Ich habe eine ganze Kiste voller Pergamentpapier gefunden und dies versetzt mich in freudigste Laune! Ich habe zwar das Jagen dafür einige Tage vernachlässigt und ich bezweifle, dass ich in absehbarer Zeit etwas Ordentliches in die Kauleiste bekomme, aber letztlich gibt es ohnehin nur mich, den es hier überhaupt kümmern kann. Nethalia hätte mich damals dafür sicherlich angebrüllt, aber ich spiele hier mit einer der wenigen Freuden, die man sich in diesem heutigen Gilneas überhaupt noch leisten kann.
Es war still, nachdem Paisley uns verließ und wir wagten einige Tage kein Wort darüber zu verlieren. Wir hatten akzeptiert, dass gewisse Dinge außerhalb unserer Macht lagen und wir nur so gut weitermachen konnten, wie wir es eben konnten. Der Schwarzforst war nun ein Ort des Übels, so dachten wir alle, jedoch unfähig dies den anderen gegenüber auszudrücken. Selbst der so redselige Aedan zog sich zurück. Um sich zu sammeln, wieder Herr über seine Sinne zu werden, denn ihn hatte dieser verhängnisvolle Abend am meisten in Mitleidenschaft gezogen. Er sprach wochenlang von Stimmen und eigensinnigen Gefühlen, die er wahrnahm. Er war so distanziert und argwöhnisch, der Junge. Abseits davon war es für uns alles irrsinnigerweise wie immer. Komisch, nicht? Wie sich etwas so eindeutig verändern kann und man nimmt es einfach nicht wahr? Als wäre es immer schon so gewesen, aber eigentlich nicht. Man würde meinen, dass uns das Verschwinden meines Geschäftspartners und Freundes Llewelyn Paisley stärker auf die Nerven hätte schlagen sollen, aber wir hatten alle bereits so viel verloren und wenn man die anderen Opfer bedenkt, die wir in unseren Leben bis zu dem Zeitpunkt hinnehmen mussten, dann wirkte die Abwesenheit eines einzelnen Mannes im Vergleich vielleicht nicht so groß.
Sicherlich gab es gute Gründe besorgt zu sein. Ich denke heute, dass wir es auch alle waren, jedoch muss man unsere allgemeine Lage bedenken. Gilneas war nach dem Worgenfluch und dem Einfall der Untoten ein geändertes Land, wir selbst waren aller Teil davon. Ja, man könnte sogar sagen, dass wir nun Gilneas waren. Ein Spiegelbild seiner Gesellschaft. Ich will nicht behaupten, dass es keine Hoffnung gab, aber Gilneas ist ein Land für die zerbrochenen und geräderten Seelen. Man fand nach der Zeit des Kataklysmus viele leidvolle Persönlichkeiten, die nun ohne Sinn vor sich hertrieben. Unfähig einen neuen Zweck, der ihnen Leben in die müden Knochen hauchte, zu finden. Doch unser Zweck von der Zuflucht vom Pfeifenden Kessel war es einfach zu überleben und einen neuen Tag zu erleben, jeden Tag.
Eines regnerischen Herbstmorgens begegnete uns jedoch ein Mann, der unser Überleben um seine eigene Geschichte bereichern sollte. Ich war wie üblich bereits wach, um unser Essen vorzubereiten und weiß noch genau, wie ich meinen Eimer gerade an der Regentonne befüllen wollte, als ich das Platschen durchnässter Stiefel auf dem gepflasterten Weg in meinen Innenhof vernahm. Ich spürte ganz genau, wie ich den Worgenfluch an meiner Kehle zerren fühlte und ich war kurz davor mich in dieses unsägliche Biest zu verwandeln, bevor ich eine grollende Männerstimme vernahm, die mir einen herzlichen guten Tag wünschte.
