[H] [ICU] "Wanderer" rekrutiert ...nicht

Er machte keine Anstalten, sie abzusetzen. Verrückt hin oder her, Serathis kümmerte sich nicht darum, weil es ihn nicht interessierte, was irgendwer von ihm oder dieser Situation dachte, und er strahlte diese Selbstsicherheit noch weitaus heller aus als sein Licht. Egal wie leicht und einfach er wirkte, die Ausstrahlung hatte etwas von einem in sich zufriedenen Geist, den nichts erschüttern konnte - und das wirkte ganz und gar nicht profan.
Sein Blick ging nach oben, haftete sich an den Himmel, der bereits am frühen Tag die Andeutung von Sternen zeigte. In der Nacht war der Ausblick bestimmt atemberaubend. Serathis lächelte, auch wenn er nicht sagte warum, und setzte sich mit seiner fragilen Fracht auf den Armen in Bewegung.
Nuianna richtete sich auf den Armen ein wenig gerader auf und schlang den rechten Arm dazu versichernder um Serathis Schultern. Den linken behielt sie sich als Wegweise vor - zumal es einfach unmöglich gewirkt hätte, beidhändig am Hals eines Mannes zu hängen. Ihr Blick ging stur geradeaus, als sich Köpfe drehten. Ihre Ohren blieben verdächtig still - steif hätte man meinen können - als sich hinter ihnen die ersten Köpfe zusammensteckten. Mochten die Leute reden.
Das vornehmlichste Merkmal der schwebenden Stadt war die unfassbare Sauberkeit der Gebäude und Straßen. Unrat und Abfall schienen ein Fremdwort zu sein. Das Pflaster sah aus, als sei es gerade neu gelegt worden - und seither selten betreten, obwohl ein angenehmes Gedränge herrschte - die Straßen waren breit. Es gab selbst für die bulligsten Vertreter sämtlicher denkbaren Volksgruppen genug Raum, aneinander vorbei zu kommen, ohne sich dafür berühren zu müssen. Die strahlenden Fassaden verwehrten sich gegen jeglichen Schmutz und kein Hälmchen schien es zu wagen, außerhalb der so bedachten Flächen zu geraten. In dieser Stadt wurde die Form gewahrt. Die Architektur war nur ein schales Spiegelbild des geistigen Kerns.
Zu ihrer Linken tauchte das Schild „Zum Zauberkasten“ auf, kräftiger Kaffeegeruch trieb aus Türen und Fensteröffnungen auf die Straße und irgendwo zu ihrer Rechten roch es nach deftigen Käsesorten - und Kuchen. Der scharfe Geruch von glühendem Metall schlug ihnen entgegen unterwandert von frisch geschnittenem, blumigem Grün. An Straßenständen wurde gehandelt. Die Kleidung der verschiedenen Ethnien war sauber und hochwertig. Kaum, dass eine gerissene Naht zutage trat - geschweige denn Flecken oder starke Tragespuren. Auch wenn einige Kombinationen in Farbe oder Beschaffenheit durchaus denkwürdig und sonderbar (rot, gelb und violett?!) wirkten, an der Qualität des Materials konnte kein Zweifel Halt finden. Die regelmäßig und nicht sparsam verteilten Straßenlaternen ließen vermutlich kaum eine Ecke dunkel, so dass die Straßen selbst bei Nacht wohl ausgeleuchtet waren - jedenfalls stand das zu vermuten. Von Zwielicht war auf diese ersten Blicke hin keine Spur zu finden.
Vermutlich war der Blutritter das Schmutzigste, was dieser Ort, diese schwebende Stadt seit langem gesehen hatte. Silbermond hatte seine gepflegten Straßen, doch es gab das Zwielicht, wenn man wusste, wo man es suchen musste. Hier schien es nicht einmal ansatzweise zu existieren.
Er sah sich um, sein Blick versuchte alles aufzunehmen und doch unbeirrt den Weg zu halten. Gar nicht so einfach, wenn man aus dem wortlosen Staunen nicht herauskam. „Wie lange lebst du schon hier?“, raspelte seine Stimme an ihrem Ohr als er seinen Kopf dichter zu ihr beugte. Nur einen Augenblick, bevor er sich umsah und seine Schritte nicht verlangsamte, obwohl er allen Grund dazu gehabt hätte. Er konnte sich nicht vorstellen, hier zu wohnen. Vermutlich war diese ganze Sauberkeit so ansteckend, dass er sich irgendwann einen Stock in den Allerwertesten stecken müsste, um hier zu bestehen. Die Vorstellung amüsierte ihn so sehr, dass er grinsen musste und Nuianna noch etwas höher hob.
Die Magierin drehte den Kopf, als er sie nach oben ruckte und betrachtete ihn einige Meter lang. „Da wo ich jetzt lebe? Zirka dreißig Jahre. Nicht sehr lang…“ Sie verschwieg, dass sie lange auf das Freiwerden dieser Wohneinheit gewartet hatte. Sie war privilegiert - die Lage - und von der Ausstattung schwieg sie lieber ganz. Ihre Fingerspitzen verirrten sich vollkommen beiläufig in seinen Nacken und der Blick rutschte dorthin ab, als die Finger vollends in sein Haar eintauchten. Was auch immer sie dort zwirbelten oder sonst taten, das Gesicht richtete sich wieder kerzengerade aus.
„Wir müssen dort hinauf.“ Während die linke Hand nicht ausgestreckt sondern gemessen auf die große Freitreppe zum höchsten Turm der Stadt wies, beobachtete sie sein Profil verstohlen aus den Augenwinkeln.
Man konnte, auch ohne in Weissagung bewandert zu sein, an seiner Nasenspitze ansehen, dass ihn der Anblick der Stadt überwältigte. Wie ein Kind, das die ersten Geschenke von Winterhauch auspackte, so blickte er sich verstohlen um (immerhin hatte er eine Aufgabe) und konnte sich doch nicht sattsehen an all den Farben, den glänzenden Ziegeln der Dächer, den farbenfrohen Roben und Auslagen. An all der Pracht , die ihm noch nie im Leben so begegnet war. Von der prachtvollen Magierin in seinen Armen mal abgesehen. Er wollte sich nicht anmerken lassen, dass die Vorfreude in ihm kribbelte, als sie auf den höchsten Turm deutete, aber das Lächeln auf seinen Lippen zeigte es ansatzweise. „Ganz oben?“, fragte Serathis und nahm die erste Stufe mit Leichtigkeit. Er war ein Kind der Sonne. Eine Stadt voll Magie konnte ihn nur verzaubern.
„Zumindest würde es nichts bringen, mitten auf der Treppe vor der Türe stehen zu bleiben“, bemerkte sie beiläufig und starr geradeaus und zog federleichte Senkrechten über seine Wirbelsäule, versteckt unter seinem Haar, das sich wie flüssiges Feuer über ihren Unterarm wellte. Zehn Zentimeter. Ab und auf, in hastlosem Wechsel.
Der helle Stein der Treppenstufen war aus festem Kalk gehauen. Verwitterung und Einschlüsse verschönerten nur die wolkige, cremefarbene Glätte, deren matte Politur edler wirkte als obszön spiegelnder, eiskühl glänzender Marmor. Dieser Stein war warm in Haptik und Beschaffenheit. Er musste sich seidenweich anfühlen. Ebenso wie der Zopf, der an seinem Unterarm entlang schwenkte, bei jedem erklimmenden Schritt. Hin und her.
„Aber nein“, unterbrach sie das Empfinden von Haut und Haar. „Nicht ganz oben. Ein paar Treppen sind es dennoch im Inneren“, fügte sie warnend hinzu - als ob es einen Grund zur Sorge gegeben hätte, sein Überschwang könne sich vorzeitig erschöpfen. Pah!

