[Kurzgeschichten][Gilneas] Die Tränen meiner Heimat

Gelt und andere Gefahren TEIL III
Erneut wird eine Flaschenpost irgendwo im hintersten Winkel der Welt angespült.

Ich füllte Schießpulver mit zittriger Hand in den Lauf meines Gewehrs und Gregor Gelt kauerte neben mir hinter einigen verwitterten Kisten, bereit seine wuchtige Streitaxt in den nächstbesten untoten Schädel zu vergraben, der nach dem Rechten schauen wollte. Eine Patrouille zog fackeltragend an uns vorbei, ihre donnernden Schritte und wabernden Schatten trieben mir Nadelstiche ins Herz. Wir befanden uns irgendwo in den verwinkelten Gassen des Militärviertels Gilneas‘ und ich war mir sicher, dass unsere letzte Stunde in dieser kalten Nacht geschlagen hatte.

Die Untoten stießen gilnearische Widerstandskämpfer und Soldaten der siebten Legion in Ketten vor sich her, welche durch ihren aufreibenden Kampf in Blut und Dreck gebadet waren. Es war ein elender Anblick. Angesichts der Hilflosigkeit unserer Kameraden konnte ich nur die Zähne aufeinanderbeißen und versuchen Herr über meine Wut zu werden, das Tier in mir unterdrücken. Gelt war dieses Schicksal erspart geblieben, aber auch er musste sich beherrschen. Seine Lippen bewegten sich fast unmerklich, aber ich bekam den Eindruck, er würde eine Zahlenfolge abzählen. Ich hingegen führte eine Kugel in mein Gewehr und schob sie mit dem Stopfer bis ganz nach hinten durch. „Nur zur Sicherheit“, flüsterte ich in seine Richtung. „Pass auf, dass die Kugel nicht hinausfällt, Abberworth.“, entgegnete er. Ich nickte und streckte meinen Kopf zwischen den Kisten hervor, um den davonmarschierenden Soldaten einen argwöhnischen Blick hinterher zu werfen. „Es ist wieder sicher, wir können.“, sagte ich und wollte los eilen, aber Gelt zog mich zurück. Ich fiel schmerzlich auf meinen Hintern zurück und blickte ihn verwirrt an. „Sie nehmen sonst keine Gefangenen, Abberworth. Sie verladen sie vermutlich auf Karren nach Glutstein, tief im Norden, wo sie in den Minen bis zum Tode schuften müssen. Kohle, Eisen und Rekruten für ihre Armee. Diese Gefangenen sind die Ablenkung, die wir brauchen. “, offenbarte mir der Hüne seinen Plan mit der Gerissenheit eines Strategen.

