Westfall, Baronie Otterstein
Einsam steht der Kirschbaum auf der Klippe über dem Meer. Vom Licht des Mondes beschienen liegt der Baum in seinem tiefen Winterschlummer.
Zwischen seinen Wurzeln befinden sich zwei Steine, beinahe gänzlich verdeckt vom Neuschnee der letzten Tage.
Unscheinbar liegen die beiden in halbrunde Formen gehauenen Steine nebeneinander unter der Kirsche und blicken hinaus auf das weite Meer.
Keine Innenschrift weißt auf ihren Zweck hin und vobeikommene Wanderer würden die Steine wohl nicht einmal eines zweiten Blickes würdigen.
Nur eine einzige Seele auf der weiten Welt weiß um ihre wahre Bedeutung.
Aus dem Dunklen der Nacht löst sich eine einsame, in einen schweren Mantel gehüllte Gestalt.
Neben den beiden Steinen hält die Gestalt inne und betrachtet für einen Moment schweigend den vollen Mond dieser Nacht.
Unter leisem Ächzen, so als habe er Schmerzen, lässt sich der einsame Wanderer neben dem größeren der beiden Steine nieder. Sein Rücken ruht an der Kirsche und eine große, schwielige Hand mit einem goldenen Ring am Finger streicht zärtlich den Schnee von beiden Steinen herunter.
Die Stille der Nacht umfängt die Stätte auf der Klippe und für einige Zeit ist nur das leise Raunen des nächtlichen Windes und das Rauschen des Meeres zu hören.
„Mein letzter Besuch ist eine Weile her.“
Die Worte, anfangs leise und unsicher, durchbrechen die Stille.
„Es ist viel passiert. Auf Azeroth. In Nordlicht. Eine gänzlich neue Insel wurde entdeckt…oder eher…wiederentdeckt. Dracthyr gehen nun durch die Straßen Sturmwinds…ah…natürlich…du kennst dieses Wort nicht…“ Leises Lachen schüttelt den Mann, als er über seine eigene Dummheit lacht.
Brummend streift Daros sich die Kapuze vom Kopf und sein Atem schlägt blasse Wölkchen in der kalten Winternacht.
„Stell dir Drachen auf zwei Beinen vor. Etwas größer als Menschen…und bei weitem umgänglicher, als die Protodrachen bei uns zuhause. Man mag zuerst Angst vor ihnen haben aber wenn man sich mit ihnen beschäftigt, dann merkt man rasch, dass sie gute, edle Geschöpfe sind. Ich habe schon viele Freunde unter ihnen gefunden.“
Seine Augen schließen sich und ein zartes Lächeln umspielt seine Lippen.
„Sie würden dir gefallen, Aye. Du würdest ihnen helfen sich in dieser für sie neuen Welt zurecht zu finden. Würdest mit ihnen lachen. Ihnen deine…“ Ein Stocken in seiner Stimme, dem ein kurzes Räuspern folgt. „…deine Sternchenmöhrensuppe kochen…und sie würden sie lieben, Aye.“
Die Worte versiegen wieder und der Steinlord legt die Hand auf den goldenen Ring. Er dreht ihn einige Male am Finger, vollkommen in seinen Erinnerungen verloren.
Nach einer Weile spricht er jedoch wieder.
„Hilly und Andrews Kinder sind mittlerweile Fluch und Segen zugleich für uns alle in der Burg. Sie wetteifern mit den Steingnomen im Unsinn machen aber zugleich kann man ihnen einfach nicht lange böse sein. Onkel Graf…so nennen sie mich.“ Brummend zieht Daros einen Trinkschlauch unter dem Mantel hervor um seiner Kehle einen Schluck Met zu zuführen.
„Es findet gerade wieder ein Winterturnier statt. Leider konnte ich meinen Titel nicht verteidigen…aber ich bin mir sicher, dass unsere Buhurt Truppe einen Sieg erringen wird. Immerhin geht es darum, wer sich zukünftig der Wahre Norden schimpfen darf…und ja…ich weiß du würdest mit den Augen rollen und lachen…aber für uns ist das eine Frage der Ehre.“ Gespielt schlägt sich der Graf gegen die Brust und kurz ist das für ihn so typische Grinsen auf seinem Gesicht zu sehen. Jenes, dass die Welt von ihm kennt.
Hinfortgewischt wird es jedoch von einer Trauer, die so gut wie keine lebende Seele je an ihm erblickt hat.
„Das Thema dieses Jahr in der Minne ist Neubeginn.“
Seine Finger drehen wieder am Ehering, der noch nie den Finger des Grafen verlassen hat.
„In letzter Zeit denke ich viel darüber nach. Nicht über die Minne. Über einen Neubeginn. Es ist…einige Zeit vergangen, seit du…seit dem ihr nicht mehr seid.“
Tief brummend zieht er seinen Mantel fester um sich.
„Am Anfang, als ich ohne dich war, hatte ich so große Angst, dass ich dich vergessen könnte. Oh mein süßes Licht…ich habe den Tag gefürchtet, an dem der Schmerz in mir nicht mehr so furchtbar brennen würde. Weil ich mich dann fühlen würde, wie ein Verräter an dir.“
Leichter Schneefall setzt ein, doch sind es nicht nur die Flocken, die den Kragen des Steinlords nun mit dunklen, kleinen Flecken benetzen.
„Erst in der letzten Zeit, als ich rastlos durch Nordlicht zog, wurde mir klar das ich dich niemals vergessen könnte. Du bist jederzeit bei mir. Du bist in jeder Wurzel…jeder Blume…jedem Strahl der hellen Sonne…du bist in dem Lachen der Kinder zu hören…und du bist jeder neue Morgen für mich.“
In die leise, brechende Stimme des Grafen mischt sich ein schwaches Lachen.
„Ahh…nun sieh dir deinen Ritter an…heult hier im Schnee…“
Tief durchatmend wischt sich Daros über die Augen.
„Ich habe nun keine Furcht mehr vor einem Neubeginn. Ich werde mich der Welt wieder öffnen. Gänzlich. Mit Seele…und Herz.“
Daros führt seine Hand zu seinen Lippen und ein zarter Kuss berührt den Ehering.
„Du wirst immer ein Teil von mir sein, Adoria. In meinen Erinnerungen und meinem Herzen. Ganz gleich was oder wer noch kommen wird.“
Wieder nimmt der Steinlord einen Schluck aus seinem Trinkschlauch und das nächste Geräusch das erklingt, ist sein leises, sanftes Lachen.
„Ich muss dir noch unbedingt von Hildes Abenteuer mit ihrem kleinen Elementar erzählen…“
Leise fällt der Schnee auf den Grafen und die beiden Steine, während Daros mit seiner leisen, sanften Stimme die Geschichten aus Nordlicht zum Leben erweckt…bis tief in die Nacht hinein.
Morgen wird er wieder in Stille ruhen.
Dieser kleine Flecken in Westfall.
Dieser kleine Flecken der Stille, der Erinnerungen, der Trauer…und der Liebe.