblick sah die Troll noch dem Treiben zu. Dann ging sie hinunter unter Deck, ihre Sachen zu packen. Ihre erste Nacht auf Nordend erwartete sie. Sie freute sich schon auf die warmen Feuer in der Festung von denen der Goblin geredet hatte.
Wieder zog sie ihren Mantel enger um sich, als ob er inzwischen weiter geworden sein könnte. Eine Bewegung die sie noch oft machen würde, hier in Nordend.
Teil 4

Kapitel 2

Boreanische Tundra


"Wie, du gehörst nicht zur Streitkraft? Und ein Händler bist du auch nicht. Wozu bist du dann hier?" Der Orc vor ihr blaffte sie an. "Sieht das hier aus wie ein verdammter Urlaubsort?" Netter Empfang dachte sie.
"Könn wa das nich drin klär'n?" Hübsche stand kläglich zitternd neben ihr und sah gar nicht glücklich aus. Ihre beiden Talbuks schienen besser mit den Temperaturen klarzukommen, aber selbst die standen dicht beieinander. Der Orc schaute verächtlich, knurrte dann aber, drehte sich um und zeigte eine lange eiserne Rampe hinunter.

Die scheinbar endlose Rampe führte hinunter und auf einen großen Ausgang zu, aber ein Stück davor konnte man inmitten der Rampe durch einen schmaleren Gang in das Innere der Festung einbiegen. Von dorther kam ein Gewirr aus verschiedenen Geräuschen ihnen entgegen. Heiseres Gelächter, die Schläge vieler Hammer auf Stahl und der Klang von eisenbeschlagenen Stiefeln auf dem metallenen Boden. Rauer Gesang ertönte. Eine typische orcische Kriegsweise, wie man sie bisweilen auch im Tal der Ehre in Orgrimmar zu hören bekam.

Schließlich stand sie am Eingang einer Art Wirtsstube.
Oranges Licht von vielen Feuern machte selbst diesen stählernen Raum heimelig, versprach es doch endlich Wärme und möglicherweise auch eine warme Mahlzeit.
Zumindest gab es einige Tische an denen müde wirkende Orcs Pause zu machen schienen. Ein, zwei Trolle konnte sie auch sichten. Sie blieb stehen, unsicher was sie mit den Talbuks machen sollte, da kam schon ein Verlassener, einer der untoten Menschen die mit der Horde verbunden waren, auf sie zu.
"Gruß euch. Mein Name ist Williamson und ich führe dieses bescheidene ..." er zögerte gekonnt und ironisch "...Gasthaus. Ihr sucht Unterkunft für euch und eure ... Tiere?"
Die Verlassenen waren ihr nie geheuer, schlechtes Mojo schien sie zu umgeben. Totes das umherwandelt schien ihr nicht richtig und nur verderbte Voodoopriester machten so etwas möglich. Es war ihr immer unverständlich geblieben, warum die Horde sich mit ihnen einliess. Wenn es aber hier der einzige Weg war um an eine Unterkunft und warmes Essen zu kommen, beschloß sie sich zusammenzureissen.
Die Troll nickte. "Was mach ich mit den da?" Sie hob die Hand mit den Stricken an denen sie die Talbuks führte.
Der Untote wies rechts hinter ihm. "Dort ... hinten befinden sich die Stallungen. Aber ich bitte euch, führt sie aussen herum. Ich möchte keinen ... Dung auf dem Boden. Durgot Wolfsbruder ist der Name des Stallmeisters und er hat bestimmt noch einen Platz für diese ... Tiere. Dort wieder hinaus und rechts um die Festung herum. Ihr könnt es nicht ... verfehlen."
"Gut. Danke. Ich bräuchte auch Unterkunft für mich und meine Begleiterin" sie wies auf Hübsche. "Und habt ihr was zu ess'n?"
Williamson sah sie mit seinen leeren Augen an. "Alles wird ... gerichtet sein", deutete eine Verbeugung an die man als leicht spöttisch hätte deuten können und drehte sich um.
Ein kurzer Schauer durchlief ihren Körper und sie drehte mit ihren Tieren um, die Stallungen suchend.

Eigentlich war es eine riesige Schmiede in deren Mitte man einen Raum für Tische abgetrennt hatte. Der Geruch von glühender Kohle und Metall, ab und an ein Zischen, wenn heisser Stahl in Wasser getaucht wurde und das Klingen der Hämmer waren ständige Begleiter. Und schienen niemals aufzuhören.
Obwohl sie dankbar über die Wärme und das Essen war, wusste sie schon nach kurzer Zeit, dass sie es hier nicht lange aushalten würde.
Morgen gedachte sie sich umzuhören. Vielleicht gab es ja auch eine Karte der Gegend die sie sich kopieren durfte. Und einen neuen Umhang, dicker, und innen mit Fell besetzt, denn, wie es aussah, würde es noch etwas dauern bis sie sich an die Temperaturen hier gewöhnt hatte.
Schließlich schob sie die leere Schale von sich und schaute zu Hübsche, die sie ansah, während sie auf einem Knochen herumbiss. Gut, jetzt sind wir hier, wann geht es zurück? schien die Hyäne sie zu fragen. Der Lärm machte offensichtlich auch sie nervös. Die Ohren zuckten bei jedem Hammerschlag.
Die Troll seufzte und kraulte ihr hinterm Ohr, Hübsche genoss es, dachte aber nicht daran vom Knochen abzulassen.
"Noch nich" sagte sie leise, mehr zu sich als zu ihrer Begleiterin. "Noch nich."
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Teil 4

Kapitel 3

Boreanische Tundra


Es lief schief. Gründlich schief.
Dabei hatte alles gut angefangen.
Die letzten Tage hatte sie ihre Erkundungen immer weiter ausgedehnt. Zuerst war sie von der Kriegshymnenfestung aus in verschiedene Richtungen aufgebrochen, aber nur soweit, dass sie am Abend wieder in der Festung war.
So hatte sie schon mal erste Erfahrungen mit diesem Kontinent sammeln können, seinen Witterungen, der Bodenbeschaffenheit, der kargen Vegetation und natürlich mit den Tieren die hier ihrer Wege zogen. Tiere die sie noch nie zuvor gesehen hatte.
Überhaupt war sie sehr schnell fasziniert von Nordend. Von der Boreanischen Tundra um genauer zu sein, denn mehr hatte sie von diesem Kontinent noch gar nicht zu sehen bekommen.
Die weichen braunen bis orangenen Farben der Tundra, ihre klaren blassen Seen, in der Ferne schneebedeckte Bergreihen und vor allem der Himmel. Sowohl des Tags wie auch des Nachts war er unbeschreiblich schön. Auf seine eigene Art und Weise.
Zumindest wenn kein Schneefall drohte.
Diese Schönheit liess sie immer wieder die eisigen Winde vergessen die ihr und besonders der Hyäne immer noch zu schaffen machte.
Zum Glück lag hier kaum Schnee. Auch wenn es sie insgeheim enttäuschte, in ihrer Vorstellung verband sie mit dem Kontinent gewaltige Schneelandschaften, war sie froh. Die Kälte setzte ihr auch so zu. Und doch gefiel es ihr und sie beschloß schon bald, ihre Ausflüge auszudehnen.
So war sie zum ersten mal für länger als ein Tag unterwegs.

Ein Händler in der Festung hatte ihr ein kleines flaches Zelt verkauft, wenn man eine Haut und zwei Stangen ein Zelt nennen wollte. Es reichte gerade um sie und Hübsche mehr oder weniger zuzudecken. Zuerst hatte sie darüber geflucht, wie niedrig dieses "Zelt" war, aber schon in der ersten Nacht, während ein Sturm aufzog, war sie froh darüber, dass diese Notunterkunft dem Wind kaum Fläche bot. Und so verbrachten die beiden sich gegenseitig wärmend die Nächte im kargen Windschutz von Felsen die hier und da aufragten.

Hungern mussten sie indes nicht. Es gab viel Wild. Herden von Marschenkaribus und mit dickem Fell behängte Grollhufe, die ein großes Horn oben zwischen den Nüstern und viele kleinere den massigen Nacken entlang trugen. Wollhörner, wie man ihr später sagte. Dann riesige Tiere mit einem langem Rüssel und langen gebogenen Stoßzähnen die sie an überdimensionale Trollhauer erinnerten. Wollmammuts wurden sie genannt und angeblich konnte man sie zum Reiten zähmen. Wie man allerdings das bewerkstelligen sollte, geschweige denn überhaupt dann auf eines heraufkommen sollte, blieb ihr jedoch schleierhaft.
Allgegenwärtig waren jedoch eine ganz andere Art. Tundrawölfe. Eine Art die sie nur zu hören bekam. Bis gestern Nacht.

Doch angefangen schiefzulaufen, hatte es schon vorher.
Schon seit zwei Tagen hatte sie den Eindruck, dass das Geheule des Rudel immer näher kam und auch typische Wolfsspuren waren immer öfters zu sehen. Große Spuren.
In der Nacht zuvor verlor eines der Talbuks die Nerven und riss sich los. Es zu verfolgen, in dunkelster Nacht, wäre unsinnig gewesen und so blieb Hyaena den Rest der Nacht bei dem verbliebenden Talbuk und versuchte es zu beruhigen, während sich die Richtung aus der das Geheul kam veränderte und schließlich abbrach. Für den Rest der Nacht war es dann ruhig.
Die Troll glaubte nicht, dass das Talbuk noch lebte. Ein schwerer Verlust, denn jetzt musste sie zu Fuß gehen, denn auf das Gepäck konnten sie nicht verzichten. Und das wo sie viele Meilen von der Feste entfernt waren, den großen Kum'vyasee zwischen ihnen liegend.
Sie mussten umdrehen.

Und so hasteten sie wieder zurück in Richtung der Kriegshymnenfestung. So hoffte sie zumindest, denn der Himmel war bezogen und keinerlei auffällige Markierungen waren in Sichtweite. Die Dunkelheit zog herauf und mit ihr auch wieder das entfernte Geheul der Tundrawölfe hinter ihnen. Zum Glück tauchte bald ein Felsen auf, den sie als Rückendeckung nahmen.
Das Holz das sie auf dem Talbuk geschnallt hatten, würde kein großes Feuer hergeben, schon gar nicht, wenn sie nicht in den kommenden Tagen erfrieren wollte. Auf jeden Fall kein Feuer, dass hungrige Wölfe abhalten würde.
Sie lud ihre Habe vom Talbuk und versuchte einen Pflock in den gefrorenen Boden zu treiben um es daran festzuzurren. Sie stellte sich auf eine lange und schlaflose Nacht ein.