Das vorausgestürmte Trio versteckte sich in den ausgebrannten Ruinen einer Wachstube, die wir zuvor ausgekundschaftet hatten. Ahndors Gewehr richtete sich zunächst bedrohlich auf Gelt und mich, aber senkte sich schnell wieder. „Was hat das so lange gedauert?“, fuhr Nethalia uns an. „Gelt hat eine Idee.“, entging ich ihrem Furor mit der folgenschweren Erwähnung seines Plans. Nethalias Augenbrauen zuckten für einen Moment irritiert, aber sie zeigte darauffolgend eine auffordernde Geste. Gelt nickte bedacht, ehe er ansetzte seine Idee mit ruhiger Stimme an die Gruppe heranzutragen: „Vielleicht schaffen wir es, die Stadt unbemerkt zu verlassen. Vielleicht auch nicht. Gendric und ich haben gerade beobachten dürfen, wie diese untoten Gestalten den örtlichen Widerstand in Ketten abführten. Ich kann mir denken, dass der alte Kasernenplatz höchstwahrscheinlich ihr Ziel ist. Wir sollten sie befreien, einen Aufstand anzetteln und das Chaos nutzen, um zu fliehen.“ Ein solider Plan, der zustimmendes Nicken erntete. Ein Nicken, das uns in Richtung der alten gilnearischen Kaserne der Hauptstadt trieb. Je näher wir ihr kamen, desto mehr Leichen begegneten uns auf der Straße. Sie konnten noch nicht lang tot gewesen sein, aber eine genauere Einschätzung war mir unmöglich, da der Regen ihre Körper hatte aufquellen lassen, wie blutiges Brot. Mit den Leichen kamen außerdem die Patrouillen, die sich ihrer annehmen wollten. Wir bewegten uns durch Gassen, Hinterhöfe und Stuben, um den Verlassenen auszuweichen, aber manchmal kamen sie uns so nahe, dass wir gerade nur noch Zeit hatten, die Türe zu schließen und an das Licht zu beten, sie mögen uns nicht gehört haben. Womöglich erhörte uns das Licht in dieser finsteren Nacht sogar. Wir warteten gerade eine weitere Wacheinheit in einem verstaubten Haus ab, da winkte uns Gelt näher zu sich. Er streifte seinen schwarzen Lederrucksack von den Schultern, kramte darin für einige Augenblicke, ehe er einen hölzernen Stiel mit aufgesetztem Kopf aus Blech herauszog. Gütlich betrachtete Gelt das Ding mit einer gewissen ehrfürchtigen Vorsicht, bis er uns erklärte, dass dies eine Granate sei. „Wir können sie einsetzen, um Verwirrung zu stiften und den ein oder anderen von den Bastar-… “, versuchte uns Gelt zu erklären, aber Nethalia unterbrach ihn hastig. „Das erzählst du uns erst jetzt?“ Für wahr, von einer solchen Sprengladung zu wissen, wäre von Vorteil gewesen, nicht nur angesichts des jetzigen Plans, aber das ganze Schauspiel erinnerte mich daran, wie mysteriös Gelt für uns geblieben war. Gregor Gelt, der Mann, der einsam und verlassen vor meiner Taverne auftauchte und uns um Hilfe bat. Er erklärte uns: „Wir haben nichts verloren, Freunde. Und nun wissen wir, was zu tun ist. Wollt ihr, dass wir lieber wieder umkehren, weil ich nicht von allen meinen Hilfsmitteln erzählt habe?“ Er hatte einen Punkt, aber Ahndors verächtliches Schnauben zeigte mir, dass dies kein Vertrauensbeweis für ihn war. Nethalia reagierte ähnlich, nur Aedan zeigte sich vollkommen ruhig und starrte, raumseitig im Schatten verborgen, aus dem Fenster. „Es ist frei. Helfen wir jetzt unseren Kameraden oder nicht?“, fragte er mit zweifelhafter Erwartung in der Stimme und spülte das Misstrauen für den Moment hinfort.

