Das Verlies (Eine Necromanten-Story)
Mir war ein Gerücht zu Ohren gekommen, dass es im Verlies nahe Cerrigar in Scosglen unentdeckes Wissen zu holen gäbe. Es machte mich neugierig, denn an jeder Erzählung soll ja ein Funke an Wahrheit stecken.
Die Reise dort hin war etwas beschwerlich, denn die Wildtiere in den Smaragdebenen können bei einer Störung sehr agressiv werden. Von den zahllosen Banditen, die es dort geben soll, habe ich aber nur wenige gesehen. Vermutlich hatten sie mein Gefolge aus Skelettkrieger und -magiern, sowie meinem Blutgolem, ausgemacht und entschieden, dass ein Nekromant, der sich weniger für weltliche Dinge interessiert, nicht wirklich eine lohnende Beute bei sich haben wird. Das Risiko auf Verletzungen, den Tod und anschließende Versklavung könnte ihnen ebenfalls zu hoch gewesen sein.
Nach einer ausgiebigen Rast in der Stadt Cerrigar machte ich mich schließlich auf den Weg zu dem besagten Verlies. Dank der freundlichen und hilfsbereiten Einwohner des Städchens hatte ich erfahren, dass es nicht weit entfernt lag. Einigen konnte ich aber ansehen, dass sie froh über meine Abreise waren.
Das Verlies war tatsächlich nicht weit entfernt. Die Sonne hatte noch nicht einmal den Zenit erreicht, als ich den Eingang vor mir ausmachen konnte. Die nach außen gebogenen rostigen Gitterstäbe zeigten mir, dass hier einmal etwas sehr Großes ausgebrochen sein musste.
Bevor ich hinein ging, überprüfte ich noch einmal meine Ausrüstung und wies meine Diener an das Gleiche zu tun. Als ich mit der Überprüfung fertig war, stellte ich fest, dass meine Skelettkrieger und Magier noch immer an der gleichen Stelle standen und mich einfach nur dümmlich anstarrten. Hatten sie etwa schonwieder vergessen, wie man das macht?
Mir blieb keine andere Wahl, als es ihnen nocheinmal zu zeigen. Erst jetzt begriffen sie wieder, wie man die Ausrüstung prüft und taten es dann auch. Bis sie fertig waren, hatte die Sonne den Zenit erreicht.
Jetzt waren wir bereit und ich betrat, dicht gefolgt von meinen Dienern das Verlies.
Es war überraschend hell in diesem alten und verfallenen Bau. An verschiedenen Stellen wurden die Wände und der Boden von Fackeln beleuchtet, während man in anderen Ecken die Schemen alter Möbel, Kisten und Gerätschaften erkannte. Brennende Fackeln bedeuteten aber auch, dass die jemand oder etwas hauste. Instinktiv spannte ich mich an.
Das Vorankommen in solchen Gefilden ist immer schwierig, da man nicht weiß, was einen hinter der nächsten Tür und der nächsten Ecke erwartet. Bedächtig bewegte ich mich also vorwärts und versuchte möglichst wenig Lärm an den alten Gittern und knarrenden Türen zu verursachen. Gedanklich bereute ich es schon meine Skelette mitgenommen zu haben, da diese ständig bei jeder Bewegung klapperten.
Nachdem ich um eine Ecke gebogen war, stellte ich fest, dass mein Golem fehlte. Wo war dieser dicke Fleischklops denn jetzt schonwieder hin? Ich ging zurück um die Ecke und was ich da vorfand, war etwas verstörend.
Der Blutgolem hatte sich ein Gitter gesucht, das vor sich hin rostend an einer Wand lehnte. Vor diesem stand er jetzt, und rieb mit grunzenden Lauten seinen Hintern an dem rostigen Metall. Ich sah einen Moment zu und dachte:
„Kann es sein, dass die Golems an Hämorrhoiden leiden können? Dem sollte man später vielleicht mal nachgehen.“
Ich entschied meinem Golem den Moment der Erleichterung zu gönnen. Wenn ich vorsichtig genug vorginge, sollten meine Skelette als Verteidigung ausreichen. Also tastete ich mich weiter durch dieses spärlich beleuchtete Gewölbe.
Einige Ecken später machte sich eine gewisse Erleichterung in mir breit, denn ich sah einige Skelettkrieger und -bogenschützen durch die Gänge streifen. Das Geklapper meiner eigenen Diener stellte jetzt also kein so großes Problem mehr dar. Dass es dennoch ein Problem geben würde, sollte sich erst später herausstellen.