Ich drehte mich und da stand er vollkommen durchnässt. Gregor Gelt, wie er sich nun vorstellte, war eine hünenhafte Gestalt. Größer als ich, selbst als Worgen, und gekleidet in einem beschlagenem, dunkel gefärbtem Lederwams. Schweinsgesichtig, aber durchaus von imposantem Auftreten. „Ich bin auf der Suche nach einer Bleibe während der Herbststürme, Sir.“, hörte ich ihn brummen. Er klang wie einer von uns, daher habe ich ihn auf einen frischen Tee in die Stube hineingebeten. Wir beide betraten den Schankraum und ich machte rasch ein Feuer im Kamin, damit der gute Mann sich aufwärmen konnte, schließlich hatte es die ganze Nacht und den Morgen über geregnet – wer weiß wie lang er sich draußen herumgetrieben hatte. Gelt wirkte in meiner Taverne jedoch irgendwie deplatziert, fast wie ein Oger, den man abgestellt und vergessen hatte. Damals sah ich jedoch einen hilfebedürftigen Mann, der ebenso wie der Rest der Truppe meiner helfenden Hand bedarf. Oder in dem Fall eben meines helfenden Daches.
Als ich ihm also den wärmenden Kräutersud in die Hand drückte, den wir damals Tee nannten und selbst einen minderköstlichen Becher davon probierte, versuchte ich ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Er jedoch lud zunächst seine Bewaffnung von sich, eine wuchtige Streitaxt, einen in die Jahre gekommenen Schild und einen Köcher mit Echtsilberwurfäxten. Ich erinnere mich noch genau, wie er auf die Wurfäxte deutete und mit dreckigem Grinsen erklärte, dass jene für die dusseligen Magier gedacht seien, falls sich welche mit ihm anlegen sollten. „Zum Glück gibt es in dieser Taverne keine Magier“, erklärte ich ihm, worauf er mir nur ein verstohlenes Grinsen entgegnete.
Es vergingen Momente des Teeschlürfens, bevor ich den Mut sammeln konnte, um den Mann nach dem Grund seiner Ankunft zu fragen. Jedoch war es einerlei, denn, noch bevor ich fragen konnte, sprach er frei aus sich heraus. „Hört, ich bin erst seit kurzem wieder in Gilneas und weiß auch nicht, wie lang ich bleiben werde. Es steht jedoch fest, dass ich einen Unterschlupf brauche und vor allem warme Mahlzeiten.“, erzählte Gelt mit einer gewissen Ruhe in der Stimme. Er gab mir so die Zuversicht, ihm beides gewähren zu können. „Ich kann auch mit barer Münze zahlen“, fügte er hinzu, was mich noch zuversichtlicher stimmte. „Und ich muss nach Kielwasser, um dem Haus meiner Familie einen letzten Besuch abzustatten. Wichtige Familienerbstücke, ihr versteht schon. Könnt Ihr mir dabei behilflich sein?“
Ich zögerte einen Augenblick und nahm einen Schluck Tee, um dabei in Ruhe meine Gedanken zu sortieren. Ein Mann, der vollkommen allein und durchnässt vor meiner Taverne auftaucht, will nach Kielwasser, was am anderen Ende dieser von Untoten verseuchten Halbinsel liegt? Genau die richtige Mission für die gilnearische Volksmiliz. Nach einigen Momenten nickte ich also bedächtig, während ich meinen Tee zur Seite stellte. Nun galt es Geschäfte zu machen, denn wir brauchten schließlich auch Hilfe, um die Gegend nach Ressourcen abzusuchen und sein Geld war gern gesehen. Halls Warenlieferungen wurden zusehends teurer und unsere Kasse wurde Monat zu Monat kleiner.
