Wie der Phönix aus der Asche
- für Ashford -
Elwynn.
Der Winter hatte Einzug in das königliche Reich Sturmwind erhalten.
Die Jahreszeit brachte schon zum späten Mittag die Dämmerung mit sich, und mit ihr kam der Schneefall. Kinder tobten durch die Straßen Goldhains; Lachten und jauchzten, formten mit ihren kleinen, unschuldigen Händen kugelrunde Bällchen und verschwanden in alle Himmelsrichtungen, als sie ein mal den griesgrämigen Ladenbesitzer der Schmiede trafen, welcher jüngst dabei war die Läden zum sich anbahnenden Abend hin zu schließen.
Es zauberte ein kurzes Lächeln auf schattierten Lippen der Reiterin, die hoch zu Ross auf der hochländischen Gigantin saß; Nicht minder schwarz wie die nahende Nacht war. Schwarz waren auch die Säume von unter wärmenden Mänteln verborgenen Brokatkleidern, welche sich wärmend wie lang noch über den kräftigen Rücken der Stute zogen. Eine Einheit bildeten Reiterin und Pferd somit, und setzten ihre Wege in den tieferen Norden Elwynns fort – Der Burg Grauwall entgegen.
Das alte Schloss der Familie Ashford, das dort schon lange vor ihrer Zeit gestanden haben musste, zeichnete sich des voran geschrittenen Abends aus sich lichtenden, Schnee bestückten Wäldern ab, welches eingelassen der Gebirgskette schon aus der Ferne zu sehen war. Der malerische Anblick wurde jedoch von den Schrecken getrübt, von denen die Frau nur ahnen mochte, wie schlimm sie gewesen waren. Mit jedem Schritt, den gewaltige, lang bemähnte Hufen durch aufwirbelnden Schnee eines lange nicht betretenen Weges taten, spürte sie eine aufkeimende Beklommenheit.
Das Echo vierer weiterer Hufschläge blieb vertraut in ihrem Rücken in der Nähe. Es bedurfte keines Blickes, um den in einen dicken Bärenfellmantel gehüllten, rostbärtigen Hochländer auch an diesem Ort hinter sich zu wissen. Ebenso wenig entgingen seinen sturmerprobten, dass es hier keinen Empfang für sie geben würde.
Keine Wachen im Wappen des dunklen Phönix harrten des im Winde knarzenden Tores, das Einlass auf das Land der Familie Ashford gewährte. Bis auf den pfeifenden Wind, der über die Gebirgsketten pfiff, herrschte eine beklemmende Totenstille.
Während die Edeldame von Schatten weiter Kapuzen befallene Blicke über das karge Land schweifen ließ, erinnerte sie sich an Erzählungen, wie es vor kaum langer Zeit hier gewesen war. Denn sie selbst hatte das zu Hause von James Jonathan Ashford nie betreten – Bis zu diesem Moment.
Farbenprächtig, wenn auch schlicht sollen sich weiße Rosengärten nebst geschotterter Wege über das kleine Land gezogen haben, gespickt von grün blühenden Sträuchern und goldenen Skulpturen, die das Wappen des Hauses Ashford zeigten. Die Türme der kleinen Burg von gewaltigen Fensterfassaden geschmückt, die ein herrliches Panorama auf die Gärten wie die dahinter liegenden Wälder gegeben haben mussten – und das Innere in Gold fluteten, wenn die Sonne unterging.
Wie durch einen Nebelschleier getreten schwanden die Erinnerungen, die ihr nie welche gewesen sein sollten, gleichsam wie die kräftige Stute verwitterte Torbögen passierte._
Und vor ihr eröffnete sich die bittere Wahrheit.
Vor ihr lag ein zu verwittern begonnenes, verlassenes Land.