Erst einmal arbeitete ich mich weiter durch die Gänge, wobei ich umherstreifenden Gegnern entweder auswich, oder sie schnell durch meine Diener ausschalten lies. In der Ferne konnte ich schließlich ein großes Tor erkennen. War dahinter das Wissen verborgen?
Etwas zu wissbegierig lies ich meine Vorsicht etwas fallen und lief schnelleren Schrittes auf das Tor zu, als plötzlich ein Skelettbogenschütze um die Ecke kam, dessen Bogen gespannt war und die Pfeilspitze direkt auf mein Gesicht zeigte. Mein Herz setzte einen Schlag aus und die Zeit schien stillzustehen.
Ich starrte diesem Skelett direkt in die leeren Augenhöhlen und fragte mich, ob ich einen Kontrollzauber schneller wirken könnte, als dieser seinen Pfeil abschießen. Vor Schreck zuckte ich zusammen, als plötzlich der Unterkiefer des Skelettes herunter klappte, aber im nächsten Moment senkte er seinen Bogen. Erleichtert atmete ich auf, aber war noch zu perplex, um zu merken, was hinter mir passierte.
Einer meiner Skelettkrieger hatte sich ohne meinen Befehl in Bewegung gesetzt. Ich merkte es erst, als er neben mir in meinem Sichtfeld auftauchte. Erst dachte ich, er hätte die Gefahr der Situation, in der ich mich befand, erkannt und wolle mir zu Hilfe eilen. Es stellte sich aber wieder als eine Fehleinschätzung heraus.
Mit gesenkter Waffe lief mein Skelettkrieger auf den Bogenschützen zu, der mich gerade eben noch bedroht hatte. Beide starrten einander an, es gab leise krächzende Laute und die Knochen klapperten etwas. Dann fielen die Waffen beider Skelette auf den Boden und sie fielen einander in die Arme. Ein weiteres Mal war ich völlig perplex.
Als die Beiden jetzt noch anfingen einander zu küssen, begann ich zu begreifen, dass ich durch Zufall zwei Liebende zusammen geführt hatte. Natürlich konnte ich bei all der Rüstung nicht erkennen, wer Mann und wer Frau war, aber die Zwei schienen sich von Lebzeiten her noch zu kennen. Der Gedanke, dass eine Liebe auch bis über den Tod hinaus Bestand haben kann, lies mich innerlich lächeln.
Ein schlurfendes Geräusch hinter mir deutete an, dass mein Golem den Weg zurück zur Gruppe gefunden hatte. ich blickte zurück in ein erleichtert wirkendes Gesicht, das von einem zufriendenen Hecheln unterstrichen wurde. Erleichtert atmete ich auf, weil mein stärkster Diener wieder an meiner Seite war. Jetzt konnte ich mich wieder der Suche nach dem Wissen widmen.
Meinen Skelettkrieger lies ich bei dem Bogenschützen zurück. Sicher hatten die Zwei einander viel zu erzählen und ich wollte eine erneute Trennung nach so langer Zeit nicht unbedingt erzwingen. Der Rest meiner Diener sollte im Fall der Fälle ausreichen, um hier lebend wieder herauszukommen.
Das Tor zu öffnen, stelllte sich als schwerer heraus, als erwartet. Nach all den Jahren waren die Scharniere verrostet und weil die Tür aus massiven Holzbalken udn Ketten bestand, musste mein Golem mit anpacken, um es aufzustemmen. Dahinter fand ich eine kleine Kammer, an deren anderem Ende ein schmaler Weg in die Tiefen des Berges führte.
Ich lies meine Skelettkrieger vorangehen, wärend mir die Magier den Rücken deckten. Der Boden war feucht und rutschig, weshalb ich mich mehrmals an den Wänden festhalten musste, um nicht zu stürzen. Vor mir geriet einer meiner Skelettkrieger ins Taumeln, stürzte und rollte, wie ein Ball aus Knochen den Gang hinab.
Einen Moment hielt ich den Atem an und lauschte. Wenn dort unten etwas war, müsste das Klappern der Knochen dessen Aufmerksamkeit erregt haben. Ich hörte aber nur das Klappern meines Skelettkriegers, der sich unten angekommen wieder richtig zusammensetzte. Die Anspannung war jetzt aber da und so schnell würde sie sich auch nicht wieder geben. Ich MUSSTE jetzt aber erfahren, ob es dort unten tatsächlich unbekanntes Wissen gibt.