Es verstrichen einige Minuten, bevor wir unsere Standpunkte einander mit Ausdruck verleihen konnten, aber schließlich standen wir uns Hände schüttelnd gegenüber. Ich erinnere mich noch gut, wie sehr er mit dieser bärigen Pranke zupressen konnte. Nun galt es nur noch die Truppe von seinem Anliegen zu überzeugen, aber das war letzten Endes auch kein großes Problem, denn es gab ohnehin nur wenig neue Gesichter in unserer Mitte und Gelt war eine willkommene Abwechslung. Nur Nethalia wirkte misstrauisch, aber das lag in ihrer Natur. Sogar Aedan konnte sich mit dem Neuankömmling ein wenig von seinem geplagten Verstand erholen, was mich beruhigte. Ich erklärte Gelt jedoch persönlich, dass er niemals den Wald zu betreten habe, was er ohne weiteres Murren akzeptierte. Ahndor bestand darauf mit Gelt einige Worte zu wechseln, schließlich sah er sich als unser militärischer Anführer. Ich konnte mich also wieder in aller Seelen Ruhe meinen Kochkünsten widmen und kredenzte unserem neuen Truppenmitglied eine herzhafte Linsensuppe, an die ich mich bis zum heutigen Tage gern zurückerinnere.
Ahndor suchte mich bei untergehender Sonne auf, als ich trübsinnig auf meiner vom Wetter gezeichneten Bruchsteinmauer lehnend in den Schwarzforst starrte. Es brauchte ein deutliches Räuspern, ehe ich ihn überhaupt bemerkte. Für einen Säufer hatte der Mann flinke Füße, das muss ich zugeben. Direkt, wie Ahndor war, kam er direkt zum Punkt. „Gelt hat etwas zu verbergen, Abberworth“, versuchte er mir zu erklären, aber ich konnte nur abwinken. „Jeder hat Geheimnisse und es wird nicht unsere Aufgabe sein nach ihnen zu graben.“, erwiderte ich mit der Erfahrung eines Tavernenwirts. Es war immer einer meiner Stärken die Neugier ruhen und den Geschichten der Leute freien Lauf zu lassen, unberührt von meinen Erwartungen und Prinzipien. Ich sah mich nie als den Helden unserer Truppe, der aller Kosten zum Trotz seinen Willen durchsetzen musste. Alle wussten nur, dass Gendric Abberworth der Mann war, der die Truppe zusammenhielt und das war gut so. Dennoch versicherte ich Ahndor an diesem Abend, dass wir in Zukunft vorsichtig bleiben sollten. Ahndor murrte antwortend:“Schätze, dann muss ich wohl noch ein paar Dolche schmieden und mehr Kugeln gießen.“, und das sollte er auch tun. Da der Abend und seine Kälte ohnehin bald über uns hineinbrechen würde, huschten wir hastig zur Feuerstelle, die ich Gelt zudem als Schlafplatz zuwies. Die Betten waren ohnehin alle belegt und er überragte sie sowieso in Länge und Breite. Und er wäre in dem Fall auch der Erste gewesen, der sich ungewolltem nächtlichen Besuch hätte entgegenstellen müssen, was mir aufgrund seiner Statur doch ein Gefühl von Sicherheit ins Herz trieb.
In dieser Nacht konnte ich nur einen sehr unruhigen Schlaf finden und das lag nicht einmal an der fremden Person, die nun unter meinem Dach schlief. Ich behaupte, Menschen einschätzen zu können und Gelt war definitiv kein Risiko für die Truppe, solange wir uns nicht im Weg standen. Es half auch nicht, dass diese bitterkalte Herbstnacht mir einen Wind durch das Dach blies, der mich daran erinnerte wie Aedan an diesem verheißungsvollen Abend zusammenkrümmte. Ich weiß noch ganz genau, wie ich meine Decke näher an mich zog, als mir ein Baum-gewordener Gedanke, der mir anfänglich vor Tagen wie ein sprießender Schössling in den Verstand kroch. Aber schlimme Gedanken kommen und gehen. Man darf sein Leben nicht auf sie versteifen und sich durch Ängste bestimmen lassen, die die Zukunft verhunzen und einen Menschen geringer werden lassen, als er ist. Ein guter Schluck aus meinem altgedienten Flachmann half mir zwar nicht meine Angst loszuwerden, aber er trieb mich zumindest in Richtung Schlaf, vorerst.
