[A-RP] Von Krabben, Möwen und Frieden oder "Wie Herr Möhrfried blieb."

Heute war ein Goldtag im Hafen: Der Stand glühte, die Schälchen dampften, die Möwen stritten um Zwiebelreste und Eda schmetterte Verkaufsfloskeln wie eine Möwe mit Megafon. Die Kundschaft lachte, kaute und zahlte. Und Möhrfried? Der stand - zu aller Überraschung - meist friedlich, nur leicht schräg in der untergehenden Abendsonne. Er ließ sich sogar manches Mal über die Mähne streichen, ohne beleidigt die Hüften zu werfen. Und viel wichtiger, er hatte beim Anrichten seiner berühmten ‚GRMPF-Serenade‘ auf die Kundschaft gewartet. Definitiv ein Fortschritt, der fast als Freundlichkeit durchging.
Eda saß auf dem niedrigen Hocker neben dem Karren, die Füße im Schlick, die Stimme rau wie ein Hafenbrett. Das Abbauen ging rasch. Das Heimkommen dank des grunzenden Zugzausels eher mühselig. Und doch: „Haste gut gemacht, Möhrschnute. Karren gezogen wie 'ne Legende. Grunzen dezent. Fast schon bürgerlich.“

Möhrfried schnaufte. Keine Antwort. Keine Reaktion. Nur Stille. Das war verdächtig.

„Sach mal… Was’n los?“ Eda versuchte locker zu klingen, doch die Stimme klang etwas zittrig. Keine GRMPF. Kein Pupser. Nicht mal ein Wackelohr.
Eda stand auf, trat zum Esel, zupfte ihm die Ecke seiner Markise vom Rücken, die sich durch den Wind ein bisschen in seiner wilden Mähne verfangen hatte.
„Möhrfried… du guckst wie 'n Klops vorm Senf, aber ‚ch hab‘ heut nich einmal geflucht. Also… was fehlt dir?“
Der Esel war ruhig. Aber sein Blick war anders. Nicht trotzig. Auch nicht wirklich frech. Sondern ganz schlicht traurig.
Und dann, endlich setzte er sich. Einfach so. Mit einem Seufzer, der wie ein müder Wal klang. GRMPF.

Eda kniete sich daneben, Schlick auf den Knien, Krabbensauce am Ärmel. „Willse weg? ‚ch weiß, ich schrei viel. Und gestern hab‘ch Dich mit ‘ner Gurke bedroht. Aber Du… Du bist mein Kompass. Woher soll’ch n wissn wo ‚ch im Leben wie abbiegn muss, wenne weg bis?“
Möhrfried ließ langsam den Kopf auf Edas Schulter sinken. Sie zuckte. Der Esel war warm, schwer, und roch wie getragene Möhrensocken. „‘ch lieb Dich trotzdem, Du Pupskanon’ mit Beißreflex. ‘ch weiß halt einfach manchmal nich, wie man leise is.“
Die Möwen hielten inne. Langsam fiel eine Krabbenschale. Beinahe in Slow-Motion, um die Situation zu verdeutlichen. Als wollten sie sagen: ‚Jetzt wird’s ernst.‘

Eda streichelte Möhrfrieds Mähne, auch heute ganz ohne Gefluche und Gezeter. „Also wenne gehst, dann lauf nich weit. Weil ‚ch nirgends ohne Dich hinwill. Nich zum Markt. Nich zum Fisch. Nich mal zum Ka~ken, he?! Und pass auf, wo de hintrittst. Die Tiefnbahn is nah. Du musst die Familientradition echt nich aufrechterhalten.“
Der Esel schnaubte. Ein leises Grunzen. Und dann - feierlich und nur für Eda - ein klitzekleines, schräges „Iah…?“

Die Möwen kreischten wie beim Opernfinale. Eine begann zu applaudieren. Eda schniefte und lachte gleichzeitig. „Siehste! Du hast’s doch gelernt! Apollo wär stolz. Du bist nich einfach nur n Esel, Du alte Knatterplörre. Du bis mein Zuhause auf vier Hufen. Mein Möhrchenprinz. Und morgn, da verkaufn wir Klopse wie Helden.“

Sie saßen noch lange vorm Karren. Der warme Wind roch nach Kartoffelsud und Versöhnung. Im Hintergrund pupste eine Möwe.

  • Wer sind die denn und was wollen die von uns?
    Wir sind Eda Gram und Herr Möhrfried von der Hafenfischerei! Und eigentlich wollen wir ja gar nichts von euch. Aber wir können euch versichern, dass ihr unbedingt was von uns wollt. Und zwar Krabbenkloppse. Küchlein und Fischbrötchen. Der Legende nach die besten des ganzen Königreiches. Wenn nicht sogar ganz Azeroths und darüber hinaus!
  • Aha. Und wenn wir gar keinen Fisch mögen?
    Das is okay. Wir sind da total tolerant und ganz entspannt. Immerhin kann nicht jede Person perfekt sein. Für dieses unwahrscheinliche Szenario bieten wir auch ein, zwei Fischfreie Gerichte an. Außerdem sind wir absolut flexibel in der Handhabung, sodass aus einem Fischbrötchen schon mal ein Brötchen mit Senf und Salatblatt werden kann.
  • Und wo findet man euch jetzt?
    Gut, dasse fragst. Echt. Weil! So müssen wir uns selbst Gedanken darum machen. Wir wohnen unten am Hafen. In nem ausgedienten Zigeunerwagen. Geht uns gut da unten. Wir haben mehr Freunde, als Feinde. Das beschützt uns. Da verkaufen wir manchmal auch Zeug. Aber die Städter sind faul und träge geworden. Also manche. Nicht alle. Aber ein paar. Das reicht, damit wir unsere Pöppese nach oben an die Hafenpromenade verfrachten, damit ihr es nicht so weit habt, wenn der Hunger plagt.
  • Ich fühle mich jetzt zwar angesprochen und bin beleidigt, aber auch dauerhungrig. Wann findet man euch immer?
    Noch bessere Frage. Kann ich euch nicht sagen. Wir entscheiden bis dato noch spontan. Aber ich kann euch versichern, ihr werdet merken - oder sogar hören - wenn wir da sind. Wir machen uns bemerkbar. Wir sind laut. Wir sind meistens da, wenn ihr uns am allerwenigsten erwartet
  • Ihr habt gar keinen Plan von dem, was ihr hier macht, oder?
    Nöps. Gut erkannt. Ehrlich. Bin stolz auf Dich! Wir haben uns ganz spontan in die Fischerei und den Handel geworfen und bieten einfach einen Anlaufpunkt mehr für die einfache Gesellschaft. Auch für die Höhere und für die Tiefere. Aber die erste nahm gestern Anstoß an alten Brötchen vom Vortag und die zweitere muss meist warten, bis dann Brötchen vom Vor-Vor-Tag übrig bleiben. Wir sind einfach da. Spiel uns an. Spiel uns nicht an. Wir sind beide glücklicherweise nicht voneinander abhängig, aber ich verspreche Dir ein Erlebnis der besonderen Art, wenn Du vorbei schaust. Das Möhrfried-Erlebnis.
  • Und was soll dann dieser HickHack hier im Forum?
    Teil unseres Laut-seins. Wir sind hier. Ihr seid da. Gemeinsam können wir also faktisch überall sein! Dafür müssen wir nicht zwingend aufeinanderhocken. Wär aber geiler. Wir sind deshalb auch buchbar. Können wir hier oder ingame klären. Whisper. Post. Oder sogar IC - verrückt, ich weiß. Und außerdem dachten wir uns, wir könnten vielleicht bei dem ein oder anderen Interesse an den wilden, epischen Geschichten des Herrn Möhrfried wecken. Denn dafür sind wir vorrangig hier.
  • Macht ihr das irgendwann auch mal professionell?
    Vielleicht.
  • Aber ernst nehmen sollen wir euch schon?
    Ne. Ernst nehmen klingt wirklich langweilig. Aber wir sind echt. Wir haben Bock und wir ziehn das auch durch. Vorrangig gehts uns jedoch um Spaß. Spaß für uns, Spaß für euch. Unsere oberste Priorität ist ein Lächeln auf euren Lippen, wenn ihr uns hört und euch überlegt: ‚Och! Wir könnten ja mal wieder ein Fischbrötchen essen!‘ - Vorfreude ist ja bekanntlich die schönste Freude.

Das wars vorerst auch von uns. Danke fürs vorbei schauen und fürs hoffentlich bleiben. Im Leben von Eda und Herrn Möhrfried. Wir sehen uns IC!

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Wie die Fischerin ihr Kupfer verlor oder „Der Junge mit dem Schattenlächeln.“

Die Sonne hing wie eine müde Kartoffel überm Hafen, und Eda wischte mit der Handvoll Krabbenlappen über die letzte Klopsschale. Es war ein guter Tag gewesen. Eigentlich wie immer. Die Kupfermünzen klimperten, die Möwen schwiegen (halb satt, halb beleidigt), und Möhrfried hatte sich nur dreimal festgegrunzt. „Na, Herr Möhrfried“, murmelte sie, während sie die Markise zusammenrollte, „Du wirst’s nich glaubn, aber 'ch war heut… draußn.“
Der Esel hob eine Braue, falls das anatomisch überhaupt möglich war (Eda würde Stein und Bein drauf schwörn!), und schnaubte skeptisch.
„Also nich draußn draußn, eher… weg von Dir, halt, Du oller Dümpel-Diplomat. Und nja… weiß nich, obs Dir aufgefalln is, aber Du wars halt nich dabei. Keine Krabbe. Kein Klops. Keine Möwe, die mir ins Haar pupst. 'ch war ganz allein. Kannste schon bisschn stolz auf mich sein.“

GRMPF. Ein leiser, tadelnder Ton.
"Ja ja, 'ch weiß. Ohne Dich bin 'ch halt auch irgendwie wie 'n Salzkeks ohne Salz. Aber da war dieser Typ… ", kichert sie dann etwas verschlagen. „…jung, charmant, mit’m Grinsen wie 'ne schiefe Laterne. Und so Taschnspielertrickig, weißt? Hat drei Becher gehabt, 'ch schwör Dir, 'ch hab Kupfer springen sehn, die gar nicht mir gehörtn.“, plapperte das Weib den armen Esel einfach voll. Ein Klops nach dem anderen palaverte sie ans Eselbäckchen. Und fühlte sich dabei nicht mal schlecht. So macht man das mit besten Freunden halt. Man labert. Man hört zu. So wie Eda. Auch sie hörte zu, als der Esel wieder schnaubte. Die Möwen hielten inne. Eine warf demonstrativ ein altes Brötchen vom Dach.

