Das Flackern des Lagerfeuers begleitet den Dracthyr noch einen Moment lang, während er sich aus dessen Radius hinaus bewegt und ohne Hast, beinahe schlendernd, zwischen den Zelten hindurch läuft. Er bemüht sich nicht zu schleichen, sein Kommen und Gehen sollte für seine Mitreisenden inzwischen zur Normalität geworden und kein Anlass zur Verwunderung sein, es ist nicht das erste Mal dass er ihre Runde verlässt um sich entweder etwas Essbares zu jagen oder wachsame Kreise am Himmel zu ziehen. Die an sein Ohr dringenden Gesprächsfetzen werden zunehmend leiser und verstummen schließlich, als er sich weit genug vom Lager entfernt hat, ganz.
H’rzzrak hält einen Augenblick inne und genießt die kühle Nachtluft von Silithus, die von feinem Staub erfüllt zu sein scheint und verschiedene fremdartige und nicht selten unheilverheißende Düfte aus der Ferne an ihn heranträgt, dann lässt er sein Antlitz fallen und atmet einmal tief ein und wieder aus. Er entfaltet seine Flügel und streckt sie zur Gänze aus bis sie fast zum Zerreißen gespannt sind, bevor er sie schüttelt und wieder sinken lässt. Der Blick seiner starren farblosen Echsenaugen richtet sich zum Himmel empor, zu den Sternen, die dort eitel und selbstgefällig funkeln. Einen kurzen Moment lang könnte ein zufälliger Beobachter tatsächlich eine Gefühlsregung in seinem nichtmenschlichen Gesicht erkennen… vielleicht Staunen, vielleicht Ergriffenheit, am Ehesten vermutlich so etwas wie Sehnsucht. Doch es sind nicht die Sterne, welche H’rzzrak so hingebungsvoll betrachtet dass es einer Mondpriesterin zur Ehre gereichen würde… sein Sehnen, sein Streben… sie gelten dem, was hinter dem Sternenwall liegt und geduldig auf seine Zeit wartet… genau wie er selbst.
Wenige Flügelschläge reichen aus um ihn in den Nachthimmel empor zu heben und fast augenblicklich verschmilzt seine Silhouette mit der Dunkelheit, seine Hörner zerteilen den Wind, der um seinen schwarzgeschuppten Körper herum zu rauschen beginnt und ihn fort trägt, vorbei an dem gigantischen Schwert des gefallenen Titanen, dessen Einschlag so gewaltig war dass die Erde noch heute von den freigesetzten Energien widerhallt und nahe des Zentrums von einem Netzwerk aus leuchtenden Adern im Fels gezeichnet ist.
Tief in H’rzzraks Inneren meldet sich ein kurzer aber umso schmerzhafterer Funke von düsterer Traurigkeit… eigentlich wäre es die Aufgabe seines Schöpfers gewesen, diesen unfassbaren Frevel an dem ihm zugeteilten Element zu ahnden… aber diese Möglichkeit wurde ihm genommen… von den Völkern Azeroths, die sich gegen ihn gestellt haben… von dem wimmelnden Chaos einer wahren Explosion von Leben, welches in den letzten 20.000 Jahren so zahllose und vielfältige Ausprägungen angenommen hat, dass es die Welt nun so erstickend überzieht wie Maden einen überreifen Apfel… der Schöpfer ist vergangen… also obliegt es nun seiner Schöpfung, den verrottenden Apfel von Maden, Schale und Fleisch zu befreien bis nur noch der reine wahre Kern übrig bleibt.
Traurigkeit wird zur Grimmigkeit… und, als H’rzzrak seinen Flügelschlag so verbissen verstärkt, als wolle er dem Wind Gewalt antun, schließlich zur Entschlossenheit. Das dumpfe Glosen der Wunde in Azeroths Haut verblasst allmählich und tiefste Dunkelheit beginnt den Dracthyr einzuhüllen… unmöglich, sich in dieser Finsternis an Landschaftsmarken zu orientieren… es sei denn man weiß wonach man suchen muss.