Silbern fahles Mondlicht begann kriechend ein blasses Antlitz zu erobern, als sich das Haupt unter der wärmenden Kapuze der Reiterin Stück für Stück anhob. Reserviert ließ sich die immer noch halb verborgene Miene bezeichnen, während sie die teils eingestürzten Turmruinen besah, die sich aus den Schatten der hinter ihnen liegenden Gebirge auftaten. Fenster und Mosaike zersprungen und zerborsten unter einer Gewalt, die eine unsichtbare war – Doch ihre Schrecken nicht minder offenkundig als wären es bloße, steinerne Geschosse gewesen, die des Ortes seiner Schönheit beraubt hatten.
Auf dem Schnee gespickten Schotterweg, der sich unter weißer Decke nur erahnen, und teils unter Hufschlägen noch hören ließ, hielt die nachtschwarze Stute bald nach langsamer werdenden Schritten inne. Die Gigantin stieß unter einem Schnaufen dichte Nebelschwaden aus, die sich in sanfteren Wogen auch der Lippen ihrer Reiterin lösten.
Hier war sie nun.
Monate zu spät.
„Sei achtsam.“, ließ sich basslastiges Timbre in ihrem Rücken vernehmen. Es war Otis‘ Tonfall, der die Notwendigkeit einer Nachfrage überdrüssig sein ließ. Es war eine leise Warnung, eine stille Bitte um Vorsicht – Eine, die die Edle mit einem einzelnen, sachten Nicken versah, denn etwa zu antworten. Denn etwas griff unlängst aus tiefster Seele nach ihrer Kehle, als ihre Blicke die verworrenen Wege der sterbenden Gärten die Kuppel erhaschten, wo sich einst Rosenranken an weißen Säulen majestätisch empor gewunden haben mussten. Nur ein Schemen in der Dunkelheit, doch sie war sich gewiss: Dies war der Ort, zu dem sie musste.
Lange weilte ihre Starre, die erst von schwieligen Pranken die sich ihrer Hüften andrückten unterbrochen ward. In erster Sekunde noch erschrocken, blickte sie jedoch in das von rostroten, prächtigen Bartwucherungen gespicktes, ertrautes Gesicht, das trotz des Ortes ein warmes Schmunzeln für sie übrig hatte. Der Hochländer hob die in schwarz gehüllte Frau aus dem Sattel, aufdass sie sicher zu Boden finden mochte. Im stillen Dank bettete sich eine in Wildleder gefasste Hand an breite Brust, währen ihre Blicke sich unlängst wieder dem Weg widmeten, den sie nun zu beschreiten gedachte. Vielleicht war es besser, dass sie nicht vorher hier gewesen war. Denn die Schwere, die sich zunehmend um ihr Herz schloss, hätte sie nicht lange das Gesicht vor einer versammelten Trauergemeinschaft wahren lassen können. Und noch weniger hätte sie für jene Frau, die ihr nicht nur eine Freundin, denn wie eine Schwester war, stark sein können, als sie ihren Vater zu Grabe trug.
Denn er war ihr selbst wie einer gewesen.
Otis ließ die junge Edle ziehen, sie allein den Weg in die Gärten gehen, jedoch mitnichten zur Gänze aus sturmerprobten, grauen Augen, nachdem er ihr eine schmucklose Lampe überreicht hatte.
Nicht lange war ihre dunkle Gestalt eine Silhouette in der Nacht, denn alsbald von einem einsamen, im Schneegestöber verschwimmendem Licht beschienen, als die kleine Laterne in schlichter, gläserner Fassung entfacht worden war. Den Pfad entlang, den einst die weiße Rosenpracht zu jenem Zentrum führte, wo nun die Silhouetten von steinernen Schwingen etwas hütend unter ihren Flügeln barg.
