[Kurzgeschichten][Gilneas] Die Tränen meiner Heimat

Aller Anfang ist schwer

Eine weitere Flaschenpost wird irgendwo an einem gottverlassenen Strand Azeroths angespült.

In letzter Zeit finde ich erstaunlich viel übrig gebliebenes Papier. Vermutlich ist das so, weil ich mich willentlich danach umschaue, aber nichtsdestotrotz eher, weil mir sonst nichts anderes zu tun bleibt.

Sturmsiel wirkt dieser Tage kalt und verlassen, wie eigentlich ganz Gilneas. Aber ich bin hier aufgewachsen und verbinde so viele andere, glücklichere Gefühle mit meiner Heimatsstadt. Meine Schänke war ein gefülltes Haus vor all diesem Schlamassel und ich bin mir schmerzlich bewusst, wie sich mein ganzes Leben in diesen Albtraum verwandelte. Nicht einmal meine Freunde sind mir geblieben, ja nicht einmal meine Feinde. Seit Wochen habe ich schon keine Patrouillen der Leichengesichter mehr ausmachen können, aber ich will auch nicht zu viel hoffen, denn bisher kamen sie immer wieder. Beim Licht, ich kann nicht einmal sagen, ob die Freunde Gilneas‘ überhaupt noch an unserer Seite stehen und für mein Heimatland eintreten. Wo bleibt nur die Allianz? Hat uns Wrynn vergessen, so wie wir die Allianz vergessen wollten?

Anfangs gab es viel Hoffnung. Viele motivierte Gesichter und Helden, die nicht damit leben wollten, dass unser kleines Gilneas so leiden musste. Und für wahr, unser Gilneas hat nicht viel gehabt. Wir hatten vor allem uns selbst und unser Volk musste lernen auf eigenen Beinen zu stehen. Aber wie viel ist davongeblieben? Ich kann es nicht mit größter Genauigkeit sagen, aber aus meiner Perspektive sieht es so aus, als wäre nicht nur der große gilnearische Wall zerbröckelt, sondern auch dessen Volk.

Aber, wie ich schon ausführen wollte, war es anfangs nicht so. Mut und Hoffnung steckte noch in unseren Knochen und vor allem der Mumm! Derselbe Mumm, der meinen Freund Ahndor dazu verleitete, die gilnearische Volksmiliz zu gründen. Ein Grund, um uns jeden Tag mit Elan aus unseren Betten zu heben und Hand, Fuß und Mund für unser Vaterland einzusetzen. Dabei lief es anfangs doch sehr schleppend für uns, denn es gab viele Gruppen, die dasselbe Ziel verfolgten. Aber mit der Zeit kam die Erfahrung und mit der Erfahrung kamen die Leute. Ich kannte beileibe nicht alle von ihnen und manche Gesellen wirkten doch arg zwielichtig auf mich, aber sie waren stolze Patrioten und mir war einer von denen lieber als ein Dutzend von den Feiglingen, die uns verraten haben.

Ahndor schleppte bald darauf Aedan in meine Taverne, die nunmehr als Hauptquartier für unsere Unternehmungen fungierte. Von geringer Bildung, aber kräftiger Statur war der junge Bursche von nun an oft an Ahndors Seite zu finden. Ich denke, der Junge hat eine Vaterfigur gesucht, die Ahndor ihm wohl kaum bieten konnte. Wenn Männer in fortgeschrittenem Alter alleinstehend sind, dann hat das wohl meistens seine Gründe – ich kann ein Lied davon singen. Und Ahndor war einer dieser Männer, aber ich schätzte, dass ein rauer, willensstarker Mann in einem Fall wie Gilneas immer zu unserem Vorteil sein konnte.

Nethalia auf der anderen Seite stand eines Tages einfach vor meiner Tür. Ich weiß noch welchen Schrecken sie uns einjagte, denn niemand klopft nachts einfach an geschlossene Türen. Und genau das tat sie, während wir in der nächtlichen Sicherheit unseren Kamin ordentlich heizten. Paisley der alte Angsthase schlotterte in seinem Mantel wie ein Hase während der Jagd, ehe ihre tiefe, aber dennoch weibliche Stimme durch die Tür uns die Sicherheit gab, dass dort kein Verlassener auf uns lauerte. Sie erklärte, dass sie in die Heimat zurückkehrte, um in Sturmsiel nach dem rechten zu schauen und ich war froh, dass wir sie nun in der Miliz willkommen heißen konnten.