Tal Bachmann - She’s so high
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Serathis nahm die Berührungen ihrer Finger wahr, aber wenn er ehrlich war, hatte er gerade keine Kapazitäten, sich darauf zu konzentrieren. Routiniert stieg er mit ihr Stufe für Stufe, ohne auch nur aus dem Takt zu kommen oder mehr als notwendig einzuatmen. Ein Beispiel seiner Kraft, Nuianna war sowieso leicht genug.

„Wer lebt hier noch?“, fragte er sie dann.

Sie hatte bereits den Mund geöffnet, um ihm zu antworten, da wurden sie von den Wachen - Torwächtern - Türstehern (?) angesprochen, ein Gruß war allgemein verständlich, da er auf Thalassisch erfolgte - der andere klang wie „Ruff bos vorne“ und erhielt ebensolches Kauderwelsch und ein flüchtiges Nicken zur Antwort. Dass sich Menschen nicht die Zunge brachen, wenn sie so welschten! Die Uniformen waren so poliert, als seien sie reine Zierde und die Bewaffnung glänzte wie Kinderspielzeug. Vielleicht war es das. In einer so magischen Stadt, wer musste da körperlich aufeinander eindreschen. Die Blicke, die über Serathis glitten, waren wohldosiert beherrschte, der eigentliche Ausdruck über seinen Eindruck strahlte dennoch gut genug durch die höfliche Fassade. Von oben herab. Die Magierin hatten sie anders angesehen. Und da war auch nichts durchgeblitzt. Dann wurde ihnen die Tür geöffnet - was bei allem von oben herab eine recht umsichtige Geste war und zudem ein weiteres Zeichen des hohen Respekts; schließlich hätte man einfach ein Zauberchen sagen können. Die elfische Wache aber hatte sich beeilt, die Tür mit der Hand zu halten.

Drinnen war das Licht ein anderes. Der Halbschatten innerhalb der dicken Mauern war kühl und es roch nach Stein, edlem Holz und Papier, obwohl die Halle so gut wie leer war. Woher das Licht drang war ein ebensolches Geheimnis - es war einfach da, als fiele es durch Oberlichter. Aber da waren keine Fenster. Nur eine weitere mit einem so schlichten wie kostbaren Teppich ausgelegten Treppe, die sich an der Stirnseite teilte und eine kleine Galerie bildete. Seine Schritte hallten, bis er den Teppich erreicht hatte, der hochflorig und dicht unter Serathis Sohlen federte und jedes weitere Geräusch schluckte.
Der Lichtkegel der Außentür wurde traumwandlerisch schmaler und verschwand ganz, als sie mit einem satten Geräusch verlangsamt ins Schloss fiel.
Nuianna hatte noch immer keine Antwort auf seine Frage gegeben. Aber sie hatte den Kopf gedreht, sobald die Tür ins Schloss gefallen war. Serathis konnte die Blicke spüren, die auf seinem Profil hin- und hergeisterten. „Die zentrale Tür“, sagte der Mund der Magierin, als selbige mittig auf der Galerie auch bereits aufschwang und den Luftzug prickelnder Magie hinterließ ,„und dann den rechten Aufgang.“
Ein geringerer Mann hätte sich vermutlich ins Hemd gemacht, wäre er so betrachtet worden, wie es Serathis zu Teil wurde. Er bekam ein deutliches Gefühl dafür, wie es war, nicht dazu zu gehören und vielleicht hätte es in seinen früheren Jahren an ihm gerührt, heute jedoch hatte er nur noch ein müdes Lächeln dafür übrig.
Es war, wie er gesagt hatte. Er besudelte die magische Stadt mit seinem Antlitz und bekam einen ersten Eindruck davon, wie es war, kein Mitglied des illustren Clubs zu sein. Magiersäcke. Fast hätte er lauthals losgelacht, aber er hielt an sich und drückte rein aus rotbeschopftem Trotz einen Kuss auf Nuiannas Feuerhaar und machte immer noch keinerlei Anstalten, sie loszulassen.
Die Nase erhoben, als wäre er der König dieses ganzen Haufens, war er an ihnen vorbeigeschritten, bedächtig und so auffällig präsent wie er nur konnte.
Erst, als er den rechten Aufgang nahm, konnte sie ihn ganz leise ausatmen hören und die Worte, die er in ihr Haar flüsterte, vernehmen. „Mylady, du hast dir einen Straßenköter ins Haus geholt, bist du dir dessen bewusst?“ Sein Grinsen war so präsent in den Worten, dass es unmöglich zu überhören war.
„Lass mich runter“, sagte sie und drückte den Rücken durch. Denkbar ungünstig so auf einer Wendeltreppe, aber dass sie es wollte, war körperlich unmissverständlich.
Er setzte sie behutsam ab und trat eine Stufe herunter.
Sie war weit entfernt davon auch nur einen Bruchteil seiner Körperkraft zu besitzen, aber darum ging es gar nicht. Manchmal reichte der Überraschungseffekt. Und sie dachte keine zwei Sekunden nach, als sie die Arme nach seinen Schultern ausstreckte, um ihn gegen die Turmwand zu schieben und sich selbst an seinen Körper zu schmiegen. Sie küsste ihn, um das gar nicht so dumme Geschwätz zum Verstummen zu bringen und zu vertreiben aus Gedanken und Ohren, vornehmlich aber aus seinem Mund. Weil es keinen Grund gab, Offensichtlichkeiten auch noch auszusprechen.
Niemand leckte schließlich an Hundesche*ße, um deren Gestank zu verifizieren.
Er war kein Köter für sie. Und sie war das Maß der Dinge in ihrem Leben.
Die Gewichtsverlagerung kündigte sich nur kurz als Zug in seinem Nacken an, bevor sie das rechte Bein ruckartig hob, ohne auch nur einen Hauch daran zu zweifeln, dass er ihre Kniekehle auffangen würde.
Und kaum dass er es getan hatte, stieß sie sich vollends ab, um ihre Beine beide um ihn zu schlingen und die Knöchel fest über seiner Kehrseite ineinander zu haken - Wand hin - Wand her. Sie ließ ihren Körper derart schamlos an seinem entlang schleifen, krümmte sich und grub die Hände in seinen Nacken, dass es gut und gerne bereits an eine bezahlpflichtige Straßenvergnügung heranreichte. Nur kurz gestattete sie sich ein Ringen nach Luft, dann beugte sie ihren Mund an sein Ohr und raunte auf eine äußerst dekadente , weil beherrschte Weise: „Ist er stubenrein? Braucht er ein Flohbad?“
Serathis‘ Lachen vibrierte tief durch seinen Brustkorb und sprang auf ihren schmalen, gebogenen Körper über. Er haschte nach ihren Lippen, ohne eine Antwort zu geben und brummte wohlig, als er seine Zähne hauchzart in ihre Unterlippe grub. „Mmh…“, ein Geräusch vollkommenen Wohlgefühls. Seine Hände packten ihren Hintern, gaben ihr Halt und ihm auch die Möglichkeit, die Finger in die verführerische Rundung zu graben. „Find‘s raus. Riskier es.“
Die Hose war ja auch verboten dünn. Und sie fühlte sich an wie weiches Wildleder unter seinen Händen.
In seinem Rücken ruckten die gestiefelten Unterschenkel der Magierin enger zusammen. Sie nahm den Kopf zurück, um Serathis gefällig zu betrachten, hing an ihm wie ein zugegebenermaßen sehr leichtes Äffchen und sagte langsam, ohne das geringste Bestreben loszulassen: „Es sind sechshundert Stufen bis nach oben. Vierhundertsechsundsiebzig bis zu meiner Tür.“ Das ließ sie so stehen, betrachtete den selbsternannten Köter und als ihr Blick auf seinen Mund gefallen war, öffneten sich ihre Lippen für einen halben Atemzug und blieben so, selbst als ihre Augen sich wieder in seine hoben.