Ein trommelnder Donnerschlag und das stetige Prasseln des Regens weckte mich irgendwann am nächsten Morgen, was mich angesichts meines wenigen Schlafs in der vergangenen Nacht verdrießlich stimmte. Ich haderte mit mir und konnte mich, ganz unüblich für mich, nicht aus dem Bett tragen, um meiner Pflichten nachzugehen. Dabei musste ich mich vollkommen unwillkommen fragen, ob schlechter Schlaf auch der Grund für Paisleys lange Ruhezeiten gewesen sein mag, was mir nicht nur ein schlechtes Gewissen bereitete, sondern mir auch einige Momente des Verharrens im gemütlichen, warmen Bett ermöglichte. Ein Poltern riss mich jedoch aus meiner Gedankenwelt in die Realität und direkt in meinen Wollmantel, schließlich musste ein Wirt über Krach in seiner Taverne Bescheid wissen.
Als ich also meinerseits die Treppen hinunterpolterte fand ich einen tüchtigen Gregor Gelt vor, der sich bereits um das Feuer gekümmert hatte. Zu meinem Nachteil hatte er dabei einen solchen Radau gemacht, aber zum Glück musste ich mich nicht mehr ums Feuer kümmern. „Holz ist fast aufgebraucht“, brummte Gelt wie eine unzufriedene Dogge. Ich nickte nur und ergriff erst das Wort, als ich mich erneut der Gedanke ergriff, der mich in der letzten Nacht so ängstigte. „Wir können nicht allzu tief in den Wald für trockenes Holz streunen“, erklärte ich ihm abermals und fuhr mit einer nicht weniger wahren Ausschmückung der Realität fort: „Es ist nicht sicher. Riesenspinnen, Untote und anderes Gezücht lauert dort. Wir sollten anderswo nach Holz suchen.“ Gelt starrte mich für einen Augenblick an, als würde er nachdenken. „Wir könnten natürlich weiter nordwärts in der Nähe von Witterfront Holz schlagen gehen, aber das ist eine gute Weile von hier entfernt.“, konstatierte er. Der Mann hatte natürlich Recht und angesichts unserer Lage sah ich uns in der Lage zwei lose Enden zu verknüpfen. Also schlug ich vor, dass wir uns alsbald nach Kielwasser aufmachen sollten, um Gelts Anliegen dort zu klären, sodass wir auf dem Rückweg ein paar Bäume fällen können. Gelt schien einverstanden zu sein, was mich nicht weiter überraschte. Vermutlich dachte er, dass wir diese Mission immer weiter aufschieben würden, damit wir von seinen Diensten profitieren konnten.
Es galt nun die Truppe aus den Federn zu treiben, damit wir am selben Tag noch aufbrechen konnten. Die Eile war geboten, weil es draußen noch so unheimlich stürmte. Normalerweise würde niemand mit intaktem Verstand in solch einem Getose aufbrechen wollen, allerdings bot der Sturm uns wertvollen Schutz vor untoten Augen, was natürlicherweise im Interesse meiner Freunde war. In Absprache mit der Gruppe beschlossen wir, dass Garlin zurückbleiben solle, um auf unser Hab und Gut aufzupassen. Nicht, dass der alte Tattergreis etwas gegen Plünderer oder weiß Graumähne was hätte ausrichten können, aber wir hätten ihn auf der Expedition ohnehin nicht wirklich gebrauchen können. Außerdem war er Zuhause bei der Herstellung von Räucherfisch weitaus besser aufgehoben und ich denke, dass sich alle darüber freuten nach Tagen der Reise etwas Ordentliches in die ausgemergelten Bäuche zu bekommen. Es galt es Vorbereitungen zu treffen, Proviant zu verstauen, sich wetterfeste Kleidung anzueignen und natürlich musste auch die Route geplant werden. Natürlich durfte auch die geeignete Bewaffnung nicht fehlen, aber ich vertraute dort seit langem dem Gewehr meines alten Herrn und einem überaus scharfen Dolch. Wir wollten mit einem Karren in Richtung Witterfront aufbrechen und ihn dort verstecken, dann weiter in die Hauptstadt reisen, welche hoffentlich nicht von Untoten besetzt sein sollte, und wenn alles nach Plan lief, wären wir in ein paar Tagen in Kielwasser gewesen, wo Gelt sich seinem häuslichen Anliegen widmen wollte. Keiner fragte ihn zu dem Zeitpunkt, weshalb wir uns überhaupt die Mühe machen sollten ihn nach Kielwasser zu bringen, aber bare Münze hat schon so einigen Leuten eine gute Motivation dazu gegeben das Haus zu verlassen, selbst wenn der Nether über ihren Köpfen hereinbrechen sollte. Letztlich verließen wir den Pfeifenden Kessel mit Rücksäcken bepackt und waren bereit Gelts Auftrag zu erfüllen.