Die Schreie und das Wimmern der Gefangenen waren bereits seit einigen Straßenblocks zu hören. Immer mal wieder brandete Todesheulen auf, wie Wellengang, der immer wieder gegen kalten Stein schlug. Nethalia hatte sich bereits in Worgenform abgesetzt, während der Rest von uns sich durch die Gassen schlich. Mit etwas Glück würde sie erfahren, wie es um die Aufstellung der Untoten am Kasernenplatz bestellt war. Wie Geister schlichen wir voran in dieser dunklen Herbstnacht, die nicht nur an unseren Körpern zehrte, sondern auch an unserem Verstand. Ahndor huschte von Deckung zu Deckung, von Hauswand zu Hauswand, um uns jedes Mal heranzuwinken, wenn die Luft rein war. Er hatte dabei mittlerweile sein rustikales Gewehr an der Lederschlaufe um seine Schulter gebunden und vertraute nunmehr auf seinen alten Offiziersrapier, der trotz seiner Jahre immer noch rasierklingenscharf wirkte. Eine Steinschlosspistole begleitete ihn dabei mit jedem Schritt. Aedan bildete die Nachhut, aber, wenn wir mal ehrlich sind, gaben wir ihm diese Position, weil er dort am wenigsten Schaden anrichten konnte. Er war unbedarft und mit der beschränkten Intelligenz eines Tagelöhners gestraft, aber Aedan konnte immerhin ausreichend geschickt mit einem Schwert umgehen und ein metallener Buckler sollte ihn zumindest eine Weile am Leben halten. Gelt und ich wiederum schlichen unserem Vordermann nach, allerdings galten meine Gedanken weniger unserer Mission als meinem Nebenmann selbst. Woher hat Gelt einen Sprengsatz, fragte ich mich. Wieso musste er nach Kielwasser und was würde uns dort erwarten? Zuerst verschwommen in der Dunkelheit, aber dann klarer werdend tauchte Ahndor vor uns auf. „Patrouille etwa 100 Meter entfernt, die kommen auf uns zu.“, stammelte er hauchend, der Atem stockte ihm in der Kehle. Wir rannten zurück, gehetzt wie Ratten in einem Labyrinth. Ich schmeckte Blut auf meiner Zunge, ich musste mir in die Wange gebissen haben in der Aufregung, aber wir hatten jetzt keine Zeit für derlei Kleinlichkeiten. Wir eilten zurück zu Aedan, sammelten ihn ein und suchten sichere Deckung hinter einer Trockenmauer aus Schiefer, die in einen Hinterhof einer Schmiede führte. Ich spürte es zunächst auf meinem Nacken, ein Regenschauer war erneut dabei aufzuziehen. Die Untoten waren in dieser Nacht ruhelos und ich fragte mich, ob die fehlenden Dachschützen der Grund dafür gewesen sein mögen. Womöglich konnte ihr Tod ein Fehler unsererseits gewesen sein, aber wir waren einfache Leute, die zu extremen Taten gezwungen waren. Wir befanden uns zwar in unserer Heimat, aber wir bewegten uns in unbekanntem Terrain. Die Untoten trieben uns wie Vieh durch unsere eigene Stadt, aber wir hatten immerhin noch ein Ass in der Hinterhand.

Keine Patrouille erwischte uns in dieser regengeschwängerten Nacht. Mittlerweile fielen wieder Bindfäden vom Himmel hinab, was uns durchnässt und frierend zurücklies. Nethalia wartete bereits auf einem Dach unweit der Kaserne auf uns und schwang sich elegant an einer gelockerten Regenrinne in einer halbrunden Bewegung vor uns auf ihre Pfoten. Das Quietschen der Regenrinne heulte dabei unangenehm in meinen Ohren. Sie hatte bereits den Platz ausgekundschaftet und war in der Lage, uns ins Bild zu setzen. Scheinbar wurde der Kasernenplatz tatsächlich zweckentfremdet, um den menschlichen Widerstand zusammenzutreiben. Die Kaserne selbst war ein annähernd viereckig aufgebautes Steinziegelgebäude, das zur Hälfte aus einem gepflasterten Vorhof bestand. Über Fenster und Schießscharten mutete es an, wie eine leicht zu verteidigende Festung, aber nichtsdestotrotz war sie an die Untoten gefallen. An den Ecken ragten Türme, welche über Zugänge am Boden betreten werden konnten, knapp über die dunklen Ziegeldächer der Stadt. Auf dem flachen Dach konnte man zwar Schützen vermuten, aber Nethalia erzählte entgegen dieser Erwartung, dass es dort oben wie leergefegt wirkte. Tatsächlich hatten die Untoten, ihres Sieges sicher, sich in den Innenhof zurückgezogen, um die Gefangenen in Schach zu halten. Schließlich hatten sie keine Käfige und nicht genug Ketten für die zahlreichen Gefangenen, die sie während ihrer Eroberung machten. Sie hatten die Ketten in erster Linie für Gilneer reserviert, die ihnen aufgrund der Worgenform gefährlich werden konnten, allerdings konnten sie diese nicht wiederbeleben, sodass ohnehin nur recht wenige von ihnen überlebten. Wir vermuteten, dass ein Großteil der Gefangenen aus Legionären der Siebten bestand, weil auch andere Völker der Allianz sich dort ihrer Freiheit beraubt sahen und sich, wie Tiere, beugen mussten. Wir mussten nur einen Weg finden, die Wachen abzulenken und ihrer Beute die Chance geben, sich ihrer misslichen Lage zu befreien, aber wie konnten fünf einfache Zivilisten dies nur bewerkstelligen?

