(3) Es war einmal…
Sie betrat die Lichtung und ging mit festen Schritten auf den Jungen zu, der sie abschätzend und immer noch lächelnd betrachtete. In der vermeintlich für sie sicheren Entfernung blieb Isabela stehen und vorführte einen übertrieben gespielten, aber dennoch von ihr so gewollten, Knicks. Es war eine bedauerliche Vorstellung. Einer mit zwei Holzbeinen hätte eine bessere hingelegt.
‚‚Meine Eltern gaben mir den Namen Isabela,‘‘ sagte sie mit ruhiger Stimme und gab sich größte Mühe dabei ernst zu klingen.
Der Junge verneigte sich formell, richtete sich auf und legte rechte Handfläche auf die Brust überm Herzen. ‚‚Und ich bin…‘‘
‚‘… NICHT von hier,’’ unterbrach Isabela ihn auf einmal im scharfen Ton und war davon überzeugt, hoffte es sogar, dass dieses Verhalten ihrerseits ihn aus der Fassung bringen oder beleidigen würde. Statt dessen lächelte der Junge weiter hin schwach, aber dennoch ehrlich und schön.
Dann schlenderte sie an dem Jungen vorbei zu dem Baumstumpf, plumpste unelegant darauf und schlug die Beiden nicht ganz damenhaft übereinander. Sie blickte sich um, als würde sie nach etwas bestimmten suchen und dann fragend zu dem Jungen hoch. ‚‚Was… wird den Gästen heute angeboten?‘‘
Der Junge begann eulenhaft den Kopf zu drehen und seine Wangen erröteten ein wenig. Sie wartete nicht auf die Ergebnisse der Sucherei seinerseits, sondern ergriff ungeladen den Stock mit dem letzten Stück verkohlten Fleisch darauf, das über den Flammen vor sich hin brutzelte und biss hinein. Das Fleisch war steintrocken, übersalzen, betäubte dazu noch die Lippen und schmeckte wie Tränen. Sie spuckte es fluchend aus und warf den Rest ins Feuer. Unzählige Funken wirbelten in spektakulären Bögen herum, erhellten das Gesicht des Jungen, der mit seinem fassungslosen Blick und offenen Kinnlade dem Fleisch ins Feuer folgte. Sein Lächeln verging langsam.
‚‚Das ist Trockenfleisch,‘‘ sagte Isabela empört und rieb mit dem Zeigefinger die tauben Lippen. ‚‚Das ist schon fertig so wie es ist. Du musst es nicht noch… braten.‘‘
‚‚Ich weiß,‘‘ antwortete der Junge leise. Er machte eine Pause, sah in die Flammen und fügte dann hinzu: ''Ich mochte diesen salzigen Geschmack auch nicht. Ich dachte, ich könnte es… herausköcheln. ‚‘ Er kicherte kurz, ohne es selbst zu merken, über das Wort.
‚‘ Herausköcheln??? Soll das ein Scherz sein?’’ Sie rollte mit den Augen und dabei fiel ihr Blick auf den Lederbecher, aus dem der Junge vorhin getrunken hatte. Sie nahm und hielt ihn kommentarlos in die Höhe. Der Junge - nun einem gewöhnlichen Küchenjungen irgendwie immer ähnlicher - holte einen Wasserschlauch aus Tierhaut hervor und goss das Wasser geduldig in den Becher. Er befühlte kurz und nachdenklich den Schlauch, der jetzt fast leer war, bevor er ihn ablegte und wieder zu ihr rüber schaute. Dann nickte er einladend.
‚‚Bitte… Trinkt.‘‘
Sie trank. Das Wasser hatte etwas bitteren Beigeschmack des Leders, war aber erfrischend kühl und sogar mehr als nur genießbar. Die Mundwinkeln auf dem Gesicht des Jungen waren dabei höher zu wandern, um wieder zu einem vollen Lächeln zu werden, als…
… ein Sprühregen aus seinem eigenen Wasser und nun gemischt mit Isabelas eigener Spucke und… mit voller Wucht sein Gesicht traf. Der Junge war förmlich davon überdeckt. Er machte instinktiv die Augen zu, hielt den Atem an, hob die Brauen und verharrte in dieser komischen Haltung, während das Wasser seinen Wangen und Kinn herunterlief. Den Rest wischte er mit der Handfläche weg, machte die Augen langsam wieder auf und sah sie überrascht an , aber dennoch… nicht ganz unfreundlich.
‚‚In welcher Pfütze hast du denn deinen Wasserschlauch gefüllt…‘‘ Sie brach beim letzten Wort ab, trocknete den Mund und musste sich in die Wange beißen, um ihr ernstes Anschein zu bewahren. Den Rest der Flüssigkeit kippte sie demonstrativ langsam ins Grass und wartete auf Reaktion des Jungen. Es folgte keine. Er stand einfach nur da und wusste nicht wohin mit seinem Blick. Die Röte breitete sich auf seinen Wangen wie ein Flächenbrand. Und Isabela fragte sich, ob es genug der Vorstellung war. Dann beantwortete sie die eigene Frage mit einem… Nein.