So viele Leute stießen in der Zeit zu uns, aber einige von ihnen blieben nur kurz. Ich erinnere mich an einen Anwalt, der sich Ahndor bei einer Erkundungsmission in der Nähe von Witterfront anschloss, aber ich hatte auch nie das Gefühl, dass er sich richtig wohl fühlte bei uns. Anders war es da mit einem gewissen Gregor Gelt. Ha, diesen Namen werde ich wohl nie vergessen. Dieser Bär von einem Mann, der kaum durch die Tür meiner Taverne passte. Er erklärte, er sei auf der Suche nach einem wichtigen Familienerbe und wir waren durchaus bedacht ihm zu helfen, denn wir achteten in der Regel einander und außerdem versprach er uns Plündergut aus dem Haus seiner Familie. Er blieb danach eine ganze Weile und seine körperliche Figur war uns oft ein Segen, wenngleich er einen ähnlichen Appetit hatte wie der junge Aedan. Ich habe leider nie erfahren, was aus ihm oder der Mission wurde, aber ich frage mich was aus Gelt geworden ist. Ich hörte nur, dass er eines Tages nach einer Aufklärungsmission nicht zurückkehrte – vermutlich hat er einfach gefunden, was er finden wollte. Es ist jedoch immer eine Schande, wenn die Männer und Frauen Gilneas‘ ihre Heimat verlassen. Da gab es auch noch die Magierin Lamola, die sich im Tausch für ein paar Münzen gelegentlich in meine Taverne absetzte. Sie wirkte ständig auf Zack, abgekämpft und irgendwie nicht ganz anwesend, aber ich verschließe niemals meine Tür vor stolzen Gilneern, die unser Heimatland beschützen. Auch sie kam irgendwann nicht wieder.

Ich darf unseren Händler nicht vergessen, auch wenn er ein schweinsgesichtiger Wucherer war. Lorgan Hall, dieser Name hallt nach. Lorgan Hall. Ich behaupte, ohne ihn hätte ich die Truppe nicht ernähren können in der Anfangszeit, als wir noch so viele waren. Hall war ein gewiefter Geschäftsmann, der Profit witterte, und schließlich fand er uns auch. Ich weiß nicht wie und ich kann es mir auch heute noch nicht ganz erklären, aber irgendwie fand der Kerl einen Weg nach Gilneas, um frische Vorräte ins Land zu schmuggeln. Für einen Preis natürlich, einen deftigen Preis. Lebensmittel, Bier, Waffen, alles was das Herz begehrt. Sogar Tabak konnte der Mann uns beschaffen, was die Moral hob. Sonst bliebe ihnen nur der Ersatz aus den Wäldern und kein Mensch raucht gerne diesen Kräuterknaster, der in den Lungen brennt wie Feuer. Er belieferte uns eine Zeit lang, bevor auch er nicht mehr kam. Wahrscheinlich macht der Drecksack sich mit gilnearischem Blutgeld gerade eine schöne Zeit im sonnigen Süden. Seine Söldnertruppe war jedenfalls mit allen Wassern gewaschen, aber ich fühlte mich immer sicherer, wenn sie für die Zeit in der Taverne rasteten. Der Zwerg ist mir dabei am meisten in Erinnerung geblieben, denn es war selten, dass sich Zwerge nach Gilneas verirrten und noch viel seltener geschah es, dass sie sich mit Runenmagie auskennen - oder wie auch immer er dieses Hexenzeug nannte. Ansonsten brachte er die üblichen Gestalten mit: Schläger, Schützen, Plünderer. Noch viel zwielichtigere Zeitgenossen als unsere eigenen Leute, aber es gab eigentlich nie Ärger und insgeheim war ich froh, dass Hall seinen Weg zu uns fand.

Ich könnte noch eine Geschichte über den alten Garlin erzählen, aber für heute muss es reichen zu wissen, dass wir ihn halbertrunken aus dem Meer gefischt haben. Der greise Fischersmann verdient wahrlich eines Tages seine eigene Flaschenpost.

Diese Geschichte freudig erwartend, Gendric Abberworth

Der dunkle Wald
Halb vergraben im Schlick des Ufers findest du eine Flasche, welche ein zusammengeknülltes Pergament enthält. Du zerschlägst das Glas vorsichtig, um an das Schriftstück zu gelangen.

Ich habe wieder einmal mehr Papier zu fassen bekommen und dieses Mal möchte ich es meinem Freund Llewelyn Paisley widmen. Paisley war ein wirklich guter Freund und ich hätte Gilneas sicherlich verlassen, wenn er nicht gewesen wäre. Ich hörte, meine Volksgenossen wären nach Kalimdor, einem Kontinent im fernen Westen, gereist und hätten Zuflucht bei Elfen gefunden, aber sein wir doch mal ehrlich: Alles, was je von Elfen kam, ist Humbug und wird auch ewig Humbug bleiben. Selbst der Worgenfluch ist ihre Schuld. Ich bin ohne sie besser dran, jawohl!