Die drei Worgen unter uns zogen sich gerade die steinerne Mauer der Kaserne empor, da dämmerte mir langsam der Grund, weshalb die Untoten ihre Wachposten hier so spärlich besetzt hatten. Die Patrouillen, die uns begegneten, suchten die Stadt nicht ab, sondern verließen sie. Sie hatten ihr Ziel erreicht, die Stadt war gebrochen. Allerdings würden die Überlebenden sich mit den verbleibenden Truppen im Land formieren und womöglich einen Gegenangriff planen. Vermutlich wollten sie diese Kräfte so schnell wie möglich ausräuchern. So wenig Informationen, so viel Ungewissheit. Geschafft. Wir erreichten das Dach, erneut erfasste uns eine frische Brise und Regen schlug uns ins Gesicht. „Das Dach ist tatsächlich frei. Selbstsichere Amateure.“, blaffte Ahndor und er hatte Recht. Die Verlassenen machten sich tatsächlich nicht die Mühe, ihren Rücken zu schützen. Nicht einmal die Türme hatten sie besetzt, aber in dem nächtlichen Regen war die Sicht ohnehin sehr beschränkt. Allerdings hatten sie immer noch die taktische Überlegenheit, ihre Überzahl und ihre Waffen. „Zur Waffenkammer.“, führte Ahndor aus. Ich fragte, wie wir diesen Kampf gewinnen wollten, aber Ahndor bläute mir den Stand der Tatsachen zurück in den Schädel. „Abberworth, wir nutzen diese Leute als Ablenkung. Hör auf dir Gedanken zu machen.“ Nethalia zuckte ebenfalls nur mit den Schultern und ich musste unzufrieden schnaufen. Er hatte Recht, aber tapfere Männer und Frauen für unsere Zwecke zu opfern bereitete mir üble Bauchschmerzen. Nichtsdestotrotz war die Kampfstärke der Verlassenen, trotz ihres Abzuges, immer noch beachtlich. Wohl drei dutzend Fußsoldaten, zwei Monstrositäten und einige Skelettzauberer wachten über den Innenhof, aber die Zahl der Gefangenen war mindestens doppelt so groß. Wenn sie koordiniert vorgingen, dann hatten sie ohne Zweifel eine Chance, aber zunächst folgten wir Ahndors Plan. Vorsichtigen Schrittes gingen wir die Treppe des nordwestlichen Turms hinunter, bedacht darauf keinen Wachposten zu alarmieren. Da Ahndor sich hier aufgrund seiner vergangenen Soldatenlaufbahn hier bestens auskannte, ließen wir ihn uns das Korridorgewirr führen, ehe er uns zu einer Tür lotste, die sperrangelweit offenstand. Aus dem Raum drang eisernes Waffengeklirre, das nur durch dumpfes Gepolter auf dem Lattenholzboden unterbrochen wurde. Ahndor schlich vorsichtigen Schrittes voraus und presste sich hauchdünn an die Wand, die zur Tür führte. Er warf einen flüchtigen Blick in die Waffenkammer hinein und deutete uns mit Handzeichen, dass drei Untote sie gerade plünderten. Dreckige Gossensprache, eine perverse Verkehrung unserer eigenen Sprache, drang unregelmäßig aus dem Raum, aber wir machten uns bereit ihn zu stürmen. Wir mussten schnell sein, sonst würden sie Alarm schlagen. Mit der bestialischen Agilität eines Worgen stürmten wir hinein. Ich wählte eine in Kettenrüstung gekleideten Leichengestalt, preschte auf den zur Beute gewordenen Täter hin und wandelte sein verhaspeltes Plärren in röchelnde Schreie. Mein Herz schlug wie ein wildes Trommelstück, aber wir erledigten sie fast gleichzeitig.