Mit Einbruch der Nacht, verzogen sich die Wolken und ein prächtiger Sternenhimmel spendete ihnen karges Licht.
Plötzlich sprang Hübsche auf und ein Knurren kam aus ihrer Kehle. Das Geheul, dass sie schon eine ganze Weile nicht mehr gehört hatte war wieder da, lauter und dichter als vorher. Das Rudel musste sehr nah sein. Die Jagd hatte wieder begonnen.
Teil 4

Kapitel 4

Boreanische Tundra


Der Angriff war wie ein Schock, obwohl sie wusste, dass er kommen würde. Plötzlich spiegelte sich auf mindestens 5 Augenpaaren ihr kleines Feuer. Sie hatte keine Zeit ein Pfeil loszulassen, da sprang auch schon der erste Wolf links von ihr auf sie zu. Hübsche reagierte sofort und schoß ihm entgegen.
Zum Glück war die Troll mit Wölfen erfahren und geistesgegenwärtig genug um zu wissen, dass die eigentlich Gefahr von der anderen Seite drohte. Sie wirbelte herum und liess den Pfeil von der Sehne schnellen. Fast unmittelbar bohrte er sich in einen anderen Wolf, der jaulend in der Luft noch zusammenzuckte und auf die Seite fiel. Für den dritten, der genau hinter diesem Wolf auftauchte, war die Distanz zu klein und so liess sie den Bogen fallen und zog ihr langes Jagdmesser während sie gleichzeitig ein brennenden Ast aus dem Feuer zog und in Richtung des Wolfes stiess.
Der wich sofort knurrend zurück. Schnell sprang sie zu ihrer Hyäne und kam ihr zu Hilfe. Und das keinen Moment zu früh. Diese hatte sich in den Hals des ersten Wolfes verbissen und die beiden bildeten ein wildes Knäuel aus dem schreckliches Gemisch aus Gejaule, Knurren und Fellbüschel kam. Sie verscheuchte zwei andere Wölfe die Hübsche packen wollten und versuchte einen sicheren Stich in dem Knäuel zu landen.
Das Talbuk verdrehte in Panik die Augen und keilte nach vorn und hinten aus. Seine Hörner immer wieder senkend und zur Seite werfend. Da endlich drehte sich der Rücken des Wolfes in ihre Richtung und sie nutzte die Gelegenheit und stach mit voller Kraft zu. Ein grauenhaftes Gejaul ertönte als der Wolf von Hübsche abliess um nach der neuen Schmerzquelle zu schnappen.
Die so entstandene Blöße ließ die Hyäne neu zubeissen und ihr erbarmungsloser Kiefer grub sich in den Hals des Wolfes der daraufhin einknickte und wild strampelnd versuchte Luft zu kriegen. Und schon bald kam nur noch ein Winseln aus dem großen und mageren Tier bis es endlich ganz still wurde.

Die anderen Wölfe hatten sich inzwischen zurückgezogen.
Anscheinend hatten sie nicht mit solcher Gegenwehr gerechnet.
Doch immer noch tauchten ab und an ein Augenpaar im dunkeln auf. Solange bis die Troll ein Pfeil in Richtung eines solchen schickte. Sich entfernendes Jaulen war die Antwort und danach blieb es ruhig. Sie untersuchte Hübsche, aber ausser einigen Stellen an dem ihr grosse Stücke Fell fehlten, schien sie in Ordnung. Sie drückte das Tier an sich. Dann erst ging sie zu dem tapferen Talbuk, das immer noch zitternd da stand und sich kaum beruhigen liess. Und wie sie da stand, dem Talbuk durch das Fell strich und ihm beruhigend und leise zuredete, blickte sie zwischen ihren beiden Gefährten hin und her und fragte sich ob das eine gute Idee war, die beiden mitzunehmen.

Auch wenn sie für heute und womöglich die nächsten Tage keinen Angriff mehr erwartete, die Wölfe würden sich bestimmt leichtere Beute suchen gehen, machte sie kein Auge zu. Das Adrenalin kochte noch für viele Stunden in ihren Adern.
So hielt sie Wache und nutzte die Zeit, den beiden Wolfsleichen die Bälger abzuziehen, solange sie noch nicht steifgefroren waren. Dann wickelte sie sich in alles was sie hatte und wachte bis endlich der Morgen graute.

Das erste was sie sah, als sie im neuen Licht auf den Felsen kletterte um sich ein Überblick zu verschaffen, war eine dünne Rauchsäule, nicht einmal eine halbe Wegstunde entfernt und sie beschloss nachzusehen, wer oder was dort lagerte. Wenn es noch lebte. Vielleicht waren die Wölfe ja auch dort gewesen und zwar erfolgreicher. Das galt es herauszufinden. Und so bepackte sie das Talbuk, zertrat das Feuer und hielt auf das vermeintliche Lager zu.

Was sie schließlich dort zu sehen bekam, versetzte sie in Staunen. Zuerst hatte sie es für ein Tier gehalten, aber schnell sah sie, dass es eindeutig keines war. Vor ihr sass ein kastanienbrauner, dicker Mann mit Glatze, kräftigem schwarzen Bart und buschigen Augenbrauen. Auf seinem runden Bauch und Oberarmen großflächige weisse Bemalungen oder Tätowierungen.
Aber was das beeindruckenste an dieser Gestalt war, waren zwei riesige Hauer, die allerdings nicht wie bei Trollen nach vorne oder oben wuchsen, sonder nach unten hin sich durch den dichten Bart schoben.
Als sie sah, dass dieser seltsame Mann sie neugierig ansah, und keinerlei feindliche Anzeichen zu erkennen gab, entspannte sie sich. "Gruss euch, Fremde." Die Stimme war tief und kehlig, zugleich aber sanft und freundlich. Die Betonungen waren ungewöhnlich, aber offensichtlich konnte er die Allgemeinsprache. Er machte eine Geste in Richtung eines kleinen Feuers zu seinen Füssen. "Verzeiht Etaruk, dass er nicht aufsteht, aber sein Bein ist gebrochen. Bitte setzt euch, vielleicht mögt ihr mit ihm etwas essen. Die Sonne steht schon zu hoch um noch nichts gegessen zu haben." Er legte eine Hand auf seinen gewaltigen Bauch. Hyaena konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen und trat näher.
Teil 4

Kapitel 5

Boreanische Tundra


"Etaruk hat sie gehört. Und er hat den alten Ta'akku ein letztes mal heulen gehört. Diesen Ausgang haben sie nicht erwartet. Eine Weile wird jetzt Ruhe herrschen, bis die neue Rangfolge geklärt ist."
"Dein Glück, dass sie nich hierher kommen sind" meinte die Troll und blickte auf das gebrochene Bein dieses seltsamen Kerls.
"Mein Glück?" Er wiegte den Kopf hin und her. "Hier ist heiliger Boden. Die Ältesten wachen hier. Kein Tundrawolf wäre so verrückt einen Kalu'ak hier anzugreifen."
"Kalu'ak? So nennt ihr euch?" "Wir uns?" Er schnaubte, dass sein üppiger Schnurbart aufwogte und schöpfte sich in seine Schale eine weitere Kelle vom Rentiereintopf. Der hervorragend war, Hyaena beschloss sich die Moose und Kräuter zu merken, die Etaruk mit hineingeworfen hatte. Einen Augenblick starrte sie ihn noch an, aber als klar wurde, dass er nicht weiterreden würde, zuckte sie mit den Achseln und nahm sich auch noch etwas von dem heissen Mahl.

Nach einer Weile schob Etaruk seine Schale beiseite und rülpste herzhaft. Von seinem Bart tropfte noch Fett und Suppe auf seinem Bauch, das schien ihn aber nicht zu stören. Im Gegenteil, er verrieb alles mit seinen Händen auf seinem Bauch und seinen Armen dass diese in der Morgensonne glänzten. Nur die Stellen unter seiner dicken Lederweste liess er aus.
"Ältester Kesuk, Ältester Sogani, Ältester Takret" nacheinander wies er auf drei riesige aufgerichtete Steine, mehrere Trolllängen hoch. Und es hätte auch einige Trolle gebraucht sie zu umfassen, schätzte Hyaena von weitem. "Etaruk ist gekommen sie zu ehren. Sie und alle anderen. Wie so viele male zuvor. Doch Etaruk war unaufmerksam und stolperte kurz bevor er diesen Platz erreichte." Wieder dieses Schnauben.
Er sah sie aus kleinen Augen listig an. "Etaruk hat mit der Fremden seinen Namen und seine Speise geteilt. Teilt sie auch ihren Namen mit ihm?" Sie blickte auf. Sie fixierten einander. "Hyaena" Er lachte, dass sein Bauch bebte. "Was daran so komisch?" fragte sie mit leicht beleidigtem Unterton. Er zeigte auf den Eintopf. "War das Rentier wie Etaruk sagte oder war es Fisch den er mit der Fremden teilte?" Sie verstand nicht, es war eindeutig kein Fisch. "Rentier" sagte sie deshalb. Seine Augen blitzten freundlich. "Gut. Hy'ae'na. Etaruk akzeptiert das" sagte er nur, wobei er ihren Namen seltsam betonte.
Ein seltsames Gefühl, fast Scham, kroch ihr den Nacken hoch, aber sie liess sich nichts anmerken. Zumindest versuchte sie es.

Etaruk indes schien es nicht weiter zu interessieren. Stattdessen schien er etwas in einem Beutel zu suchen.
Und schon bald holte er vorsichtig ein buntes Bündel mit einer langen Schnur hervor und wickelte es vorsichtig auseinander.
"Wäre Hy'ae'na so freundlich dieses hier in den Wind zu werfen?" und hielt ihr das Bündel hin, behielt jedoch in der anderen Hand das Ende der Schnur. Mißtrauisch beäugte sie das Bündel, konnte aber nichts verdächtiges daran erkennen.
"Was is das? Nen Zauber?" vorsichtig nahm sie es entgegen. Papier! stellte sie überrascht fest. Papier und Fischgräten.

Sie machte ein paar Schritte von der Lagerstätte weg und warf es mit beiden Händen hoch, als die nächste Windböe aufkam. Das Papierbündel wurde von dieser erfasst und entfaltete sich zu einem kunstvoll hergestellten bunten Fisch mit fünf langen Bänder aus Papierschnitzeln an den Flossen."Ein Drache!" rief sie aus. Sie lachte, erleichtert wie sie ein wenig überascht feststellte. "Ein Spiel." rief sie glücklich. Sie betrachtete den Fischdrachen und merkte wie ihr Herz mit hoch flog. So leicht hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt. Sie konnte nicht mal mehr sagen, wie lange. Wieder musste sie lachen. Etaruk lachte mit. "Ist nicht jedes Spiel auch ein Zauber?"
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Teil 4

Kapitel 6

Boreanische Tundra


Ihre linke Hand tastete nach dem Stück Walbein, das ihr Etaruk mitgegeben hatte. Ein längliches halbrundes Stück, kürzer als ihre Hand und auf der flachen Seite mit wenigen, ihr fremden Zeichen versehen.
Es war so leicht, dass sie ab und an prüfen musste, ob es überhaupt noch da war.
Die Sonne stand bald im Zenit und sie war gespannt auf das was sie am Ende des Tages erwarten würde. Ob er noch seltsamer werden würde als der gestrige?