The Veronicas - Untouched
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„Na dann“, machte er und sein Kehlkopf hüpfte, als das nächste beherzte Lachen über seine Lippen sprang. „Packen wir es an, Lady.“ Seine Finger packten sie fester, hoben sie ein wenig höher und er nutzte die Chance, ihr einen Klaps zu geben, bevor er dazu ansetzte, die vierhundertsechsundsiebzig Stufen zu erklimmen. Wahrscheinlich, ganz wahrscheinlich nutzte sie niemals die Treppe sondern magische Arten ihre Zimmer aufzusuchen, aber er tat die Dinge gern von Hand. Sein Blick hielt ihren, schwankte nicht und er hielt nicht mehr an, sondern schritt in Ruhe und Kraft, ohne mitzuzählen.
An dem kurzen Aufblitzen ihrer Augen hatte er gesehen, dass sie vielleicht nicht mit dem Klaps oder mit dieser Entscheidung gerechnet hatte, beides aber durchaus bewillkommnete. Sie machte sich leicht, das konnte er spüren, spannte sich genau auf die rechte Art und Weise, um möglichst wenig totes Gewicht zu sein. Und die Magierin genoss es dennoch, das leichte Rutschen und Aneinanderschlagen, sie war hochkonzentriert auf jeden seiner Schritte, angstfrei vor Stolpern und Stürzen und hing in seinem Blick wie ihre Arme um seinen Hals lagen. Sie studierte ihn und machte Listen, was sie ordern würde - nebst Essen und etwas zu trinken. Entschlossenheit ohne Verzweiflung. Der Mann war kein Köter. Ob sie seine Größe noch korrekt schätzen würde können? Sie schätzte schon. Sie mochte seine Hände, dort wo sie waren. Achtundfünfzig. Neunundfünfzig. Sie würde ihn das Badezeug auswählen lassen.
Jugendlicher Leichtsinn, oder war es nicht eher Eigensinn, der ihn dazu brachte, die Treppen zu steigen wie ein Diener dieser hochgeborenen Dame? Wer urteilte über ihn wenn nicht er selbst? Tief im Inneren war Serathis bewusst, wie fehl am Platz er hier war. Ein Waisenkind mit nichts an Habe, keinem Vermögen und doch lebte, atmete und bewegte er sich, als sei er ein König. Die goldenen Beschläge sein ganzer Reichtum und das Königreich (eines, das er eben erst erobert hatte) in seinen Armen. Er bat um nicht viel mehr, denn wenn er an universelle Wahrheiten glaubte, erlaubte einem die Freiheit nichts zu besitzen eine ebensolche, alles zu tun.
Vierundsiebzig, fünfundsiebzig. Er zählte innerlich, die Geräusche seiner schweren Stiefel als Takt und haschte noch einmal nach ihrem Mund. Er war neugierig auf ihr Leben, ihr Heim, und darüber mehr über sie zu erfahren. Wieviel wusste er überhaupt von den Frauen, mit denen er schlief? Manchmal nicht einmal den Namen. War es Zeit, eine Ausnahme zu machen?
Sie schloss die Augen nicht, als sie den Kuss erwiderte. Was er mit ihr machte, war an den ineinander fester geschlossenen Händen zu ahnen. Niemand begegnete ihnen auf den gewundenen Treppen. Alle vierunddreißig Stufen eine Ebene, eine Tür, eine schwebende Topfpflanze. Zwei Schritte pro Ebene, dann kam die nächste Stufe. Seltsames Licht zu dem die Fenster fehlten. Keine Nummern oder Namensschilder. Stufen.
Einhundertachtzehn, einhundertneunzehn. Sie mochte seinen Wagemut und Leichtsinn, aber sie würde ihn nicht gesellschaftlich verhungern lassen. Er schmeckte nach mehr. Sie gestattete sich ein mehrsekündiges Schließen der Augen und ging ganz in dieser winzigen Intimität, unsäglich, verrucht, unschuldig und doch verboten, auf, bevor sie es beendete und den Kopf vermeintlich an seine Schulter legte - aber darüber hinwegstarrte.
Einhundertachtunddreißig. Die Magie war stark in diesen Mauern - oder? Alles schien davon zu summen, auch der Körper der Magierin in seinen Armen.
Ungesehen setzte sie das Wirken ihres Zaubers fort. Weit über ihnen geriet ein unbelebtes Zimmer in Bewegung.
Immer noch kein Schnaufen, kein Schweiß, nichts. Serathis wirkte vollkommen unbeeindruckt von Stufen und Weg, Gewicht und Anstrengung. Er trug Nuianna mit federndem Gang. Erst bei Stufe zweihundertzwölf sprach er. „Ich sag‘s dir noch mal, bevor wir deine Räume betreten, weil es mir wichtig ist, also hör zu.“ Seine Stimme war warm und weich und er rieb Wange an Wange. „Wenn du genug von mir hast, dann sag’s. Fühl dich nicht verpflichtet, mich länger als du magst zu beherbergen. Ich geh normalerweise nicht so zu Frauen mit und quartiere mich dort schamlos ein. Also…“ - noch ein Klaps. „Du weißt, was du zu tun hast.“
Die Magie wurde erschüttert. Nuianna hielt inne, hob den Kopf und warf einen Seitenblick auf die Ecke Kiefer, die sich genau vor ihrem Auge befand. Aber die Geste zählte. Wollte er kneifen? War das doch alles zu sehr nicht seine Welt?
„Ein Flohbad“, kommentierte sie trocken. Floh. Flausen-bad. Sie sagte es nicht. Ihre Umarmung festigte sich, als sie den Kopf wieder ablegte und es sein ließ, den Zauber in Perfektion abzuschließen. Ihr war die Lust vergangen. Vor ihrem inneren Auge sah sie alles, das in der Bewegung zu Boden gefallen war. Ihre Finger wischten durch die Luft. Eine Tapetenschranktür in Wohneinheit dreizehn öffnete sich und ein unsichtbarer Luftwirbel fegte Kleidung und andere Dinge hinein. Die Tür schlug zu wie Tapetentüren zuschlagen. Unwirklich. Und zu leise um ernst genommen zu werden.