„Aber weißte Möhrschnute… 'ch hab gespielt. Mit ihm. Und 'ch hab verlorn. Natürlich. Bin ja keine Trickserin. Aber er… er hat gelacht. Nich fies. Eher… wie’n Windstoß, der weiß, dasser Dich erwischt, aber dir trotzdem 'ne Feder dalässt.“ Und schon zog sie etwas aus der Tasche, als sie mit der Arbeit innehielt. Eine kleine, sorgfältig gefaltete Papiernelke, leicht zerdrückt zwischen Gurkenresten und Muschelscherben.
„Und die hier… die hatter mir geschenkt, nachdem 'ch ja keine Blumen mehr kaufn konnt, weil’ch mein Kupfer in seine Becher geworfen hab wie 'n Möwe in 'n Leuchtturm. Für mein Haar, hatter jesacht… also… nei. Hatter nich jesacht. Er hats einfach reingesteckt.“ Und so huschte ein noch breiteres Grinsen über die Lippen.
GRRRMPF. erklang es. Länger diesmal. Der Esel drehte sich um. Schmollte.
„Ja… 'ch weiß, Du magst ihn nicht, Knatterplörre. Aber Du warst ja auch nich dabei. Heiratn sollste ihn schon nich. Du musst Dich nur auch ma auf Leute einlassn. Und nich immer jedn wegjagn. Weil er war nett. Nette Menschn sind gut. Und 'ch… 'ch hab gelächelt. Und wenn 'ch lächle, dann schmeckt mein Krabbenklops besser.“ Sie schob die Nelke zurück ins Haar, schief, zwischen Salz und Sommersprosse.

„Vielleicht war er wie 'ne Winterhauchmöwe, gierig, flatterig, aber ebn auch hübsch mit seinen Tricks. 'ch mag hübsche Fehler. 'ch hab ja Dich.“ zwinkerte sie dem Esel dann neckisch zu. Der Esel schnaubte einmal tief, trat an die Kiste mit den Preisschildern und ließ ein besonders dramatisches GRMPF fahren. Dann stupste er den Wagen. Bereit für den Abend. Eda lachte. Heute war wirklich ein guter Tag. Und auch die Möwen kicherten. Eine pfiff sogar. (Ja. Wirklich!. Wer Möwen kichern hört, der weiß, wie Salzluft schmeckt) „Na komm, du alter Grunzkneifer. Lass uns noch n paar Klopse verkaufen. Sonst haste morgn nichts zu fressn. Hab alles beim Hütchnspiel verlorn. Vielleicht kommt er ja wieder, und ich kann ihm zeigen, wie man mit guter Laune und nem gutn Senfklecks gewinnt.“

Sie stieg auf den Karren. Möhrfried zog an. Die Papiernelke flatterte im Abendwind. Und irgendwo, zwischen Möwenrülpser und Marktschlucken, wurde eine Sommersprosse ein bisschen wärmer.

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Wenn von dir irgendwann mal was in Bücherregalen zu finden ist, bitte schrei. :laughing::heart:

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Von Mensch, Maschine und pinken Regenschirmen

Die Nacht kroch über den Hafen wie ne müde Decke mit Löchern. Der Himmel hing da, tief und glitschig, als hätte jemand einen Tintenfisch über die Sterne geschmiert. Die Lampen flackerten wie betrunkene Glühwürmchen, und der Wind war voller halberlebter Geschichten und Möwenpupse. Eda stapfte durch den Dreck, die Füße schwammig und die Stimme schon leicht angeschliffen vom Tagesgeschäft. Als sie ihren Karren erreichte, lehnte Herr Möhrfried bereits dramatisch am Rad, so schief, als hätte ihn die Einsamkeit geknickt. Die Ohren hingen tief, sein Blick wie der einer Hafentragödie. Kurz gesagt: Er war in Höchstform.

„Na, du Gurkenschnute mit Vorliebe zum Drama?“, murmelte Eda, während sie sich auf den Hocker plumpsen ließ. „'ch hab heut Abend mehr erlebt als du beim Möhrnsortieren. Und das ganz ohne Dein mürrisches Gegrunze.“
Der Esel schnaufte, beleidigt. Irgendwo ploppte eine Krabbenschale in Zeitlupe. Die Nacht war definitiv angekommen, und wie immer bereit für Geschichten, Salz und ein bisschen zu viel Gefühl.
„Und eins kann’ch Dir sagn, eh? Wenn dir 'ne pinke Quaste mehr Mut kost als 'ne Rüstung, dann solltest Du sowieso lieber stricken lernen, statt kämpfen.“ Grmpf!, war das Einzige, was das Multimuli mit Möhrenatem zu erwidern wusste.

„Was 'ch da fasl, willste wissen, mein Möhrchenprinz?“ Grrrrmpf! „Na gut. Also, pass auf! Setz Dich hin, aber bitte nich wieder mit’m Hintern auf den Blätterstapel, 'ch brauch das noch! Heut war mal wieder so’n Tag, he. Regen aus voller Schnauze, klatschte wie beleidigte Möwen auf Bodnstein. Da stand 'ch vorm Laden für magisches Gekröse aus dems roch wie ne durchgeschwitzte Zauberformel und altn Geheimnissn in verstaubtn Einmachgläsern und hab versucht, nich komplett durchzuweichn. Ohne Dich! Allein! Ganz ohne Deine edlen Grunzklänge!“
Der Esel schnaubte. Leise, skeptisch. Vielleicht beleidigt.
„Ja, ja, 'ch weiß schon, Du hättst gern mitgeflucht, aber Du hättst eh nur wieder 'ne Pfütze angeknattert. Jednfalls: Ich steh so da, und wer schiebt sich da durch den Regen? Ein Krieger, Möhrfried. Groß wie drei Fischkistnn übereinander.“ Um das zu unterstreichen, hob Eda die Arme und machte eine ausladende Geste, an deren Ende sie die eine Hand nun in die Mähne des Esels schob, nur um Halt zu haben, weil sie endlich mal Luft holen musste. Ganz tief. Offenbar hatte sie noch viel zu erzählen. „Mit Schultern zum Anlehnen und ‘ner Narbe, die aussieht wie 'ne Miesmuschel, die sich verirrt hat. Und ein Auge war blind, so trüb wie der alte Fischfond vom Montag. Sah aus, als hätt der schon mit’m Schicksal gerungen, und dann noch 'ne Prüfung vonner Steuer gehabt.“ Herr Möhrfried rollte mit den Augen. Ein Huf schlurfte über den Boden. Genervtheit in traditiöser Vollendung.
„Haha. Ja. Und ‚s war noch nich ma alles. Weil jetzt kommt’s: Neben ihm läuft so’n kleiner Gnom. Aber nich wie die üblichen Quatschbirnen. Der war aus Metall, Möhrfried. Komplett! Als hätt Apollo ‚nen Löffl und 'nen Uhrmacher gekreuzt. Und oben drauf, und 's schwör’h bei meiner letzten Krabbensauce, nen Hut aus Kul Tiras! Elegant. Wie 'ne Seemannsballade mit Pomade.“

Der Esel glotzte in Richtung Leuchtturm und kratze sich äußerst unbeeindruckt das Hinterteil am Karren.
„Der Krieger? Aye der war gleich Feuer und Flamme. Hat geguckt, als wär 'chs letzte Taschntuch auf hoher See. Und kam mit so 'nem Satz… weißte, so’n ‚Ihr seht hübsch aus im Regen‘-Gedöns. Hab ihm verbal nen Krabbenkorb vor de Stirn geflatscht, aber charmant. 'ch kann das! Du weißt, 'ch kann das.“
Der Esel warf den Kopf zur Seite, um sie anzusehen und sich etwas mehr gegen ihr Gekraule zu stemmen. Grmpf! Erklang es leise. Beinahe sanft. Zustimmung? Vielleicht. Ein Ohr zuckte.
„Und der Gnom… der war so 'ne richtige Offnbarung. Hat seinen Krieger gefoppt, wie Du mich beim Kupferzähln. Die zwei ham sich gefetzt wie Möwn um 'nen Sardellenchip und ich mittendrin, mit klammen Schuhn und der matschign Erkenntnis, dass die Welt manchmal doch 'ne Operette is.“
Der Esel tritt gegen seine Kiste. Dramatisch. Vielleicht beleidigt, dass er keine Hauptrolle hatte.
„Jedenfalls: Wir haben geredet. So mit Augenzwinkern und nicht zu doller Erwartung. Er kommt in ein paar Wochen wieder. Krabbenklopse, Bier, ein Wiedersehn vielleicht. Is ja nix versprochen, aber ich dacht mir wenner dann echt pink trägt, kanner auch was erlebn. So richtign Hafngedöns.“

Herr Möhrfried hielt inne. Das Wort „pink“ wirkt wie ein Signal für allergisches Grunzen.
„'s ging um nen Regnschirm. Der Gnom hatt ne vor mir voll aufs Korn nehmn wolln. Obs der Pinke is, den der Kerl vergessn hat. War ihm peinlich. Aber 'ch sach Dir, meine klobige Krabbnquaste, der Pinke hätts sein müssn. Echt. Weil son echter Mann, der kann Pink auch tragn wie ne Rüstung aus Mut. Wer denkt, dass Farbe nur für Feen is, der hat noch nie ‚nen Hafn bei Sturm erlebt.“
Der Esel glotzte. Leicht betroffen. Vielleicht hat er selbst mal einen pinken Regenschirm gehabt.
„Und das, mein Lieber, war mein Tag. Ohne Dich zwar, aber mit jenuch Schnack für 'ne Hafenballade. Und morgn… da klopp 'ch wieder Klopse. Mit Dir. Mit Sauce. Und vielleicht trag ich auch 'nen pinkn Schirm, nur um Dir zu zeigen, wie mutig man wirklich sein kann.“

Die Nacht war längst auf den Hafen gesunken, schwer wie alter Kummer auf feuchtem Holz. Eda saß nach ihrer Erzählung noch immer auf dem Hocker neben ihrem Karren, die Füße müde, und auch die Stimme erschöpft vom Tag. Möhrfried dämmerte neben ihr, halb im Schlummer, halb im Widerstand gegen Romantik. Der Wind strich über die Marktgassen, trug den letzten Krabbenduft davon. Über dem Hafen kroch der Nebel und tauchte die Welt in ein Grau, das nicht wirklich trostlos war. Friedlich. So still wie der Moment, nachdem die letzte Möwe gerülpst hat. Eda ließ die Finger durch Möhrfrieds Mähne gleiten. Nicht wie sonst, mit fluchenden Fäusten, sondern ganz vorsichtig. So, als wollte sie in jede Strähne die Geschichten des Tages festflechten. Maschinen mit Hüten. Männer mit Narben. Und das mutigste Accessoire von allen: ein pinker Regenschirm, irgendwo zwischen Trotz und Wahrheit.
Und während der Esel leise pupste und der Hafen flackerte wie eine alte Laterne mit Herz, schloss Eda die Augen und dachte: Heute war ich auch wieder allein. Und trotzdem war ich nicht einsam. Die Nacht atmete tief. Und das Meer schwieg zustimmend.