Sie war den ganzen Tag bei Etaruk geblieben, hatte gar nicht bemerkt wie die Zeit verging, so angenehm war die Gesellschaft dieses seltsamen Kerls.
Er schien überhaupt nicht in Sorge wegen seinem Bein oder den Wölfen oder wegen irgendetwas in dieser Welt.
Nicht lang nachdem sie für ihn den bunten Fischdrachen in den Wind geworfen hatte, bat er sie um einen weiteren Gefallen.
Und seine unbefangene und offene Art bewirkte, dass sie nicht einen Augenblick zögerte.

Erst als sie mit einem Beutel voll Räucherwerk und kleinen, einfach geschnittenen Walbeinversionen der großen Steinfiguren von Statue zu Statue schritt, wunderte sie sich über das Vertrauen mit dem Etaruk sie diese, für sein Volk offenbar heilige Handlungen beauftragte.
Sie machte das gerne. Sich etwas die Beine zu vertreten und den herrlichen Frieden geniessend, den dieser Platz ausstrahlte.
Zum Schluß stand sie vor einem etwas abseits stehenden Stein aus dem gleichen dunklen Material wie die anderen, nicht weit von Etaruks Lagerplatz entfernt.
Und wieder durchströmte sie ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit als sie die getrockneten Kräuter entzündete und zusah wie sich der Rauch ein Stück hochkringelte und dann schließlich von einer leichten Brise verwirbelt wurde.

Sie wusste auch warum.
Schon beim ersten Stein nahm sie eine geisterhafte Gestalt war, die sie beobachtete und ihr zum nächsten Stein folgte und von da an, jeweils um einen Geist mehr bereichert, sie von Stein zu Stein begleitete. Bis zu diesem hier. Und als sie sich jetzt umblickte, war es wie ein flirren oder vielmehr wie eine Unschärfe, hervorgerufen durch all die Geister verstorbener Kalu'ak, die hinter ihr standen und sie betrachteten.
Wohlwollend, wie sie mutmaßte. Anders konnte sie sich dieses Gefühl von Frieden nicht erklären.

Etaruk sah sehr zufrieden aus und hielt ihr eine Schale mit getrockneten Fischen und kleinen Moosbeeren hin als sie wieder seltsam entrückt sich zu ihm setzte. In innerer Stille kaute sie den Fisch weich und spülte ihn dann mit klaren Wasser hinunter. Sie fragte ihn nicht wieso und was und warum. Nicht weil sie es nicht tun wollte, sondern einfach aus dem Grund, dass keine Fragen da waren. Seltsamerweise, wie ihr erst viel später aufging.

Am Abend saßen sie bis spät am Feuer und Etaruk unterhielt sie mit vielen Geschichten und Sagen seines Volkes. Und zwischen zwei solcher Geschichten fragte er sie, ob sie nach Kaskala reisen könnte und seinen Verwandten Bescheid geben könne, dass er hier mit gebrochenem Bein läge und geholt werden möge.

Und nun war sie auf dem Weg und obwohl es stellenweise sogar ein richtiger Weg war, begegnete ihr niemand. Nur große Herden von Mammuts und Karibus tauchten immer wieder auf und begleiteten sie in Sichtweite ein Stück.
Das Licht war herrlich silbrig und der Himmel über sie weit.
Sie mochte das Land hier. Mit tiefen Atemzügen füllte sie ihre Lungen mit der klaren, kalten Luft der Tundra. Nur Hübsche sah man an, dass ihr die Temperaturen in Nordend viel zu niedrig waren. Sobald sie einmal hielten, stand sie da und gab mit ihrem beständigen Zittern ein klägliches Bild ab.

"Wie sin gleich da Hübsche" versuchte die Troll sie aufzumuntern. "Siehst du dort? Noch mehr Fischdrachen."
In der Tat tauchten am Horizont ein, zwei dieser Kunstwerke auf. Auch der Wind roch nach Meer, Tang und Fisch. Rauch stieg auf. "Schau. Ein Feuer. Bald hastes warm." Sie ließ den Blick hin und her gleiten.
Sehr viel Rauch. Zu viel Rauch wie sie auf einmal fand.
Ihr Griff um die Zügel des Talbuks wurde fester und für den Rest des Weges liess sie den Horizont vor ihnen nicht mehr aus den Augen.
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Gelöscht
Teil 4

Kapitel 7

Boreanische Tundra


Die letzten Meter liess sie Talbuk und Hyäne zurück und pirschte sich langsam näher. Sowohl der strenge Geruch des Meeres, wie auch der von verkohltem Leder und mehr, wurde stärker. Die letzten Meter robbte sie durch den karstigen Schnee, aber Konzentration und Adrenalin liessen sie die nasse Kälte gar nicht erst spüren. Immer wieder blickte sie sich um und auch in den Himmel über sich. Das ungute Gefühl beobachtet zu werden wurde sie nicht los. Auch wenn niemand und gar nichts zu sehen war. Schließlich kam sie auf den Grat der Erhebung an und konnte einen Blick hinunter zur Küste werfen. Ihr Atem stockte.

Rauch. Überall Rauch und verkohlte Überreste von Hütten.
Riesige gebogene und von Feuer und Ruß geschwärzte Walknochen lagen entweder auf dem Boden oder ragten nackt in den boreanischen Himmel.
Aber alles schien verlassen. Naja, zumindest war niemand sehen. Das musste nicht das gleiche sein. Lange blieb sie liegen und betrachtete genau die Quellen der schwarzen Rauchsäulen und versuchte abzuschätzen seit wann die Flammen erloschen sein mochten. Ob es Überlebende gab?
Oder, was viel wichtiger war, waren die Angreifer noch irgendwo versteckt?
Auf ihrem Weg zu diesem Ort waren ihr keinerlei auffällige Spuren einer größeren Menge aufgefallen. Doch das hatte nichts zu bedeuten. Der Angriff hätte auch von Osten erfolgt sein können. Wie die Rauchfahnen und die zwei Fischdrachen anzeigten, kam der Wind von See. Und bei dem Geruch nach Tang den er mitbrachte, hätte sich wahrscheinlich auch eine Abteilung Untoter unbemerkt nähern können.

Da sie keinerlei Ahnung hatte, wie groß die Gruppe Kalu'ak war, die Etaruk hier zurückgelassen hatte, konnte sie auch nicht einschätzen wieviel Angreifer nötig gewesen waren um das zu hinterlassen, was sie vor ihren Augen liegen hatte. Sie wusste im Grunde genommen gar nichts. So blieb sie liegen, den Schnee unter sich in Matsch verwandelnd und beobachtete. Beobachtete lange. Aber es regte sich nichts.

Nach einer verdammt ungemütlichen und nassen halber Ewigkeit befand sie das ausgebrannte Lager unter sich für von allem Leben verlassen, erhob sich und kehrte zu ihren Tieren zurück. Hübsche hatte sich dicht an das wiederkäuende Talbuk gedrängt. Windschutz und Wärmequelle zugleich. Sie band die Zügel an ihren Gürtel, griff wieder zu Pfeil und Bogen und machte sich auf den Weg hinunter in das verkohlte Lager.

Den Bogen mit einem aufgelegtem Pfeil in der linken Hand, stapfte sie durch den schmutzigen Schnee. In der Mitte des Platzes blieb sie stehen und sah sich um. Der Boden war aufgewühlt und voller Blut und Schleifspuren. Irgendjemand hatte die Toten weggeschafft. Aber wer und zu welchem Zweck? Ihr fielen genug Gründe für beide Seiten, Angreifer und Angegriffende, ein, so etwas zu tun. Hübsche knurrte.
Ein durchdringender Pfiff liess sie wie ein Blitz sich umdrehen und den Bogen in Anschlag nehmen. Wie aus dem Nichts kamen von allen Seiten aus den Ruinen Kalu'aks auf sie zu. Langsam, mit langen und scharf ausehenden Speeren auf sie gerichtet. Und sie hatte nicht einen von ihnen oben entdecken können! Respekt gesellte sich zu ihrer Mischung aus Ärger und Überraschung.

Die Troll griff nach dem Knochenstück das Etaruk ihr mitgegeben hatte und hielt es hoch über ihren Kopf. Gleichzeitig ging sie in die Knie und legte ihren Bogen samt Pfeil auf den Boden neben sich. Hübsche neben ihr blieb an ihrem Platz, die für sie typische Mischung aus Knurren und Keckern war neben dem eisigen Wind, der durch das Gestänge der vor sich hin schwelenden Hütten pfiff, das einzige Geräusch.
Die seltsamen Gestalten blieben stehen, ihre Augen zu kleinen Schlitzen verengt. Sonst nichts. Hyaena überkam das Gefühl, dass sie alle hier ewig stehen würden, wenn keiner einen nächsten Schritt machte. Jäger, war sie sich sicher. Diese hier waren eher Jäger als Krieger. Und so fühlte sie sich auch. Wie ein Tier, dass in eine Falle geraten war. Noch nie hatte sie sich so gründlich beobachtet gefühlt. Also hatte sie das anfängliche Gefühl nicht betrogen. Sie fluchte leise.

Wer konnte hier der Anführer sein?
Sie vermochte es nicht auszumachen. Egal, dann irgendwer.
In Zeitlupe erhob sie sich wieder, jetzt auch ihre leere linke Hand erhoben. "Etaruk!" rief sie, hoffend, den Namen verständlich auszusprechen. Ohne eine Reaktion abzuwarten warf sie das Knochenamulett dem Erstbesten vor dir Füße.
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Teil 4

Kapitel 8

Boreanische Tundra


"Hier, versuche es jetzt selbst einmal." Der Kalu'ak schob ihr den Beutel mit den trockenen Algen, die Knochen und das Walfett rüber und nickte ihr ermunternd zu.
Sie saß mit mehreren dieser seltsamen Wesen unter einer notdürftig hergerichteten Art Hütte.
Fasziniert hatte sie zugesehen, wie einer von ihnen ein Feuer entfachte. Sie hatte schon viele verschiedene Arten Feuer zu machen gesehen und glaubte von sich selber alle nicht nur zu kennen, sondern auch zu können. Zumindest wenn keine Magie im Spiel war.
Bis heute.
Nun, es war noch kniffliger als es aussah und mehr als nur einen dünnen, stinkenden und schwarzen Rauchfade kriegte sie nicht zustande. Sie fluchte leise.
Der Kalu'ak lachte, dass sein großer Bauch in gefährlich aussehende Bewegungen geriet. Aber es war ein gutmütiges Lachen.
Sie legte wieder alles zur Seite und setzte sich wieder aufrecht hin. Mehr als nur etwas in ihrem Stolz gekränkt.
"Morgen" tröstete sie ihr Gegenüber. "Morgen wird es dir gelingen." Er legte den Kopf leicht schief. "Nein. Eher übermorgen. Aber die Versuche morgen sind wichtig. Morgen einfach auszulassen zählt nicht. Komm gar nicht erst auf den Gedanken Ya'ena." Jetzt musste sie mitlachen, wenn auch leiser. "Ich bleib solange bis ichs hinkrieg."
"Wir werden sehen. Wir werden sehen." Murmelte er, deutlich ernster geworden.