Die Waffenkammer war spärlich bestückt und kaum tauglich, um eine Revolte anzuzetteln, aber ich erinnerte mich an Ahndors Worte. Wir brauchten eine Ablenkung, nicht einen unbedingten Sieg. Wir fanden einige schartige Schwerter, Armeemesser und abgewetzte Streitkolben, die man aber zweifellos noch in die Schlacht führen konnte. Schwer beladen und unter den Waffen ächzend schleppten wir uns wieder in Richtung Dach. Schreie, die sich mit dem prasselnden Regen vermischten, gellten über den Innenhof. Die Untoten machten sich marschbereit, aber zu ihren Ungunsten wussten sie nicht, dass wir einen Plan hatten. Denn gerade als Ahndor einen lauten Pfiff von sich gab ertönten unterhalb der Festung Schüsse. Erst zwei, dann folgten weitere und darauf Stille. Vom Dach aus warfen wir vorsichtige Blicke hinab in den Hof. Die Untoten reagierten mit Mobilmachung, erneut drangen Marschbefehle

vom Platz aus durch Gilneas. Etwa die Hälfte der untoten Garnisonsbesatzung schwärmte in Kohorten aus, während minutenweise weitere Doppelschüsse in der Ferne knallten. Die Gefangenen wurden dicht an die Innenmauern zurückgedrängt, die verbliebenen Untoten fürchteten scheinbar eine Eskalation und wie Recht sie doch hatten.

„Das ist unsere Chance.“, rief ich und warf unseren neuen Verbündeten die gesammelten Waffen hinunter. „Bewaffnet Euch, Brüder und Schwester Gilneas‘. Stürmt noch einmal, stürmt!“, brüllte ich ihnen entgegen, durch meine Liebe zu meiner Heimat beflügelt. Ein höllischer Knall folgte meinen Worten, der im Innenhof aufblitzte und die Luft mit tödlichem Schrapnell füllte. Einige Untote wurden von den Füßen gerissen, andere verloren ihre modrigen Körperteile. Aufgewirbelter Staub erhob sich, wurde aber durch den Regen schnell wieder hinfort gewaschen. Ahndor hatte sich die Granate mitgeben lassen, damit wir sie vom Dach taktisch einsetzen konnten. Ich erinnere mich an seinen genießerischen Gesichtsausdruck, als die Untoten zerfetzt wurden. Man sah Ahndor nie mit großen Emotionen hantieren, aber der endgültige Tod dieser Leichengestalten versetzte den ehemaligen Soldaten in ungezügelte Ekstase. Mit breitem Lächeln in der Schnauze feuerte er seine Pistole flüchtig in die Menge gerichtet und ich bin sicher, dass er mit dem Gedanken spielte, dem Kampf unten beizuwohnen. Aber während die jauchzenden Gefangenen sich ihrer Ketten entledigten und ihren Peinigern sowohl mit neuem Mut als auch alten Waffen entgegentraten, konnten wir nicht verweilen. Noch während Todesschreie und das Klirren kalten Stahls begannen unter uns zu tosen, verschwanden wir geschickt mit einem Satz über ein Dach, das gerade nah genug an der Kaserne war.

