Es war ein durchaus kühler Morgen in Thelsamar.
Der eisige Wind aus Khaz Modan kollidierte mit der warmen Luft des Loch’s. Es verwob sich zu einer frischen Brise, die über die Häuser und das Gasthaus in dem kleinem Zwergendorf strich. Keir trat zu früher Stunde aus dem Haus der Oskorei hinaus. Seine Augen wanderten über die mittlerweile schon belebten Straßen. So lange ist es nun her sinnierte er, bevor er sich auf den Weg machte. Ja. So lange ist es nun her. Und viel ist seitdem geschehen. Viele Gesichter haben die Oskorei auf ihren Reisen begleitet. Gesichter die man lieb gewonnen hat – und Gesichter die in Vergessenheit gerieten. Kurz hielt Keir inne, sein Blick richtete sich gen Westen. Dort wo in weiter Ferne ein Gesicht nie vergessen wird. Die Oskorei hatten nicht nur Menschen hinzugewonnen, sie hatten sie auch verloren. Der bitterste Preis ist gezahlt worden. Und dieser Schmerz pulsierte noch immer wie eine alte Wunde im Herzen des Druiden.
Bitterkeit überschattete aber nicht seine Gedanken. Sondern Stolz. Glück. Hoffnung. Stolz das die Oskorei zu dem geworden sind was sie heute darstellen. Glück das er Vertraute und Freunde gefunden hat, in deren Kreis er mit Freuden lebt. Hoffnung, dass es mit dem Segen der Ahnen so weitergehen kann.
Ungefähr ein Jahr war es her, dass die Oskorei in die Öffentlichkeit getreten sind und ihren ersten Einsatz gegen einen Schattenhaften Kult in den Pestländern erlebt haben. Auch wenn der Kult besiegt wurde, war es nur der Anfang vieler weiterer Abenteuer und Reisen gewesen. Die Hinterlande, Sturmwind, Darnassus, das Rotkammgebirge, der Teufelswald, Kul Tiras und die Dunkelküste…alles Orte die man bereist hat. Und es gab noch so viel mehr zu entdecken auf dieser Welt. Viel mehr zu schützen. Viel mehr zu bewahren.
Als die ersten Oskorei sich im Gemeinschaftsraum versammeln bemerken sie zwei Dinge: Zum einen einen großen Nusskuchen, garniert mit einer Dunkelgrünen Glasur in Form eines Baums. Zum anderen eine Geschichte, eine Parabel, die auf Pergament geschrieben an die Tür des Hauses gehängt wurde.
Schweigend saß der Shan’do mit seinem Thero’shan am Lagerfeuer und schaute nachdenklich in die Flammen. Die Bäume um sie herum warfen schaurige Schatten, das Feuer knackte und die Flammen loderten in den Himmel. Nach einer gewissen Zeit meinte der Shan‘do: "Flammenlicht und die Dunkelheit, wie die zwei Wölfe, die in unseren Herzen wohnen“. Fragend schaute ihn sein Thero’shan an. Daraufhin begann der alte Shan’do seinem Thero‘shan ein altes Gleichnis des Goldrinn zu erzählen, von einen weißen und einem schwarzen Wolf.
“In jedem von uns lebt ein weißer und ein schwarzer Wolf. Der weiße Wolf verkörpert alles was gut, der Schwarze, alles was schlecht in uns ist. Der weiße Wolf lebt von Gerechtigkeit und Frieden, der Schwarze von Wut, Angst und Hass. Zwischen beiden Wölfen findet ein ewiger Kampf statt, denn der schwarze Wolf ist böse – er steht für das Negative in uns wie Zorn, Neid, Trauer, Angst, Gier, Arroganz, Selbstmitleid, Schuld, Groll, Minderwertigkeit, Lüge, falscher Stolz und vieles mehr. Der andere, der weiße Wolf ist gut – er ist Freude, Friede, Liebe, Hoffnung, Freundlichkeit, Güte, Mitgefühl, Großzügigkeit, Wahrheit und all das Lichte in uns. Dieser Kampf zwischen den beiden findet auch in dir und in jeder anderen Person statt, denn wir haben alle diese beiden Wölfe in uns.”
Der Schüler dachte kurz darüber nach und dann fragte er seinen Meister. "Und welcher Wolf gewinnt?“ Der alte Druide antwortete: „Der, den du fütterst. Nur bedenke, wenn du nur den weißen Wolf fütterst, wird der Schwarze hinter jeder Ecke lauern, auf dich warten und wenn du abgelenkt oder schwach bist wird er auf dich zuspringen, um die Aufmerksamkeit zu bekommen die er braucht. Je weniger Aufmerksamkeit er bekommt, umso stärker wird er den weißen Wolf bekämpfen. Aber wenn du ihn beachtest, ist er glücklich. Damit ist auch der weiße Wolf glücklich und alle beide gewinnen.“ Das ist die große Herausforderung eines jeden von uns… das innere Gleichgewicht herzustellen. Denn der schwarze Wolf hat auch viele wertvolle Qualitäten – dazu gehören Beharrlichkeit, Mut, Furchtlosigkeit, Willensstärke und großes intutives Gespür, Aspekte, die Du brauchst in Zeiten, wo der weiße Wolf nicht weiter weiß, denn er hat auch seine Schwächen.
Du siehst, der weiße Wolf braucht den schwarzen Wolf an seiner Seite. Beide gehören zusammen. Fütterst du nur einen, verhungert der andere und wird unkontrollierbar. Wenn du beide fütterst und pflegst wird es ihnen gut tun und ein Teil von etwas Größerem, das in Harmonie wachsen kann. Füttere beide und du musst deine Aufmerksamkeit nicht auf den inneren Kampf verwenden müssen. Und wenn es keinen inneren Kampf gibt, kann man die innere Stimme, der alles wissenden Führer hören, die dir in jeder Situation den richtigen Weg deutet. Frieden, mein Schüler, ist die Mission des Druiden, ist das Leben. Ein Mann, der den schwarzen und weißen Wolf in Frieden in sich hat, der hat alles. Ein Mann, der in seinen inneren Krieg gezogen wird, der hat nichts. Dein Leben wird davon bestimmt, wie du mit deinen gegnerischen Kräften umgehst. Lass nicht den einen oder anderen verhungern, füttere sie beide und beide gewinnen.“