Bald sollte es ostwärts gehen. An der Küste entlang.
Für morgen erwarteten sie den kleinen Trupp zurück, den sie gesandt hatten um Etaruk mit seinem gebrochenen Bein bei der Rückkehr zu helfen.
So hiess es heute hier noch zu warten. Sie hatte also genug Zeit für viele Versuche. Doch für den Augenblick hatte sie genug. Sie stand auf und besuchte die Grenze zwischen Meer und Land. Der Brandung lauschend stand sie da und während der Wind an ihren verfilzten Haaren zerrte, betrachtete sie das eisige graue Meer. Ob es dort, wo Num'a von Kvaldir verschleppt wurde ähnlich aussah? Auch wenn es ein trostloser Anblick war, inmitten der rauchenden Ruinen, verspürte sie ein bisschen Wärme, bei der Erinnerung an die Drakkari. Nach der langen Zeit ihres Exils hatte sie sich ihr nie wieder so nah gefühlt. Eine Quelle der Kraft und Hoffnung. Aber für wie lange, fragte sie sich. Schnell wandte sie dem grauen Meer den Rücken zu und stapfte kalt und klamm zurück zu den Notunterkünften.

Nur kurze Zeit bevor sie hierhergekommen war, gab es einen Kampf mit Kvaldir, einem wilden und grausamen Stamm der auf schnellen Schiffen die Gewässer unsicher machten. Schon oft hatten sie diese Siedlung überfallen, so dass die Kalu'ak sie nur noch als Basislager nutzten wenn sie zum Jagen und Ehren der Ahnen soweit westlich vorstiessen. Trotzdem war es immer wieder Angriffsziel der Kvaldir. So wie eben am vorigen Tag.
Es gab viele Tote, auch auf Seiten der Kalu'ak. Und während sie die toten Kvaldir einfach ins Meer warfen, dem Getier dort zum Frass, legten sie die ihren in Boote und liessen sie unter einem von Nordlichtern durchzogenen Sternenhimmel aufs Meer hinaus treiben. Zu den Sternen wie sie sagten. Ihre Gesänge waren tief und kehlig, manche Stimmen jedoch hoch und von einem Klang wie sie ihn noch nie gehört hatte,
Später, als sie sich in ihre Felle wickelte, konnte sie einzelne dieses merkwürdigen Volkes mit ihren langen Speeren Wache schiebend, dunkel vor dem Horizont ausmachen.
Hübsche ganz dicht bei ihr unter der Decke, lauschte sie seltsam berührt bis tief in die Nacht hinein der Totenklage. Endlich fielen ihr die Augen zu und zum ersten mal seit ihrem Aufbruch aus der Kriegshymnenfestung versank sie in einem tiefen erholsamen Schlaf.
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Teil 4

Kapitel 9

Boreanische Tundra


Sie machte Fortschritte.
Zumindest was das Entfachen von Feuer aus den Materialien die die Kalu'ak dazu benutzten betraf.
Wo sie allerdings keine gute Figur machte, war das Fischen auf See. Das Bild einer guten Jägerin, dass sie von sich selber hatte, kam jetzt wortwörtlich ins Wanken. Die Jagd von diesen kleinen Booten aus gestaltete sich schwerer als sie gedacht hatte. Mochte sie auf Land recht ordentlich mit einem Speer umgehen können, war davon auf den Wellen des Nordmeers nichts mehr zu spüren. Mehr als einmal verlor sie beim Versuch, stehend mit einem gezielten Wurf die mit Widerhaken versehende Harpune in einen Hai, Robbe oder kleinen Wal zu versenken, das Gleichgewicht. Und wieder und wieder wurde sie unter dem Gelächter der dicken Jäger an Bord gezogen.
Immer wurde ihr daraufhin schnell ein tranig riechender Überwurf, aus mehreren Robbenfellen zusammengenäht, übergeworfen unter dem sie dann erbärmlich zitternd kauerte. Da eine nasse und kalte Lederkleidung innerhalb kürzester Zeit Unterkühlung bedeutet hätte, war sie, genauso wie die anderen fast nackt. Und auch wenn sie sich wie die Kalu'aks fingerdick mit Walfett eingerieben hatte, um die Kälte des Wassers und der Luft nicht bis zu ihrer Haut durchdringen zu lassen, gab sie dann ein ähnlich erbärmliches Bild. Kein Wunder, verfügte ihr drahtiger Körper nicht einmal ansatzweise über die schützende Fettpolster dieses seltsamen Volkes.

Drei Tage hatte sie sich an diese Art zu jagen versucht.
Drei Tage ohne auch nur eine Spur von Verbesserung festzustellen. Jetzt saß sie in der Hütte des Wirtes an einem Feuer und betrachtete mit ganz neuen Augen das Gestell aus riesigem Walbein, dass für die Stabilität der Hütte sorgte.
Ihr Respekt diesem behäbig wirkenden Volk gegenüber wuchs.
Wie gefährlich mochte es sein, mit diesen kleinen Booten solche Meeresriesen zu jagen? Wenn sie jemals bei so einer Jagd dabei sein wollte, musste sie noch viel üben. Sehr viel üben.
Am besten erst einmal in einer ruhigen Bucht, in flachem Wasser.

Sie mochte die Kalu'ak auf ihre Art und Weise.
Auch wenn sie zuerst immer sehr empfindlich darauf reagiert hatte wenn sie mal wieder ausgelacht wurde, bei den Loas!
Aber ebenso schnell wie die Wut in ihr aufstieg, verpuffte diese ins Leere, glitt sozusagen an den runden und immer gut eingefetteten Gesichtern ab. Es war nie boshaft und es wurde oft gelacht, über alles und nichts, am meisten über sich selbst. Erst als sie das begriffen hatte, entspannte sie sich.

Der Ledervorhang bewegte sich und Etaruk kam hereingehumpelt, die Krücke ebenso wie die Schienen an seinem gebrochenem Bein aus geraden Stücken Walbein gefertigt.
Ächzend und steif liess er sich ein Stück neben ihr nieder.
Hübsche regte sich nicht, nicht einmal ein Ohr zuckte. Die junge Hyäne kannte mittlerweile alle hier in Unu'pe. An die Kälte hier in Nordend konnte sie sich aber immer noch nicht gewöhnen und so verbrachte sie die meiste Zeit schlafend in der Nähe eines Feuers.

Poallu, der Wirt, kam herbei und drückte Etaruk eine Schale mit dem gleichen dampfenden Eintopf, den sie vor wenigen Minuten gerade selber genossen hatte, in die großen fleischigen Hände. Etaruk nickte dem Wirt zu und pustete erst einmal lange und kräftig in die Schale dass sich sein gewaltiger Schnurrbart steif von ihm weg stellte. Die schweren Fettaugen im Essen zitterten leicht.
Endlich nach Minuten voller Schmatzen und offensichtlichem Genuß, stellte der Kalu'ak seine Schale neben sich und sah sie an. "Seit A'ae'na hier ist, hat der gute Poallu mehr Fleisch in seinem Topf. Deutlich mehr. Die Geweihträger mögen dich mehr als Oacha'noas Kinder es tun." "Dafür hattse aber ganz schön große Sehnsucht nach mir." Hyaena formte mit ihren beiden Händen ihre wiederholten Stürze ins Meer nach. Beide lachten. Etaruk hob seine fetten Arme. "A'ae'na ist zu wild. Oacha'noa muss man sich mit Bedacht nähern. Du bist zu stürmisch."

Oacha'noa war die Meeresgöttin, vor und nach jeder Ausfahrt wurden ihr zu Ehren schwer duftendes Räucherwerk angezündet.
Sie winkte ab. "Ich bleib bei Beinen. Flossen überlass ich euch." Es kehrte wieder Schweigen ein. Der Rauch vom Feuer drehte sich in Richtung Windfang. Kurz davor erfasste ihn der Wind und wurde hinweggerissen. Weiter hinten klapperte der Wirt über der Kochstelle. Sie nahm einen kräftigen Schluck der herben Robbenmilch. Danach spielte sie mit dem aus einem Stück Stoßzahn geschnitzten Becher. Ihre Finger glitten über die Jagdszenen die in feinen Schnitten geritzt und dann mit Ruß geschwärzt waren.

"A'ae'na jagt gut, aber trotzdem ist A'ae'na nicht froh. Die Arme sind voll aber das Herz leer, kehrt A'ae'na von der Jagd zurück." Ihre Hände erstarrten. Sie schluckte schwer und antwortete, die Stimme seltsam belegt. "Das Wild dass ich such is nich dabei. Nie nich. Seit Jahren schon nich." Etaruk sagte nichts, beide starrten ins Feuer.
Tief atmete die Troll ein und wieder aus, "Ich werd weiterziehn, gleich morgen. Was ich such is nich hier."
Etaruk betrachtete lange die Troll. Keiner sagte mehr etwas. Schließlich stand er mühselig auf und verließ die Hütte des Gastwirtes.

Lange und in tiefe Gedanken versunken saß Hyaena noch am Feuer und selbst Poallus Schnarchen drang schon lange hinter einem ledernen Vorhang in den Hauptraum, als sie sich endlich in ihre warmen Felle wickelte, Hübsche dicht an sie geschmiegt.
Deutlich wie schon lange nicht mehr war sie sich der Leere tief in ihrem Innerem erneut schmerzlich bewusst.
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Teil 4

Kapitel 10

Boreanische Tundra


"Die Strömung hat mir eine Geschichte gebracht. Hört mir zu und lasst euch erleuchten. Seit unzähligen Sonnenuntergängen haben die Stoßzahnbewehrten in diesem Land aus Eis gelebt. Wir haben von der Großzügigkeit des Meeres gelebt. Wir sind fett geworden durch das Fleisch der Geweihträger. Das Meer und das Land haben uns das Leben geschenkt."

Hyaena saß leicht ungeduldig inmitten vieler Kalu'ak und lauschte einem ehrwürdig wirkenden Alten den alle Mystiker Tomkin nannten. Keiner unterbrach dessen Geschichte, nicht einmal das übliche Lachen erklang und so war ausser dessen Stimme nur das Geschrei der Möwen, das Rauschen des Meeres und das Geknatter der allgegenwärtigen Drachenfische zu hören.
Und auch wenn sie sich immer mehr für dieses Volk interessierte, war sie nicht bei der Sache. Der gestrige Abend hatte sie verstimmt und auch dass Etaruk sie am Vormittag aufgehalten und überredet hatte ihre Abreise zu verschieben, hatte ihre Laune nicht verbessert.
Jetzt, da sie daran erinnert wurde, warum sie eigentlich in den hohen Norden gereist war, mochte sie nicht länger verweilen.
Aber Etaruk hatte darauf bestanden noch zu bleiben. Tomkin der Mystiker würde heute abend wieder eine Geschichte erzählen, das dürfe sie nicht verpassen.