Wir schwangen uns mit Geschick in jenen Hinterhof, wo die Gruppe zuvor den Sammelpunkt festgelegt hatte, aber zerknirscht mussten wir feststellen, dass eine Fünfergruppe untoter Fußsoldaten Gregor Gelt und Aedan in Schach hielten. Einer der Verlassenen wagte sich gerade vor, um Gelt einen Schlag in die Flanke zu verpassen, da hievte der Mann seine massige Streitaxt hervor, um nicht nur das Schwert des Untoten davonsegeln zu lassen, sondern auch direkt seine ganze Hand. Er hatte ihn nicht einmal getroffen, sondern lediglich das Schwert pariert. Eine Ochsenstärke, die seinesgleichen suchte. Angestachelt durch den Verlust ihres Kameraden tänzelten nun auch die anderen Soldaten an ihn heran, aber Aedan fing ihre Schwerthiebe mit seinem Schild ab. Gelt schlug gerade den Handlosen beiseite, da warf sich Nethalia, wild um sich beißend, auf einen der Untoten in der hinteren Reihe. Sie verteilte nicht nur Hirnmasse auf dem Platz, sondern auch übelriechende Einbalsamierungsflüssigkeit, aber in der Hitze des Gefechts fällt einem das nicht auf. Das Blut eines Kriegers kocht während eines Kampfes und man kümmert sich nur um sein nächstes Ziel, blind für jegliche andere Empfindung. Aedan geriet zunächst in Bedrängnis und ich war sicher, dass sein Buckler den Geist aufgeben würde, aber Ahndor rettete ihn mit einem beherzten Sprung auf seine Kontrahenten. Beide rang er sie nieder und trieb wiederholt seine Klauen in wilder Raserei in ihre Körper. Die Lederrüstungen, die mit kruder Kettenrüstung ausstaffiert waren, halfen nicht viel. Es blieben nur zerfetztes Fleisch sowie mürbe Knochen. Der letzte Knochenmann, der einen auffälligen Kiefer aus Eisen besaß, erkannte das sinnlose Unterfangen und nahm seine Beine in die Hand. Er hatte mit lichtverlassener Geschwindigkeit schon einige Meter hinter sich gebracht, da warf mir Aedan mein Gewehr, das ich ihm zum Radau machen überließ, entgegen. „Es ist geladen!“, rief er. Ich fing es mit pelziger Pfote und führte den hölzernen Kolben mit menschlicher Hand an meine Schulter, zielte und ließ den Auslöser klicken. Rauch schoss aus der Mündung, verdeckte für kurze Zeit die Sicht, aber als es sich klärte, lief der Eisenkiefer immer noch und brüllte unverständliches in dieser verwünschten Gossensprache. Wir ließen ihn dieses Mal noch einmal mit dem Leben davonkommen, falls man das überhaupt sagen kann. Der sonst so rationale Gregor erhob ein triumphierendes Lachen, das nun anstatt der vorherigen Marschbefehle durch die Gassen dröhnte. Wir konnten nicht anders, als uns durch seinen Enthusiasmus anstecken zu lassen. Es war geschafft. Wir zettelten erfolgreich einen Aufstand in unserer Hauptstadt an. Das darauffolgende Chaos nutzten wir, um unentdeckt durch die Straßen zum westlichen Dock zu gelangen. Die Straßen waren wie leergefegt, scheinbar hatte unser kleiner Trick funktioniert, aber ich fragte mich insgeheim, ob die Gefangenen nicht doch ein zu großes Bauernopfer waren. Wir wussten nicht, ob sie diese Schlacht gewinnen konnten, allerdings musste ich Trost in der Annahme finden, dass ihr Schicksal andererseits sowieso besiegelt war.