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Mein Traum wird wahr, der Frittierfettstand am Hafen ist jetzt reeeeeeeeal! KRABBENBÄLLCHEN! <3

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Heute war’s anders. Herr Möhrfried stand nicht einfach nur rum und grunzte wie so’n philosophischer Zaunpfahl! Nei er wurde gesehen. Nicht als Esel mit nem überdimensionalen Hang zu Möhrchen, sondern als Wesen mit Seele, Huf und diesem charmanten Stirnrunzeln, dessen anatomische Korrektheit noch immer nicht ganz geprüft wurde.
Als die Sonne sich längst in unter der löchrigen Decke zusammengeknautscht hatte, klapperten sie zusammen. Zusammen mit dem Elfen. Eda schob die Klopsschalen in den Karren, Möhrfried half, indem er einen Möwenhocker zurechtrückte. Ob mit Absicht oder Zufall, das blieb offen. Die Möwen schnatterten wie Hafenweiber, und das Münzbeutelchen war so voll, dass es bei jedem Schritt klimperte wie ein verliebter Fisch.
„Heut war super, Möhrschnute“, sagte Eda und strich ihm über die Mähne. „Du wurdest gesehn. Und 'ch hab gut verkauft. Vielleicht liegt’s daran, dasse heut mehr gegrunzt hast als gezickt, he?“ Flüsterte das Weib dem Esel ins Öhrchen, als der Karren zusammen gebaut war.

GRMPF. Zufrieden.

Sie zogen los. Der Karren ratterte über den bröckligen Asphalt, der den Hafen von der Stadt trennt, die Möwen begleiteten sie wie flatternde Glücksbringer. Und irgendwo zwischen Schmutz, Fischduft und Sternenschein ging ein Esel heim. Ein bisschen stolzer, ein bisschen beliebter, und ein bisschen mehr Teil der Welt.

Wollt mich vor allem auch mal für den Andrang heut’ bedanken! Es war mir ein Fest mit euch und ich freu mich aufs nächste Mal!

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Von Krabbenprinzessinnen und Sternen, oder „Kegelabend am Hafen.“

Es war spät. Sehr spät. Eine dieser Hafenstunden, in denen Stege nicht mehr knarren, sondern lauschen. Die Laternen zitterten sanft im Wind, und irgendwo unterhalb der ruhig gewordenen Stadt weilten zwei Gestalten nebeneinander, als hätten sie sich dort schon immer so getroffen. Völlig normal also. Eda, mit müden Augen, aber einem Lächeln, das stets zeigte, dass nichts in der Lage scheint, ihr Kummer zu bereiten, und der Junge mit dem Schattenlächeln, dessen Finger immer irgendetwas drehten, nur nie die Wahrheit. Sie sprachen leise. Über Klopse. Über Sterne. Über verlorene Münzen, die vielleicht nie ganz verloren waren. Als eine dritte Stimme kam, senkte Eda den Kopf aus dem Dachzelt der Sterne heraus. Der Elf. Der vom Vorabend. Der mit dem Blick, der Möhrfried glücklich gemacht hatte und damit Eda ein kleines Stück auch. Ein paar Worte hier. Ein paar Worte da. Irgendwie wollte er dann auch gehen und ging doch nicht. Und am Ende war es sowieso zu spät.

Wie aus einer falschen Seemannssage tauchten sie auf. Drei Bettler, so übel, dass der Geruch anklopfte, bevor die Körper fielen. Eda spürte, wie sich die Luft veränderte. Dick und zäh wie alter Suppendampf, durchzogen von dem lästigen Gekicher der drei wandelnden Gestalten aus dem Hafenrandprogramm: Einer wie ein umgekippter Bierfassgeist, der andere wie ein aufgeweichter Möwenwedel, und der Dritte? Größer als Anstand, aber mit weniger Inhalt und sie rochen, als hätten sie sich mit Verachtung eingerieben. Ein Trio aus Trunk, Gestank und Formverweigerung. Eben Gestalten, wie sie nur der Hafen bei Niedrigwasser ausspucken kann. Und sie rollten die Hafentreppe wie morsche Fässer, kotzten das Lachen direkt ins Pflaster und landeten in einer Wolke aus Alkohol, Krankheit und falschem Charme. Ein bisschen so mit überdosierter Lebensverzweiflung. Es folgten ein Ablenkungsmanöver aus noch mehr Alkohol und unglaubwürdiger Familienzusammenführung. Sicher nicht nur für Edas Rettung. Aber sie war zu spät losgelaufen. Zu spät, weil der Spott zu dreckig, die Blicke zu hungrig, und ihr Stolz zu wütend waren, um einfach zu verschwinden. Doch ihr Schritt hatte kaum Schwung aufgenommen, da kam der Fette auf sie zu. Schwankend, schnaufend, mit panischer Kraft. Seine Arme ruderten, der Körper knallte gegen ihren, als wäre sie ein eingeknickter Laternenpfahl auf seinem Weg. Und dann: die Wand. Hart. Kalt. Brutal ehrlich. Eda knallte mit dem Kopf dagegen, weil es keine andere Richtung mehr gab. Ihre Gedanken lösten sich wie Möwenfedern im Wind, und ihr Geist sackte halb ein, halb weg.
Und dann ging sie.
Schweigend. Langsam. Nur Richtung Zuhause. Zu Heim, Herd und Klopsen. Zu Möhrfried, der mit seinem Grunzen mehr verstand als die meisten Menschen in jener Nacht. Hinter ihr, kaum sichtbar, huschte der Junge mit dem Schattenlächeln. Auch er sprach nicht. Er wischte den Gestank von sich, den Ekel von der Haut, und trug seine Sorge wie einen Mantel aus Unsichtbarkeit. Bis die Tür fiel. Bis sie sicher war. Der Elf? Der verschwand. Sein Geschäft rief lauter als das Unrecht schrie.

Grrmpf. Möhrfried merkte sofort, dass etwas nicht stimmen konnte. Eda blinzelte ihn an und ließ sich neben ihm aufs Höckerchen sinken, nachdem sie im Wagen einfach für einige Stunden eingeschlafen war. Noch immer rieb sie sich den schmerzhaft pochenden Kopf. Der Rums saß ordentlich. „Guck nich so, Du olle Wacklschnute, he? 'ch kann auch nichts dafür. 'ch mein… da denkste Dir so… Du has am Hafn eh schon alles gesehn. Aber nei. Plötzlich tauchn da so Leute auf, bei denen Kontrolle und Anstand irgendwie auch nur ne Option im Tavernenmenü warn.“ Möhrfried schnaufte einmal laut und unkontrolliert. Keine Zustimmung, nur echtes Genörgel. Eda verdrehte die Augen. Ob es aber daran lag, dass sie genervt war, oder daran, dass der Kopf die Kontrolle etwas verlor? „'ch weiß…Du has Hunger… 'ch hab Dich gestern nich vergessn. 'ch war nur müde. Gleich steh’ch auf und hol Dir was…Und wenne gegessn hast… müssn wir noch ein paar Gurknpralinen machen…“ sie gähnte laut. Und dann lehnte sich die Krabbenprinzessin an ihren Möhrchenprinzen und schloss die Augen. Die Ärztin, die auf den Plan trat, ein bisschen so, als wäre sie bestellt gewesen, die bekam sie im ersten Moment überhaupt nicht mehr mit. Denn sie schlief einfach wieder ein.

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Der alte Mann, der Leuchtturm und das Mädchen

Es war Samstag. Und Samstag war Klopstag. Jedenfalls für Eda, die jeden Samstag einen dampfenden Topf voller Krabbenklopse den Hügel hinauf schleppte, vorbei an den kreischenden Möwen, die sie mittlerweile beim Namen riefen, über die tosende Gischt, bis hin zu einem Gebäude, das am Ende irgendwie auch nur noch ein angegrauter Zahn im Zahnfleisch der Küste war: der Leuchtturm.
Der Turm selbst war schief wie ein alter Gedanke und murrte bei jeder Brise wie Möhrfried nach einem verlorenen Möhrchen. Die Fenster waren blind, der Putz bröckelte beleidigt, und das Licht oben, das leuchtete gefühlt auch nur noch, wenn der Wärter mal aus Versehen auf den Knopf fiel oder besonders dramatisch erzählen wollte. Der Leuchtturmwärter, der war eine Institution. Mehr Bart als Mensch, mehr Geschichten als Fakten. Er roch nach Seetang, Pfeifentabak und einer winzigen Ahnung von Zahnpasta. Und wenn Eda kam, dann gab es Klopse, Geschichten und schräge Prophezeiungen mit Seemannspatina. An diesem Samstag war der Wind besonders knurrig. Eda stapfte die Treppen hoch, während der duftende Topf in ihren Armen schaukelte, wie ein volltrunkenes Boot. Oben angekommen, erwartete sie der Wärter bereits. Auf seinem Hocker. In seinem Mantel, der aussah, als hätte er schon vor den letzten Kriegen resigniert. Die Pfeife dampfte, seine Augen blitzten wie ein alter Leuchter kurz vor der Rente. ‚Du bist spät‘, sagte er nicht , aber sein Blick formte das Wort inmitten von bebendem Schweigen. Eda stellte den Topf ab. Der Dampf kroch über die Tischkante, schlich sich ins Hirn und weckte die Mägen. Der Wärter griff zum Löffel. Und dann, mit dem ersten Bissen, begann der Singsang. Eine Geschichte. Natürlich. Wie jeden Samstag. Heute handelte von einem Geisterschiff und einem verschwundenen Matrosen. Es war schaurig, die Atmosphäre war dick wie Hafensuppe. Eda, die mittlerweile auf dem zitternden Hocker platz genommen hatte, hörte zu, schmatzte leise, und ließ sich treiben zwischen salzigen Anekdoten und Seemannspoesie. Manchmal schwieg der alte Mann mitten im Satz, starrte aufs Meer hinaus, als würde er dort seine Pointe suchen. Dann sprach er weiter, als wäre nichts geschehen. Eda mochte das. Es war, als wäre der Leuchtturm eine Bühne, und der alte Mann der letzte Schauspieler, der das Theaterstück am Laufen zu halten versuchte. Nach dem dritten Klops und der etwa zwanzigsten Möwe, die ans Fenster klopfte, wurde der Wärter plötzlich ruhig. Er legte den Löffel nieder, rückte den Mantel zurecht und sah Eda an. Er wirkte ernst. Aber das tat er immer. Eda konnte sich kaum daran erinnern, ihn jemals lachen oder auch nur lächeln gesehen zu haben und fragte sich, ob das mit der Masse an Bart überhaupt möglich wäre. Aber etwas war anders. Unheil schwängerte die stickige Luft, als würde er ihr gleich sein Erbe anbieten. Und dann sprach er vom Leuchtturm. Vom Dienst. Vom Licht, das mehr war als eine Glühbirne. Das auch ein Versprechen war, ein müder Hoffnungsschimmer für die Unglücklicheren da draußen. Und wie er nicht ewig könne. Wie der Turm jemanden bräuchte. Jemanden mit Charakter und Humor. Mit der Fähigkeit Leute zu verstehen und sie aus ihren schlimmsten Alpträumen zu führen. Eda lachte. Laut. Schrill. Doch die Worte blieben hängen. Wie Möwenschiss auf edler Seide.
Später, beim Aufbruch, war der Himmel lila. Die Möwen verstummten. Der Turm seufzte, und irgendwo knarrte eine geisterhafte Geschichte, die nie ganz zu ende erzählt wurde. Eda ging den Hügel hinab, den leeren Topf unterm Arm, das Haar voller Meeresbrise und dachte so bei sich: ‚Aye vielleicht is Leuchtturmwartn gar nich so übl. Wenn’s Klopse gibt. Un Geschichtn. Un nen Schalter, den man drückn kann, wenn die Welt zu dunkel wird.‘