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[Achtundachtzig Meter]

„Ich bin doch sauber“, protestierte er lachend und beugte sich ihr zu. „Wie geleckt.“ Ein Biss, ein Kuss. Von Kneifen oder Zweifeln keine Spur und auch die Worte zuvor waren frei davon. Wer wusste schon so genau was in seinem roten Kopf vor sich ging? Vielleicht einfach nur eine Aussage, die weniger durchdacht war, als aufgefasst? „Ich hab keine Flöhe, Schönste. Willst du gleich nachsehen?“
Sie hob den Kopf ruckartig - nicht bei seinem Biss, nicht bei seinem Kuss, dafür aber bei seinen letzten Worten. Für den Bruchteil einer Sekunde waren ihre Augen das einzige greifbare - der Rest der Realität verschwamm - wurde gezogen wie etwas extrem dehnbares und schnurrte wieder zusammen. Magie ließ jedes Härchen zu Berge stehen. Sein Fuß trat ins Leere. Statt einer weiteren Stufe strauchelte er auf eine Ebene. Eine schwebende Topfpflanze, keine Nummer und kein Namensschild. Die Tür schwang auf. Wenn du es so anbietest , klang ihre Stimme in seinem Kopf wie eine Erinnerung. Hatte sie die Worte wirklich gesagt? Was…
Ja er strauchelte und der Griff in die Rundung ihres Gesäßes verfestigte sich so sehr, dass es für einen Bruchteil einer Sekunde fast unangenehm wurde. „Was?“, entfuhr es ihm und er starrte sie an. Nicht die Tür und auch den Rest nicht. Verfluchte Magier.
„Wir sind da“, sagte sie schlicht.
Serathis nickte, und ohne Anstalten zu machen, sie nun auf den Boden der Tatsachen zu bringen, durchschritt er die Tür zu ihrer Unterkunft. Kaum merklich war es, dass er sich straffte und seine Haltung noch etwas strenger, militärisch korrekter wurde und auch das leise Luftholen war eigentlich der Rede nicht wert.
Es war architektonisch ein Ding der Unmöglichkeit. Das Zimmer, die Wohneinheit oder wie auch immer man dazu sagen wollte, war kreisrund und hatte mindestens den Durchmesser des Turms. Die Deckenhöhe, die etwa sechs Meter dreißig hätte betragen müssen, schien in der Unendlichkeit zu verschwimmen und in den freien Himmel zu münden. Es machte schwindelig, sich mit den irrealen Dimensionen zu befassen.
Vielleicht war es einfacher, am Boden der Tatsachen zu beginnen.
Die Tür schloss sich leise hinter ihnen.
Es gab ganz offensichtlich nur diesen einen Raum, keine langen Flure, keine verwirrend vielen Türen - von denen gab es offenbar nur zwei. Die, durch die sie hereingetreten waren und eine einzige weitere, zu der drei Stufen hinauf führten und die geschlossen war. Sieben Fenster in exakt gleichem Abstand tauchten den Raum in warmes Licht. Das Glas war eingefärbt, man konnte nicht hinaussehen. Eins… zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben. Tür. Augenblick mal. Waren da nicht zwei Türen gewesen?
Drei vollkommen mit Büchern, Papier, Schreibutensilien und benutzten Kaffeebechern überladene Tische und mehrere im Gegensatz dazu nicht sehr volle Bücherregale säumten die kreisrunden Wände und nichts davon sah penibel ordentlich aus, eher wie ein oder mehrere Projekte work in progress . Direkt gegenüber der doppelflügeligen - einzigen?! - Tür stand ein Bett, das für eine Person großzügig bemessen war, eine kleine Truhe am Fußende… und vier vereinzelte Stühle. Kein einziger Tisch war so mit Stühlen verpaart, dass zwei daran Platz fanden. Das hier war so offensichtlich und offensiv eine Wohnung, in der eine Person allein lebte, dass es schon fast in der Wahrnehmung schmerzte. Die schwebenden Topfpflanzen schmerzte gar nichts mehr. Sie waren vertrocknet. Und nicht nur eine, sondern ganze vier davon. Die Palme, die noch grünte, sah irgendwie verdächtig nach einem Neuerwerb aus. Und kein einziger Kleiderschrank war zu sehen.
Nuianna beobachtete Serathis Reaktionen und rührte sich nicht.

Tal Bachmann - She’s so high
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[Edelmetall]

Serathis setzte Nuianna auf dem Boden der Tatsachen ab, aber er tat es sehr behutsam, nachdem er sie doch eine lange Zeit getragen hatte. Dann machte er einige Schritte in den Raum hinein und betrachtete das Heim der Magierin. Es war schwer in seinem Gesicht zu lesen und er blickte sie auch gerade nicht an. Die Schritte führten ihn um einen der Schreibtische herum und an die Fenster heran, deren buntes Glas den Blick nach außen verhinderte. Dann drehte er sich um und nickte mit einem schiefen Lächeln. „Wo darf ich denn ablegen?“

Sie hatte sich ihm nachgedreht. Ihr Ausdruck war eine vollendete Maske. Nur der durchdringende Blick legte nahe, dass sie ihn nach wie vor studierte. „Wo du möchtest“, sagte sie. Das Bett war gemacht, aber schludrig und nicht sehr sorgsam. Es war nicht viel davon zu sehen, der matt glänzende Überwurf verdeckte das Bettzeug, selbst wenn er nicht glattgestrichen war. Die Magierin blieb genau auf der Stelle stehen, an der er sie abgestellt hatte, zwei Fuß neben einem der gelben Einschlüsse des violetten, kreisförmigen Bodenmosaiks.

Serathis wanderte zu einem verwaisten Tischchen mit Stuhl und begann, sich von der Plattenrüstung zu befreien, allerdings ohne Hast. Stück für Stück platzierte er die Teile auf dem Tisch, stellte die schweren Stiefel ordentlich ab und lehnte das Schwert in seiner Scheide an den Stuhl. Unter der goldenen Platte war er, wie er es schon gesagt hatte, simpel gekleidet, aber nicht einfach. Er trug die Kleidung so selbstsicher, dass Nuianna ihn mit dieser Ausstrahlung auch auf einen Ball hätte schleppen können, als würde aller Makel von ihm abprallen und alle Wertung seinen Hintern vergolden.
Seine Schritte durch den Raum führten ihn zu ihr zurück und ehe sie sich versah, hatte er von hinten die Arme um sie geschlungen. „Weißt du“, murmelte er und nahm mit der Nase den Geruch in ihrer Halsbeuge auf - war das etwa immer noch Zimt und Zucker? „Ich will mehr von dir erfahren. Über den Sex hinaus. Was sagst du dazu, wenn wir heute Abend etwas Essen gehen und uns unterhalten?“

Seine linke Hand wanderte in ihren Zopf und wickelte das lange Haar darum. Hatte er das gerade wirklich so gesagt?