"Es gibt eine Kraft, die durch alle lebende Dinge fließt. Sie ist unter vielen Namen bekannt. Die Stoßzahnbewehrten nennen sie Silap Inua. Diese Kraft wird von allen denkenden Wesen genutzt, um zu heilen und zu verlezten."
Dicke, endlose Finger aus Rauch stiegen vom Räucherwerk in Spiralen empor bevor sie den Windschutz des Felsens an dem sie hockten verliessen und der Wind sie zerstob.
"Es ist die Kraft des Lebens. Es ist die Kraft der lebenden und toten Seelen."
Die Augen der Troll folgte einem der Rauchfinger und blieb schließlich oben bei einem besonders großen und prächtigen Drachenfisch hängen. Heute würde sie nicht mehr aufbrechen können. Morgen würde sie sich wieder landeinwärts begeben und ihre Schritte aufs Geratewohl setzen. Einen genauen Plan hatte sie sowieso nicht. Eine Spur schon gar nicht.
Mystiker Tomkin machte eine Pause. Die Geräusche der Drachenfische rückte in den Vordergrund. Die Troll schaute immer noch nach oben, eine erwartungsvolle Ruhe stieg in ihr auf und sie dachte für eine kurze Zeit an rein gar nichts. Es war als ob ihre Seele sich oben an einen der papierenen Kunstwerke hängte. Es schien als ob es nichts anderes gäbe als genau das. Für jetzt und für alle Zeiten.

"Die Geschichte die ich euch heute erzählen werde, handelt von Ta'ak'to'a und seiner Suche nach der Seele seines Großvaters von der niemand wusste ob er lebte oder schon lange gestorben war." Freudiges Schnauben ertönte hier und da. "Wie ihr ja wisst, lebte Ta'ak'to'a mit seinem Stamm vor vielen Jahren an den eisigen Gestaden einer längst vergangenen Küste. Oacha'noa war sehr hungrig zu dieser Zeit und biss oft und große Stücke des damaligen Landes ab."
Die Worte drangen zu ihr durch, ohne jedoch sie aus diesem fast schwebenden Zustand heraus zu holen.
"Erinnert euch, dass Ta'ak'to'a ja von seinem Großvater erzogen wurde, aber was ihr vielleicht noch nicht wisst, ist, dass es eigentlich nicht sein wirklicher Großvater war, sondern ein Fremder, den es an diese Gestade verschlagen hatte."
Die Kalu'ak um sie herum schnaubten erneut aufgeregt. Die Geschichte schien auch für sie neu zu sein.
"Denn wisset, dass Ta'ak'to'as richtiger Großvater bei einem Überfall der Kvaldir sein Leben für den noch jungen Kalu'ak hingab und dieser dadurch ohne Führung im Leben dastand. Also wurde die Ankunft des Fremden als Geschenk Oacha'noas gedeutet. Doch das soll ein andern mal erzählt werden."
Der Alte machte wieder eine Pause, den Blick weit übers Meer schickend.
"Was ich euch heute erzählen will, ist die Geschichte, wie Ta'ak'to'a seinen neuen Großvater verlor, ihn lange suchte und wie er ihn wiederfand."
Hyaena hing an seinen von einem gewaltigen Schnauzbart versteckten Lippen. Ihr schwindelte leicht. War das hier alles wahr oder lag sie immer noch am Feuer und träumte. Sie griff zu ihrem Fledermauslederbeutel, Hir'eeks Mojo, der Loa dem sie seit ihrer Geburt zugeordnet war. Hatte sie der Fledermausloa tatsächlich erhört und sandte ihr ein Zeichen? Gebannt lauschte sie dem alten Kalu'ak und seiner Geschichte.
Und die ganze Zeit über stiegen die schwer duftenden Rauchspiralen hoch zu den Drachenfischen.
Hoch zu den Drachenfischen, die alsbald anfingen in der Abendsonne rot aufzuglühen.
Und die ganze Zeit war es der Troll so, als ob sie die Geschichte tief in ihrem Inneren "sah". Es gab keine Stimme mehr, nur Bilder und das beständige Knattern von Papier im Wind.
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Teil 4

Kapitel 11


Mystiker Tomkins Erzählung
Die Geschichte von Ta'ak'to'as Suche nach Olopo'ka

Als eines Tages Ta'ak'to'a vom Fischen wiederkam, stellte er fest, dass Olopo'ka, sein Großvater, verschwunden war. Es hieß, dass er in der Frühe aufgebrochen war und niemanden sagte warum und wohin. Der Alte wird bestimmt bald wiederkommen dachte sich Ta'ak'to'a und verteilte wie jedesmal nach einem Jagdzug seinen Fang im Dorf.
Aber der Alte kam nicht wieder. Nicht an diesem Abend und auch nicht an einem der kommenden Abende. Das betrübte Ta'ak'to'a und so schnürte er selber sein Bündel und machte sich auf Olopo'ka zu finden.
Unter den sieben Dingen, die er beschloß mitzunehmen, befand sich die kleine Figur eines Geweihträgers, geschnitzt von seinem Großvater selbst. Lange lag diese in einer Schachtel aus Walbein und nun holte Ta'ak'to'a sie vorsichtig heraus und steckte sie zu den anderen Sachen in seinem Beutel, versprach er sich doch davon einen glücklichen Ausgang.

Doch auch wenn ihr Band tief und stark war dauerte die Suche länger und länger. Er reiste die weite Küste entlang, dorthin wo die Sonne am Tag des Gleichgewichts von Hell und Dunkel auf- und auch dorthin, wo sie dann unterging. Er reiste dorthin wo die Sonne nur zu sehen ist, wenn Oacha'noa die großen Fischschwärme allen Meeresjägern schickt, dorthin wo es immer kalt ist und das Große Weiss niemals verschwindet.
Und allen Tuskarr und allen anderen Wesen die ihm begegneten stellte er immer wieder die gleiche Frage. "War Olopo'ka hier?"

So verbrachte er viele Jahre weit entfernt seines Heimatdorfes und obwohl er Abend für Abend Issliruk darum bat, dass sein Mut nicht sinken möge, wurden die Augenblicke des Verzweifelns zu Minuten und Stunden und schließlich zu Tagen und Wochen.
Viele Abenteuer erlebte Ta'ak'to'a. Viele die ihr bereits gehört habt und viele die ein andernmal erzählt werden. Er gewann viele neue Freunde, doch verweilte er nirgendwo und schon bald sah man wieder seine Gestalt Pfade beschreiten, bekannte und unbekannte.
Also kam es, dass er schon fast selber nicht mehr wusste, warum er überhaupt unterwegs war und seine Frage "War Olopo'ka hier?" schien inzwischen leer und bedeutungslos geworden, abgenutzt wie ein alter Fischspeer, zu stumpf um seine Aufgabe zu erfüllen.

Schließlich, eines Abends, als Ta'ak'to'a wieder einmal nach einem langen Tag ohne Erfolg, weit weit von zu Hause entfernt, sich mühte ein Feuer zu entzünden, griff eine so große Einsamkeit nach ihm, dass es ganz kalt um sein Herz wurde.
Dunkel brütend starrte er für Stunden nur ins Feuer und vergaß sogar das Essen, so schlimm stand es um ihn. Und wieviel Holz er auch nachlegte, es drang keine Wärme in ihn hinein. Seufzend griff er in seinen Beutel, um seine Pfeife und das Kimjukk hervorzuholen. Doch als seine Hand wieder zum Vorschein kam, hielt diese die kleine geschnitzte Figur umklammert. Traurigkeit überflutete ihn, groß wie die Welle die damals ihr Dorf mit dem salzigen Wasser überflutete, als Oacha'noa tagelang in Zorn geraten war.
"Warum bist du fortgegangen Olopo'ka, warum nur?"

"Na endlich fragst du mich."
Ta'ak'to'a schaute auf die Figur und begriff nicht. Hätte er, dann wäre er vielleicht erschreckt, aber so saß er einfach nur da. Und starrte, unfähig etwas zu sagen. Die Stille währte so lange, dass er schon glaubte, seine Sinne hätten ihm vor Hunger und Müdigkeit einen Streich gespielt, da erklang die Stimme wieder. "Soll das deine erste Frage sein?" "Wa... wie..." Ta'ak'to'a fing an zu stottern. "Wa... warum sprichst du erst jetzt mit mir, nach all den vielen Jahren die ich ... die wir unterwegs sind?" "Du hast mich nie gefragt. Alle und jeden, aber niemals mich." Die Stimme war wie ein gebrülltes Flüstern, sanft, aber erbarmungslos. "Soll ich jetzt deine erste Frage beantworten, oder willst du erst deine dritte und letzte stellen?" "Moment mal, heißt das ... HALT! Warte einen Augenblick." Ta'ak'to'a strich sich mit der linken Hand über sein rundes Gesicht und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Er kam sich vor wie in einem Traum und seine Gedanken stolperten durcheinander, aufgescheucht wie ein Schwarm Sturmeisvögel. Was hatte er gefragt? Sein Kopf war im nu angefüllt mit aberdutzenden Fragen, die er hätte fragen wollen. Schließlich nickte er und sagte mit matter Stimme nur "Wo bist Du?".
Die Sterne kamen heraus, einer nach dem anderen und schienen kalt auf die kleine Feuerstelle mit dem einsamen Tuskarr davor.
Kein Wind bewegte heute Nacht die Flammen. Die Figur sprach.

"Worte reichen hier nicht. Weder um dir zu beschreiben wo ich weile, noch um zu erklären, warum ich ging. Um zweiteres zu verstehen, müsste ich mein ganzes Leben erzählen, Tag für Tag, Augenblick für Augenblick. Und selbst dann verständest du es kaum, denn es wäre immer noch Du, nur ein Zeuge.
Und was das Wo angeht, was würde es nutzen es Dir zu sagen und du den Weg nicht kennst."
"Aber, ich bin weit gereist, vielleicht kenne ich ja den Weg doch." "Du verstehst nicht. Ich sagte schon, Worte reichen hier nicht. Wirf mich ins Feuer und atme meinen Rauch. Mehr ist hier nicht möglich." "Dich ins Feuer werfen? Du bist alles was ich noch von dir habe." Aber die Stimme antwortete nicht mehr.