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Die Sonne war schon halb im Hafen ersoffen, und hin am Ende wie ein matschiger Pfannkuchen dem es an Standfestigkeit fehlte. Ihr Licht gluckste in den Pfützen wie eine müde Suppe, und der Himmel schimmerte in einem Blaugrau, das aussah, als hätte jemand Omas altes Nachthemd über die Stadt gespannt. Am windzerzausten Fleckchen hinter der alten Anlegestelle, dort wo der Duft von Krabbensud zum Inventar gehört, hockte Eda in ihrer Kochmulde, ein Ort, der so improvisiert war, dass selbst die Möwen ihn nicht als interessant erachteten. Zwischen der rostigen Pfanne und der Dampfwanne stand der Karren leicht schräg, und Herr Möhrfried, wie immer die personifizierte Tragödie auf vier Hufen, glotzte missmutig auf eine Sardellenschuppe, die sich heimlich in seinem Fesselhaar eingenistet hatte.
Eda war mittendrin. Mit nassen, schrumpeligen Händen und salzverkrusteter Stirn, zupfte sie die Krabben auseinander. Die Hälfte wanderte in den Klopstopf, der Rest wurde zu Chips verarbeitet. Ein ziemlich glitschiges Kunstwerk zur Resteverwertung. Die Sonne kroch weiter den Horizont hinunter, die Möwen diskutierten lautstark über die Qualität der Abfälle, und der Abend roch nach Hitze und Salz. Nach Meer und Sehnsucht. Ein bisschen Fernweh und Hafenliebe. Sie streckte die Beine aus, schob ein paar Muschelscherben beiseite und warf Möhrfried einen Blick zu, der zwischen Elegie und stummen Spott schwankte. Heute war kein gewöhnlicher Klopstag. Heute hing da eine Entscheidung in der Luft, die der Krabbenprinzessin sichtlich schwer fiel.

„Also Möhrschnute… 'ch muss dir was erzähln. Aber Du muss mir versprechn, dass Du diesma nich gleich pupst, he?“ Die Krabbe, die sie eben aus dem Eimer fischte, entkam ihrem Griff und klatschte in vollendet dramatischer Untermalung zurück in den Eimer.
Möhrfried schnaufte. Tief. Kritisch. Irgendwo explodierte eine Möwe mit einem Geräusch, das sonst nur dem Esel gelang.
„Also da war dieser dieser Elf., he? Der mitm Hut, so’n Windbeutel in Seidnform. Also…eigentlich is der ganz nett und hilfsbereit…aber 'ch glaub, nur weiler was will. Alle wolln immer was, aye? Keiner is ohne Grund nett.“ GRMPF! „Ja… nja… 'ch bin nur nett, weil 'ch zu dumm bin, um fies zu sein, hat Papa immer jesacht…“ Eda griff erneut nach der entkommenen Krabbe und starrte sie an. „Na… jednfalls… ham wir uns unterhaltn… und am Ende hatter ‘ne Predigt drüber gehaltn, wie ich in ‘ne sone Feldküche gehör. Und nicht hier, in dieses… Sudloch. Also so hatters nich jesacht. Aber 'ch glaub er hats jedacht.“ Der Esel drehte den Kopf. Skeptisch. Verdächtig still.
„Hat mich gefragt, ob 'ch auch was anners machn kann als Fisch. Klar… hab’ch jesacht. Und dann hatter mich eingeladn. Wirklich! Zum kochn. Drei Gänge! In ‘ner echtn Küche, mit ner Kochstelle, die nich hustet und röchelt und Besteck, das glänzt wie Deine Hufe nachm Sommerregn. Möhrfried… 'ch hab gekocht wie ‘ne richtige Königin. Und’s war… naja… schön.“
Sie ließ die Krabbe wieder in den Eimer fallen und streckte die Füße aus, die vom Krabbenammeln aussahen wie marinierte Filets.
„Aye… und jetzt willer, dass’ch mitkomm. Für paar Wochn. Auf ‘nen Auftrag. Als Köchin. Für seine ganze Truppe da. Der Elf mit Hut und seine heimliche Truppe voller Hungriger …was auch immer, he?!“
Der Esel schnaubte. Lang. Tief. Ein Ohr zuckte.
" 'ch weiß, Du wills das nich. Ich weiß… Du bist so’n Gewohnheitsmöhrchen. Und wenn 'ch weg bin, wer schiebt Dir dann den Karren? Wer sortiert die Krabbn? Aber… 'ch hätt vielleicht ma Platz. Raum. Und ‘ne Pfanne, die nich jeden zweitn Klops mit 'nem Fluch beschenkt."
Sie starrte auf die ersten fertigen Krabbenchips, die langsam auf dem Tuch trockneten.
„Und weiße was? Jetzt hab 'ch sogar zwei Tavernen, die bei mir Fisch wollen. Regelmäßig! Das is wie ‘n Ritterschlag, he? 'ch wachse. 'ch bin fast wie ein Salat, nur mit ner eignen Persönlichkeit. Und…vielleicht wachs’ch noch mehr, wenn’ch da mitgehe. Mama und Papa wärn richtig stolz.“
Der Esel trat gegen die Holzkiste. Dramatisch. Eine Krabbenschale ploppte zur Seite.
„Aye…“ seufzte Eda schwer. „Und wenn’ch geh… wer tröstet Dich? Wer gibt Dir ‘nen Grund, beim Leuchtturm nich einfach 's Licht auszuknipsen?“
Die eintretende Dämmerung roch inzwischen nach Abendbrot. Eda stand auf, die Hände an den Krabben, die Gedanken bei Möhrfried. Der glotzte sie an. Tief und trotzig, schon beinahe mit melancholischer Würde.
"'ch hab auch Angst, Möhrschnute. Weil Du immer da warst. Und’ch nich weiß, ob ‚Kochn für schnieke Elfn‘ 's wert is, wenn Du hier allein pupst.“
Sie streichelte ihm die Mähne, ganz langsam und voller Zweifel.

Am ganzen Hafen flackerte es in der beginnenden Dämmerung, als hätte er vergessen, ob er Licht oder Schatten sein wollte. Die Laternen spiegelten sich auf dem nassen Pflaster wie müde Gedanken, und die Möwen hatten sich in den Himmel verkrochen, wo das Blau schon vom Dunkel aufgesogen wurde. Eda saß noch immer neben dem Karren, den salzigen Geschmack des Tages auf der Zunge und die Krabbenschalen zwischen den Fingern. Herr Möhrfried döste neben ihr, mit einem Ohr halb wach und den flirrenden Gedanken irgendwo zwischen Trotz und Zustimmung. Eda blickte auf die Stelle, wo das Meer den Horizont küsste, und alles war plötzlich ganz still. Kein Fluch, kein Grunzen, kein Schmatzen. Nur Wind. Nur sie. Die Entscheidung blieb wie ein nasser Handschuh liegen. Noch nicht aufgehoben, noch nicht weggeworfen. Nur da. Denn manche Wege brauchen einen zweiten Blick. Und Herzen wie Möhrfrieds, mit Ecken und Kanten aus Fürzen und Loyalität, sind nicht leicht zu verlassen. Nicht mal für drei Gänge, glänzendes Besteck und Elfen mit Hüten, die nach Zukunft riechen. Die Nacht kroch über den Kai wie eine unvollendete Ballade. Und Eda atmete tief durch. Morgen, vielleicht. Aber heute noch: Hafen. Klopse. Und ein Esel, der mehr sagte, wenn er schwieg.

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Es gibt Urlaube, die bucht man und dann gibt es jene, die spinnt man. Irgendwann am frühen Morgen, zwischen Schlamm, Gischt und Algen, verspürte Eda den starken Drang, sich den Alltag zu entknoten. Und noch bevor die Möwen ihre Stimmen sortiert und der Hafen seinen ersten Gähner ausgespuckt hat, kaufte sie sich mit entschlossener Miene und äußerst krummer Münze eine Passage auf der alten Silberkruste. Kein schönes Schiff und sicher auch nicht besonders schnell. Und doch roch es nach Freiheit und nach dem Holz, das Geschichten erzählen konnte. Das reichte der Fischerin.
Herr Möhrfried jedoch zeigte beim Betreten der Planke eine theatralische Mischung aus Skepsis und Missbilligung an den Tag. Absichtlich stolperte er gegen die Reling und schnaubte so laut, dass eine der Schiffskatzen reißaus nahm und sich kurzfristig umentschied, was die Mitreise anging.
Mit einer winzigen Gurke und etwas Möhre brachte sie das Multimuli wieder zur Vernunft.
Mit im Gepäck: Muscheln, ein paar Tüten Krabbenchips und jede Menge Garn für die Armbänder, mit der sie sich die faule Zeit an und unter Deck vertreiben wollte.

