Aus dem Leben einer Novizin
Es war früh am Abend und in der Akademie herrschte milder Betrieb. Die letzten Schüler verließen gerade ihre Kurse und machten sich auf den Weg in das Wohnheim oder verteilten sich über das Gelände. Einige wenige suchten die Bibliothek und die Übungsräume auf. Eine der wenigen, die sich zur Übung in einen der größeren Trainingsräumen verirrte, war Phoebe Roscoe. Die junge Novizin stellte sich gegenüber eine der Trainingspuppen auf und ließ die Finger hastig, aber gezielt, durch die Luft schwingen. Konzentriert sprach sie die Worte der arkanen Macht, während ein elektrischer Impuls die Luft um sie herum auflud. Schließlich zuckte ein gezackter Blitz nach vorn, der den ein oder anderen Schüler des ersten Lehrjahres erschreckte. Mit einem solch lauten Knall schlug das kräftige Licht in die Traingspuppe ein und hinterließ einen größeren Brandfleck. Doch damit nicht genug. Der Puppe sollte keine Pause gegönnt sein. Ohne groß darüber nachzudenken, als sei es schon in Fleisch und Blut übergegangen, kühlte die Luft urplötzlich ab. Kristallene Splitter und frostige Magie führten zusammen und wenig später schoss der einfache Frostblitz los, nur um einen Teil der Brandstelle mit kühler Magie zu überziehen. Einmal wurde tief durchgeatmet, die Fingerspitzen zusammengeführt und nach vorne gerichtet. Mit dem nächsten magischen Wort schlugen zwei Arkane Geschosse auf den künstlichen Feind ein.
Die Übung wiederholte die Magiernovizin noch einige Male und brachte auch andere Zauber, wie das Spiegelbild oder die Unsichtbarkeit unter. Mit jedem Zug fiel es ihr jedoch schwerer die Konzentration zu halten. Und als die nächsten Frostblitze daneben gingen unterbrach sie ihre Übung. „Eine weise Entscheidung.“, sprach eine angenehme, tiefere Stimme von hinten. Phoebe drehte sich der Stimmquelle entgegen. Ein Magier mit langem, brauen Haar und einem vollen Bart hatte ihr zugesehen. Wie lang er aber schon dastand, konnte sie nicht sagen. Der Magier hatte die Arme vor der Brust verschränkt und schenkte Phoebe ein gutmütiges Lächeln. „Es ist gut zu wissen, wann man aufhören sollte. Sonst erkennt der Gegner rasch, dass man langsam gen Ende zieht.“ Er trat näher an sie heran und betrachtete die Puppe. „Das dachte ich mir auch.“, erwiderte Phoebe und nahm einen Schluck von ihrem Wasser. „Magus…“, „Fraendell.“, vollendete der Magier. „Theodor Farendell. Ihr seid die Novizensprecherin, nicht wahr? Phoebe Roscoe.“ Phoebe musterte den Magier, ehe sie der Höflichkeit nach das Haupt neigte und sacht knickste. „Das bin ich. Kann ich etwas für Euch tun, Magus Farendell?“ Magus Farendell schüttelte nur den Kopf und hob amüsiert die Mundwinkel an. „Ich glaube, Ihr habt genug zu tun. Vor allem wirkt Ihr ein wenig erschöpft, Novizin. Ihr solltet Euch die Ruhe zu Herzen nehmen. Jemand, der so wie Ihr überall seine Finger im spiel hat, könnte fürchten, irgendwo einen zu verlieren.“, ob der Worte des Magiers hob Phoebe die Brauen an. Was er nur damit meinte. Ihr Aufgabenfeld war im Dritten Lehrjahr rasch angewachsen. Sie hatte viel zu tun und noch viel mehr hatte sie noch vor sich. Das stimmte wohl. Gerade in den letzten Tagen hatte sie viel weniger Zeit, den Blick nach innen zu lenken, als es sonst der Fall war. Der Magus lächelte sie einen Augenblick lang an. „Hatte sich schon jemand auf mein Gesuch gemeldet? Ich halte stets die Augen nach einem eigenen Schüler auf.“ – Phoebe war für einen Moment verdutzt, dann erinnerte sie sich. Sie erinnerte sich an das Schreiben, was sie von einem der Bediensteten erhalten hatte. Sie erinnerte sich, dass Magus Farendell sie einmal gebeten hatte einen Aushang fertig zu machen, um ihn als möglichen Mentor anzupreisen. „Ich hatte den Aushang wie gewünscht angebracht. Ich fürchte, alle bisher verfügbaren Novizen haben bereits einen Mentor. Tut mir leid.“ Farendell hob die Hand und schüttelte den Kopf. „Kommt Zeit, kommt ein Novize, Novizensprecherin. Sollte demnächst jemand verzweifelt nach einem Mentor suchen, schickt ihn bitte zu mir.“ Phoebe nickte. „Das werde ich tun, Magus.“, „Danke – sodann wünsche ich noch einen angenehmen Abend, Novizensprecherin. Ihr solltet indes etwas Ruhe finden oder euch einer weniger verausgabenden Tätigkeit hingeben.“ Der Magier grinste und zog sich aus dem Trainingsraum zurück.