Ta'ak'to'a wartete und zauderte noch lange, immer wieder Olopo'ka um mehr Worte anflehend. Doch die Figur blieb stumm.
Irgendwann wusste Ta'ak'to'a nicht mehr weiter und unter Tränen warf er die kleine Schnitzerei seines Großvaters in das nur noch spärlich glimmende Feuer und beugte sich weit und tief in den aufsteigenden Rauch der schon bald von der Figur hochstieg. Und viel später, als die Sonne ihre ersten Strahlen auf die weite Landschaft warf und der Welt wieder ihre spärlichen Farben verlieh, sah man Ta'ak'to'a aufstehen, seine Habseligkeiten packen und Olopo'ka folgen.
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Teil 4

Kapitel 12

Boreanische Tundra


Die Bären kamen auf sie zu.
Unfähig auch nur einen Schritt zu machen, drehte sie ihren Kopf nach allen Richtungen.
Immer mehr Bären tauchten auf und bildeten einen Kreis um sie herum. Ihre Finger suchten ihr Messer, ihren Bogen hatte sie nicht dabei, seltsamerweise. Auch das Messer fehlte. Wo war Hübsche? "Was willst du hier?" Wer von den Bären sprach, war nicht auszumachen. Von allen Seiten drang beissender Bärenatem auf sie ein und sie vermochte kaum luftzuholen. Ihre Augen sprangen von Bär zu Bär. "Was willst du hier?" Diesmal lauter, mehr als nur eines dieser pelzigen Riesen sprach, da war sie sich sicher. Sie hielt die Luft an und sah nur noch aufgerissene Mäuler, egal wohin sie schaute. "WAS WILLST DU HIER ?" Der Lautstärke war ohrenbetäubend. Sie hielt sich die Ohren zu, holte tief Luft und schrie heraus: "WAR NUM'A HIER ?"
Sofort waren alle still.
Vor ihr gaben die Bären einen Durchgang frei. Sie sah in wenigen Trolllängen entfernt ein großes Feuer und dahinter die Silhouette einer Gestalt sitzen. Aufrecht. Das Feuer verdeckte fast die gesamte Figur, aber in ihr stieg eine Gewissheit auf. "Num'a" flüsterte sie kaum hörbar und tat einen Schritt auf das Feuer zu. Ihre Zuversicht wuchs und sie wagte noch einen. Erst zögerlich, dann aber mit immer festeren Schritten ging sie los. Aber wie sehr auch sie sich mühte, sie kam nicht näher an das Feuer heran. Immer schneller lief sie und schließlich rannte sie so schnell sie nur konnte. Das Herz schlug ihr bis zum Hals und es schien ihr, als ob ihr Brustkorb zerspränge. Doch das Feuer mit der Gestalt dahinter wollte nicht näher kommen. Sie strauchelte. Von allen Seiten streckten sich ihr Arme entgegen, unterschiedlich behaarte und mit Klauen bewehrt, aber auch nackte und muskelbepackte, mit seltsamen Zeichen bedeckt. Sie wurde gepackt, hochgehoben und zum Feuer getragen.
Mittlerweile loderte das Feuer breit und hoch und die Gestalt dahinter war nur noch als Schatten zu sehen. Freude wuchs in ihr, doch als die Arme sie ins Feuer warfen, riss sie erschrocken die Augen auf. "Nein" war alles was sie sagte. "Nein...."

Der Boden bebte leicht und ein Kriegshorn, allerdings mit zuviel Kraft und Luft geblasen und dadurch schrill, drang nur leicht gedämpft durch die dicken Lederschichten ihrer Unterkunft.
Zuerst dachte sie, sie würde noch schlafen und träumen.
Für einen Augenblick wusste sie nicht wo sie war. Doch als sie umhersah und die Konstruktion aus riesigen Knochen, die der Hütte Halt und Form gab, sah, fiel es ihr wieder ein. Der mittlerweile vertraute Geruch, eine Mischung aus Tran und Poallus Eintopf, machte sie ganz sicher. Unu'pe. Die Siedlung der Kalu'ak.

Schweißgebadet war sie, das Gesicht ihrer Hyäne dicht bei ihr, winselnd. Jetzt war sie hellwach. Ihre Gedanken rasten jedoch noch, wie ein kleines Boot im sturmumtosten Hafen dessen Leine gerissen war. Unfähig weder den einen noch den anderen Steg zu erreichen und damit Halt zu finden.
Bilder vom Vorabend tauchten auf. Wie ein Kalu'ak nach dem anderen den Platz, an dem der alte Tomkin seine Geschichte erzählte, verliess und sie erst als einer der Wachen sie vorsichtig an der Schulter brührte aufstand und zurück ins Gasthaus ging.
Sie musste unbedingt mit dem Mystiker über die Geschichte sprechen. Das alles kann kein Zufall gewesen sein. Und um ein Haar hatte sie den Abend verpasst. Etaruk. Hätte er sie nicht überredet zu bleiben ...
Wieder das Kriegshorn!

Ein Angriff! schoß es ihr durch den Kopf und sie sprang auf und griff zu den Waffen neben ihr. Und ohne sich weiter etwas anzuziehen stürzte sie hinaus.
Draussen weiteten sich ihre Augen.
Kein Kriegshorn. Eines dieser riesigen, befellten Tiere, die sie schon oft als Herden durch die Boreanische Tundra ziehen gesehen hatte, mit den riesigen Hauern und dem nicht aufzuhören scheinenden Rüssel stand da. Schwerbeladen und umringt von den Dorfbewohnern. Sie sah wie der Goblinhändler vom Zeppelin mit Hilfe einer Strickleiter gerade heruntergeklettert war und begrüßt wurde.
Er schien kein Unbekannter für die Kalu'ak zu sein. Gelächter war hier und da zu hören.

Sie fing an zu zittern.
Natürlich, ihre Kleidung lag noch in der Behausung hinter ihr. Zum Glück waren alle Augen auf den Händler gerichtet. Schnell verschwand sie wieder zu ihrem Lager, sich etwas anzuziehen. Frühstück und der Mystiker konnten warten. Ein Händler kam viel rum und war immer dafür gut um etwas zu erfahren. Ausserdem hatte das Mammut sie auf eine Idee gebracht.
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Teil 4

Kapitel 13

Boreanische Tundra


"Du meinst Zul'Drak." Der Goblinhändler verzog sein Gesicht. "Nur ein Irrer geht da hin. Zuviele verrückte Trolle da. Haben alle den Schuß nicht gehört." Er hob für einen kurzen Augenblick die Augen vom Stapel vor ihm und schaute sie abschätzig an. "Na, vielleichts passt's dann ja" sagte er achselzuckend und wandte sich wieder den Fellen, den Fässern mit Tran und anderen Waren zu, die er hier gegen verschiedenes eingetauscht hatte.
"Du bist hier sowieso am falschen Ende. Zul'Drak liegt auf der ganz anderen Seite."
Das wollte sie nicht mit ihm diskutieren, genausowenig warum sie hier war. Und schon gar nicht wie und warum sie so vorging. Sie gestand ja sich kaum selbst ein, dass sie keinen wirklichen Plan hatte.

"Und wie weit genau?" Sie beschloß nicht locker zu lassen.
Der Oberkörper des kleinen Kerls hob sich als er einatmete, ihr immer noch den Rücken zudrehend. Nach einem kleinen Augenblick ließ er mit einem Seufzen die Luft wieder heraus. "Also gut. Bringen wir es hinter uns." Er drehte sich wieder ihr zu und lehnte sich mit angestrengtem Gesicht zurück an die Fellstapel. "Du willst unbedingt dahin, ja? Hältst dich wohl für ziemlich zäh. Gut. Wie biste denn unterwegs? Etwa zu Fuß? Dann vergiss es gleich." Er griff in eine Tasche seiner Jacke und holte eine braunschwärzliche Stange heraus und biss davon ein Stück ab. Seine Augen fixierten sie unfreundlich. Innerlich zuckte sie zusammen. Seit sie den einen Talbuk an die Tundrawölfe verloren hatte, lag ihr Problem nämlich genau dort. "Weiss noch nich genau. Mein Packtier is von Wölfen gerissen worden. Bis ich nen Neues hab, ... zu Fuß."
Der Goblin spuckte aus und sagte nichts. Schaute sie nur weiter kauend an. Sie kam sich wie ein Trottel vor, langsam wurde sie sauer. Ihr Blick ging zu dem Mammut, auf dem viele Kisten und Bündel geschnürt waren und immer noch Platz zum Sitzen ließ.
"Was kostet'n das da?" fragte sie, während sie ihr Kinn einmal kurz in die Richtung hob.
Der Händler hielt im Kauen inne und starrte sie fassungslos an. Dann fing er an zu lachen. Ein fieses Lachen. Aber so hörte sich Goblinlachen meistens an. Und es dauerte eine Weile, bis es wieder vorbei war.
"Hör mal Süsse. Schmink dir das ab. Das ist unbezahlbar." Wieder spie er einen rötlich-braunen Klumpen aus. "Kauf dir woanders eins. Wenn du überhaupt soviel Gold hast." Sein Blick war voller Verachtung.
Ihr Blick wurde stolz. "Wieviel?" sagte sie nur. "Und wo?"
Böse grinsend und mit sichtlichem Genuß kam seine Antwort. "Zehn..." Er machte eine Pause. "...tausend, Herzchen. Zehntausend Goldstücke. Mindestens."
Bei den Loas! Soviel! Sie fluchte innerlich, versuchte sich aber nichts anmerken zu lassen und ungeduldig zu klingen. "Wo?" Für einen Augenblick verengten sich seine Augen zu Schlitzen. Konnte die Troll soviel Gold haben? Gier flackerte für einen kurzen Moment auf. "Mei Francis, in Dalaran. Sonst gibt's keinen hier auf diesem verfrorenen Kontinent."
Sie nickte ihm kurz zu, drehte sich um und ging Richtung ihrer Unterkunft. Ruhe zum Nachdenken brauchte sie jetzt.
Natürlich hatte sie nicht soviel Gold. In Orgrimmar hatte sich schon etwas angesammelt über die Jahre. Verkaufte sie, oder besser gesagt ihr Bruder, doch immer ihre Beute und Felle. Und sie lebte sparsam, aber das war eine ganz andere Summe.
In ihrem Kopf arbeitete es fieberhaft.

Als später am Abend einige Kalu'ak in kleiner Runde mit dem Goblin bei Poallu saßen, speisten und tranken, lauschten alle den Neuigkeiten, die der Händler zu berichten wusste. Sie hörte genau hin, war doch jedes Wissen mehr über diesen Kontinent kostbar. So bekam sie mit, dass der Goblin morgen zur Kriegshymnenfeste aufbrechen wollte. Genau in diesem Augenblick stand ihr Plan fest.
Sie beugte sich zu Hübsche herunter um sie zu kraulen. Leise flüsterte sie ihr ins Ohr. "Das wird dir gefallen, wetten?"
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Teil 4

Kapitel 14

Boreanische Tundra


Der Blick der Troll wanderten immer wieder zum Mammut neben ihr und wie dieser kleine grüne Kerl es lenkte. Es sah gar nicht schwer aus. Und je länger sie dieses Tier betrachtete, desto größer wurde ihr Wunsch, auch so eines zu besitzen.
Zugegeben, es war nicht die schnellste Art und Weise zu reisen.
Aber nicht nur das Gepäck wäre kein Problem mehr, auch die Sicht musste von da oben deutlich weiter reichen. Und sie konnte sich auch vorstellen, dass ein Rudel Wölfe um so ein Tier ein Bogen machen würde.
Sie wollte, nein, musste so ein Wollmammut haben.