Der Regen ließ bald nach und schließlich sollten wir die Docks erreichen. Auf dem Kanal bildete sich gerade ein dichter Morgennebel, der sich in undurchsichtigen Schleiern über das Wasser legte. Wir fanden ein kleines Boot, das unsere erschöpfte Truppe hoffentlich sicher ans andere Ufer tragen sollte. Ich erinnere mich noch furchtbar genau, wie sehr meine Füße schmerzten und wie die Kraft aus meinen Gliedern schwand. Wir hatten einen Gewaltmarsch in die Stadt zurückgelegt, nur um sie in den Händen der Untoten vorzufinden. Ich muss im Boot kurz eingeschlafen sein, denn meine nächste Erinnerung beginnt mit einem unsanften Ruck, als wir in der Nähe des birkenbewachsenen Friedhofs von Kielwasser auf Land stießen. Mit einigem Unmut hievte ich meinen ermatteten Körper aus dem Boot und rieb mir die Müdigkeit aus den Augen, aber der Schaden war bereits eingerichtet. Nichtsdestotrotz ließen wir Gelt die Führung übernehmen, denn als ehemaliger Bürger Kielwassers kannte er sich hier wohl am besten aus.

Die Geschäftigkeit des durch den morgendlichen Nebel verdeckten Kielwassers war bereits aus der Ferne zu vernehmen. Soldaten hatten sich dort niedergelassen und erneut drangen bellende Marschbefehle durch die Luft. Allerdings dieses Mal in Gemeinsprache und mir fiel ein Stein vom Herzen, als wir vorbeiziehenden Soldaten der siebten Legion begegneten. Gelt führte uns geschwinden Schrittes über einen Feldweg in Richtung eines sich am Rande der Stadt erhebenden Hügels. Am Ende des Pfades thronte das durchaus mit Imposanz zu beschreibende Anwesen der Familie Gelt, das uns, wie eine Belohnung nach endloser Schatzsuche, winkte. Es war ein weitläufiges Haus, das zwar in die Jahre gekommen war und nach den Plünderungen an Glanz verlor, aber dennoch den Eindruck vermittelte, dass die Gelts nicht arm gewesen sein konnten. „Endlich.“, brachte ich mit Genugtuung hervor, was mir zustimmendes Nicken erntete. Wir betraten die aufgestoßene Pforte und ein wildes Blättergewirr eines im Hof befindlichen Baumes lag bereits im Flur des Hauses verteilt. Aufgestoßene Schubladen, zersprungene Blumenvasen, zerkratzte Holzmaserungen an den Wänden – von innen hatte das Anwesen allem Anschein nach bessere Tage gesehen, aber Gelt verzog keine Miene, jedenfalls äußerlich. Er führte uns eine knarzende Holztreppe hinab in den dunklen Keller, wo er eine Fackel aus seinem Rucksack kramte und sie mit Feuerstein und Zunder den Raum erhellen ließ. Schemenhaft wurden Schatten durch die vielen Spinnweben an die Wände geworfen. Man musste aufpassen, dass man nicht über zerschmetterte Kisten stolperte, ansonsten war der Raum kahl. Gelt erklärte, dass man hier sonst Garten- und Feldgeräte hätte finden müssen, aber ich war mir sicher, dass sie bereits zu Schwertern umgeschmiedet worden waren. Der zurückgekehrte Gelt tapste vorsichtig auf eine Wand zu, die er mit einem gekonnten Klopfen auf ihren Widerstand zu prüfen schien. Der nächste Moment war erfüllt mit Staub und bröckelndem Putz, während die Wand unter seinen heftigen Schulterstößen nachgab und einen Geheimgang offenbarte. „Nur ein Gelt weiß, wie man sich hier Zugang verschafft. Sagte ich doch bereits, oder?“, sprach der einzige Familienangehörige in diesem Keller mit einer innerlichen Zufriedenheit, die durch seine rationale Ader begleitet wurde. Ich war zwar keineswegs überrascht, weil Leute große Wege und Anstrengungen hinter sich bringen, um ihr Hab und Gut zu schützen, aber das war schon etwas unerwartetes. Wir betraten schließlich einen quadratischen Raum, der anfangs nur durch Gregors lodernde Fackel erhellt wurde. Knisternd entzündete er allerdings weitere Fackeln, die an Halterungen an den Wänden befestigt waren. Nun offenbarte sich uns die wahre Pracht des Raumes, denn er war gefüllt mit allerlei Waffenständern, Kisten und sonstigen Behältnissen, die die Zeit zwar verstaubt, aber intakt überstanden hatten. Gelt wirkte erleichtert und ging auf eine Truhe zu, die er erwartungsvoll aufstemmte. „Hier, Abberworth. Das sollte mehr als genügen.“, verkündete er mit ruhiger Stimme und warf mir einen klimpernden Beutel, den ich mit Mühe fangen konnte, entgegen. Wertvolle Goldmünzen, die uns über Monate ernähren sollten. „So viel Geld versteckt man in Kisten?“, stammelte ich erstaunt. Wir bedienten uns großzügig am vorhandenen Waffenarsenal, schließlich war es unsere versprochene Belohnung. Nur Gelt kramte weiterhin durch seine Kiste als hätte er den Schatz seines Lebens gefunden. Neugierig, wie ich war, linste ich immer mal wieder zu ihm hinüber, aber ein Gewehr mit gezogenem Lauf zog mich in seinem Bann. Eingelassen in dunklem Holz glänzte das mit Rosenornamenten verzierte Metall der Flinte im schummrigen Licht der Fackeln, nun wo ich den Staub von der Oberfläche strich. Es sollte mir noch gute Dienste leisten, dachte ich. Ich konnte gerade noch erhaschen, wie Gelt einen Haufen Dokumente in seine Tasche stopfte, da drehte er sich rasch um und verließ den Keller. Meine Freunde, gierig wie sie waren, plünderten noch einige Kisten, aber ich entschloss mich ihm unauffällig zu folgen.