Und während die Silberkruste die Woche über dahingleitet, einmal Beutebucht und zurück, sitzt die Krabbenprinzessin am Heck, knotet ihre Armbänder, lauscht den alten Seemannsliedern, erzählt die wilden Geschichten des Leuchtturmwärters und teilt gesellig ihre Krabbenchips. Herr Möhrfried liegt daneben, halb seekrank, halb beleidigt aber tief in sich irgendwie auch zufrieden.

Und am Ende dieser Reise steht die neue Erkenntnis, dass die Welt gar nicht so kompliziert ist, solange man genug Garn, Krabbenchips und einen Esel mit Sinn fürs Drama hat. Wie leicht das Leben sich anfühlen kann mit einer Prise Unvernunft.

Bis in einer Woche, ihr Landratten!

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Von Krabben und Muschelwirtschaft mit Zimtduft

Der Hafen von Sturmwind war nicht bereit. Weder mental noch logistisch. Als die ‚Silberkruste‘, jenes berüchtigte Schiff, das in einem Segelhandbuch versehentlich unter „Dekorationsobjekt“ eingestuft wurde, keuchend in die Bucht schlitterte, brach das Gleichgewicht der örtlichen Möwenökonomie vollständig zusammen. Gleich drei gefiederte Veteranen brachen ihre Mittagspause ab, und ein alter Fischer ließ vor Schreck seine Pfeife in den Hering fallen.
Eda selbst stand auf dem Vordeck, salzverkrustet, sonnengegerbt und glorreich, wie eine Heldin, die nicht nur die Seekrankheit, sodern auch den Zimtexzess der Bordküche überlebt, und auch das nächtliche Quallenquieken gekonnt ignoriert hatte. Sie strahlte die Zuversicht einer Krabbenprinzessin aus, die wusste, dass ihre Rückkehr mindestens zwei Personen, eine Harfenkrabbe und einen immerzu schlecht gelaunten Leuchtturmdichter in Wallung versetzen würde.
Hinter ihr trottete Herr Möhrfried, das Multimuli mit dem Gleichmut einer eingelegten, matschigen Gurke. Er kaute gemächlich auf einem Tau, das mal zur Navigation genutzt wurde und schenkte der Explosion eines Kessels Zimtwassers nur ein gelangweiltes Ohrzucken. Niemand fragte, warum es Zimtwasser gab. Die Wahrheit war ohnehin ein altes Seemannslied mit zu vielen Strophen und einem Refrain, den niemand mitsingen wollte.
Die Mannschaft, bestehend aus drei nervösen Lautenspielern, einem steppenden Koch mit Zimt im Haar und eine alchemistische Seekartendame, die den Kurs nach der Laune einer astrologischen Seeschnecke gelegt hatte, stellte sich zur Hafeneinfahrt wie eine Theatergruppe, die vergessen hatte, wie man von links nach rechts geht. Ihr letzter Versuch, bei Windstärke 8 ein Bord-Turnier im Muschel-Schnick-Schnack zu organisieren, endete in einer spontanen Meuterei, bei der alle Beteiligten übereinstimmend die Verantwortung auf eine Krabbe schoben.

Diese Krabbe, namentlich Brigitte, hatte sich über die Reise hinweg als besonders geschäftstüchtig erwiesen. Sie war die inoffizielle Souvenirbeauftragte des Schiffs, hatte heimlich Edas Muschelsammlung in kleine Portionen aufgeteilt und unter den Gästen verkauft, inklusive Beipackzettel mit „tangfreier Herkunftsgarantie“. Man munkelte sogar, sie habe ein Sparbuch in Unterwasserwerten eröffnet und investiere demnächst in Seepferdchentransporte. Eda bemerkte das erst im Hafen, als ihr eine ältere Dame eine Brosche zeigte und sagte: „Ist das nicht aus Eurer Muscheledition? Brigitte hat mir das als Unikat verkauft.“ – was natürlich eine der Geschichten war, die Eda rigoros beschwören würde. Alles ist genau so passiert. Ohne Übertreibungen.

Am Kai war die Begeisterung… sagen wir: stoisch. Ein Hafenwächter starrte auf das Schild „Willkommen zurück“, als hätte er es aus Versehen selbst gemalt, und diese eine, besagte Harfenkrabbe klimperte die Bordhymne in einem moll-lastigen Crescendo, begleitet von einem Dackel mit Tangperücke.
Herr Möhrfried schlenderte weiter, ignorierte Touristen, die ihn für eine Laune der Natur hielten, und ließ sich schließlich in einem Heuhaufen nieder, der verdächtig nach Lavendel und emotionalem Überdruck roch. Sein Niesen jagte drei Möwen über den Zaun, und eine struppige, runde Katze, die sich den Platz zum gebären ausgesucht hatte drehte beleidigt ab.
Eda ließ sich schließlich auf das Hafenpflaster fallen, die Arme ausgebreitet wie ein Seestern im Sabbatjahr. Der Boden war hart, die Luft salzig, und der Moment perfekt. Sie war wieder da. Sturmwind roch nach Heimat. Heute auch ein bisschen nach Zimt und leicht überforderten Hafenarbeitern. Und nach der unerschütterlichen Gewissheit, dass irgendwo eine Krabbe mit zwielichtigen Absichten gerade über neue Preisetiketten nachdachte. Alles war wie immer, und doch ein kleines bisschen besser.

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Von Quallen und Zimt, oder: Dinge, die man nicht rauchen sollte.

Es war spät. So spät, dass sogar die Laternen müde blinkten. Eda schlenderte durch die Gassen wie eine Philosophin auf der Suche nach Sinn, oder zumindest nach jemandem, mit dem sie ihre Krabbenchips teilen kann. Da saß er. Grummlqualle. Wie aus dem Pflaster gewachsen, mit einer Aura aus Pfeifenrauch und ungeklärten Lebensfragen. Sie redeten. Über Adel, Arroganz, und Ärsche mit eingeklemmten Persönlichkeiten. Eda versuchte, die Welt mit ihrem trüben Blick für Tiefgründiges zu retten: „Leck mich am Ar~ch, he?“ hatte sie erwidert. „Also, weißte… ’ne Haltung, die nix sehen will, is keine Haltung, das is bloß ein Rucksack voller Vorurteil, den man nicht auspacken will, weil die Socken drin stinkn. Ich sag ja nich, dass alle mitm Stammbaum automatisch gut duften. Aber man kann schlecht das ganze Gemüse verfluchen, bloß weil man mal ne lahme Möhre getroffen hat. Und manche da oben, die haben vielleicht nen Stock, ja, aber manchmal is der aus Gold und voller Geschichten. Vielleicht sogar mit Herz dran. Aye… Leck mich Haltung kann helfen, wenn man sich nicht den Kopf verbiegen will. Aber wenn man nie tiefer blickt, sieht man nur die Oberfläche, und da schwimmt auch der Schlick. Ich bin lieber die, die reinschnuppert, auch wenns manchmal nach schlechtm Klops riecht. Weil…“ ein Fingerdötsch gegen die Stirn später hat sie einfach weiter geplappert. Faktisch ohne Punkt und Komma. „…Sonst verpasst man die, die echt sind. Und das wär schade. Sogar für dich, Grummelmatte.“ Der Olle Riesengrummler lachte trocken und zog an seiner Pfeife. Dann reichte er sie ihr mit einem Grinsen, das aussah, als wüsste es mehr über Eda als sie selbst. "Friedenspfeife. Hilft beim… Perspektivwechsel.". Irgendwie sowas hatte er erwidert. Sinngemäß zumindest. Eda, aus Prinzip neugierig und rebellisch wie ein verliebtes Opossum, nahm zwei Züge, und plötzlich wirkte der Mond wie ein überdimensionierter Mettigel. Grummelkopp sagte noch so komisches Zeug wie: „Du solltest heimgehen, bevor du der Wache nen Heiratsantrag machst.“

Der Heimweg war eine Expedition durch flackernde Gedanken. Bäume flüsterten Gedichte, Briefkästen diskutierten Ethik, und Eda war überzeugt, dass ihr linker Schuh aufmüpfig war.
Aber schließlich erreichte sie ihr Zuhause, oder eben zumindest das, was sie für ein Zuhause hielt. Dort wo Herr Möhrfried, ihr Esel mit der eigenen Meinung über alles Spaßige, glücklicherweise im Stall döste.
„Möhrfried! Du bist viel zu grau für diesen Wahnsinn!“ rief Eda und versuchte, ihm eine Decke aus Blättern und Küchentüchern zu basteln. Der Esel blickte nur müde drein und kaute weiter auf dem Heu, das er vergessen hatte runterzuschlucken, ehe der Schlaf ihn traf. Während dessen begann Eda eine tiefsinnige Diskussion mit dem Wassereimer. Ihr Fazit: Adel ist ein Zustand der Innenohrbalance, nicht des Titels.
Am nächsten Morgen wachte sie mit einer Kopfschmerzphilosophie auf und einem Heißhunger auf Zimtschnecken. Dieser verdammte Zimt!

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Von Sternschnuppen und Tintenfischen, oder: Magier die man nicht kennen sollte.

Der Himmel über dem Wasser war ein samtenes Tuch, bestickt mit Sternen, die so frech funkelten, als würden sie gerade mit Glitzer gurgeln. Eine leichte Brise strich durch die Masten, der Duft von Salz und Fisch lag in der Luft wie ein hartnäckiger Gedanke. Und mittendrin saß Eda. Auf einem umgedrehten Fass, die Beine baumelnd, den Blick gen Firmament gerichtet. Neben ihr mümmelte ihr treuer Herr Möhrfried an einem Seegrasbüschel, das aussah, als sei es versehentlich aus einer Deko-Schale für Meerjungfrauen gefallen.
„Hör zu, Möhrchn“, begann Eda mit dem Ernst einer Astronomin. Sie hielt einen winzigen Tannenzapfen wie einen Zeigestock in die Höhe und wies damit theatralisch zum Himmel. „Heute Nacht, da wird’s geschehn. Eine Sternschnuppe. Oder fünf. Und dann wünsch ich mir… ne Steuervergünstigung. Oder n besseres Gedächtnis. Oder… dasse aufhörst, mit Bootn zu flirten.“ Möhrfried schnaubte. Das klang verdächtig nach ‚Ich mache keine Versprechungen‘.
Die Geräusche der Stadt warn in der Ferne nur noch ein Flüstern. Selbst die Möwen hielten für einmal den Schnabel. Und Eda, mit der Nase gen Nordwesten, runzelte die Stirn. „'ch schwör Dir, 'ch hab da gerad ne Sternschnuppe gesehn. Oder… es war ein sehr motiviertes Glühwürmchen.“
Sie streckte die Hand aus, als könne sie eine greifen. Ihre Stimme wurde ein wenig leiser.
„Wusstest Du, dass Sternschnuppn eigentlich astronomische Aufmerksam…ke…keit…eh
…defizite sind? Sie wolltn ganz normal leuchtn, und dann… zack, Bühnenpräsenz.“

Herr Möhrfried kaute demonstrativ weiter und ein leiser Windhauch ließ Eda frösteln. Doch sie lächelte, dieses kleine, verzauberte Lächeln, das kam, wenn die Welt einen Moment lang nur ihr gehörte. Denn irgendwo da oben wartete ein Wunsch, der vielleicht schon unterwegs war.