Es dauert nicht lange, da fangen die Drachensinne einen ersten zaghaften Impuls auf, von etwas das im felsigen Boden von Silithus gut verborgen ist… kurz darauf der nächste… und dann wieder einer, jeder ist stärker als der vorherige und schon bald hat H’rzzrak, dieser Brotkrumenspur folgend, sein Ziel erreicht: es „Bastion“ oder „Festung“ zu nennen wäre dem Konvolut aus halb eingestürzten Mauern und zerfledderten Zelten zu sehr geschmeichelt gewesen, aber die Stelen aus Elementium, die sich wie qualvoll windend aus dem kargen Boden in die Höhe schrauben und im schwachen Mondlicht kränklich glänzen, bieten den wenigen verbliebenen Bewohnern dieses Stützpunktes zumindest noch ein ebenso beruhigendes wie trügerisches Gefühl von Sicherheit.
Zwischen halb zerfetzten Fahnen mit dem Symbol eines Hammers vor einem gezackten Nachthimmel bewegen sich vereinzelte Wachen herum… H’rzzraks Annäherung bleibt nicht lange unbemerkt, doch er ist viel zu schnell und zu wendig als dass die hastig und ziellos in die Dunkelheit abgeschossenen Pfeile und Bolzen eine echte Bedrohung für ihn darstellen würden… er sucht sich einen Platz in der Mitte des Lagers aus um zu landen, einen schwachen Lichtkreis, gebildet von den wenigen Fackeln und Feuerschalen, welche sich sehr anstrengen müssen um die Schwärze aus dem Innenhof zu vertreiben.
Als sich seine Flügel auf dem Rücken zusammenfalten, hört H’rzzrak bereits den Aufruhr rings um ihn herum, im zappelnden Zwielicht des Feuerscheins sammeln sich aufgebrachte Gestalten mit gezogenen Waffen und umzingeln ihn, wütende Flüche und derbe Schreie der Empörung ausstoßend angesichts des Umstandes, dass dieser Eindringling es so leicht bis in ihre Mitte geschafft hat. Schon klirren die schartigen und abgewetzten Waffen und ein Angriff steht unmittelbar bevor, als eine unangenehm krächzende Stimme der tobenden Meute Einhalt gebietet.
Das grelle „Halt!“ hängt noch in der Luft, als ein gedrungener Goblin in den Feuerschein um den Dracthyr herum tritt und ihn mit verschlagen funkelnden Augen mustert, das Rot seiner Pupillen wird nur durch die entzündet wirkenden Adern um diese herum übertroffen. Gewandet in eine wie zufällig wirkende Ansammlung aus Beutestücken sowohl von Horde als auch Allianz sowie in das Absurde was bei Goblins als Modegeschmack durchgeht, wirkt der Goblin in seiner zusammengeschusterten Fantasieuniform beinahe lächerlich, aber nur beinahe… die Absicht in seinen Augen ist unmissverständlich, die Falschheit und die unterschwellige Grausamkeit in seinem Gesicht warnen jeden Gegner davor, ihn zu unterschätzen.
„Wie schön…“, beginnt der Goblin zu sprechen und seine Stimme trieft vor bemühter Freundlichkeit, die den dahinterliegenden Hohn kaum zurück zu halten vermag. „Es ist Frater Draconis von unseren Freunden, den Weltenbrechern, drüben an der Erweckten Küste der Drachenlande.“ Auf seine Worte hin entspannt sich die Lage unter dem gewaltbereiten Mob etwas, Klingen senken sich halbherzig als ob sie plötzlich nicht mehr wüssten wo sich ihr Ziel befindet. Der Goblin grinst und entblößt eine Reihe blitzender Goldzähne. „Ihr kommt spät…“ Sein Blick wandert am Dracthyr auf und ab, dann wird sein Tonfall dunkler. „…und mit leeren Händen…“ Das falsche Lächeln verebbt schlagartig und macht einem finsteren und durchaus bedrohlichen Gesichtsausdruck Platz.
„Wenn ich recht informiert bin, wurde Euch aufgetragen, uns eine Rune zu bringen… also?“ Der Goblin streckt eine Hand aus und klimpert fordernd mit den Fingern.