Kommen wir zurück zu Paisley, dem alten Tausendsassa! Er hatte tatsächlich keine Ahnung vom Tavernengeschäft, aber von den ganzen Münzen schon. Ich muss ja zugeben, dass ich schon immer schlecht im Rechnen war, aber der Mann hatte was im Kopf. Alle Paisleys waren so, schließlich konnten sie die Schule besuchen. Ich hatte zum Glück meinen alten Herren und meine gnädige Frau Mutter, die mir die Taverne vermachten. Während Llewelyn sich also in der Schule den Kopf zermartern musste, habe ich im Ausschank mitgeholfen. Manchmal haben sogar die Mädchen der Familien, die unsere gute Stube besuchten, mit mir geredet. Gelegentlich wünsche ich mir diese einfachen Zeiten zurück, aber ich weiß, dass das nie geschehen wird.

Vielleicht sollte ich endlich darüberschreiben, wie er uns verlassen hat. Vielleicht lindert das die Schuld.

Es war noch ein früher Morgen. Ich war natürlich bereits wach, um Wasser holen zu gehen, schließlich war es Graupensuppentag! Paisley war es natürlich nicht, weil er immer lang zu schlafen pflegte. Ich muss zugeben, dass mich diese Eigenart schon immer ein wenig fahrig gemacht hat, weil wir mit seiner Hilfe so viel mehr hätten erreichen können, aber letztlich wäre der schmächtige Kerl bei vielen Dingen sowieso nur im Weg gestanden. Zum Glück waren die anderen Herrschaften eine tatkräftigere Hilfe, auch wie sich später noch herausstellen sollte.

Als ich also nach draußen stapfte, noch mit meiner vertrauenswürdigen Laterne und meinem alten Eimer bewaffnet, offenbarte sich mir dieser fiese, unnatürlich kalte Herbstmorgen, wie ich ihn schon seit Jahren nicht mehr erlebt hatte. Ich dachte mir nichts dabei und trat auf die Regenwassertonne zu, die eigentlich jederzeit gut gefüllt war. Ich erinnere mich nur an wenige Tage, wo wir Sumpfwasser nehmen mussten – doch war es einmal abgekocht haben wir allerdings ohnehin keinen Unterschied gesehen.

Plötzlich schreckte ich jedoch hoch, als unzählige Krähen das Dickicht verließen, das wir Gilneer den Schwarzforst nannten und meine Taverne lag direkt nebenan. Sie stieben wie wild auseinander, fast wie Wasser auf heißem Öl. Ich hätte mir dort Sorgen machen sollen. Doch ist dieser Wald enorm und wer weiß welches Tier dort gerade ein anderes gerissen hat oder womöglich war es ein Worgen auf der Jagd, dachte ich. Nethalia konnte sich ihrerseits auch wesentlich besser an unsere neue Form gewöhnen, wie ich es zum Beispiel niemals konnte, und ich erklärte mir, dass sie vielleicht auf der Jagd sei.

Blass und durch die Kälte angeraut betrat ich also mit gefülltem Eimer wieder die Taverne, um schließlich doch unser Mittagessen vorzubereiten. Unser einziges Essen für den Tag, um genau zu sein, wenn man mal Aedans Rindenkauerei beiseitelässt.

Ein Schrecken fuhr mir durch das Rückenmark als Nethalia, während das Süppchen ordentlich kesselte, die Treppe herunterschlurfte, um mich noch halb verschlafen zu grüßen. Ich beschloss Ruhe zu bewahren und erwähnte nichts von den Raben, denn ich hatte schon einige Untoten-Patrouillen falsch angesagt und die Kumpanen von der Volksmiliz wurden langsam rappelig. Ich scheinbar auch, dachte ich.

Schließlich erwachten auch Ahndor, der alte Garlin und Aedan. Sie wachten immer auf, wenn ich mich vor den Kessel stellte, um aus dem Wenigen, das wir hatten, etwas zu machen. Und heute war es eben Graupensuppe, um die ich mich pflichtbewusst kümmerte, anstatt mir Sorgen über schlechte Omen zu machen.

Der Tag floss dabei hin, wie er es immer tat. Ahndor stellte Bleikugeln aus Plündergut her, kümmerte sich um den gelegentlichen Bierkrug, den ich ihm hinstellte. Bier gab es noch reichlich, dafür habe ich gesorgt und ab und zu kamen ja auch Lieferungen von unserem Händler Lorgan Hall – jedenfalls Anfangs. Rückwirkend muss ich gestehen, dass ich lieber mehr Nahrungsmittel hätte einkaufen sollen, aber durch die Plünderungen der Truppe hatten wir da sowieso ein wenig Spielraum. Garlin wollte zwar fischen gehen, allerdings zog so ein gemeiner Sturm auf, dass er es sich lieber vor dem prasselnden Feuer gemütlich machte. Das tat auch den Knochen dieses weißbärtigen Klabautermanns weitaus besser als das unbequeme Fischerboot, das wir einmal in der Nähe von Witterfront erbeuteten. Aedan sägte im Stall draußen derweil einige Bretter zurecht, damit wir die Taverne weiter befestigen konnten. All das, während mein guter Freund Paisley noch selig im Reich der Träume schlummerte.