Ihre Augen senkten sich auf seine Hand, während die Mundwinkel sich hoben und sie gerade dazu ansetzte, etwas zu sagen da… Silbernes Glöckchenklingeln ertönte, keine Tür öffnete sich. Aus dem vollkommenen Nichts materialisierte sich eine Kleiderstange mit mehreren Hosen, Hemden, Westen, Jacken und dumpf polterten fünf große Schachteln auf einen halbhohen Stapel. …zuckte sie zusammen und ihr Kopf ging herum, das Lächeln verschwand und der Blick, den sie ihm daraufhin zuwarf, war schwer zu deuten. Unsicherheit? Ärger?

„Oh“, machte er und grinste. „Hast du Zimmerservice bestellt?“

Falls es ihn irritierte überspielte er es gekonnt und so meisterhaft, wie er alles tat, was er anfasste - naja fast alles, immerhin war er immer noch suspendiert. Er ließ sie nicht los, schob sie zu der Kleiderstange und den Schachteln und betrachtete die Auswahl.

Sie ließ sich schieben und lehnte sich in seinem Arm, sichtlich entspannter als eben noch. „Ich… wollte dich gerade fragen wo du essen möchtest, bevor ich es nicht mehr abbestellen kann.“ Sie räusperte sich dezent und der Blick ging zur Seite, vorbei an den Kleidern, verfing sich in den vertrockneten Gestrüppen und sie unterdrückte ein weiteres Räuspern.
Das Zeug ließ sich sehen. Jedenfalls würde er damit auf den Straßen keinen Deut mehr auffallen. Es war zwar nicht so schreiend bunt wie das, was er im Vorbeifliegen der Blicke draußen hatte sehen können, aber die Brauntöne der Hosen waren allesamt rotstichig. Feste Lederhosen waren ebenso darunter wie sauber verarbeitete Leinenhemden in mehreren Farbabstufungen. Kein einziger Blauton war darunter, nichts überkandideltes. Solides Handwerk. Edles Material. Ergreifend in seiner Schlichtheit. Und erst auf den zweiten Blick erkannte man die Kostbarkeit der Details. Eine Jacke war aus nachtschwarzem Samt gemacht. Das Futter war rostfarben. Und diese Knöpfe wurden nicht an Türen verkauft, soviel war sicher.

„Wo gehst du denn normalerweise hin. Mit Kollegen oder Freunden? Was ist gut?“, fragte er und machte noch keine Anstalten irgendetwas von den Sachen aufzuheben. Tatsächlich hatte er Lust, auszugehen. Wenn er das Parkett hier nicht beherrschte, und wenn schon?! Aber diese Stadt hatte seine Neugier entfesselt und er wollte gern mehr davon wissen, darüber erfahren. Stimmen lauschen, Wein trinken und sich unterhalten. Eben so, wie es in der Ölkanne gewesen war, in der sie sich getroffen hatten. Ein Gedanke sprang ihm in den Kopf, den er nach einem Moment der inneren Erheiterung aussprach und dann die Hand ausstreckte, um die Jacke zu berühren. „Ausgehen. Wie bei einem Date, hm?“ Schulterblick und halbseidenes Grinsen - ach man ahnte es ja nicht.

„Du willst dahin, wo richtig etwas los ist, meinst du?“ Sie musste nicht lang überlegen, warf ihm einen Seitenblick zu. „Dann ist der Zauberkasten das zentrale Element.“ Nach einem weiteren Augenblick der Überlegung machte sie sich los und trat, ohne sich im Weiteren zu ihm umzusehen links neben das Bett an die völlig unspektakuläre Wand und griff in die leere Luft.

„Ich will mit dir ausgehen, dorthin wohin du normalerweise gehst“, korrigierte er sie und betrachtete die Kleidungsstücke abschätzend. DAS war also, was man hier trug. Serathis hatte niemals in seinem Leben etwas besessen, dass annähernd an diese Kleidungsstücke herankam. Selbst Tharelle, die aus deutlich reicheren Verhältnissen kam, hatte nie solche Kleidung besessen. Es war offensichtlich, dass jedes Kleidungsstück ein meisterhaftes Beispiel von ausgesuchter Handwerkskunst war und seinen Träger bestimmt deutlich besser kleiden würde als Pomp und Protz aus Gold und Schleifchen.

„Mag enttäuschend für dich sein“, kommentierte sie beiläufig, während es ein paar Mal klackte und metallen knirschte, „aber ich gehe nicht aus. Ich esse meistens hier.“ Ein Luftzug ging durchs Zimmer und trug den Geruch von knisternder Seide und Lavendel mit sich.

„Nun, vermutlich arbeitest du zuviel“, sagte er und schwenkte herum, um mit den Fingern auf ihre Schreibtische zu deuten. „Dann wird es Zeit, denkst du nicht?“

Aus dem Augenwinkel konnte er gerade noch sehen wie ein farblich sortierter Reigen Kleider mitsamt Schrank (riesig!) ins Nichts verblasste. Die Magierin stand mit dem Rücken zu ihm und die Hosen, das Hemd und die Weste waren Geschichte. Von den Schuhen war nichts zu erkennen, ihre Fersen und Absätze waren unter einer bodenlangen schwarzen Seidenrobe verschwunden, die sich so passgenau an ihren Körper schmiegte, dass sie ihr auf den Leib geschneidert sein musste. Eng anliegende Handschuhe und abgesetzte Nähte in Lavendel, Violett und Silber, ebenso wie leuchtend violette Runen auf dem Kragen, der eine immense Größe aufwies und an den ein leichtes Cape angebracht war, halblang, komplettierten den Anblick, den sie - von hinten - abgab.

Serathis hob nur kurz eine Braue, dann wandte er sich dem Arsenal an Abendgarderobe zu, die sie für ihn anscheinend herausgelegt hatte. Oder war das aus einem Fundus für nächtliche Eroberungen? Das würde er sie jetzt nicht fragen. Er griff nach einem Hemd, dass eine satte, schwarze Farbe hatte und ließ den Stoff durch seine Finger gleiten, die schwarze Jacke aus Samt nahm er ebenfalls von dem Kleiderständer herunter. Dazu griff er sich eine rostrote Lederhose mit kleinen, schwarzen Verzierungen im Leder, die ein mäanderndes Muster an den Seiten bildeten. Alles landete auf seinem Arm, bevor er in den Schachteln nachsah und ein schönes, schwarzes Paar Lederstiefel herauszog. Nur kurz musterte er die Größe abschätzend und nickte zu was auch immer. In der letzten Box fand er Unterwäsche. Nun, wenn schon, denn schon.
Das Ankleiden dauerte länger, als es bei ihr gedauert hatte, und er beeilte sich nicht, legte seine alte, getragene Kleidung zu seiner Rüstung und erst, als alles wieder an Ort und Stelle saß und er sich in diese neuen Kleidungsstücke gehüllt hatte, sah er sie an.
Es war, als hätte man ein Kupferstück so lange gerieben, bis es warm und golden zwischen den Fingern glänzte. Einen Rohdiamant geschliffen, bis man einen kostbaren Solitär in Gold fassen konnte. Atemberaubend vom Scheitel bis zur Sohle. Und der Blick war reinstes Feuer.