"Ich brauch keine Eskorte." Der Goblinhändler hatte seine Flinte, eine dieser lauten und stinkenden Goblinerfindungen, fast so groß wie er, zärtlich getätschelt. "Und ich kann mir weitaus inspirierendere Begleitungen als ein Troll vorstellen. Fünfzig Silber oder du kannst deinen Kram selber tragen. Ich bin doch kein Priester oder sowas." Ihr Plan, ihm Begleitschutz im Gegenzug dafür anzubieten, dass sein Wollmammut ihr Gepäck bis zur Kriegshymnenfeste tragen würde, ging fehl.
Wenn sie nicht laufen wollen würde, musste sie ihn also bezahlen. Kühl warf sie ihm die Silbersstücke zu und reichte ihm dann die ihr Gepäck hoch.

Und auch wenn sie sich deutlich angenehmere Gesellschaft als die des kleinen und geldgierigen Kerls vorstellen konnte, überwogen doch die Annehmlichkeiten. Das Talbuk auf dem sie saß, achtete selber auf den Weg und so konnte sie sich ganz auf die herrliche Landschaft konzentrieren. Sie freute sich jetzt schon, bald wieder hier sein zu können und dann besser vorbereitet diesen Kontinent zu erkunden. Außerdem fühlte es sich gut an, einen konkreten Plan zu haben. Sie würde mit ihrem Bruder das Lager durchgehen und alles unnötige verkaufen. Dann noch ein zwei Monate intensives Jagen der richtigen Tiere, und sie würde mit deren Pelzen und Fellen das Gold schon irgendwie zusammenkriegen. Und wieder in Nordend würde sie erst einmal wieder Unu'pe aufsuchen.
Von dort unterhielten die Kalu'ak eine Fährverbindung nach Osten zu weiteren Siedlungen. Und damit dichter sowohl an Dalaran wie auch an Zul'Drak, der Heimat ihrer Ziehmutter, dran. So war der Plan, den sie in der letzten Nacht bei den Kalu'ak geschmiedet hatte.

Der Abschied in Unu'pe war kurz, aber herzlich.
Nicht nur Etaruk lud sie ein wiederzukommen. Und sie merkte, dass sie sich auch darauf freute, mehr Zeit mit diesen seltsamen, aber vortrefflichen Jägern zu verbringen. Und außerdem war da noch Tomkin, der Mystiker. Da waren Fragen die in ihr brannten. Fragen zur Geschichte die sie mitangehört hatte. Es gab also genug Gründe, bald wieder hierher zurückzukommen.

Dann blieben ihre Augen bei Hübsche hängen.
Noch etwas Gutes, dass ihre ungeplante frühe Rückkehr hatte.
Für die Temperaturen hier im Norden war die Hyäne nicht gemacht. Sie würde sie in Orgrimmar beim Stallmeister lassen und stattdessen ihre Wölfin Skadi mitnehmen. Ja, so würde sie es machen. Sie fing an leise zu summen und schon bald kamen, leise und rauh, Worte in Zandalari, eine alte Melodie aus ihrer Kindheit formend, aus ihr heraus.

Der Goblin trieb zur Eile. Es war offensichtlich, dass er ihr nicht traute und sowenig Nachtlager wie möglich mit ihr aufschlagen wollte. Im Stillen verfluchte er sich selbst. Wie konnte er nur so blöde gewesen sein, ihr den Wert des Wollmammuts zu verraten. Seitdem ließ er sein Gewehr entsichert und immer griffbereit.
Er selber hätte für Zehntausend Gold noch ganz andere Sachen gemacht. So machte er kaum ein Auge zu und stieg nicht mal mehr zum pinkeln herunter. Als endlich die Kriegshymnenfeste am Horizont erschien, machte sich Erleichterung in ihm breit.
Nachdem er der Troll ihr Gepäck runtergereicht hatte, brachte er dem hiesigen Stallmeister das Mammut und ging erstmal ein Nachtlager aufsuchen. Er schlief noch tief und fest, als der Zeppelin sich am nächsten Morgen in Bewegung setzte. Am Bord eine Troll, deren Blick sich im Nordosten des ihr kaum bekannten Land verlor. Irgendwo dort hoffte sie auf das Ende ihrer Suche. Und fürchtete sie zugleich.

ENDE Teil 4
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Teil 5

Kapitel 1

Schlingendorntal


Skeptisch blickte sie erst zu ihrem Bruder und dann zu dem Korb auf seinem Rücken. Sie machte das Zeichen für "Genug" und "Kraft" und hob dabei beide Augenbrauen hoch. Das Meer war großzügig heute und der Korb war schon nach kurzer Zeit zu zwei Dritteln mit Krebsen gefüllt. "Klar maan" ächzte Taih. "Taih kann noch viel mehr tragen." Alles an ihm strafte den deutlich jüngeren Troll lügen. Nun, dann soll er doch dachte sie sich. Es war nicht ihre Idee, ihn mitzunehmen. Ständig wollte er bei allem dabei sein, egal was sie tat. Auf der einen Seite nervte es sie, aber auf der anderen Seite fühlte sie sich auch insgeheim groß dadurch. Taih hatte im Gegensatz zu ihr nie wirklich warm mit Num'a werden können. Und so lief er eher zu seiner großen Schwester als zu der Fremden, die ihre Ziehmutter geworden ist. "Okay" sagte sie nur und stocherte weiter mit einem langen dünnen Stock in dem immer wieder von der Brandung überspültem Sand. Heute würden sie auch mal mit Jagdbeute nach Hause kommen und sie fühlte sich ein bisschen fast so wichtig wie die Jäger des Stammes.

"Jen?" "Hmmm?" "Wann wirste Schamane?" "Gar nich."
Ihre Stimme bekam ein leicht arroganten Klang. Taih schaute verwirrt. "Aber Zej'un ..." "... weiß nix" beendete sie seinen Satz. Er riss die Augen auf. "Ich werde Rhunok-Priesterin. Oder Jäger." "Aber Schamane ist doch geil." Er drehte sich in Richtung Meer und machte seltsame Handbewegungen. "Ey Wasser!" rief er. "Hör auf die Macht von Taih, des riesigen Schamanen. Erhebe Dich!" Jeng'a blieb ungerührt, genauso wie das Meer. "Groß meinste. Riesig macht doch gar nich kein Sinn" verbesserte Jeng'a ohne beim Stochern inne zu halten.
Doch ihr kleiner Bruder liess sich nicht beirren. Bei einer besonders kompliziert wirkenden Bewegungsabfolge kam er aus dem Gleichgewicht und der schwere Korb brachte ihn zu Fall. Ein ganzer Schwall Krebse wurden mit Schwung in den Sand befördert und sofort machten sich die ersten auf den Weg zurück ins rettende Meer. "Ogerdreck" fluchte Jeng'a und versuchte soviel wie möglich in den Korb zurück zu schaufeln. Was nicht einfach war, denn der veränderte ständig seine Position, während Taih versuchte sich aus den Ledergurten zu befreien. "Mistiger Talheulerdreck" heulte er, kam aber schließlich auf die Füße. Plötzlich wurden seine Augen riesengroß. "Jen ..." "Was denn, hilf mir lieber." Ein guter Teil war schon im Meer entkommen. "Jen, du blutest. Da ..." Er zeigte auf ihre Beine. Und tatsächlich, an ihren Beinen liefen dünne Bahnen Blut entlang. Sie warf schnell die Krebse die sie in den Händen hatte in den nun stehenden Korb und machte sich an ihrem Lendenschurz zu schaffen. Beide schauten neugierig. "Aus deiner Mummu!" rief Taih und lachte komisch. "Echt jetzt?" Jeng'a machte den Rücken so krumm wie es nur ging.
Ein Troll des Stammes, der am Strand entlang geschlendert kam, auf der Suche nach Treibgut, sah die beiden und als er begriff was da vor sich ging, packte er den sich wehrenden Taih und zog ihn von ihr weg. "Bleib da. Dass de dich nich wech machst!" befahl er ihr und verschwand mit ihrem Bruder.
Irritiert blickte sie den beiden hinterher. Dann wandte sie sich wieder dem Blut zu, machte ein paar Schritte ins Meer und fing an es abzuwaschen.

Nach einer ganzen Weile, sie überlegte schon, den Korb zu nehmen und zurück ins Dorf zu gehen, kam eine der Trollfrauen und schaute sie ernst an. "Komm" sagte sie und führte sie zu einer Hütte, etwas abseits des Dorfes. Es war die Hütte in der ab und an die Trollfrauen für ein paar Tage verschwanden. Sie hatte schon oft gefragt, was es damit auf sich hätte, aber alle sagten nur, die Hütte wäre Tabu und sie sollte sich fernhalten.
Doch jetzt würde sich das Geheimnis lüften und das ließ Jeng'a vor Neugier fast das Blut vergessen.

Als sie schließlich den Ledervorhang zurückschlug und die Hütte betrat, machte sie große Augen. Die Lederbahnen der Hülle waren so dünn gegerbt, dass die Mittagssonne sie aufleuchten liess. Die Innenseite war an vielen Stellen mit seltsamen Zeichen aus wenigen Strichen bedeckt. Einige kaum noch sichtbar, die meisten gut zu sehen und ein paar hoben sich in einem dunklen Braunton kräftig ab.
"Heya Jeng'a." Die Troll fuhr herum. Num'a!
In einer Ecke saß ihre Ziehmutter, nackt und von Kopf bis Fuß bemalt. "Heya Jeng'a. Willkommen in unserem Kreis." Mit einer Armbewegung wies sie auf all die verschiedenen Zeichen auf der Lederhaut. "Such dir deinen Platz."
Jeng'a sah sich um und zeigte auf einen freien Platz zwischen zwei stark ausgeblichenen Symbolen. Num'a schaute sie an und lächelte. "Gute Wahl. Das da gehört deiner Mutter." Sie wies auf das linke der beiden Zeichen.