Sie sah nach oben, hob ratlos die Hände und fragte die angebrochene Dämmerung: ‚‚Sind denn die Gäste nun bedient?‘‘
‚‚Ich habe Tee gekocht,‘‘ sagte der Junge feierlich. Er lief um die Feuerstelle auf die andere Seite und brachte eine Blechbüchse mit. Dünne Dampffetzen stiegen der empor. ‚‚Darf ich?‘‘ er nahm den Becher aus ihrer Hand, füllte ihn mit der warmen Flüssigkeit und reichte es Isabela wieder. ‚‚Hier… hier.‘‘ Sie nahm den Becher entgegen und sah schmunzelnd zu, wie der Junge doch paar Schritte zurück ging.
Der Tee war nicht besonders heiß, duftete aber himmlisch und schmeckte genauso. Isabela machte mehrere gierige Schlucke, bevor sie beschloss, mit dem Theater fortzufahren. Dann schnitt sie angewiderte Fratze, spie den Tee aus, spuckte hinterher und warf den Becher weg. Sie nahm ihren ganzen Wut zusammen, was sie nur zusammen kriegen konnte, bemühte sich glaubwürdig zu wirken und schrie den Jungen an: ‚‚Sind das etwa Blutdisteln? Wolltest du mich vergif…‘‘
‚‚Nein,‘‘ protestierte der Junge laut und fast stotternd. ‚‚Nein… die Mischung macht meine Mutter.‘‘ Mit jedem weiteren Wort wurde er leiser: ‚‚dafür ist sie…‘‘ Und dann fast nur flüsternd und eher zu sich selbst: ‚‘… sogar sehr berühmt.’’ Er stand mit gesenktem Kopf da, hielt die Blechbüchse in seinen starrten Händen und betrachtete sie verständnislos. Die Farbe Rot zerlief auf seinem ganzen Gesicht wie auf einem Gemälde. Und Isabela jubelte, lachte und schlug Purzelbäume vor Freude im ihren Inneren.
‚‚Dann tu mir bitte den Gefallen und richte deiner Ma‘ folgendes von mir aus,‘’ sagte Isabela, scheinbar es doch auf die Spitze treiben zu wollen. ‚‚Sag ihr: es schmeckt… widerlich.‘‘ Das letzte Wort presste sie wie Erbrochenes heraus. Und der Junge schien die Anspielung darauf, dass er hier nicht willkommen war, endlich zu begreifen.
Er machte sich wortlos auf und begann seine auf der Wiese verstreuten Sachen einzusammeln. Nach kurzer Zeit kam er mit einer Armbeuge voll davon wieder, ließ das Ganze neben seinen Rucksack fallen und sah Isabela an. Der Junge versuchte aus aller Kraft seine Verlegenheit zu verbergen, was ihm überhaupt nicht gelang. Er versuchte immer noch sie anzulächeln, aber dieses Lächeln kam streif und irgendwie verzerrt rüber. Und Isabelas innerliche Feier neigte sich rasch dem Ende zu und machte dem Gefühl vom unsagbaren Scham Platz.
Sie sah ins Feuer und auf verkohltes Stück Trockenfleisch darin, das inzwischen zur schwarzen Sinnlosigkeit verbrannt war, dann zu der Stelle, wo die Erde von ihr ausgekipptes Wasser unwiederbringlich aufsog und auf so gut wie leeren Wasserschlauch mit dem Rucksack des Jungen daneben. Er hatte nicht viel und war bereit - edelmütig und ohne zu zögern - auch dieses sein Letztes mit ihr zu teilen. Und sie? Sie hat es einfach vernichtet.
Das Gefühl, das Isabela gerade beschlich, war schrecklich. Und das schlimmste an dem Ganzen: sie hat völlig grundlos die Mutter des Jungen beleidigt - eine Frau, die sie nicht mal kannte, die vielleicht einfach nur ihren Sohn lieb hatte und einen wunderbaren Tee zubereiten konnte. Isabelas Lippen öffneten sich und im nächsten Augenblick würden die Worte der Entschuldigung deren entspringen, und dass sie so nicht ist, niemals war, als… der Junge wieder zu sprechen begann.