Und dann plötzlich: Ein leises Platschen unterbrach Edas gedankliche Sternschnuppeninventur. Herr Möhrfried hob den Kopf, und starrte in Richtung der alten Holztreppe, die vom Lagerhaus zum Kai führte.

Dort stand er.

Der Mann war in ein Gewand gehüllt, das aussah, als hätte es einst einem Vorhang gehört, der zu lange in einer Algenhöhle verweilt hatte. Muscheln klirrten an seinem Gürtel, sein Bart war salzverkrustet und schimmerte in einem Ton, den man nur als ‚nasses Nebelgrau‘ bezeichnen konnte. In der Hand hielt er einen Stab, der eindeutig ein Besenstiel war, nur mit einem Seestern obendrauf. „Du da!“ rief er, mit einer Stimme, die klang, als hätte sie zu viel Seeluft inhaliert. „Du beobachtest die Sternschnuppen falsch.“
Eda blinzelte.
„'ch beobachte sie gar nich falsch. 'ch beobachte sie mit Hingabe. Und nen Tannenzapfen.“ fuchtelnd hob sie diesen Tannenzapfen, um ihre Worte zu unterstreichen.
Der Mann trat näher, seine Sandalen quietschten bei jedem Schritt.
„Die Sternschnuppen sind keine Himmelskörper. Sie sind Tintenfischgeister. Alte, uralte Wesen, die sich in die Atmosphäre verirrt haben, weil jemand in Pandaria das falsche Ritual mit einer Muschel gemacht hat.“ Herr Möhrfried schnaubte. Eda hob eine Braue.
„Und eh Du bis…?“
„Ich bin der Hafenmagier. Hüter der Gezeiten, Sprecher der Krake, Träger des ewigen Algensiegels.“
Er hob den Besenstiel. Der Seestern blinkte einmal. Dann fiel er ab. Eda nickte langsam.*
„Klingt plausibel. Und wat willste jetzt von mir?“
Der Magier beugte sich vor, flüsterte verschwörerisch:
„Ich brauche jemanden mit einem Muli. Die Tintenfischgeister mögen Mulis. Sie vertrauen ihnen. Und ich habe eine Karte. Eine Karte zu einem Ort, wo die Sternschnuppen landen. Aber ich kann sie nur lesen, wenn jemand Gurkensuppe mit Honig dabei hat.“
Eda starrte ihn an. Dann auf Möhrfried. Dann wieder auf ihn.
„Da hasse Glück. 'ch kenn n Kind, das genau das liebt.“
Der Magier grinste.
„Dann ist es entschieden. Die Reise beginnt bei der dritten Möwe von links.“
Eda stand auf, klopfte sich die Hose ab, nahm Möhrfried am Halfter und murmelte:
„'ch wollt eigentlich nur nen Wunsch loswerden. Jetzt rett 'vh offenbar die astrein…astron…astrale…Tintenfischwelt. Komm… wir müssn los. Suppe holn und Geister rettn“ Möhrfried kaute weiter. Der Magier drehte sich einmal im Kreis und verschwand in einer Nebelschwade, die eindeutig aus einem alten Teekessel stammte. Und über dem Hafen blinkte eine Sternschnuppe. Oder ein sehr motivierter Tintenfischgeist.

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Von Stille, Geheimnissen und Hoffnung

Der Nebel hing schwer über Sturmwind. Nicht der gewöhnliche, salzige Schleier vom Meer. Er war dichter, wie aus Gedanken gesponnen, aus Angst und Hoffnung zugleich. Die Gassen der hintersten Hafenviertel waren leer, bis auf das leise Klappern von Hufen auf nassem Stein. Das Multimuli, trug keine Last, aber seine Augen schienen zu wissen, was bevorstand.
Die Blondine ging voraus. Das Gesicht gekonnt unter der Kapuze des schweren Wollmantels verborgen. Ihr Mantel flatterte im raschen Schritt wie ein Schatten. In ihrer Tasche klirrten kleine Fläschchen; Beruhigung, Schmerzmittel, ein Tropfen Schlaf. Die Rothaarige folgte ihr, die Krabbenprinzessin, mit einem Blick, der das Meer kannte und seine Geheimnisse. Ihre Hände rochen nach Salz und Freiheit.
Die beiden schmutzigen Mädchen waren klein. Zu klein für das, was sie schon gesehen hatten. Sie klammerten sich aneinander, als wären sie ein einziger Körper, ein einziger Atemzug. Ihre Namen wurden nicht genannt. Nicht heute. Namen waren gefährlich.
Der geheimnisumwobene Ritter wartete bereits am Boot. Niemand kannte ihn. Sein Helm verbarg sein Gesicht, und seine Stimme war wie ein ferner Donner. Doch die Krabbenprinzessin hatte ihn ausgewählt. Und die irrte sich niemals, wenn es um Menschen ging.
„Schnell“, flüsterte die Blonde, als sie die Kinder ins Boot hob. „Sie haben uns gefunden und sie sind nah. Verdammt nah.“
Ein Schrei zerriss die trügerische Stille hier am Ufer des Sturmwinder Hafen, wo heute Nacht nicht mal die Gischt zu rauschen wagte. Der Schrei war nicht laut, aber scharf. Die Stiefmutter. Oder der Vater. Oder beide. Niemand sah sie, aber alle spürten sie. Ein eiskalter Wind, der durch die Knochen fuhr.
Herr Möhrfried stampfte unruhig. Eda legte ihm beruhigend die Hand auf den Hals. „Nur nochn kleinen Moment, mein Möhrchenprinz.“
Der Ritter stieg ins Boot, sein Schwert locker an der Seite. Die Blondine reichte ihm ein Fläschchen. „Für den Fall, dass Du mehr brauchst als Stahl.“

Das Boot löste sich vom Steg. Kein Wort fiel. Nur das leise Plätschern der Ruder, das Atmen der Kinder, das ferne Echo von Schritten, die zu spät kamen.

Doch niemand kehrte um.

Eda warf einen letzten Blick zurück auf die dunklen Gassen von Sturmwind. Dort, wo sie einst Krabben gezählt und Geschichten getauscht hatte, war nun nur noch Gefahr. Die Ärztin stand neben ihr, die Finger um die Tasche gekrallt, als hielte sie damit die ganze Welt zusammen. Herr Möhrfried schnaubte leise, als hätte er verstanden, dass dies keine gewöhnliche Nacht war.
*„Komm schon Joe, wir müssen mit“, sagte Eda leise. Nicht als Frage. Nicht als Vorschlag. Als Tatsache. Joe nickte. „Wenn wir sie allein lassen, sind sie verloren.“
Der Ritter sagte nichts. Aber er rückte zur Seite, machte Platz. Das Boot war nicht gebaut für so viele. Doch es war gebaut für Hoffnung.
Eda half Joe hinein, dann stieg sie selbst hinterher. Einzig Herr Möhrfried zögerte. Seine Hufe kratzten über das Holz des Stegs. Dann folgte endlich ein Sprung. Schwer, unbeholfen, aber voller Entschlossenheit. Das Boot schwankte, aber es hielt.
Und so trieben sie hinaus. Die Kinder, die Retterin, die Krabbenprinzessin, das Muli und der schweigsame Ritter. Fünf Schatten auf dem Wasser. Fünf Geschichten, die sich verbanden. Zu einer einzigen Geschichte, die vielleicht niemand ganz verstehen würde. Doch jeder wird sie fühlen.

Hinter ihnen Sturmwind. Vor ihnen? Niemand wusste es genau. Aber sie ruderten weiter. Und der Nebel verschluckte alles, außer der Hoffnung.

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spinnt ab sofort ic Mythen über Tintenfischgeister die wie Sternschnuppen ziehen. :white_heart:

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Wie schön das einfach wäre, wenn sich ganz viele Geschichten darüber weben würden. <3

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Von Algen, Königinnen und Freunden, die nie ganz fort gehen.

Die Nacht war wie ein alter Mantel; Ein bisschen muffig aber warm genug, sich darin zu verlieren. Und vor allem ist die Nacht ehrlicher als der Tag. Der Großteil der Stadt schläft. Der Hafen schlief nicht, er döste bloß mit einem Auge offen. Das andere war vermutlich gerade mit einer Laterne im Streit, die eigentlich fast nur noch für die Möwen leuchtete. Und am Ende war die Nacht am Hafen still. Nicht leer. Nur still. Voll von Dingen, die man nur hörte, wenn man nichts sagte. Das Wasser gluckste leise gegen die Steine, als würde es sich selbst Geschichten erzählen. Eine Laterne knarzte im Wind, Möwen murmelten im Schlaf, und irgendwo klapperte ein loses Tau gegen einen Poller. Das Herz des Hafens, das niemals Ruhe fand.
Eda saß auf ihrem schiefen Hocker, der so alt war, dass er vermutlich schon Geschichten kannte, die sie erst noch erleben würde. Neben ihr stand Herr Möhrfried, das Multimuli, dar aussah, als hätte er den Hafen persönlich gegründet und dann beschlossen, einfach zu bleiben.
„Weiße, Möhrfriedchn?“ begann Eda, während sie ein paar Algen aus der Gischt fischte, „manchmal denk’ch, Freunde sind wie Möwn. Laut kreischnd, flattrig, und wenne nich aufpasst, kackn se Dir mittn ins Herz.“
Die Möwen über ihr kreischten zustimmend. Oder beleidigt. Vielleicht auch einfach, weil sie es konnten.
„Aber trotzdem… 'ch vermiss sie manchmal. Die, die gegangn sind, weißte? Die, die einfach irgendwann nich mehr am Tresen stehn. Die, die keine Krabbnchips mehr mit mir teilen.“ Sie seufzte, zog ein paar weitere Algen hervor und begann, sie zu flechten. „Un dann frag’ch mich, ob das heißt, dass’ch nich frei bin. Weil’ch sie vermiss. Und… manchmal… dann ebn allein bin.“
Herr Möhrfried schnaubte. Oder nieste. Oder beides. Eine Möwe fiel beinahe vom Dach vor Schreck.
„'ch weiß…Freunde kommen und gehen. Sind vielleicht auch weniger Möwn…mehr… Schiffe. Manche legn an, manche fahrn vorbei, und manche… na ja, die versprechn, zurückzukommen, un tun’s nie. Un trotzdem steh’ch hier. Immer noch am Kai. Immer noch mit offenen Armen, als würd’ch auf ebn… diese ganz besonderen Schiffe wartn.“

Irgendwann dann, zwischen neu gefundenen Tintenfischgeistern, einem Esel, der noch immer da war und vermutlich immer da sein wird, war sie fertig mit ihrer Flechtarbeit und setzte sie sich die Algenkrone auf. Sie saß schief, roch nach großen Abenteuer und ein bisschen nach vergessener Suppe. Eda richtete sich auf, hob das Kinn und verkündete: „Ich bin Eda, Krabbnprinzessin von Sturmwind und Königin der Kloppse. Und weißte, Du olle Knatterplörre?“ flüsterte sie, während der Wind ihr die Krone fast vom Kopf zupfte. "Wenn’ch morgn wieder allein bin, dann war’ch heute wenigstens Königin. Und du mein Hofgrunzer."