H’rzzrak starrt den Goblin ohne sichtbare Emotion in seinem geschuppten Gesicht an. „Warum sollte ich diese Angelegenheit mit einem Untergebenen besprechen… ist sie so wenig wert?“ Dumpfe Wut überzieht das Gesicht des Goblins und einen Moment lang sieht es so aus als denke er ernsthaft darüber nach, sich einfach blindlings mit seinem schartigen Schwert auf den Drachling zu stürzen, aber dann fängt er sich und beginnt wieder schmierig zu grinsen. „Holt den Erwählten.“, befiehlt er, die Worte an niemand Bestimmten gerichtet und den Dracthyr nicht aus den Augen lassend, irgendwer hinter ihm wird schon loslaufen. Dieser Jemand ist ein krumm gewachsener grünhäutiger Orc, dessen abgehackte Bewegungen verraten dass ihm einst Gewalt angetan und diese nicht mit den notwendigen Maßnahmen verarztet wurde.
H’rzzrak schnaubt durch die Nüstern, während sich der Mob um ihn langsam beruhigt, es scheint schließlich alles in Ordnung zu sein. Die Zeit dehnt sich zu langen Minuten aus und der Dracthyr ist davon überzeugt, dass der „Erwählte“ ihn absichtlich warten lässt um die Wichtigkeit seiner Position zu unterstreichen. Als sich die versammelte Menge schließlich teilt um Platz für ihn zu machen, ist der Erwählte eine wenig beeindruckende Erscheinung - ein Mensch mittleren Alters, seine Haut blass und aufgedunsen, strähnige blonde Haare wehen im sachten Nachtwind um seinen Schädel herum und werden von dickfingrigen und ringverzierten Händen immer wieder zurück gestrichen. Der Erwählte trägt eine geschwärzte Brustplatte – die zweifellos Feuer abzuhalten vermag – hinter welcher seine Körpermasse allmählich hervorzuquellen droht… in dieser Ödnis, wo jede Ressource kostbar ist, hat er sich offenbar seinen Anteil an diesen gesichert.
Der Erwählte lächelt gönnerhaft und richtet den Blick seiner wässrigen hellblauen Augen auf den Dracthyr.
„Der Schattenhammer grüßt den Abgesandten von Frater Cygenoth und erfreut sich an seiner Anwesenheit.“, säuselt er mit einer Stimme, die so entrückt von allem klingt dass ihre wahren Absichten kaum zu erahnen sind… dieser Mensch ist ein Experte in dem was er tut. „Sagt mir, Frater Draconis, habt Ihr die Aufgabe erfüllt die Euch aufgetragen wurde und die Rune beschafft?“ H’rzzrak nickt. „Ja.“, sagt er so leidenschaftslos wie möglich. „Und… habt Ihr sie… bei Euch?“ „Nein.“ Der Erwählte hört nicht auf zu lächeln, sollte er enttäuscht sein, versteht er es meisterhaft, dieses zu verbergen. „Dann nehme ich an, sie ist im Besitz von jemandem aus der illustren Reisegruppe, mit welcher Ihr Silithus betreten habt?“ H’rzzrak nickt stumm. Das Lächeln des Erwählten wird etwas breiter und er macht eine Kunstpause bevor er weiterspricht. „Was haltet Ihr von ihnen? Habt Ihr sie missioniert? Gibt es dort… Kandidaten… die unsere Ränge verstärken möchten?“
H’rzzrak schüttelt den Kopf. „Nein. Ein oder zwei Exemplare mit Potential… aber niemand darunter, der unsere Vision teilt… für sie sind die Schatten nur ein Werkzeug, ein Mittel zum Zweck um ihre eigenen kleinen Ziele zu erreichen. Manche von ihnen fürchten die Dunkelheit oder bekämpfen sie sogar… und schlimmer noch… wieder andere haben sich der feindseligen Macht des gefallenen Titanen verschrieben und treiben unwissentlich sein Werk der Zerstörung voran.“
Zum ersten Mal erscheint so etwas wie Missbilligung auf dem Gesicht des Erwählten, aber so rasch wie sie gekommen ist, wird sie auch wieder niedergekämpft.