‚‚Würdet Ihr mir ebenfalls einen Gefallen erweisen?‘‘ fragte er ruhig. Sie sagte nichts, sondern machte mit der Hand eine kreisende Bewegung in der Luft, die ihn aufforderte weiter zu sprechen und der Junge fuhr fort: ‚‚Bestellt bitte Eurer Mutter meine besten Grüße und richtet ihr auch aus, dass sie eine… doch so bemerkenswert scharmante junge Lady großgezogen hat - eine wahrhaftige Hofdame, möchte man meinen, deren Gesellschaft ein reinstes Vergnügen für die anderen ist.‘‘ Er verstummte, schaute sie an und fügte im selben Ton hinzu, den sie vorhin selbst gesprochen hatte: ‚‚Sagt es ihr.‘‘
Sie war erstarrt von dem, was der Junge sagte, als wäre sie geschlagen worden. Da war sie also… die Vergeltung des Himmels. Wofür sie eine ganze Vorstellung gebraucht hatte, schaffte der Junge nur mit einem einzigen Satz. Sie gaffte ihn mit weit aufgerissenen Augen und vor Überraschung offenem Mund an und spürte, wie die Farbe aus ihrem Gesicht wich. Sie konnte kein einziges Ton von sich geben. Die verräterische Zunge war wie am Gaumen festgeklebt. Nur die Gedanken von ihrer Ma’, die wie ein Sturm im Kopf wirbelten, und ein unsichtbarer, heißer Draht um ihr Herz, der sich immer enger zog. Was würde sie bloß dafür geben, noch ein mal mit ihr zu sprechen… Und was würde sie geben, um ihr überhaupt nur irgendwas sagen zu können. Aber… das konnte sie nicht. Dies blieb ihr nun für immer verwehrt, auf alle Ewigkeiten dahin geschieden…
Zuerst verspürte sie irrsinniges Verlangen nach dem Messer zu greifen, das immer noch aus der Erde ragte, und es diesem Jungen in den Hals zu stecken und ihn dann ohrfeigen… ohrfeigen… ohrfeigen… so heftig, wie sie nur konnte… und so, wie seine Worte es getan haben. Dann aber überkam sie unangenehmes Schwindelgefühl und Isabela spürte, wie schnell das Wasser in ihren Augen sich sammelte. Und all das - auf ihrem Gesicht und tief in ihrer Seele - schien der Junge auch zu sehen und… überraschte sie.
Auf einmal stand er vor Isabela und als sie zu ihm aufsah, ließ er sich auf ein Knie vor ihr nieder und ergriff sanft ihre Hände. Zu ihrer eigenen Verwunderung ließ sie es zu. Seine Handflächen fühlten sich rau an, waren aber warm und ihre Anwesenheit um ihre wirkte beruhigend.
‚‚Eurer Verlust tut mir vom ganzen Herzen leid. Das wusste ich nicht,‘‘ sagte der Junge und in seiner Stimme war tiefstes Mitgefühl und Besorgnis verborgen. ‚‚Ich wusste es nicht und habe Euch dennoch durch meine unbedacht gewählte Worte verletzt. Versucht mir zu vergeben und nimmt bitte… meine Worte des Beileids an.‘‘
‚‚Ja, das werde ich,‘‘ erwiderte Isabela flüsternd, während sie ihn weiter hin ansah. ‚‚Mit Dank…‘‘ Und erste Träne nahm bereits ihren Weg nach unten.
Sie wandte ihren Blick von ihm ab, rang plötzlich nach Luft und… gegen ankommende Tränen. Nun verspürte sie etwas in ihr auflodern, wogegen sie keine Macht besaß, es aufzuhalten. Jeden Augenblick würde sie los heulen, wie ein kleines Schulmädchen. Dessen schämte sie sich nicht, aber sie wollte es nicht VOR IHM tun. Und… auch das schien der Junge wohl zu bemerken und zur ihrer erneuten Überraschung… ließ er es nicht zu.
‚‚Wisst ihr eigentlich, wie Elfen und Amani sich gestritten haben, wer… ZUERST in Quel’Thalas war?‘‘ fragte er beiläufig und sprang auf. Dann reduzierte er seine Stimme auf ein Flüsterton und sagte geheimnisvoll: ‚‚wie es wirklich war.‘‘
‚‚Wir waren schon vor… vor 4.000 Jahren hier angekommen,‘‘ sagt der erste Elf mit einer piepsiger Stimme.
‚‚Tja, Spitzohr… wir sind aber hier schon seit 6.000 Jahren,‘‘ antwortet der eine Amani grimmig und lehnt sich zufrieden zurück.
‚‚Wen nennst du hier Spitzohr, du Langfresse, und… und… nimm gefälligst deinen Zinken aus meinem Gesicht, er verdeckt mir die Sicht,‘‘ erwidert der zweite Elf darauf. ‚‚Und wir sind hier schon seit 8.000 Jahren und der da…‘‘ er sieht den ersten Elf erbost an und verpasst ihm kräftig einen auf den Hinterkopf.’’… hat gar keine Ahnung.’’