Bald wurde die schwarze Keramik, die unversehrt darunter lag, von weichem Feuerschein der Laterne erfasst. Schatten tanzten langsam herab, als gleichsam die Hand, die das Licht führte, sich senkte. Leise quietschte der kunstvoll geschwungene Griff, als behutsam das Werk auf einem Sockel in der Nähe abgestellt wurde. Freier Hände zum Geleit fiel die weite Kapuze vom Haupt, auf dem rote Locken edel wie streng aufgesteckt thronten – Von einer güldenen, filigranen Tiara geziert. So zeigten sich die edlen, wie gereiften Züge Anna van Darrows der Grabstätte von James Ashford. Er wäre stolz auf das vornehm gewordene Erscheinungsbild der einst sorglosen Frohnatur gewesen.
Während moosgrüne Augen in stiller Resignation auf der Urne verweilten, war jedes Wort, das sie sich den langen Weg zurecht gelegt hatte, wie weggefegt. Stattdessen schlug brachial die Erkenntnis ein, dass sie nicht bereit dazu war, hier und jetzt Abschied zu nehmen. Zu sehr war sie vereinnahmt von Wut, Zorn und Trauer – Und einer Schuld, die in leisen, kraftlosen Silben ihre Lippen verließ.
„Bitte verzeih mir, James. Verzeih mir, dass ich nicht da war. Dass ich nichts von alledem verhindern konnte… Dass ich nicht für sie da war, als es zu spät war. Oh hättest du doch nur gewusst…“
Silben gingen in einem Stocken unter, als sich schmale Finger unter wildledernen Handschuhen zur zarten Faust geschlossen an die Lippen hoben. Der Laut einer klagenden Seele mochte unterbunden werden – Doch nicht verräterischer Glanz, der sich in von kleinem Feuerschein umrandeten Gluten reflektierte. Helle Wimpern schlugen nieder, suchten im Inneren um Beherrschung und flehten um Stärke, die jüngst drohte ihre Stimme vollends versagen zu lassen. Ein Fiepsen an ihrer Seite schien sie zu erhören. Der Plattschädel des alten, zahnlosen Hundeopas bettete sich gleichsam von schwarzen Stoffen eingehüllten Schoß, wie sich die Trägerin langsam auf dem Sockel niederließ. Der Tränenschleier lichtete sich unter mehrfachen Blinzeln, ehe dem Mastiff, jenem treuen Begleiter eines gewissen Hochländers, ein schwaches, doch dankbares Lächeln galt. Das Tier lugte von unten aus durchweg intelligenten, dunklen Augen empor, und stieß ein weiteres Winseln aus, als spüre es die Trauer, die Anna jüngst empfand.
Es verhalf ihr, durchzuatmen und die Blicke zurück auf die Urne, und ihre Hand auf den massigen Schädel des Mastiff wandern zu lassen. Nun endlich fand sie die Worte, die sie so lange gesucht hatte, sprach sie im leisen Vertrauen an einen dahingeschiedenen Geist.
„Du warst mir eines Vaters gleich, James Ashford.
Worte, die ein niemand der dich nur von außen kannte hätte Glauben schenken können.
Du warst ein Mann von Strenge und Disziplin, doch vor mir konntest du dein gutes Herz nicht verbergen.
Ein Herz das voller Trauer und Schmerz vergangener Jahre, aber auch Liebe und Fürsorge war.
Liebe, die du auch für Mutter empfandest, nicht wahr?“
Ein trauriges Lächeln zog sich um den Mundwinkel, während sich ihre Blicke gen der von Gestrüpp verdorrter Rosenranken überwucherten Decke der Kuppel verloren.
„Ich sah es in deinen Augen, wann immer du ihr begegnet bist. Und ich wünschte, ich hätte dir sagen können, wie dankbar ich dir war. So viele Jahre hatte sie sich verschlossen, war nicht minder streng und diszipliniert wie du. Zu diszipliniert, um zuzugeben, dass sie das selbe wohl für dich empfand. Zwei Sturköpfe, die ihresgleichen fanden.“
Der Kopf wurde sacht geschüttelt – Ihr Lächeln hielt traurig an.