„Das ist… bedauerlich… Frater Draconis…“ Der Erwählte wedelt gönnerhaft mit der Hand, eine scheinbar unbedeutende Geste, doch der Mob weicht zurück und vergrößert den Raum um H’rzzrak herum. „Eine Bedauerlichkeit, die nur noch durch Euer Versagen übertroffen wird.“ Ein Nicken des Erwählten in die Dunkelheit hinter ihm… ein hässliches metallisches Klacken und ein Pfeifen in der Luft, dann trifft ein Netz mit so massiver Wucht auf den Dracthyr, dass er unwillkürlich in die Knie geht. Das Netz zieht sich um ihn herum zusammen, es ist mit Elementiumfasern durchdrungen welche ihrerseits mit Schattenmacht erfüllt sind, schon legt sich eine erdrückende Aura um H’rzzrak und droht ihm allmählich die Luft zu rauben… das Netz ist schwer, so schwer und es scheint immer schwerer zu werden je länger es auf ihn drückt.
Der Erwählte lächelt und deutet irgendwo in die Dunkelheit hinter dem Dracthyr hinein. „Ihr seht ihn gerade nicht, aber das ist Frater Sanguis, ein Orc des Drachenmalklans, der von seinen Artgenossen desillusioniert war und sich uns daher bereitwillig angeschlossen hat. Er brachte Kenntnisse von unschätzbarem Wert mit, in deren Ergebnis Ihr Euch gerade verheddert habt.“
Die versammelte Meute bricht in höhnisches Gelächter aus, doch seltsamerweise verspürt H’rzzrak selbst jetzt, da er wehrlos und den Kultisten des Schattenhammers ausgeliefert ist, keine Furcht, nur eine diffuse Ahnung von Schicksalhaftigkeit, alles was sich gerade abspielt scheint genau richtig zu sein so wie es geschieht.
„Da Ihr so lange für Euren Weg gebraucht habt, hat uns die Kunde von der Erweckten Küste zuerst erreicht. Wie es aussieht, ist Frater Cygenoth von Günstlingen des roten Drachenschwarms sowie einigen dahergelaufenen Abenteurern erschlagen worden, die Weltenbrecher sind seitdem nutzlos geworden.“ H’rzzrak kann nicht anders, ein trockenes und freudloses Lachen, das eher wie Husten klingt, entringt sich seiner Kehle.
„Cygenoth war ein Narr, seine Lügen so offensichtlich und seine Jünger so nutzzzzzlos, ein Wunder dass er überhaupt ssssso lange durchgehalten hat…“
Einzelne Rufe der Empörung branden auf, aber der Erwählte lächelt nur huldvoll. „Das ist wahr, ja… und doch wäre es Eure Aufgabe gewesen, ihn zu beschützen… und das habt Ihr nicht.“ „Die Weltenbrecher ssssssind verloren, arme fehlgeleitete Irre!“, zischt H’rzzrak wütend. „Sssssie haben einfach einen neuen Anführer erwählt und auch diesen umgebracht, als seine Verssssprechungen der Endzzzzeit nicht eingetreten sind!“ Der Erwählte nickt verständnisvoll. „Ja, ein unheilvoller Kreislauf… aber das ändert nichts an der Tatsache, dass Euer Tun und Lassen die Endzeit nur weiter verzögert haben.“ Von seinem Gürtel baumelt ein schwerer Einhandhammer, krude aus Elementium gefertigt und dem Wappen des Kultes nachempfunden. Diesen befreit der Erwählte nun aus seiner Halterung, wiegt ihn kurz in der Hand und umschließt ihn mit festem Griff, dann richtet er seine wässrigen Augen auf H’rzzrak.
„Keine Rune, keine Weltenbrecher. Vielleicht stimmt Euer Opfer die Dunkelheit hinter den Sternen gewogen.“
Der Erwählte betrachtet den Dracthyr nachdenklich. „Wie viele Schläge sind wohl notwendig um Euren Schädel zu brechen? Nun ja, wir werden es herausfinden.“ Der Erwählte tritt ohne Hast näher an das Netz heran, den schweren Schattenhammer in der Hand. Er blickt auf H’rzzrak hinab und dieser zu ihm auf… und es ist in diesem Augenblick, als die wässrig-blauen Augen des Erwählten sich mit den farblosen Echsenaugen treffen, als der Mensch die Stirn runzelt und in seiner Bewegung inne hält, während H’rzzrak spürt wie sich eine kalte Hand um seinen Verstand zu legen scheint. Er starrt in die Augen des Erwählten und es ist als ob er in einen Abgrund blicken würde, einen Abgrund der mit dunklen Sternen übersät ist, fremden unmenschlichen Augen die in einem endlosen Raum schweben.