‚‚Aus deinem Gesicht? Das… soll ein Gesicht sein? Dieses Gesicht würde mit meinem Hintern als unzertrennliche Zwillinge durchgehen,‘‘ verteidigt der zweite Amani den ersten und dann in die Runde: ‚‚es sind schon 10.000 Jahre, seitdem wir Quel’Thalas unser zu Hause nennen.‘‘
Der dritte Elf läuft schon langsam rot an und scheint fürs erste nicht mal zu wissen, was er noch dazu beisteuern könnte. Sagt aber dann stotternd: ‚‚Und als wir… als wir… als wir hier angekommen waren, gab es hier… NIEMANDEN, außer einigen hässlichen, dämlichen, a-a-affenähnlichen Missgestalten, die sich mit eigenem Kot beworfen haben und das gleiche auch noch gefuttert haben.‘‘
Der dritte Amani wirft erleichtert die Arme nach oben: ‚‚Na das sagen wir doch die ganze Zeit - das waren WIR… WIR.‘‘
Es ist nur bei dieser einzigen Träne geblieben…
Sie warf den Kopf nach oben und bog sich vor Lachexplosion in ihrer Kehle. Vielleicht hat sie diesen Witz schon mal irgendwo gehört. Wahrscheinlich sogar nicht nur einmal. Aber so wie der Junge die Erzählung… zeigte - hoch nie.
Sie war einfach nur verblüfft von seiner Fähigkeit bei dieser enormen Größe sich so schnell bewegen zu können. Er imitierte jeden der Sprechenden in der Geschichte auf eigentümlich schon absurde Weise, die einerseits den betroffenen Völkern darin nur leise nachhallte und dennoch gleichzeitig so schreiend zutreffend war. Der Junge schob Daumen und Zeigefinger sich in die Mundwinkel und dann nach oben, um die Anwesenheit der Hauer darzustellen und so die Sprechweise der Amani besser nachzuahmen. Er blinzelte koket, nahm fast damenhafte Haltung an und sprach teilweise mit einer übertrieben dünnen Stimme, wenn er die Elfen nachaffte. Dabei schnitt er auch mit nichts vergleichbare Grimmasen und Isabela dachte, dass sein Gesicht jeden Moment davon platzen würde. Der Junge tänzelte, hinkte, stolperte gespielt über eigenen Füße, während er… lispelte, stotterte und teilweise wie ein zahnloser sprach. Es mochte vielleicht keine perfekte Vorstellung gewesen sein, aber er lieferte dies mit einer grenzenlosen Hingabe, die einem einzigen Zweck diente: nur damit sie… ihre Tränen vergisst. So wie der Junge seinen Stolz vergaß und sich für sie zum Clown machte, damit sie ihre Würde bewahren konnte. Und dafür war sie dankbar…
Als der Lachanfall sie endlich aus seinen Fängen los ließ, sah sich Isabela um und stellte fest, dass die Dämmerung dabei war vor der Nacht zu weichen. Oben um den einsamen Mond gingen nacheinander die Sterne in ihrer verrückten Vielfalt auf. Die Bäume - zuerst nur als matter Schimmer, dann völlig konturlos - bauten sich wie eine gefühllose Wand um die Lichtung auf und um die beiden darin ‚‚gefangenen‘‘ Jugendlichen. Es war angenehm warm und ruhig, abgesehen vom erschöpften Knistern des Feuers, das hin und wieder sich meldete, wenn es genährt werden wollte. Diesem Verlangen ging der Junge jedes mal behutsam nach.
Nun saß er auf dem Baumstumpf neben und mit dem Rücken zu ihr und legte seinen Regenmantel - es gab nichts mehr zu packen - so gut er konnte sorgfältig zusammen. Der Junge war fast bereit wieder seiner Wege zu gehen. Er erschien ihr plötzlich im ganz anderen Licht, wie durch eine geheimnisvolle Aura umgeben. Sie sah ihn lange und schweigend an und auf einmal mit einer Art unbefangener Zuneigung. Gleichzeitig spürte sie wie ihre Augen trocken wurden und der Kummer wenigstens vorübergehend verflog. Es fühlte sich gut an… wie schon lange nicht mehr. Und als der Junge den Mantel unter dem Rucksack festzurrte, während er etwas unverständliches vor sich her murmelte, war Isabela sich darüber im Klaren, dass sie doch nicht wollte, dass er geht. Noch nicht…
[OOC]: wenn ihr auf der Suche nach einem Zuhause für einen ihrer Chars seid, lohnt es sich wirklich die über mir stehenden im Spiel anzusprechen. Ja, wir kennen uns schon paar Jährchen - das stimmt. Und ich bin froh, dass unsere Wege damals sich kreuzten.
ah ja… es ist nicht zu ende. Noch nicht…