Gegen Mittag klärte sich das Wetter ein wenig, allerdings war es immer noch so unglaublich kalt, so dass wir letztlich alle näher ans Feuer rückten und uns mit Decken wärmten, um Geschichten und die ganzen Albernheiten auszutauschen, für die man in zivilisierteren Zeiten keine Zeit hat. Paisley trug sich schließlich irgendwann aus dem Bett und ertappte uns auf frischer Tat, wie wir schon das Mittagessen ohne ihn beginnen wollten. Unser letztes gemeinsames Mittagessen mit ihm.

Der restliche Tag verlief dabei ohne besondere Ereignisse, beinahe war es wie jeder andere Tag, aber jeder Tag ist wie der letzte Tag – bis er es nicht mehr ist. Nur wurde es immerzu kälter und selbst die Krähen kehrten nicht in den Wald zurück, darauf hatte ich ein Auge. Bis zum Abend verkrochen wir uns wie faule Köter vor dem Feuer, ehe wir uns unserem üblichen Abendritual widmen wollten. Dem Tee.

Seinem ständigen Laster frönend, dem Rauchen einer Pfeife, stand Paisley also irgendwann vor mir und erinnerte mich daran, dass unsere Kräutervorräte sich einem Ende geneigt hätten. Der Wald biete genug wilde Waldkräuter, sagte er, und jemand müsse nur seinen faulen Hintern bewegen. Dieser faule Hintern, so beschloss die Gruppe, war niemand geringeres als Paisley selbst. Schließlich war er derjenige, der sich oft seinen Schlaf auf Kosten aller anderen Anwesenden sicherte. Murrend protestierte er, aber Aedan machte ihm auf seiner ruppigen Art und Weise deutlich, dass er jetzt besser vor die Tür treten sollte.

Ich glaube, das Letzte, was ich von Paisley sah, war sein grimmiger Blick und das hastige Umschlagen seines rabenschwarzen Mantels. Ich drückte ihm den Kräuterbeutel in die Hand und sah ihn davonziehen, selbst die glimmende Pfeife nahm er mit hinaus ohne weitere Worte an uns zu verlieren.

Es wurde spät. Viel zu spät. Wir hatten unsere Teezeit schon längst aufgegeben, da verspürte Aedan einen furchtbaren Kopfschmerz. Es war sicherlich nicht das Bier, das wir uns stattdessen zum Besten gaben, sondern viel heimtückischer, viel perfider. Er stammelte nur von einem ekelerregenden Schwindel, den er nur mit Mühe unterdrücken könne. Dann blies der Wind wie verrückt durch die Ritzen des Pfeifenden Kessels, welcher den Schankraum mit einer unheiligen Kälte erfüllte, die uns das Blut in den Adern gefror und unser Kaminfeuer entkräftete. Aedan riss die Augen auf, wirkte panisch und krümmte sich vor scheinbarem Schmerz. Die anderen zogen die Decken näher an sich und ich bin mir sicher, dass Ahndor zu seiner Waffe griff.

Dann war alles still, nur das Lodern des Feuers hallte durch den Raum und das erschöpfte Keuchen Aedans. Die Hände an den Kopf gepresst und bleich wie kreide wirkte er, als ob er einen Geist gesehen hätte, ehe er mit schwacher Stimme erklärte: „Ich habe gehört wie Knochen auf Knochen rieben, direkt in meinen Kopf. Dann fühlte es sich so an, wie wenn man nachts aufwacht und das Gefühl hat, dass etwas einen beobachtet.“ Wir waren alle geschockt nach diesem Erlebnis, obwohl die Truppe mit allerlei Wassern gewaschen war. Der alte Garlin sprach nur von Hexerei und bestand darauf, dass wir ab sofort die Türen nachts mit Kisten verbarrikadierten. Ein guter Rat.

Paisley kehrte nach diesem Abend niemals wieder zu uns zurück und wir setzten keinen Fuß mehr in den Schwarzforst. Vorerst.

In ewiger Schande, Gendric Abberworth

Nunja, heute mal zwei Geschichten. Ich schätze, das schadet nicht. Was soll man dazu sagen? Kreative Phase? Naja, ich hoffe man hatte Spaß beim Lesen.
Habt einen schönen Tag!

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