Sie waren grade aus den Sümpfen nach Hause gekehrt, die Rüstung voller Matsch und Blut. Die Nacht war schon vor Stunden über den Sümpfen hineingebrochen, die Luft war erfüllt von den Geräuschen der Nachttiere. Eine Eule, sirrende Insekten und der Schrei einer großen Raubkatze. Müde war Attra aus dem Sattel ihres Reitwolfes Lo‘ gerutscht, hatte ihren Kopf gegen seine Mähne fallen lassen und sich nichts mehr gewünscht, als sich zusammen zu rollen und hier auf dem Festungshof neben ihrem Wolf einzuschlafen. Sie zwang sich, die Augen zu öffnen und blickte glasig über die anwesenden Orc’n, die sich begeistert erzählten, welche Heldentaten sie heute Nacht alle vollbracht hatten. Und mit jedem Satz wurden die Geschichten glorreicher. Ein kurzes Lächeln huschte über das Gesicht der Sturmschwester. Ihre Orc’n. Und sie hatte dazu beigetragen, dass die Scharmützel am heutigen Abend so glimpflich abgelaufen waren.
Attra schwankte erneut, krallte ihre Finger fester in die Mähne ihres Reitwolfes und schloss kurz die Augen, bis die Sterne, die in ihrem Blickfeld tanzten, wieder verschwunden waren. Tief sog sie die feuchte, dumpfe Nachtluft in die Lungen. Sie stieß sich von Lo‘ ab, sah sich nach einem der Peons um und drückte ihm die Zügel in die Hand. Sie wusste, er würde sich um den müden Wolf kümmern, ihn absatteln und abreiben, ihn füttern und tränken. Die Sturmschwester wusste auch, eigentlich sollte sie diese Aufgabe übernehmen, aber die Erschöpfung fraß sich bleiern durch ihre Glieder. Sie drehte den Kopf und ließ ihren Blick über die versammelten Clanorc’n wandern. Überzeugte sich, dass keiner ernsthafter verletzt war. Um Urog würde sich Sunekka kümmern, wenn er Hilfe benötigen würde. Und den Ahnen sei Dank, niemand sah so aus, als müsse sie die nächsten Stunden mit dem Tod um das Leben eines geliebten Orc’n ringen.
Die Sturmschwester rieb sich energisch über die Augen und trat durch das offene Tor in die große Halle. Die Feuer brannten bereits, der Duft von frisch gebratenem Fleisch, von verkohltem Holz, verschwitzten Orc’n und nassen Rüstungen schlug ihr entgegen wie eine Mauer. Sie zwang sich, die Schritte in die Halle zu machen, mit jedem der Clanorc’n zu sprechen, ihnen zu sagen, wie gut sie sich geschlagen hatten in dieser Nacht. Und alles was sie wollte, war nur noch sich hinzulegen. Zu schlafen. Sie taumelte erneut vor Müdigkeit, hielt sich kurz an der Wand fest und ließ den Blick noch einmal über ihren Clan schweifen. Sie lächelte. Dann wandte sich Attra ab und verschwand hinter dem Ledervorhang, der ihre Kammer von der großen Halle abtrennte.
Nach drei stolpernden Schritten war sie vor dem niedrigen, mit Fellen ausgepolsterten Podest, auf dem sie schlief. Ihre Beine knickten ein und sie fiel hart auf den Steinfußboden ihrer Kammer. Die Sturmschwester krallte sich rechts und links in die Felle, ließ ihren Kopf dazwischen sinken und schloss die Augen. Ja, sie hatte ihren Teil dazu beigetragen, die Zwerge zu finden.
Attra erinnerte sich daran, wie sie auf dem Rücken von Lo‘ gesessen hatte, als der Befehl kam: „Sught nagh ehnen!“ Und Attra hatte sich hinaufgeschwungen, hatte ihren Geist hinauf in die Wolken geworfen. Hatte noch ein letztes Mal auf die zusammengesunkene Orcin auf dem Rücken des vertrauten Wolfes geblickt und war dann hinaufgewirbelt, verfolgt von den gelben Augen Lo’s. Sie hasste das Gefühl, an zwei Orten gleichzeitig zu sein, konnte fühlen wie sie gleichzeitig fest auf dem Rücken ihres Wolfes saß und mit der Geschwindigkeit eines Gedankens durch die Luft über den Wipfeln der Sumpfbäume raste. Wie sie seltsam verdreht und auseinandergerissen wurde. Und doch, sie musste immer weiter. Weiter. Weiter. Seltsam, dass es einmal nichts schöneres für sie gegeben hatte.
Und dann war sie tiefer gesunken, durch die Baumwipfel hindurch, war langsamer geworden. Hatte sich an den Wind geschmiegt, gesucht, gespäht und dann ihre Beute gefunden. „Egh hab‘ seh." Es war nicht mehr als ein Flüstern aus ihrem Mund. Und sie spürte eine Hand auf ihrer Schulter, wurde schmerzhaft zurückgerissen. Wirbelte durch die schmutzig-grünen Blätter, sah wieder die Orcin auf dem Wolf, deren graues, eingesunkenes Gesicht ihr auf die Brust gesunken war. Und war dann wieder eins.
Leise aufstöhnend hob Attra wieder den Kopf von ihren Schlaffellen und kroch über den Boden zu einem leeren Wassereimer in der Ecke. Die Übelkeit, die im Hintergrund gelauert hatte, brach jetzt über sie hinein. Sie hätte nicht daran denken sollen, wie sie auf dem Wind geritten war. Ihre Fingerknöchel traten weiß hervor, als sie den Eimer packte und sich ihr Magen unter Krämpfen entleerte. Als sie irgendwann nicht einmal mehr Galle würgte, ließ sie den Kopf zu Tode erschöpft auf den harten Rand des hölzernen Eimers sinken, holte probehalber flach Luft und als das nicht dazu führte, dass sie sich erneut übergeben musste, stellte sie den Eimer ab und kroch zurück zu ihrem Schlafpodest.
Mit letzter Kraft zog sich die Sturmschwester auf ihre Schlaffelle, rollte sich auf der Seite zusammen und zog mit einem Rück eines der Felle bis zum Haaransatz über sich. Sie würde jetzt nur noch schlafen. Schlafen.
Noch während sie sich in die Tiefen des Schlafs fallen ließ, konnte sie die Vorgen draußen in der Halle hören, die sich Geschichten von Mut und Tapferkeit erzählten.