Fawn stand nachdenklich dreinblickend an der Brüstung des Schiffaufbaus. Ihr Schiff, das Schiff, dass vormals ihrem Vater gehörte und seinem Vater davor, war mit der Hilfe ihr bisher fremden Hochländern zurückgefordert worden. Viel Blut musste dafür vergossen werden. Doch entgegen mancher Meinung aus der Reihe der Männer und Frauen der Hohenwacht, wusste Fawn, wie auf Kul Tiras mit Meuterern umzugehen ist. Obschon sie offiziell keine Freibeuterin der Adimralität mehr war - nachdem man ihr den Kaperbrief aus wenig nachvollziehbaren Gründen entzogen hatte - so war ihre Treue zu eben jener Admiralität und ihre Loyalität zu Kul Tiras ungebrochen. Niemals hätte sie Meuterern, die sich mitsamt ‘ihres’ Schiffes mit Piraten einlassen die Gnade gewährt. Sie war keine Schlächterin, keine rachsüchtige, herrische Furie. Nein, im Gegenteil. Wer sie besser kannte, hätte sie wohl als sehr berechnet und trotz ihres noch nicht sehr fortgeschrittenen Alters als recht belesen eingeschätzt. Doch Untreue… Meuterei… Das konnte sie nicht verzeihen.
Vor allem dann nicht, wenn die Treue der Meuterer jemandem galt, der die Admiralität aus den Händen der Proudmoores offenkundig entfernt sehen wollte. Mittlerweile waren alle Vermutungen bestätigt, dass das Haus Ashvane und ihre zwielichtigen Machenschaften alles andere als “im Sinne der Admiralität” handelten. Nicht nur, dass man bei der Infilitration der Gießerei belastende Beweise finden konnte. Auch, dass nach dem Eindringen in Freihafen und der darauffolgenden Rückeroberung des Schiffes klar war, dass manche Fracht nicht an jene ging, die der Allianz wohlgesonnen waren.
Zwar hatte Fawn selbst nie viel mit dem Gewese von Allianz und Horde zutun. Doch irgendwo fühlte sie sich verpflichtet zu helfen. Schließlich war sie keine gebürtige Tiranerin. Ihre Wurzeln lagen im Hochland. Soviel wusste sie. Nicht mehr und nicht weniger. Und wo ihr Vater seit Jahren verschwunden war - für tot gehalten wird - konnte sie sich auch keine weiteren Antworten erhoffen. Ihr blieb nichts anderes als das zu tun, was sie schon immer tat: Das zu tun, wonach ihr der Sinn steht.
Ihr Vater - respektive Ziehvater -, ein geschätzter Lord in Gunsten der Prachtmeeradmiralität, war stets darauf bedacht ihr eine edle Zukunft zu gewähren. Sie besuchte die Akademie, um einst als Offizierin der Flotte zu dienen. Doch nach dem Verschwinden ihres Vaters, Lord Arthur Holmwind, brach sie mit allen Tugenden. Noch nie war sie die gehorsame, vernünftige Tochter. Schon immer war sie rebellisch gewesen. Liebte es, in der Gosse von Boralus Katzen hinterher zu jagen, sich in Schwierigkeiten zu bringen und das zu machen, wonach ihr gerade der Sinn stand, obschon sie an der Admiralität stets ihre Qualitäten in der Nautik, ebenso wie ihre unumstößliche Entschlossenheit unter Beweis stelen konnte.
So sehr sie die Ungewissheit um ihren Ziehvater auch plagte, gab es ihr doch die Möglichkeit endlich frei zu sein. Ohne der Gesetzlosigkeit zu verfallen. Immerhin hatte sie sich den Kaperbrief erarbeitet, nachdem sie das Schiff ihres Vaters - nunmehr ihr Schiff - auf See geführt, und einigen Piraten die Stirn geboten hatte. Ihre Mannschaft: ein bunter Haufen aus ehemaligen Arbeitern, Piraten, Soldaten und doch auch manchem Seefahrer. Was aber zählte war die Loyalität zu Kul Tiras. Dachte sie. Heute war sie um einen Teil ihrer Mannschaft ärmer als noch vor einigen Wochen. Um jene Meuterer, die sich offenbar den Machenschaften der Ashvanes unterworfen hatten und dafür nunmehr einen hohen Preis gezahlt hatten. Umso entschlossener waren jene, die ihr blieben.
An Deck herrschte reges treiben. Während die Spuren der Schlacht auf dem Schiff von manchem Seemann bereinigt wurden, herrschte auch in der Takelage reges Treiben. Ein Anblick fröhlicher, maritimer Laune vermochte jenen ins Auge zu fallen, die sich an Bord umsahen. Der immerzu stimmige Gesang der Seeleute regte indes dazu an, sich auch als Festländer recht wohl zu fühlen, obschon noch immer Argwohn seitens mancher Persönlichkeiten aus der Gruppe der Märker in deren Handeln mitschwang.
Fawn war sich dessen bewusst. Wusste aber nicht, wie sie diese Leute umstimmen sollte, die zwar eine Meinung von ihr hatten, jedoch niemals das private Gespräch mit ihr suchten. Doch um mit sich selbst ehrlich zu sein, war es ihr auch egal. Nicht nur, weil sie sich darüber bewusst war, dass ihr halbweltlerisches, teils rebellisches Auftreten nicht gerade eine gute Grundlage für Vertrauen war, sondern auch, weil sie fest entschlossen war das zu tun, was sie für richtig hielt. Und das hieß im Moment dieser Gruppe fremder Hochländer zu helfen, ganz gleich ob sie noch immer befürchteten, des Nachts ihr Messer zwischen den Rippen zu spüren.
Die Unternehmung der Hochländer, die Horde bei ihren Unternehmungen auf Kul Tiras zu stoppen, egal was auch immer das bedeutete, war spätestens nach dem offensichtlichen Verrat der Ashvanes auch zu ihrer Unternehmung geworden. Nie könnte sie sich Loyalistin schimpfen, wenn sie auch nur einen Tag zuließe, dass irgendwer die Integrität dieser stolzen Seefahrernation tangierte.
Klar war ihr jedoch auch, dass eben diese Integrität nicht ewig halten würde. Nicht nach dem, was passiert war. In Kul Tiras lag etwas im argen. Das spürte sie, wie ihr eigenes Blut in ihren Adern. Auf kurz oder lang würde sie diese Hochländer brauchen. Und die Hochländer vielleicht sie. Auf kurz oder lang… würde Kul Tiras die Zeiten nicht alleine überdauern. Und das Schiff der Allianz im Hafen von Boralus ließ so einige Gerüchte aufkommen, wie es darum bestellt war, ob die Allianz vielleicht auch Kul Tiras benötigte.