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[Sternstunde]

Nuianna hatte sich tatsächlich umgedreht. Die Säume der Robe waren so lang, dass sie gewunden um ihre Knöchel lagen. Sie würde auf dem Boden schleifen, wenn sie ging. Über ihrer Stirn schwebte das Auge der Kirin Tor in ebenso leuchtendem Violett wie die Runen auf ihrer Kleidung. Auch in den Gürtel, der die Robe in ihren Lagen fasste, waren drei leuchtende violette Kristalle eingelassen. Ihr Fuß warf in einer seichten Bewegung die in sich verdrehten Stofflagen beiseite, dann schritt sie langsam auf ihn zu, hob den Blick und streckte die violett behandschuhten Hände aus, um unnötigerweise das Revers entlangzufahren und es zu richten. Die Handschuhfinger strichen bis hinauf zu seinen Schultern, ihre Blicke folgten ihren Händen, wichen ab, kehrten zurück in Serathis Augen. Ohne dass ihr Mund lächelte, erledigte das ein kurzes warmes Flackern zufriedener Anerkennung. „Spiegel?“ fragte sie.
Serathis blickte an sich hinab wie in Zeitlupe und ließ ihr dann ebenjenen Blick angedeihen und schüttelte den Kopf angedeutet. „Nicht notwendig.“ So einfach, wie er das sagte, meinte er es vermutlich auch. Er löste sich von ihr und dachte einen kleinen Augenblick nach, kramte ein wenig in den Untiefen staubiger Erinnerung aus Erlebnissen und Schilderungen aus Büchern, dann positionierte er sich an ihrer Rechten, reckte das Kinn nach oben, richtete den Blick geradeaus und bot ihr so selbstverständlich seinen Arm an, als hätte er es gelernt.
Sie grinste, wenn auch verschwindend kurz, strich um ihn herum, bis sie sich an seiner Rechten befand, schob die Hand in seine Armbeuge und legte Finger für Finger bewusst ab. Magie flirrte, Raum und Zeit verzerrten sich, zurrten wieder zusammen und sie standen in der Eingangshalle. Ein Wink ließ den rechten Flügel nach innen aufschwingen. Draußen drehte die Wache den Kopf und stutzte erkennbar, bevor sie mit bemüht neutralem Gesichtsausdruck beiseite trat. Nuianna lächelte nicht, noch gab sie sich die Blöße eines Grinsens. Die Augen funkelten vergnügt. Das war alles, was sie sich gestattete - das Emblem über ihrer Stirn glomm in den frühen Abend und überstrahlte die verräterischen Mimikregungen mit unwirklich magischem Licht. Sie tat keinen einzigen Schritt. Zwei Dinge gab es, bei denen eine Frau niemals den Takt vorgab. Auf der Tanzfläche und auf dem gesellschaftlichen Parkett - jedenfalls wenn der Arm eines Mannes beteiligt war.
„N’Abend die Herren“, surrte die tiefe Stimme des Herrn an ihrer Seite durch die Luft, ob sie ihn verstanden oder nicht war ihm dabei egal. Er deutete ein Lüften eines imaginären Zylinders an und grinste so verschlagen, dass man ihn für einen Gentleman-Haudegen, einen Lebemann, ein Schlitzohr oder alles davon und doch am Ende nichts dergleichen halten konnte. Ohne auch nur einen Blick auf die Reaktionen der Wachen zu verschwenden, machte er den ersten Schritt die Freitreppe des Turms hinab in Richtung des polierten Pflasters als hätte es nie etwas anderes gegeben und er nie etwas anderes gemacht.
Die Wachen erwiderten nichts. Sie starrten. Nuianna bemerkte das sehr wohl, sie tat aber rein gar nichts dafür oder dagegen. Ihr Tempo passte sich so fließend dem Arm, der sie führte, an, als seien sie symbiotisch verwachsen und es gar nicht ihr eigener Wille, der ihre Schritte lenkte. Zu ahnen, was und in welche Richtung als nächstes erfolgen würde, war eine Aufgabe, die bei so uneingespielten Situationen volle Konzentration und Aufmerksamkeit forderte. Nicht, dass sie dabei nicht sprechen konnte. Leise, doch ohne den Kopf aus der gerade nach vorn gerichteten Position zu bewegen, bemerkte sie geneigt zur Seite: „Hast du dir die Richtung gemerkt?“
„Ja, sicherlich“, gab er leise zurück und Amüsement durchdrang jede Silbe seiner Worte. Die ledernen Sohlen seiner Stiefel machten nur leise Geräusche und er verbat es sich, den Blick zu den Sternen zu heben, um den Himmel anzusehen. Hier und da waren ähnliche Paare unterwegs, andere Völker mitunter und er sah auch Illidari, die anscheinend auf der Durchreise waren und sich unterhielten, Gnome und Menschen, Draeinei und Sin‘dorei, es war als wäre der Konflikt in diesen Kreisen außer Kraft gesetzt. Hier sonnte man sich im Glanz der Seinen und in der Abgeschiedenheit des magischen Elfenbeinturms, der die schwebende Stadt war.
Sie blieb unvermittelt stehen. Linker Hand zweigte die Straße ab, aber keiner der späten Flaneure schlug diese Richtung ein. Ihre Hand hatte bereits zuvor einen leisen Zug auf den Unterarm gelegt. Nichts, das man hätte sehen können, spüren aber wohl. Sie vertrat ihm halb den Weg, ihre Hand glitt den Arm entlang und griff um, hielt sein Handgelenk und seinen Daumen, sie sah ihn an. Und dann nach oben.
Serathis unterband ein fragendes „Hm?“ gekonnt und blickte auf sie hinab. In seinen felverhangenen Augen zu lesen schien schwierig in diesem Moment. Die Mundwinkel hoben sich nur minimal, als versuche er sich wirklich an einer ernsthaften Impersonation eines Edelmanns.
In ihren Augen, die weit geöffnet waren, spiegelten sich abertausende Lichtpunkte. Noch einmal zuckte ihr Blick kurz in seinen, bevor er sich neuerlich auf den Himmel ausrichtete.
Bevor er in den Himmel sah, legten sich seine Lippen hauchzart auf ihre Stirn, dort, wo das Zeichen der Kirin Tor schimmerte. Die Sterne mussten noch einen kleinen Augenblick warten.
Ihre Lider flatterten. Dann schlossen sich ihre Augen ganz. Das Lehnen, das ad hoc schwerer auf ihm lastete, fiel kaum ins Gewicht.

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Der Himmel war voller Sterne. In einem sanften rosaviolett, das zu blau verlief, zeigten sich so viele glänzende Lichter, als sei den Schöpfern ein prall gefüllter Beutel Diamanten aus der Hand gefallen und habe sich über den Himmel verteilt. Kleinode in unwillkürlicher Anordnung, manche dichter, manche ferner entfernt.