Am Ende des Ganges angekommen, stand ich am Eingang zu einer enormen Halle mit mehreren Säulen und einigen Feuerschalen an deren Wänden entlang. Fackeln an den Säulen beleuchteten das Innere der Halle und genau in der Mitte erkannte ich die Umrisse eines riesigen Objektes, das an einen Sarkopharg oder eine eiserne Jungfrau erinnerte.
Ehrfürchtig schritt ich näher heran und erkannte, dass es von schweren Ketten umschlungen war, die von rostigen Schlössern gehalten wurden. Als ich näher kam, konnte ich ein leises Klappern dieser Ketten hören und dann sah ich das Objekt sogar etwas wackeln. Da war also etwas im Inneren!
Ich nahm eine Fakel von einer der Säulen udn näherte mich weiter. Auf der Oberfläche dieser enormen eisernen Jungfrau konnte ich jetzt Runen und andere Schriftzeichen erkennen. Sie wurde neben den Ketten also zusätzlich mit einem oder mehreren Zaubern versiegelt worden.
Während ich die Runen und Schriftzeichen studierte, die teilweise sehr verblasst und unleserlich geworden waren, hörte ich im Inneren ein leises Scharren. Das Geräusch wurde allmählich lauter und kurz darauf begannen die Schlösser zu knirschen, die die Ketten hielten. Gerade noch rechtzeitig machte ich einen Schritt zurück, bevor die Schlösser und Ketten barsten und die schweren Flügel der Jungfrau aufschwangen.
Jetzt ging alles ganz schnell. Der Grubenfürst, der darin eingesperrt war, stieß ein Gebrüll aus und schleuderte mir einen Zauber entgegen. Mit einem beherzten Hechtsprung wich ich dem Angriff aus und befahl meinen Dienern gleichzeitig anzugreifen.
Augenblicklich schleuderten meine Skelettmagier dem Feind ihre Eissplitter entgegen und wirkten mit Blizzards auf dessen Beweglichkeit ein. Meine Skelettkrieger klapperten, rasselten mit ihren Waffen und stürzten sich auf das Ungetüm. Mein Golem, der bis eben noch erleichtert vor sich hin grinste, wurde wieder ernst und holte zu einem gewaltigen Schwinger gegen den Grubenfürsten aus.
Den gelegentlichen magischen Angriffen, die in meine Richtung durchdrangen, wich ich gekonnt aus. Rein instinktiv begann ich einen Knochenspeer zu formen, den ich auf den Grubenfürsten schleudern wollte.
In dem Moment erkannte mein geistiges Auge die spirituellen Bindungsfäden, die von dem Grubenfürsten ausgingen und sich allesamt durch den Gang in die oberen Bereiche des Verlieses zogen. Einer dieser Bindugsfäden hatte eine Aura, die mir irgendwie bekannt vorkam. Ja, eine solche Aura hatte ich auch bei dem Skelettbogenschützen gespürt, der jetzt oben mit einem meiner Skelettkrieger zusammen war.
Bevor ich also den Knochenspeer auf den Grubenfürsten schleuderte, konzentrierte ich mich schnell auf einen Konterzauber gepaart mit einem Kontrollzauber. Somit entriss ich dem Grubenfürsten die Bindung zu dem Skelettbogenschützen und nahm ihn in meine Dienerschaft auf. Jetzt schleuderte ich den Speer auf die vor Wut tobende Kreatur.
Mein Golem erkannte das Vorhaben, packte den Fürsten am Hals und bewegte dessen Kopf genau in die Flugbahn des Speeres. Das Knacken, als der Speer die Schädelplatte durchschlug, lies die ganze Halle erzittern. im nächsten Moment stieß der Grubenfürst ein leises Seufzen aus und brach leblos zusammen.
Nachdem ich mich etwas von dem überraschenden Kampf erholt hatte, durchsuchte ich die ganze Halle nach dem verborgenen Wissen. Leider erwies sich das Gerücht dieses Mal als eine Sackgasse, denn ich konnte nichts finden. Ich war aber um einige Erfahrungen reicher und konnte ohne schlechtes Gewissen das Verlies verlassen.
Meinen Skelettkrieger und den Bogenschützen entlies ich aus meinen Diensten. Vielleicht würde ich irgendwann zurückkehren, um zu sehen, ob sich Untote vielleicht eigenstädig ein gemeinsames Unleben aufbauen können.