„Und doch war es genug, um ein Band zwischen uns zu knüpfen, das von so vielen Einwirkungen zerrissen werden wollte, und doch nur immer stärker wurde. Dank dir gewann ich eine Schwester, um die ich heute jedoch fürchte.“
Einem tiefen ausatmen folgten hauchdünne Nebelschwaden, die sich der kalten Nachtluft entsandten. Doch Worte, auch wenn sie niemand zu hören vermochte, verließen weiter ihre Seele.
„All das Leid das sie ertragen musste… Ich wünschte so sehr, ich könnte es ihr nehmen. Und ich weiß auch du glaubtest zuletzt, wir hätten euch im Stich gelassen – Hätten euch vergessen… Oh James, hättest du doch nur gewusst… Du hättest gekämpft.“
Still war das Zeugnis, das in fadenscheinigen Glanz über blasse Wangen rann. Fort gewischt in einer Geste, als wäre es in dem Moment nurmehr lästig und unerwünscht; Quittiert von einem kehligen Brummen auf ihrem Schoße. Die Blicke schlugen kurz hinab, und dann zurück zu der Urne. Mit sanfter Gewalt schob sie den sabbernden Plattschädel des Hundeopas von ihrem Schoße, um sich zu erheben. Breite Schneisen zogen lange Kleider, als sie sich der Urne widmete und behutsam verrottete Blätter und Schmutz davon wischte, der von vergangenen Herbstwinden getragen hier Einzug gefunden hatte. Ihres monotonen Monologes verfallen, fuhr Anna leise fort.
„Gekämpft für dein Blut, dein Vermächtnis - Dein Herz. Welcher Intrige du auch immer unterlegen warst; Dein Blut wurde mit deinem Tod nicht aus der Welt getilgt. Es ist in Geborgenheit vor jenen, die es in Vergessenheit geraten lassen wollen – Weit weg von hier, an einem sicheren Ort. Jenes Zeugnis deiner Liebe zwischen meiner Mutter und dir. Es ist unverkennbar, auch wenn jemand dich etwas anderes glauben lassen wollte. Ich wünschte, du hättest mir dies anvertraut. So vieles wäre anders gewesen. Doch nun, James, verbleibt mir einzig ein Schwur, den ich dir hier und heute gebe.“
Ein Nicken indes schien Überzeugung zu tragen, während ihre Hand an der Urne zur Ruhe gekommen ward, und ihre Blicke sich durch die Gärten hin zu den Silhouetten der erschütterten Burgtürme bahnten.
„Ich werde deinen Namen, dein Heim, deine letzte Ruhestätte, in Ehren halten. Hüten bis zu dem Tag, an dem dein Blut hier her einkehren, und deinem Haus zu altem Ruhm zurück verhelfen wird. Grauwall wird in altem Glanz einen neuen Morgen erleben – und dein Name wieder auferstehen.“
Ein Lächeln galt bald der Statue empor, die doch just diese edle, Sagen umwobene Kreatur verewigt hielt.
„So wie der Phönix aus der Asche.“
Und wie es im Hause van Darrow immer war, und auch unter der Tochter der verstorbenen Baronin nicht anders sein würde – Nur eine Woche nach ihrem Besuch auf dem verfallenen Anwesen sollte das Versprechen eingelöst werden, und Leben auf Grauwall zurückkehren. Wenige, doch tapfere Ritter der Dornenruh, jene lichttreuen Vasallen der Dämmerwacht, begannen die verwitterten Ländereien zu besetzen und zu beschützen. Mit dem offiziellen Erwerb des Landes hatte sich eine neue Verwalterin den Besitz von Grauwall in Elwynn gesichert – Bis klar würde, wem dieses Erbe eines Tages zuteil wurde. Sicher war bis dahin nur - Die Arbeiten auf dem Land würden erst nach dem Winter beginnen. Bis dahin ward nur die Ruhestätte des verstorbenen Barons gepflegt und regelmäßig neuer Blumen und Gestecke bestückt.
Und stets ein Licht an seinem Grab entfacht.