Nur noch einen Augenblick verharrten seine Lippen an ihrer Stirn und dann blickte er hinauf und betrachtete den Sternenhimmel. Der Arm, an dem sie sich hielt, zog sie näher als es schicklich war, aber was wusste er schon davon. Hier standen sie, in der Stadt der Sterne und alle Blicke, die ihnen zugeworfen wurden, erreichten sie nicht, denn ihnen gehörte der Himmel.
Sie brauchte ein zwei… fünf Momente, bis sie die Augen vorsichtig wieder öffnete, halb, durch die Wimpern blinzelte und sondierte, was er tat und wohin er sah, dann richtete sie den Blick ebenfalls wieder in den Himmel aus. Sie blieb so dicht stehen, wie er sie dirigiert hatte; vordergründig passiv und hintergründig tat sie doch nichts, was sie nicht gewollt haben würde. Er hatte sie durch die Stadt getragen wie ein fußlahmes Schaf. Was auch immer getratscht worden war, würde durch ein dichtes Beieinanderstehen nicht schlimmer werden. Wer wusste schon, ob sie nicht wirklich verletzt war.
Kurz und bitter - zynisch - zuckte ihr Mundwinkel. Man traute ihr sicher eher einen Pfleger zu als… ja. Was war er denn? Und was war sie?
Er war schon lange kein Junge mehr, der bei einem einfachen Anblick ins Staunen kam und den so schnell etwas aus der Ruhe brachte, aber das, was er sah, war so faszinierend, dass es selbst für ihn an ein Wunder grenzte.
Serathis schwieg, er ließ sich nicht zu kindischem Glotzen hinreißen oder zu einem Ausbruch an Gefühl, aber man konnte es deutlich an seiner Nasenspitze ansehen, dass er diesen Moment auskostete, den Blick weiterhin in den Himmel gerichtet.
Vier lange Atemzüge, bis er sich löste und sie ansah. „Du wohnst in einer beeindruckenden Stadt, Nuianna“, begann er leise, eben so wie es angemessen war und strich mit der freien Hand über ihren Rücken. „Danke, dass du mich mitgenommen hast.“
Für einen verschwindend geringen Augenblick wirkte sie irritiert. Sie sagte nicht gleich etwas. Die Berührung ließ ihr trotz mehrerer Lagen Stoff einen Schauer in den Nacken kriechen. Vielleicht war es auch das Zwielicht und die gesamte Szenerie. Dann senkte sie den Blick, der einige Sekunden zu lang starr an ihm gehangen hatte und gab den Weg frei. Sie trat fehl, knickte um, strauchelte und musste sich halten, der leise gezischte Schmerzenslaut ließ sich nicht zum Fluchen herab.
Aktion und Reaktion, die einfachsten Prinzipien der Weltordnung galten auch hier, auch wenn viele andere durch Magie außer Kraft gesetzt wurden. Sie knickte um und er griff und hielt sie fester an sich, stabilisierte ihr Straucheln ohne sie in diesem Moment der Verletzlichkeit allein zu lassen. Serathis sagte nichts dazu, er blickte mit einem Halblächeln auf sie hinab, schön und schmuck wie ein Gentleman, erhaben und doch bodenständig. Dann setzte er an, seinen Weg mit ihr fortzuführen. Das sanfte Prickeln des Lichts in ihrem Knöchel kommentierte er nicht, aber es war wie er, eine Wohltat.
Der schräge Seitenblick, der bei den ersten behutsamen und halb gehumpelten Schritten zu ihm hinaufflog, war beim besten Willen nicht zu deuten. Dann trat sie bereits wieder sicherer auf und noch bevor sie den Aufgang vor dem Zauberkasten am Ende der Straße erreicht hatten, hatten sich ihre Schritte bereits wieder vollkommen normalisiert. Dennoch waren sie vorsichtiger geworden. Ihr Arm lag schwerer auf seinem als zuvor.
Vor dem Zauberkasten verdichteten sich die Massen. Allerhand Volk streute sich bis auf die Straße, trank, rauchte und unterhielt sich im Licht der Straßenlaternen und den Lichtkegeln die durch die offenen Türen und Fenster fielen. Von Krieg oder Konflikten war hier tatsächlich nichts zu spüren. Und niemand saß auf der Straße, obwohl sie so sauber war. Nicht einmal die Treppenstufen wurden belungert - wenn man lässiges Herumstehen außen vor ließ. Der Altersdurchschnitt lag nur geringfügig über Serathis’ Lebensabschnitt - und das galt mehr oder minder für alle Völker, die er einschätzen konnte.
Er öffnete ihr die Tür und deutete eine leichte Bewegung an, ein Verneigen, wie er es mal in einem Buch gelesen hatte und untermalte diese improvisierte Geste mit einem Deut seiner Hand. Wie war das noch? Reservierte man normalerweise in solchen Restaurants?
„Nach dir“, gebot ihn die Höflichkeit zu sagen und er wartete, bis Nuianna die Schwelle überschritten hatte, um sich wieder neben sie zu stellen und den Arm anzubieten als sei er ein Mitglied des Clubs.
Sie verfrachtete sich und die kleine Schleppe, den riesigen Kragen und den sofort behandelten Knöchel mit derart majestätischem Gleiten in den hell erleuchteten Raum, als gehöre er ihr und es sei das Mindeste eine vollendete Erscheinung zum Köpfedrehen zu bieten. Dem Angebot des Armes kam sie in Selbstverständlichkeit nach, drehte den Kopf, überflog den Raum und begegnete mindestens zwanzig Augenpaaren, durch die Erkennen huschte, ohne dass die dazugehörigen Münder die Gespräche unterbrachen, die sie führten. Die Lautstärke war nicht ohrenbetäubend, aber ein stetiges auf- und abschwellendes Stimmengewirr. Es wurde getrunken, kleinere Happen gegessen; ein regulärer Abendbetrieb. Die Themen waren für Dalaran typische, die Sprachen verwirrend mannigfaltig - so wie deren Redeführer. Es war ein gehobenes, aber lockeres Ambiente; auf den ersten Blick vorurteilsfrei. Auf den zweiten war es wohl ebensolcher Klatsch wie überall anderswo, möglicherweise besser verborgen hinter fremdartigen Zwischenzeiligkeiten und unbekannten Doppelbedeutungen. Es war voll. Einen Tisch nur für sich allein würde wohl schwierig werden. „An die Bar?“ schlug sie vor und war sich dessen bewusst, dass ihr Rücken binnen der nächsten Minute einem Nadelkissen aus Blicken ähneln würde.
„Sicher“, versetzte Serathis und bahnte sich den Weg zwischen den Tischen hindurch. Er war nervös, aber es war höchstens zu bemerken, wenn man ihn schon länger kannte und den Blick zu deuten wusste, der sich doch einmal mehr der sicheren Schritte zwischen den Speisenden und Schwatzenden versicherte. Sonne bewahre, wenn er hier einen Teller vom Tisch fegte, denn das würde er nicht bezahlen können. Seine tadellose Haltung täuschte vermutlich darüber hinweg und er war dafür dankbar, sein Leben zwischen Plattenrüstungen verbracht zu haben. Die feine Kleidung wog nichts, wie Schneeflocken auf seiner Haut.
An der Bar angelangt, löste er sich von ihr und schob einen der hohen, ledernen Sitze für sie zur Seite, damit sie sich setzen konnte. Es prickelte in seinen Händen und doch zog er es ungeniert durch.
Sie setzte sich und ihr von Kragen und Cape gut geschützter Nacken kribbelte unter der stichelnden Aufmerksamkeit. Die, die nie ausging. Und jetzt doch. Und dann so. Und wer war ihre Begleitung? Die Magierin unterdrückte leises Schnauben und verbarg alles, das sie nicht zum ersten Mal gehört hatte und den Rest, den sie sich denken konnte, unter einer reglosen, unbeteiligten Miene voller Arglosigkeit. Sie orderte mit einem direkten stechenden Blick, wortlos und mit zwei zum V gestreckten Fingern - was auch immer sie bestellt hatte, es brach sofortige Geschäftigkeit aus.
Betont unbekümmert wandte sie sich zu Serathis, setzte ein winziges, perfektes Lächeln auf, neigte sich ihm zu und sagte gut verständlich für ihn, aber wohl gut und gerne unverständlich im Stimmengewirr, es sei denn, man gab sich Mühe sie zu belauschen: „Was möchtest du essen? Möchtest du essen? Hier?“