Und er grunzte. Diesmal eindeutig zustimmend.

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Von Törtchen, Kirschen oder: Schnee im August

Der Regen hatte den ganzen Tag getanzt. Mal mehr, mal weniger elegant. Meistens aber wie ein schlecht gelaunter Walzer auf den Dächern der Hafenstadt. Die Pfützen glitzerten im Laternenlicht und Eda stapfte mit nassen Schuhen aber warmem Herzen zurück zu ihrem Heimathafen. In der Hand: Ein weißes Törtchen. Ein bisschen angeknabbert schon, mit einer Kirsche obendrauf, die so rot war, als hätte sie sich extra für diesen Abend rausgeputzt. Der Wohnwagen aus Holz, ein bisschen schief, ein bisschen müde, aber voller Geschichten, der stand nahe der alten Werft. Die Farbe blätterte, die Räder quietschten, aber innen war es wie ein Nest aus Kissen, Decken und Erinnerungen. Die Essecke war vollgestopft mit bunten Polstern, das Bett ein weiches Meer aus Stoff, und irgendwo zwischen Teekanne und Laterne hing ein Traumfänger, der aussah, als hätte ihn eine Möwe gebastelt.
Eda trat durch die matschige Werft, vorbei an schlafenden Möwen und einem Fischhändler, der mit einem Regenschirm kämpfte, der längst aufgegeben hatte.

Als sie auf die - wie bereits erwartet - offene Tür zutrat, traf sie ein vertrauter Duft: Heu, Seegras und… Möhrfried.
„He“, rief sie, halb lachend, halb empört. „Das is MEIN Wohnwagn, Du olles Trampltier!“
Herr Möhrfried lag bereits quer über dem Bett, eine Decke halb über den Rücken gezogen, die Tür stand sperrangelweit offen, und seine Hufe hatten einen Kissenberg plattgewalzt.
„Du hast nicht mal zugemacht! Es zieht wie Hechtsuppe, man.“ Sie schloss die Tür, schüttelte sich den Regen aus dem Haar und stellte das Törtchen auf den Tisch. Auf ein kleines Spitzendecken, das eines ihrer wertvolleren Errungenschaften schien und das sie genau für solche Momenten aufbewahrte. Dort also landete das Törtchen. Mit so großer Vorsicht, als wäre es ein Fabergé-Ei.
„Ey, Möhrchn“, sagte Eda „Wenn Du das anrührst, gibt’s heut kein Gute-Nacht-Kraulen.“
Möhrfried warf ihr einen Blick zu, der irgendwo zwischen beleidigt und herausgefordert lag.

„War’n schöner Abend“, murmelte sie, während draußen der Regen gegen die Holzplanken klopfte, sie aus den nassen Sachen schlüpfte und unter den Haufen an Decken kroch. Direkt neben das Muli. Der Wohnwagen knarzte zufrieden, als hätte er nur auf sie gewartet. „Die Lotti hat wieder versucht, mit dem Kellner zu flirten, obwohl der eigentlich nur Augen für de Zitronenpresse hatte. Und dann war da dieser Typ mit dem Hut aus Brotpapier, der behauptet hat, er sei ein Wetterflüsterer. Hat mir versprochn, dass es morgn schneit. Im August.“

Möhrfried schnaubte, legte den Kopf auf ihrem Bauch ab und Eda kraulte ihm die Ohren.
"Und weißte was das Beste war?“ Sie zeigte auf das Törtchen. „Das hier. Damien hats mir gekauft. Hat gesagt… Freunde machn das so. Und… dass 'ch ja auch immer teile und mich mütterlich um jedn kümmer. Hab ich mir bis zum Schluss aufgehobn. Also… 's Törtchn, mein’ch. Die Kirsche hat mich durch drei Stunden Möwengekreisch getragen.“
Sie kuschelte sich tiefer ins Bett, das Törtchen sicher auf dem Tisch. Der Regen wurde leiser, als hätte er genug gelauscht. Und Möhrfried? Der schnarchte leise, mit einem Huf auf Edas Decke und einem Ohr auf ihrem Herzen.
„Morgen“, flüsterte sie, „machen wir nix. Nur Törtchen essen. Und vielleicht dem Wetterflüsterer einen Regenschirm schenken.“
Und über dem alten Wohnwagen, zwischen Tropfen und Träumen, blinkte eine Laterne. Oder ein sehr müder Stern.

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Von Herzen, tiefer Liebe, Möwen und Schiffen, die überhaupt keine sind.

Es war kein Schiff.
Nicht wirklich.
Nicht nach den Regeln.
Nicht nach den Listen, die Hafenmeister führen, mit Spalten für Länge, Breite, Tiefgang und Traglast.

Es war ein Boot.
Ein umgebautes, überholtes, liebevoll zusammengeschustertes Boot.
Aber Eda Bram sah das nicht so.
Für sie war es ein Schiff.
Ihr Schiff.
Und niemand, der noch ein Fünkchen Herz im Leib hatte, würde es übers Herzbringen, ihr das abzusprechen.

Die Planken waren neu und trugen die Last, die man ihnen bisher aufbürdete gut. Trotz der Makel, die sie hier und da aufwiesen. Das Holz roch noch nach Werft, nach Harz und ehrlicher Arbeit. Zumindest aus der Richtung der Holzfäller. Die Segel waren klein, aber stolz gespannt, als wollten sie beweisen, dass Größe nicht in Quadratmetern gemessen wird. Und das Steuer, das war ihres. Alles an Liebe, das ein Schiff hätte aufbringen können lag in diesem Steuer. Ihre Hand passte genau darauf. Als habe man dafür Maß genommen.

Der Bootsbauer war ein gemeiner Hund. Einer, der mit Preisen jonglierte wie mit faulen Äpfeln. Einer, der dachte, dass eine Frau mit Sommersprossen und einem Esel an der Seite leicht zu täuschen sei. Mit Preisen, die schwankten wie ein betrunkener Matrose. Mit Extras, die plötzlich ‚notwendig‘ waren. Aber da war der Lockenkopf. Er hatte sich zwischen Eda und den Bootsbauer gestellt, nicht mit Fäusten, sondern mit Worten, die dem Kerl wie Gewichte auf die Füße fielen. Drohungen, ja vielleicht. Aber solche, die saßen. Seitdem war der Bootsbauer sehr still. Und sehr effizient.

Als das Schiff fertig war, stand Eda davor wie ein Kind vor dem ersten eigenen Wintermantel. Natürlich nicht irgendein Mantel, sondern einer, den man sich selbst ausgesucht hat, mit zu großen Taschen für Fundstücke und einem Kragen, der einen sich außerordentlich königlich fühlen lässt.

Sie trat langsam näher, fast ehrfürchtig. Ihre Finger glitten über die Reling, raues Holz unter rauer Haut, und sie spürte jeden Ast, jede Unebenheit, als wären es Narben, die das Schiff schon vor ihr getragen hatte. Die Maserung war nicht perfekt, aber das war gut so. Perfektion war nie das Ziel. Es sollte echt sein. Genau so wie die Fischerin. Unrund. Und das war es.

Eda lächelte. Ein tiefes Lächeln, das aus dem Bauch kommt, wenn etwas richtig ist. Und sich gut anfühlt.
Sie umrundete das Boot - das Schiff - mit langsamen Schritten, und sah aus, als würde sie gleich die Hände heben, um es zu segnen. Ihre Stiefel knirschten auf dem Pier, Möhrfried schnaubte leise hinter ihr, und irgendwo über dem Hafen kreischte eine Möwe.

„Du bis echt wunderschön“, murmelte die Krabbenprinzessin. Weil es ihr gehörte. Weil es aus einer Idee geboren war, aus Trotz, aus Hoffnung.

Sie legte die Stirn kurz gegen das Holz, schloss die Augen. In ihrem Kopf war sie schon draußen. Auf dem Wasser. Mit Wind im Haar, Salz auf der Haut, und neuen Geschichten im Gepäck. Und vielleicht konnte sie damit nicht die Welt umrunden. Aber ihre eigene? Die schon.

Es dauerte, aber es kam der Tag der ersten Fahrt.

Sie waren zu zweit. Oder zu dritt, je nachdem, wie man Möhrfried zählte. Der Esel hatte seinen Platz gefunden, zwischen den Vorratskisten und dem Seilkorb, und schien seltsam zufrieden. Noch seltsamer war, dass er den Lockenkopf mochte, der sie begleitete. Sehr sogar. Eda hatte ihn dabei beobachtet, wie er sich an dessen Seite drückte, als wären sie schon immer Freunde. Und Eda hatte nichts gesagt. Nur gelächelt. Ganz kurz.

Sie fuhren hinaus vor Sturmwind, das Netz im Gepäck, die Möwen über ihnen wie fliegende Gedanken. Das Meer war ruhig, aber nicht langweilig. Es gluckste, murmelte, erzählte Dinge, die nur Eda verstand. Sie war Kapitänin. Und niemand wird sie vom Gegenteil überzeugen können.

Der Fang war gut. Nicht groß, aber genug. Sie lachten. Sie fluchten. Und Eda sang ein Lied, das keiner kannte und das wahrscheinlich nie wieder gesungen werden wird. Für den Lockenkopf gab es einen Apfel, den er mit Möhrfried teilte musste. Ob am Ende alles das Muli bekam? Eda hatte das beobachtet, aber am Ende wollte sie ihnen ihre Zeit lassen! Und als sie zurückkehrten, mit Salz in den Haaren und Sonne auf der Haut, da sagte er etwas, das ihren Kopf voll Ideen und voll Chaos, sortierte.