Es ist ein Blick der weit über den des Erwählten hinaus reicht und H’rzzrak wird plötzlich klar, dass irgend etwas durch den Menschen hindurch in ihn selbst hineinblickt. „Was…“, keucht der Erwählte mit weit aufgerissenen Augen, seine Hand öffnet sich und der Hammer fällt mit einem dumpfen Klang zu Boden.
„Getreue…“, stammelt er, „…ich habe eine Vision… wir befinden uns in der Gegenwart der Götter, sie sind gekommen! Frohlocket, sie haben uns erhört!“ Der Atem des Menschen rast, sein Gesichtsausdruck plötzlich gezeichnet von freudiger Entrückung.
Während ein Raunen durch die Menge geht, wird das Netz, das H’rzzrak so erdrückend festgehalten hat, plötzlich leicht, der Druck der Schatten verschwindet und seine Kraft verpufft. Es ist nun ein Leichtes, es abzustreifen und aufzustehen.
H’rzzrak richtet seinen Blick auf den Erwählten, der immer noch verzückt vor ihm steht, ein Speichelfaden hängt ihm von den blassen Lippen.
„Nein…“, sagt der Dracthyr, „…nicht euch. Nur mich.“
Er greift tief in sich und ruft die Essenz des bronzenen Drachenschwarms hervor, zwischen seinen Hörnern beginnen goldene Funken zu knistern, sie wandern seinen Rücken hinab bis in den Dorn an seiner Schwanzspitze und erhellen die Nacht mit ihrem Funkeln. Zwischen seinen Händen beginnt sich eine Sphäre zu formen, mit einiger Konzentration und Anstrengung zieht H’rzzrak das glosende Gebilde auseinander bis es kürbisgroß ist, dann streckt er die Arme aus als wolle er es mit feierlicher Geste an den Erwählten überreichen.
Schlagartig springen die Funken auf den Menschen über und H’rzzrak tritt zurück als sie ihn von Kopf bis Fuß einhüllen und einen golden flimmernden Schild um ihn bilden. Das Schauspiel nimmt seinen Lauf als die Schwammigkeit aus dem Gesicht des Erwählten verschwindet, die Haut sich strafft und das Haar voller wird als bekäme er seine vertane Jugend zurück. Die Umstehenden starren ihren Anführer und seine wundersame Transformation an, unsicher darüber ob das, was sich gerade vor ihren Augen abspielt, gut oder schlecht ist. Zunächst sieht es gut aus als der Erwählte sich in einem nahtlosen Prozess aus rückwärts laufender Zeit in einen kräftigen jungen Mann zurückverwandelt, denjenigen der manche von ihnen einst zu seinem Glauben bekehrt hat, nicht schwer zu sehen warum so viele auf diese Mischung aus unerschütterlicher Zuversicht, rauem Charme und dunkler Versprechen reingefallen sind.
Dieser Zustand hält nur einen Moment an, schon ist aus dem früheren Anwerber des Schattenhammers ein Jugendlicher geworden, oberflächlich gesehen genau der junge Mann den sich Mütter für ihre Töchter gewünscht hätten, wäre da nicht dieser befremdliche Ausdruck in den Augen gewesen, welcher von abseitigen Gelüsten und unaussprechlichem Verlangen erzählt.
Noch bevor man sich an ihm satt sehen kann, ist aus ihm ein Kind geworden, welches mit traurigem Blick verloren in die Welt hinaus blickt. Keine Zeit zu fragen, was diesem Kind, so voller Potential, einst widerfahren sein mag dass es die dunklen Pfade gewählt hat, es fällt vornüber auf die Knie und verharrt auf allen Vieren. Kurz blickt das Kleinkind auf und H’rzzrak an, einen flehentlichen Ausdruck in den Augen, doch der Dracthyr weiß dass es nun kein Zurück mehr gibt und auch den umstehenden Kultisten wird es klar, als das Kind auf den Rücken fällt, weiter schrumpft und als strampelndes Baby herzerweichende Schreie von sich gibt.