Etwas später, stand Jeng'a da und malte mit wenigen Strichen ihr eigenes Zeichen in den freien Platz. Ihr eigenes Zeichen, mit ihrem eigenen Blut. Noch viele Male sollte sie das tun. Doch nicht so lange wie alle im Dorf dachten. Sie eingeschlossen.
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Teil 5

Kapitel 2

Schlingendorntal


Jeng'a konnte nicht mehr genau sagen, wieviel Tage es waren, die sie in dieser Hütte mit ihrer Ziehmutter weilte. Essen und Trinken bekamen sie gebracht. Und die Hütte verliessen sie nur zum Verrichten ihrer Notdurft. Mittlerweile war auch Jeng'a vollkommen nackt. Und auch wenn Trolle nie Probleme damit hatten sich nackt zu zeigen, war dieses ununterbrochene und enge Zusammensein auf diese Art eine ganz andere Sache. Aber bereits am dritten Tag kam Jeng'a nichts natürlicher vor.
Am Tag erzählte Num'a ihr Geschichten und wies sie ein in die verschiedenen Regeln, Pflichten und jeder Menge Tabus, die sie als nun bald erwachsene Troll zu beachten hatte. Machte sie mit ihrem sich verändernden Körper vertraut und lehrte sie Übungen, die allein den Trollfrauen vorbehalten waren.
Besonderes Augenmerk legte sie auf eine Auswahl von Kräutern. Kräuter um Schmerzen im Unterbauch zu lindern, um die Fruchtbarkeit zu steigern und, hierfür nahm sie der jungen Troll das Versprechen ab mit niemanden darüber zu sprechen, Kräuter die es verhinderten. Die Nächte waren dem Gesang und Tanz gewidmet. Für ein paar Tage kam eine andere Troll dazu, ihr Zeichen erneuernd und es herrschte ein Miteinander, das Jeng'a so noch nie im alltäglichen Stammesleben erlebt hatte.

Und endlich, als der Mond voll und rund aufging, setzten Trommeln in der Nähe ein. Beide lauschten und Num'a griff zu einer Kalebasse und goß den Inhalt in eine Schale.
"Es is soweit. Doch du bis es noch nicht. Etwas fehlt noch." Sie reichte dem Trollmädchen die Schale mit beiden Händen herüber. "Trink." "Was is das?" Jeng'a roch an der Flüssigkeit und verzog das Gesicht. "Nen Trank aus verschiedenen Pflanzen des Dschungels. Er wird dich bereit machen für das was heute Nacht geschehen wird." "Er riecht scheußlich." "Und er schmeckt schlimmer. Du wirst dich direkt danach nich gut nich fühlen, aber das geht schnell vorbei. Trink." Jeng'a atmete tief ein. Alles in ihr sträubte sich dagegen, ihr Magen revoltierte schon von dem Geruch. Sie war versucht die Schale auszukippen und zu gehen. Plötzlich bekam sie Angst. Aber vor Num'a wollte sie nicht einknicken. Sie beschloß es hinter sich zu bringen und setzte die Lippen an.

Ihr Versuch, die Schale in einem einzigen Zug zu leeren, mißlang. Unter Würgen musste sie noch zweimal neu ansetzen. Sie fühlte sich elend. Ihr Magen rumorte und schon nach ein paar Minuten stürzte sie hinaus und übergab sich. Draussen waren die Trommeln lauter, aber die sich nur langsam beruhigende Krämpfe waren alles was sie wahrnahm. Nach einer gefühlten Ewigkeit spürte sie Num'as Hände ihr aufhelfend. "Komm. Du musst dich bewegen. Steh auf." Zuerst gaben ihre Beine nach, aber schließlich stand sie mit getrocknetem Schweiß bedeckt und zitternd in der Nachtluft. Num'a legte ihr einen Umhang aus Palmenblättern um und trat vor ihr, ihrer Ziehtochter und Gezeitenschülerin genau in die Augen sehend. Jeng'as Pupillen waren abnorm weit geöffnet, ihr Blick ging in irgendwelche Fernen. Sie war bereit.

Weit mussten sie nicht gehen. Num'a griff sich Jeng'as Ellenbogen und führte sie. Die Bewegung und die kühlere Luft taten ihr übriges und die junge Troll wurde wieder kräftiger und bald schritt sie ohne Hilfe einher. Vor ihnen tauchte ein Felsen auf. Hinter ihm war das Leuchten eines Feuers zu sehen. Neben den Trommeln war jetzt auch Gesang aus vielen Stimmen zu hören. Und auch mindestens zwei Kalumbus versuchten sich zwischen den Trommelschlägen zu behaupten. Numa konnte auch das tiefe Brummen von Tjuringas ausmachen, den Geisterrufern.

Ob und auf welche Art und Weise Jeng'a das alles mitbekam, war schwer zu sagen. Sie wirkte zwar hellwach, aber der Trank war unwiderlegbar am Wirken. Kurz vor dem Felsen traten zwei Schatten vor ihnen, beide bewaffnet. Wachen. Die hintere davon war Jima. "Willkommen Schwester" sagte die eine und drückte ihre Lippen auf Jeng'as Stirn. Plötzlich gruben sich Fangzähne in ihren Nacken. Jeng'a erstarrte. Die Zähne verschwanden und ihr lief ein Schauer über den Rücken. Hinter ihr ließ Jima ein tiefes und leises Lachen hören. "Pass auf Schwester. Lass dich nicht von den Falschen fressen." Die junge Troll sah mit seltsamen Blick zu der hochgewachsenen Jägerin auf. Jima lachte wieder. Die andere Wache nickte Num'a zu und sie liessen sie vorbei.

Kaum dass sie um den Felsen traten, fiel Feuerschein auf die beiden Gestalten. Sie blieben stehen. Die Trommeln wurden lauter und Num'a nahm Jeng'a den Umhang ab. Das Licht der Flammen flackerte über Jeng'as nackter Haut. Der Gesang stieg kurz zu einem schrillen Tremolo auf und alle Augen richteten sich auf die Initiandin. Doch Jeng'a stand nur da, scheinbar unfähig sich zu bewegen. Num'a legte ihr eine Hand auf die rechte Schulter, doch brauchte sie keinen Druck auszuüben. Jeng'a setzte von sich aus den Schritt in den Kreis der Trollfrauen. Das Trommeln wurde ohrenbetäubend.
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Teil 5

Kapitel 3

Schlingendorntal


Nicht Num'as Hand war es, die sie in den Kreis der Trollfrauen treten liess, allerdings auch nichts was man mit einem Entschluß dazu beschreiben konnte. Etwas in ihr, jenseits des Verstandes, zog sie förmlich dorthin. Es war, als ob es ein Band zwischem ihrem Unterbauch und den Trommeln gab, Jeng'a beschrieb es später wie eine Art Strick der mit jedem Schlag etwas kürzer wurde.
Zu beiden Seiten des Feuers saßen die Trommlerinnen, die schweißüberzogen gerade wieder das Tempo erhöht hatten. Von diesen aus reihten sich ungeordnet die weiblichen Trolle des Stammes. Alles was sie trugen, von ihrem persönlichem Schmuck abgesehen, waren großflächige Bemalungen.

Jeng'a stand da und starrte ins Feuer, als eine alte Troll mit einer großen, bemalten Holzmaske vor dem Gesicht auf sie zutrat. In der rechten Hand hielt diese einen, aus einem einzigen großen Stück Obsidian geschlagenen, scharf aussehenden Dolch. Der Gesang erstarb und neben den jetzt dumpfer geschlagenen Trommeln, war nur noch das tiefe Schwirren der Geisterrufer zu hören. Die Alte kam näher und blickte mit scharfem und erbarmungslosem Blick durch die Öffnungen der Maske in die Augen der jungen Troll. Ohne den Blickkontakt zu verlieren hob sie das Obsidianmesser und fügte ihr einen Schnitt, in einem Bogen von Nasenrücken bis zum rechten Kiefer zu. Die Spur der Klinge brannte wie Feuer und Jeng'a musste schlucken. Ihre Sinne waren durch den Trank aufs äusserste geschärft, und die Haut machte da keine Ausnahme. Doch sie wollte sich keine Blöße geben. Unzählige Generationen von jungen Trollmädchen hatten sich schon dieser Zeremonie unterzogen um eine Frau zu werden. Sie würde nicht zu denen gehören, die ins Wanken gerieten.

Jetzt brannte auch die linke Wanke. Sie spürte wie auch hier ein dünnes Rinnsal von Blut ihr den Hals entlang lief. Während sie schnitt, war das Gesicht der Alten ganz dicht an das ihrige gekommen, sie konnte den unangenehmen Atem spüren und war sich bewusst, dass diese in ihren Augen Anzeichen von Schwäche suchte. Aber vielleicht suchte sie auch was anderes. Sie atmete tief ein und wieder aus und versuchte keine Verbindung zu dem Schmerz aufzubauen. Danach kamen ihre Arme, dann ihr Oberkörper und schließlich die Beine dran. Doch damit war es nicht getan. Die Alte schritt jetzt um sie herum und nahm sich den Rücken vor.

Mittlerweile brannte ihr ganzer Körper und das Blut rann ihr in vielen dünnen Linien die Haut herab. Jeng'a hatte inzwischen den Blick zum Himmel erhoben und versuchte den Schmerz auszuatmen. Endlich trat die alte Troll zurück und hielt den Dolch dem Mond entgegen. "JENG'A!" krächzte sie mit dünner, aber kräftiger Stimme und alle antworteten, den Ruf wiederholend. Die Trommeln wurden wieder lauter und nahmen den Rythmus auf.

Drei Gestalten lösten sich aus dem Ring und kamen näher. Jede von ihnen hielt eine Schale in den Händen, jede mit einer anderen Substanz gefüllt. Als sie bei Jeng'a angekommen waren, stellten sie die Schalen auf den Boden, tauchten ihre Hände hinein und fingen zusammen an, den jungen Körper der Troll einzureiben. Als sie fertig waren, bedeckte eine Schicht aus ihrem Blut, weissgesprenkelter Asche, Tonerde und einer Salbe sie von Kopf bis Fuß. Selbst ihre Haare liessen sie nicht aus, so dass die verfilzten Zöpfe steif geworden waren und sich in einem weiten Bogen nach unten neigten. Die Kühle die jetzt auf ihrer Haut enstand, war herrlich. Nach dem Gefühl in Flammen zu stehen, kehrten Kraft und Lebensgeister wieder zurück. Ohne es zu wollen, fingen ihre Füße an abwechselnd im Takt der Trommeln auf den Boden zu stampfen. Der Gesang setzte wieder ein und jetzt brüllte Jeng'a laut ihren eigenen Namen in den Himmel hinein. Dann gab es kein Halten mehr.
Nach und nach fingen alle, denen es möglich war, an zu tanzen.
Die Trommeln schraubten sich in immer atemlosere Rythmen und Ekstase erfasste die Frauen des Stammes.

Jeng'a erinnerte sich an nichts mehr, was während des Restes der Nacht geschah. Als sie erwachte, brannten ihre Schnitte immer noch, aber jetzt erfüllten sie die Schmerzen mit Stolz. Sie hatte bestanden. Sie war zu einer erwachsenen Troll geworden.
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