„Möwenherz“, hatte er gesagt.
Einfach so.
Nicht besonders feierlich.
Kein Trommelwirbel, kein Segensspruch.
Nur dieses eine Wort, hingeworfen zwischen Fang und Heimkehr, zwischen Möhrfried und dem letzten Sonnenstrahl auf dem Wasser.

Und Eda hatte es aufgefangen. Ein bisschen wie etwas, das man nicht erwartet, aber sofort fühlt. „Möwenherz.“

Es war, als hätte das Schiff nur auf diesen Namen gewartet. Als hätte es all die Zeit geschwiegen, weil es noch nicht wusste, wer es war. Und jetzt. Ja jetzt war es geboren.

Und jetzt trägt es ihn. Nicht auf einem Schild, nicht in Gold, sondern in jedem Nagel, jeder Planke, jedem Seil.
Der Name hängt in der Luft, wenn man an Deck steht.
Er liegt in der Hängematte, wenn der Wind durch die Kabine streicht.
Er schaukelt mit, wenn Möhrfried sich räkelt und leise schnaubt.
Und manchmal, wenn die Nacht still ist und das Wasser flüstert, dann hört man es.

Denn das ist es, was die Möwenherz ist. Nicht groß. Nicht schnell. Nicht wirklich beeindruckend im klassischen Sinn. Aber sie trägt Leben. Echtes Leben. Sie trägt Eda. Und sie trägt den Namen, den jemand ausgesprochen hat, der sie gesehen hat, wirklich gesehen. Und ihr damit etwas gegeben hat, das ihr gehört. Das bleibt.

Ein Zuhause auf Wasser.
Ein Herz aus Segelstoff und Salz.
Ein Schiff, das nie nur ein Boot war.
Nicht für Eda.
Nicht für den Lockenkopf.
Und ganz sicher nicht für Möhrfried

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Von Angeln, Himmeln und Sternen, oder: „Es war einmal ein Sternenfischer.“

Die Nacht war über Sturmwind gefallen wie ein weiches Tuch aus Tinte und Silber. Die Stadt, die am Tage lärmte und lebte, flüsterte nun mehr. Laternen warfen ihr Licht auf das nasse Pflaster der Hafenpromenade, wo die Steine vom Tag noch warm waren.

Die Luft roch nach einem Gemisch aus Hafen und Stadt. Nach Salz, nach alten Seilen, nach Talgkerzen und dem Rauch, der aus den Schornsteinen stieg. Nachts roch die Stadt immer ein wenig anders. Und all das vermischt mit dem süßen Duft von gebackenem Brot, das irgendwo vergessen worden war. Von den Tavernen drang noch vereinzeltes Lachen herauf, vermischt mit dem Klang einer Geige, die sich nicht entscheiden konnte, ob sie tanzen oder trauern wollte. Ein paar Schatten huschten durch die Gassen. Gauner, Händler, Nachtgestalten, die wussten, dass die Stadt nie ganz schläft. Aber selbst sie wirkten friedlich, so als hätte die Dunkelheit ihnen für ein paar Stunden die Zähne gezogen.

Oben auf der Promenade, dort wo man über die Dächer der Lagerhäuser hinweg das offene Meer sehen konnte, war es stiller. Die Sterne standen klar über dem Horizont, als hätten sie sich versammelt, um einigen der Schatten den Weg zu weisen. Ein leichter Wind strich durch die Segel der vertäuten Schiffe, ließ sie knarren wie alte Männer, die im Schlaf murmeln.

Es war die Stunde, in der die Stadt nicht mehr arbeitete, aber auch noch nicht träumte. Die Stunde, in der man Dinge sagen konnte, die der Tagesgesellschaft nicht zuträglich wären. Die Stunde, in der man sich selbst begegnete, oder jemandem, der gerade dort saß, wo die Welt am weitesten war.

Und dort, direkt an der Mauer, unweit einer flackernden Laterne, stand ein Mann. Die Angelrute locker in der Hand, den Blick auf das Wasser gerichtet, das man von hier oben nur erahnen konnte. Die Schnur hing hinab, über das Geländer, über die Tiefe, doch der Köder schwebte in der Luft. Kein Wasser berührte ihn. Kein Fisch konnte ihn finden. Er war da, einfach so, als wolle er niemals landen, weil der Himmel gerade gut genug war.

Der Mann stand ruhig, fast regungslos, als wäre er selbst Teil der Nacht geworden.

Und dann kam Eda. Von einem ihrer nächtlichen Spaziergänge. Ihre Schritte waren leise, einfach weil sie die Stadt nicht wecken wollte. Und auch keine schlafenden Hunde. Die Stadt war ihr außerdem vertraut in der Dunkelheit. Die Mauern, Die Wege, das Gefühl, das sie in sich trug, wenn alles um sie herum langsamer wurde.

Die Promenade war leer, bis auf den Mann an der Mauer. Eda sah ihn schon von Weitem. Er fiel ihr auf, weil er still war. So still, dass die Nacht ihn fast übersehen hätte, hätte er nicht die Angel gehalten.

Sie trat näher, langsam und ohne Eile. Aus einem Gefühl heraus, das sie nicht benennen konnte. Vielleicht war es das Meer, das sie zu ihm trug. Vielleicht die Ruhe, die er ausstrahlte. Wie er dort stand. Vollkommen überzeugt von seinem Tun. Als Protagonist von zig neuen Geschichten. Eda blieb stehen, nur zwei Schritte hinter ihm.

Das Gespräch war lang gewesen. Nicht nur in den Worten, die man hören konnte, auch in denen die zwischen den Sätzen lagen. Sie hatten gesprochen über das Fischen und das Nicht-Fischen, über Hunger und Ruhe, über Netze, die halten, und Leinen, die loslassen. Und irgendwann war klar geworden, dass man nicht angeln muss, um des Fischens willen. Dass es nicht immer um den Fang geht. Manchmal reicht das Sitzen. Das Teilen. Das Schweigen.

Die Nacht war weitergezogen, hatte sich dunkler gefärbt. Die Laterne neben ihnen flackerte noch immer, aber ihr Licht war sehr viel müder geworden. Die Stadt unter ihnen schlief nun wirklich, kein Lachen mehr, keine Geige, nur das Knarren der Schiffe und das Atmen des Meeres.

Und nach dem Versprechen, dass dies nicht ihr letztes Gespräch gewesen war. Nicht der letzte Stern. Nicht der letzte Abend an der Mauer, gingen sie.

Sie gingen nicht gemeinsam. Aber auch nicht gegeneinander. Nur in verschiedene Richtungen. Wie zwei verwehte Gedanken, die sich einmal berührt haben und nun weiterziehen, mit dem Wissen, dass sie sich verändert haben.

Später, als selbst die Sterne sich bereits zurückzogen, kehrte Eda zu ihrem Wagen zurück. Möhrfried wartete dort, wie immer, mit halb geschlossenen Augen und lag, wie unter stillem Protest bereits in ihrem Bett. Sie streichelte ihm über die Stirn, schloss die Tür hinter sich und ließ sich neben ihm in die Decken sinken.

„Du glaubst nich, was fürn Menschn 'ch heut getroffn hab“, begann sie, kaum dass sie lag. Ihre Stimme war leise. „Er stand da obn anner Mauer, ganz allein, mit ner Angel in der Hand. Aber weiße was? Der Köder hing einfach in der Luft. Kein Wasser. Kein Fisch. Nur Himmel.“

Möhrfried schnaubte. Eda lachte. „Aye. 'ch weiß. Klingt verrückt. Aber irgendwie… war’s schön. Er hat nich geangelt, um was zu fangn. Er hat geangelt, weils ihn glücklich macht. Einfach so.“

Sie drehte sich auf die Seite, sah den Esel an. „Und dann hab 'ch ihn gefragt, ober hier schoma was gefangn hat. Weiße, was er gesagt hat?“ Sie wartete keine Antwort ab. „Er hat gelacht. Ganz friedlich. Und meinte: Was solln anbeißn? Ne Möwe?“

Eda kicherte. „Und’ch hab gesagt: Möwn beißn nich. Sie pickn. Und wenn man nich aufpasst, pickn sie einem die letzte Hoffnung vom Köder.“

Möhrfried schnaubte erneut, diesmal etwas lauter. „Ja, ja, 'ch weiß. 'ch red viel. Aber warte, 's Beste kommt noch.“

Sie griff in ihr Haar und holte den Stern heraus, den sie aus einer vergilbten, alten Karte faltetet. „'ch hab ihm nen Stern gebastelt. Ganz klein. Und den hab’ch ihm ummen Köder geflochtn. Damit er auch endlich etwas geangelt hat. Nen Stern.“

Sie hielt inne, lächelte. „Und weiße, waser gesagt hat? Für besonders schöne Fraun hole er sogar Sterne vom Himmel.“

Möhrfried meckerte leise. Eda grinste. „Aye, 'ch weiß. Du brauchst Ruhe, he? Hab Dir lange nichts mehr vorgesungn.“

Sie rückte näher, legte die Stirn an sein Fell. „Aber heut… heut passts.“

Und nach einigem Überlegen sang sie. Leise. Ein Wiegenlied, das sie selbst noch nicht ganz kannte, aber das sich aus ihr heraus formte wie der dichte Nebel über dem Wasser. Ein Lied von Sternen, von Angeln, von Prinzessinnen mit Krabben in der Tasche und von Nächten, die länger waren als der Tag.

"Ein Mann saß still am Wasserlauf,
die Angel in der Hand.
Doch nicht nach Fischen warf er aus,
sein Blick ging himmelwärts ins Land.

Sternenfischer, Sternenfischer,
was suchst du in der Nacht?
Ich suche nicht,
ich finde nur was leise in mir wacht.

Ein Mädchen kam mit Mütze sacht,
ein Esel an der Seit’.
Sie sah den Schwimmer,
sah den Mann, und blieb für eine Zeit.

Sternenfischer, Sternenfischer,
was hängt an deiner Schnur?
Ein Stern aus Falten, leicht und klar,
ein Herz, ganz ohne Spur.

Sie nahm den Stern,
sie setzte ihn als Krone auf ihr Haupt.
Und er, der Fischer, sah sie an,
als hätt’ er ihr geglaubt.

Sternenfischer, Sternenfischer,
du fängst nicht, was man sieht.
Doch manchmal reicht ein stummer Blick,
damit ein Herz dir blüht."

Möhrfried wurde unter dem Gesang ganz still. Eda auch, als sie geendet hatte. Und irgendwann schliefen sie beide ein. Mit dem Stern zwischen ihnen. Und einer Geschichte, die noch lange nicht zu Ende war.

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