Auch diese halten nicht lange an, es schrumpft immer weiter, Arme und Beine bilden sich zurück, der Körper verkrümmt sich und verliert seine Konturen, wird zu einem weichen glänzenden Etwas, wird kleiner, immer kleiner, verjüngt sich von einem rosafarbenen Klumpen zu einem münzgroßen roten pulsierenden Etwas, zu einer schleimigen Schliere… dann endlich bricht der goldene Schild zusammen und dort wo vor ein paar Augenblicken noch der Erwählte stand, ist nichts mehr zu sehen außer dem felsigen Boden.
Eine schockstarre Stille hat sich über den Platz gelegt, die Kultisten sind wie vom Donner gerührt während H’rzzrak, dessen Hörner noch bronzefarben nachglühen, ihnen einen scharfen Blick zuwirft. Seine Fähigkeiten sind nicht für solche Machtdemonstrationen gemacht und er musste das letzte Bisschen Essenz aufwenden um sie zu ermöglichen, wenn sich nun eine von diesen verlorenen Seelen ein Herz fassen und ihn angreifen würde, hätte sie vermutlich Erfolg… aber nichts dergleichen passiert.
Inmitten von gesenkten Köpfen und betretenem Füßescharren tritt schließlich der Goblin vor, kurz ruht sein Blick auf dem Hammer des Erwählten, das Einzige was von ihm übrig geblieben ist, man kann seinem ölig glänzenden Gesicht geradezu ansehen wie er alle Möglichkeiten durchgeht, ob es das Risiko wert ist, danach zu greifen… am Ende gewinnt die Angst, das Schicksal des Anführers zu teilen, er tritt vor, verneigt sich tief vor H’rzzrak und blickt dann auf, argwöhnisch und linkisch. „Wie lauten Eure Befehle… Erwählter?“ Ein schiefes Grinsen soll das Zittern in seiner Stimme überspielen, es gelingt mehr schlecht als recht.
H’rzzrak starrt ihn an, lange genug dass der Goblin anfängt sich unbehaglich zu winden, dann zuckt der Dracthyr schließlich mit den Schultern. „Macht was ihr wollt.“, sagt er, sein Tonfall verrät weder Emotion noch spendet er Trost oder gar Führung. „Die letzten Tage sind angebrochen und die Stunde des Zwielichts steht nun endlich kurz bevor, da diejenige die mit ihrer Einläutung betraut ist, nun endlich das Schlachtfeld betreten hat.“ Die Kultisten sehen einander an, murmeln leise, nicht sicher ob das die Worte waren die sie hören wollten. „Diejenigen von euch, die an unsere Sache glauben… diejenigen die wirklich bereit sind, sich der Dunkelheit hinzzzzugeben… ihr mögt darauf hoffen dass eure Taten gefällig genug waren um euch das Geschenk einer Weiterexistenz im Zzzzzwielicht zu verdienen. Ihr anderen…“
H’rzzrak lässt den Blick über die Versammelten schweifen. „…kostet die Zeit aus die ihr noch habt. Tut was ihr wollt. Niemand wird sich an euch erinnern.“ Von weiter hinten in der Dunkelheit ist das Geräusch einer Klinge zu hören, die voller Vorfreude gegen zerfallenes Mauerwerk klopft, zweifellos hat Frater Sanguis die Worte angenommen und wird alles daran setzen, sich an die Spitze dieser verlorenen Meute zu erheben. Zeit zu verschwinden. H’rzzrak hebt den Hammer des Erwählten auf, dieses Symbol der Hingabe sollte nicht an den verkommenen Mob verschwendet werden. Mit kraftvollen Flügelschlägen hebt er staubwirbelnd ab und verschwindet im Nachthimmel, während unter ihm Kampfgeschrei und Waffenklirren laut werden.
Der Wind rauscht um den Dracthyr herum als er, zugegebenermaßen erschöpft, seinen Weg zurück ins Lager antritt. Er fasst an seine Wangen, wo sich Feuchtigkeit gesammelt hat… sein Blut, wie er feststellt. Alles hat seinen Preis, aber manches ist es wert, diesen zu bezahlen. So lange hat er damit gehadert, das Flüstern nicht zu hören, welches zu allen zu sprechen schien außer zu ihm. Nun weiß er, dass er es nicht braucht. Er muss nicht hören. Er kann sehen.