Sein Weg führte ihn zum Friedhof zurück, in der Nähe musste sogar noch unser Boot am Ufer gelegen haben. Ein kalter Nebel schlich gerade über den Friedhofsplatz, aber ich sollte nicht lang damit verbringen dem Mann hinterherzuschleichen. Gregor Gelt wachte über dem Grab seiner Vorfahren und stemmte die Arme an die Hüfte. Ich wollte ihn ungern stören und wollte gerade wieder umdrehen, da fragt der Mann in üblich sachlichem Ton: „Ich habe ein Versprechen zu erfüllen, Gendric. Helft Ihr mir sie zu verbrennen?“ Ich nickte ermüdet, aber wir machten uns an die Arbeit.

Hiermit der Schluss des Dreiteilers zu Gregor Gelts Abenteuer mit der Gruppe. Sie basiert im Grunde auf einer wahren Rollenspielsituation, aber natürlich habe ich hier und da ein wenig die Fantasie spielen lassen. Im Zuge der Story (und des Rollenspiels) hatten wir die Stadt als gefallen betracht und mir war wichtig anzumerken, dass dies zwar für unsere Gruppe kurzzeitig der Fall war, allerdings habe ich durch den Aufstand den Status Quo wiederhergestellt.
Seht das bitte nicht als Ansatz für Serverlore, sondern einfach als Geschichte, die zum Unterhalten gedacht ist.

Die Spieler von Nethalia und Gregor standen mir dabei mit einigen Anmerkungen und ihren Eindrücken zur Seite. Ein herzliches Dankeschön an dieser Stelle an die beiden!
Mein derzeitiger Plan für Gendrics Tränen sind noch unbestimmt, aber ich hoffe, dass ich noch einige Geschichten zu Garlin, Aedan und vielleicht einige simplere Stories schreiben kann, bevor ich mich dem Story-Arc des Schwarzforstes widme, der nicht nur für mich ein Highlight werden soll, sondern auch hoffentlich für euch!

Ich würde mich sehr über Feedback freuen. (Hass, Liebe, konstruktive Beiträge, Liebesbriefe, egal was)

Viel Spaß beim Lesen
euer Gendric

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