Als Gilneer waren wir es zwar gewohnt, aber, beim Licht, der Regen peitschte uns stundenlang an diesem stürmischen Nachmittag unerbittlich entgegen. Zum Glück war die Straße gepflastert, ansonsten wäre unser Wagen womöglich mehr als einmal im Schlamm versackt. Nethalia bot mehrere Male an, ihn in ihrer Worgenform zu ziehen, allerdings zeigte sich Gelt bemüht ihn selbst zu schleppen. Dieser bärenhafte Mann war wie geschaffen für körperliche Arbeit und schien, ähnlich wie ich, Reserviertheit gegenüber der banalen Nutzung der Worgengestalt zu haben. „Sag mal, Gelt, warst du eigentlich schon die ganze Zeit in Gilneas oder bist du erst wieder hier hingereist?“, brachte Aedan die Langeweile hassend hervor. Der Hüne machte zunächst keine Anstalt zu antworten, aber warf letztlich doch einen Blick über die Schulter zu Aedan hin. „War 'ne verdammt anstrengende Sache über den Wall zu klettern.“, antwortete er mit einer zweifelhaften Amüsiertheit in der Stimme. Aedan verzog nur die Augenbrauen und schien in seiner Einfältigkeit Bewunderung für den offensichtlichen Scherz zu finden. „Als Worgen ist das einfacher als gesagt.“, erklärte Nethalia hastig, die immer großen Stolz in ihrer neuerworbenen Fähigkeit fand. „Bin kein Worgen“, stellte Gelt fest. An der Stelle fühlte sich Aedan berufen, dem Mann brüderlich einen Klaps auf die Schulter zu geben, denn auch er war kein Worgen. Ich erinnere mich noch genau, wie der Donner anfing in der Ferne zu grollen, als ich anfing beide um ihr fluchloses Schicksal zu beneiden. Unterbrochen wurde ich nur durch Ahndor, der sich deutlich räusperte und knapp bemerkte: „Ärger voraus.“
Die Brücke nach Witterfront wurde durch eine Bande gehalten, die sich, meiner Meinung nach, in ihrer Worgenform verloren hatte. Ihr Anführer Galdwin kehrte einige Male in meiner Stube ein, um nach Vorräten zu stöbern, aber nach diesem Tag hatte sich diese Angelegenheit wohl endgültig verabschiedet. Ahndor spuckte angewidert auf den Boden, als wir uns dem Massaker der nördlichen Brücke näherten. Aufgespießte Worgenkadaver, deren Köpfe feinsäuberlich abgetrennt auf dem Boden ruhten, waren fast zeremoniell auf der Brücke befestigt. Galdwins geschundener und halb verwester Worgenkörper hing an einem Seil die Brücke hinunter, um, mit dem Banner der Verlassenen bestückt, jedem Gilneer eine Warnung zu sein, der sich diesen finsteren Halunken entgegenstellen wollte. Mein Magen war zum Glück nicht besonders gefüllt, denn dieser Anblick hätte ihn sonst sicherlich in Gänze erschüttert. Ich schlug vor, dass wir diesen Makel aus dem Antlitz der Welt tilgen sollten, aber Gelt stellte ruckartig den Karren ab und versicherte mir mit eisernen Worten:“Das dauert zu lange und sicherlich gibt es hier Späher der Untoten. Wir sollten weiter“, und setzte seinen Weg samt Karren fort. Ahndor stimmte ihm zu, weshalb wir meinen Vorschlag nicht weiter in Betracht zogen. Es war beunruhigend die Untoten so weit vordringen zu sehen, insbesondere weil Sturmsiel nicht weit entfernt von der nördlichen Passage nach Witterfront lag. Ich denke, wir alle machten uns ähnliche Gedanken, aber Aedan und Nethalia wirkten in besonderer Art und Weise ergriffen, schließlich waren die Beiden oft auf Plünderzug und, wenn sie einer Patrouille der Untoten in die Hände geraten sollten, drohte ihnen ein ähnliches Schicksal. Zum Glück war Sturmsiel durch die schroffen Felsen der Riffe vor der Küste vor etwaigen anlandenden Patrouillen geschützt.
Ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit, während der Regen uns weiter Bindfäden ins Gesicht spuckte. Einige Hundert Meter voraus hatten sich weitere Kämpfe ereignet, untote Körper und Worgen lagen gleichermaßen tot in Rillen am Wegesrand. Nur der Regen hatte schon lange das Blut aus den Adern der Letzteren gewaschen, was uns zumindest den Verdacht gab, dass die Kämpfe dort schon seit einigen Tage zum Stillstand gekommen waren. Gelegentlich würde man den ein oder anderen streunenden Gilneer auf der Straße zu Gesicht bekommen, aber zu dieser Zeit fand man nur Leichen. Leichen und nicht endendwollender Regen. Bald darauf passierten wir ein altes Gehöft und eine Krähe schrie argwöhnisch, als wir einen weiteren Kadaver passierten, und sie somit vertrieben. „Wir könnten hier den Wagen unterstellen und uns über versteckte Wege in Richtung Hauptstadt aufmachen.“, schlug Ahndor vor, als hätte er einen Plan. Wir alle stimmten zu, schließlich bot der Karren uns keine unmittelbaren Vorteile. „Wir holen ihn auf dem Rückweg.“, ergänzte ich in Hinsicht auf das benötigte Feuerholz.
Wir hatten schon ein gutes Stück Feldweg hinter uns gebracht und wenn es eine Sonne hinter dem Dickicht der dunklen Regenwolken gab, dann senkte sie sich wohl bereits allmählich. Im ländlichen Part des Landes konnte man manchmal vergessen, dass Krieg herrschte, was ich sehr genoss. Ich träumte oft von der Vergangenheit und der Rückkehr zur Normalität und wollte wieder Wirt sein, nicht aus der Not geborener Führer einer Zuflucht. Leider riss mich Nethalia aus meiner idyllischen Gedankenwelt. „Dass wir überall Leichen gefunden haben, bedeutet nichts Gutes! Ich sage euch, das wird unser Untergang.“, murrte sie während ihr wassernasse Strähnen ihres dunklen Haares in ihr gedrungenes Gesicht wippten. Ich entgegnete meiner Kameradin, dass sie solche Dinge ständig behauptete und dass wir immer noch am Leben seien. Gelt sprang mir zur Seite und erinnerte uns mit großer Aufwartung: „Keine Sorge, Freunde. Wir alle profitieren von dieser Expedition. Meine Familie war regelrecht in Waffen vernarrt und ihr werdet euch nehmen können, was ihr wollt. Zusätzlich zu den Münzen.“ Nethalia grunzte unzufrieden, sah sich aber außer Stande etwas gegen dieses vortreffliche Argument einzuwenden. „Aber das würde doch jeder plündern!“, brachte Aedan ungewohnt scharfsinnig hervor. Gelt seufzte und erklärte, dass der Waffenkeller versteckt sei und nur ein Gelt wissen könne, wie man sich Zugang verschafft. „Na, spucks aus, Gelt. Falls du auf dem Weg verreckst, können wir uns immerhin noch bedienen.“, drückte sich Ahndor ein wenig zu ruppig aus. „Ich beabsichtige lebend dort anzukommen.“, stellte Gelt fest, wusch sich die regenbeperlte Stirn mit der Hand frei und beendete somit die Diskussion eigenhändig.