Während des Abendessens im Speisesaal der Akademie konnte man reges, buntes Geschnatter vernehmen. Phoebe erwischte dabei einen Tisch, an dem das Gesprächsthema Nummer Eins der bevorstehende Frühlingsball war. Aufgeregt tuschelten die Novizinnen untereinander, wen sie als ihre Begleitung dorthin mitbringen würden. Manche kicherten, wieder andere stritten darüber wer das schönste Kleid haben würde. Es war so typisch, dachte sich Phoebe mit einem knappen Schmunzeln auf den Lippen. Eine gemeinsame Sorge schienen alle Novizen jedoch zu teilen; den Tanzunterricht bei Magus von der Quell.
Nach dem Abendessen zog sich Phoebe in die Verzauberungswerkstatt der Hochmagierin von Wittenberg zurück, für die sie an einigen Assistenzaufträgen arbeitete. Neben einer überschaubaren Einkaufsliste und einer üppigen Menge an Münzen, die sie noch ausgeben musste, hatte sie sie die Aufgabe erhalten den Stab einer Nagahexe in eine akkurate Zeichnung für eine Fallakte darzustellen. Da sie des Zeichnens sehr begabt war, konnte sie wunderbar dabei entspannen. Die Hochmagierin selbst war nicht in ihrer Werkstatt. Sie unterhielt die Nachbesprechung eines anderen Projektes, mit einem anderen Kollegen. So hatte Phoebe Ruhe und Zeit. Zielgenau setzte sie die Striche. Einen nach dem anderen. Der Stab war größtenteils aus Koralle gearbeitet und trug einige Verzierungen in Form von Muschelperlen. Ein großer Kristall zierte die Spitze. Immer wieder wechselte sie den Blick vom Original zur Zeichnung, sodass sie mehr und mehr an Detail annehmen konnte. Jedes noch so kleine Detail konnte für die näheren Untersuchungen wichtig sein, weswegen sie sich sogar die Mühe machte, den Stab aus verschiedenen Positionen heraus zu zeichnen. Eine Zeichnung setzte besonders die Spitze und den Kristall in Szene. Die nächste den Schaft des Stabes mit seinen Perlen. Dann ein einfaches Gesamtbild, welches schön ausgearbeitet wurde. Von vorne und von hinten. Die Arbeit nahm einige Stunden ein. Wie viele vermochte die Novizin mit einem kurzen Blick auf das Stundenglas nicht abzulesen. Erst als die Tür zur Werkstatt aufging und die Hochmagierin die Zeichenarbeit unterbrach und Phoebe hinaus scheuchte, da sie etwas Dringendes zu erledigen hatte, ereilte sie der Gedanke einen Blick auf die Uhr zu werfen. Dabei stellte die Novizin erschrocken fest, dass es weit nach Mitternacht geworden war. Sanftes Mondlicht schimmerte durch die hohen Fenster. Eine reine Illusion, da die Gänge tief unter der Erde lagen. Aber es war ein wunderschönes Schauspiel. Für das Phoebe nur wenig Aufmerksamkeit übrig hatte.
Als sie das Bett erreichte um sich schlafen zu legen, dachte sie noch einen Moment darüber nach, was sie den kommenden Tag tun würde. Zuerst wäre das Frühstück dran, dann kämen die Grundkurse auf sie zu. Sie würde eine Doppelstunde über die Grundlagen der Alchemie haben, ehe es dann mit Werkstoff- und Material und Kräuterkunde weiterginge. Vielleicht hatte sie in der Mittagszeit Freiraum für die Bibliothek, um einige Recherchen bezüglich der Naga, ihrer Kultur und Magie anzustellen. Oder sie nutzte die knapp bemessene freie Zeit zwischen den Stunden, um Nils, ihren Freund zu besuchen. Vielleicht sollte sie das aber auch lieber auf den Abend verlegen und schon einmal versuchen das nächste Geschäft zu erreichen, um die Einkaufsliste der Hochmagierin abzuarbeiten. Den Abschluss des pflichtvollen Unterrichts sollte dann ein neues Fach: Mythologie und Legendkunde darstellen. Darauf freute sich Phoebe schon sehr, da sie sich daraus Neues und bislang noch Unbekanntes aus der Sagenwelt erhoffte. Irgendwann trieb die Müdigkeit die Novizin von ganz allein in den Schlaf und hinaus in das Land der Träume.