In der Ferne tauchten bald die Giebeldächer unserer geliebten Hauptstadt auf. Was ein Anblick diese Stadt immer noch war. Ich habe nie etwas gesehen, dessen Anblick so prachtvoll war - obschon zu dieser Zeit der Krieg seine Opfer gefordert hatte. Gilneas-Stadt lag strategisch im Zentrum unseres kleinen Gilneas und sowohl Allianz und Horde kämpften unablässig um dessen Kontrolle. Reisende erzählten oft von den Heldentaten der siebten Legion, die im Namen der Allianz für unser Land kämpften und ich war froh, dass wir Unterstützung erhielten. Unser aller Leben hing davon ab.
Wir stapften mit gewisser Aufregung durch den aufgequollenen Schlamm, der durch jeden Schritt begann zu schmatzen und hinterließen dabei unachtsamer Weise Fußspuren, die aber hoffentlich bald durch den Regen hinfort gewaschen gewesen sein mögen, so dachte ich. Diese Gedanken würden ohnehin nicht von Relevanz sein, solange die Allianz die Stadt hält. Ich erinnere mich noch genau daran, wie Nethalia in Worgenform vorpreschte, um unser Ankommen anzukündigen. Uns hätte es auch noch gefehlt, dass ein nervöser Wachsoldat auf uns schoss, weil er uns in diesem dichten Regen womöglich für eine Spähertruppe der Verlassenen hielt. Mittlerweile wurde es auch langsam dunkel und nicht nur Aedan war froh, dass wir die Nacht in der Hauptstadt verbringen würden. Er merkte an: „Meine Familie hatte einen Laden im Händlerviertel. Sie waren Köhler. Vielleicht steht der Schuppen noch und wir können dort die Nacht verbringen. Wenn wir Glück haben, lässt sich sogar noch Kohle auftreiben, die wir entzünden können.“ Ich lachte und entgegnete ihm, dass wir für ein bisschen Wärme doch keine Kohle verschwenden konnten, schließlich benötigte sie Ahndor für seine Schmiede. Ahndor nickte ausladend und Aedan konnte sich nur peinlich berührt an der Stirn kratzen.
Indes sah ich in der Ferne Nethalia in unsere Richtung spurten. Ich machte mir Hoffnung, schließlich bedeutete dies, dass niemand Hinterhalte an dem westlichen Brückenzugang zur Stadt gelegt hatte und ich machte es mir schon in Gedanken in Aedans Laden gemütlich. Aber, wie alle Menschen, so bin auch ich der wohl schrecklichsten aller Gefühle verfallen. Der Hoffnung. Zunächst hörten wir es nicht, aber gedämpft durch den Regen drang schließlich der Schall Nethalias Rufe. Die Hauptstadt war gefallen und untote Patrouillen streiften durch die Straßen unseres geliebten Juwels. Unsere Mission wurde kompliziert.
Nach einiger Wartezeit hab ich nun endlich eine Fortsetzung schreiben können + Cliffhanger. Ich erwarte aber, dass ich relativ zeitig die Geschichte um Gregor Gelt zu einem Ende bringen werde. Wird die Truppe lebendig Kielwasser erreichen können, um Gregor seinem Ziel näher zu bringen? Was ist dieses Ziel überhaupt und wer ist Gregor eigentlich? All das gibts nächstes Mal.
Ich hoffe, ihr habt genauso viel Spaß beim Lesen wie ich beim Schreiben. Ich muss zugeben, dass ich ein bisschen eingerostet war, aber mittlerweile klappt es ganz gut.
Ansonsten wünsche ich noch eine gute Zeit und weise nochmals auf mein Gesuch hin, das ich mittlerweile auch in den Eingangspost gesetzt habe.