Snow Patrol - Shut your eyes
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„Was isst du für gewöhnlich?“, erwiderte er mit sonorem Ton, ebenso gesenkt, wie sie es getan hatte. Ohne Hast beugte er sich noch etwas weiter vor, in Kauf nehmend, dass die Blicke auf ihnen lagen und spürbar auf der Haut prickelten. War das Absicht? Ein Finger seiner Hand strich an ihrem Handballen entlang und gab zusätzlich Benzin ins Feuer.
Phantasie war ein breites Feld und Serathis vermochte nicht, sich auszudenken, was in den Köpfen der Anwesenden gerade vorging. Vielleicht war er Verwandschaft? Irgendein Neffe, ein entfernter Cousin? Das Haupthaar war immerhin ähnlich. Wie könnte man nur so schamlos gut aussehen? Und so dicht an seiner Tante, Verwandschaft…oder war er einer ihrer Zöglinge? Ein begabter Schüler mit einem besonderen Wissensdurst?
Kommentarlos wurden zwei Tumbler vor ihnen abgestellt, deren zweieinhalb Finger hoher Inhalt auf Eis einen satten Bernsteinton aufwies. Die Schärfe des Alkoholgeruchs wurde durch holzige warme Aromen gemildert. Ihr Blick war auf die Hände gefallen. Sie hob ihn wieder. Die Hand blieb liegen. Laut sagte sie: „Die Karte bitte.“ Ohne den Kopf zu drehen. Sie sah weiter Serathis an.
„Du hast meine Frage nicht beantwortet“, tadelte er sie leise und schmunzelnd und hob sein Glas an, darauf wartend, dass sie es ihm gleichtat.
Sie nahm das Glas, beugte sich an sein Ohr und sagte mit halbgeschlossenen Augen, während der Alkohol im Glas noch schwenkte und der feine Lavendelgeruch der Robe in seine Nase stieg, direkt an seinem Ohr vorbei: „Ich esse nie auswärts. Normalerweise.“ Das ruckartige Ausatmen hätte ein kleines Lachen sein können. Unsichtbar. Es war ihr nicht abzulesen, als sie sich langsamer auf dem hohen Stuhl zurücklehnte. Ihr linker Fuß rutschte absichtslos an die Querstange, bis der Absatz das Bein fing. Ihr Knie blieb an seinem liegen. Und dazu ein triumphales Pokerface. Sie hob das Glas ohne ihm zuzuprosten, kippte es an und verharrte, ohne dass der Alkohol ihren Mund benetzte. Über den Rand amüsierte Augenblicke, überstrahlt von dem unwirklichen Licht des violetten Auges über ihrer Stirn, das allerhand verbarg, sah man nicht direkt in ihr Gesicht.
Serathis sagte zuerst einmal gar nichts darauf und nahm langsam einen Schluck aus dem Glas, ließ den Tropfen über seine Zunge rollen und schmeckte dem Aroma nach. Er versuchte, einen Ausdruck aufzusetzen, der einem wahren Connaisseur angemessen war. Er wusste nur nicht wirklich, wie seine Vorstellung davon wirklich aussah und er wandte den Blick auch nicht ab, um die anderen Reichen und Schönen zu beobachten. Letztendlich war sein Schauspiel vor allem Schauspiel zum Amüsement von ihr und all den neugierigen Gesichtern. Serathis war nicht so leichtgläubig zu denken, dass ein Abend in edlen Kleidungsstücken aus einem armen Schlucker einen Mann der Gesellschaft machten, aber es kümmerte ihn nicht. Er lebte den Moment, kostete ihn aus wie den Drink in seiner Hand, wie die Frau, die ihn eingeladen hatte. Die schönsten Seiten des Lebens waren meistens viel zu schnell vorbei, er tat gut daran, den Moment festzuhalten.
„Heute schon.“ Wie selbstverständlich schloss er seine Hand um ihre, als wäre sie sein.
Sie nippte, setzte ab… tat so, als ob sie formvollendet genösse und kippte dann das komplette Glas in zwei deutlich größeren Schlucken. Sehr sachte und dezidiert stellte sie es ab - über Kreuz mit der Hand die sie ihm gelassen hatte. Ihre Wahrnehmung registrierte zwei mundtote geräuschblinde Flecken im Raum und erhöhte Aufmerksamkeit, bevor die Gespräche wieder aufbrandeten.
Nuianna dath’Arathi brauchte keinen Alkohol, um Situationen wie diese auszuhalten, sie benutzte ihn, wie viele andere Kleinigkeiten. Es war nicht besonders kunstvolle, aber sehr wirksame Effekthascherei, das Spiel um Tabus und Stilbrüche und wie bei jedem Kontrast musste man die Extreme beider Seiten kennen, um das fragile Gleichgewicht zu verschieben. Der viel größere Effekt auf den Raum war ihre Mimik. Die Magierin begann selbstzufrieden erst leise und leicht und dann deutlicher… zu lächeln. Und sie lächelte den Mann an, der ihr gegenüber saß und nicht nur ihr Sohn, sondern beinahe ihr Enkel hätte sein können und der ihre Hand hielt, dessen Knie ihr Knie berührte und der so unverschämt gut und potent aussah, dass sie sich mitunter selbst fragte, was er bei ihr tat - anstatt bei dem reichhaltigen Angebot gehirngestraffter Naivität auf Stelzen.
Wie gut, dass Serathis sich diese Frage nicht stellte. Er verkörperte seine eigene, gelebte Leichtigkeit so selbstsicher, dass manchen alten Hasen schwindlig dabei werden konnte.
Die Bedienung hinter dem Tresen händigte Beiden unter verschmitzten Blicken die Karten aus und neigte ebenfalls leicht den Kopf. „Darf es noch etwas zu trinken sein?“, fragte sie an Nuianna gewandt, während Serathis’ Glas noch gut gefüllt war. Serathis wandte den Blick nur sehr langsam, deutlich zu langsam von Nuianna ab und betrachtete die charmante Kellnerin. „Sie bekommt noch einmal das Gleiche, danke“, bestimmte er und drehte nach nicht einmal einer Sekunde wieder den Kopf zu Nuianna. Die Karte in seiner Hand öffnete er, ohne sie wirklich anzusehen, stattdessen schob er sein Knie nur einen Hauch weiter vor, an ihrem Bein entlang.
Das Lächeln wurde, wenn möglich, noch ein wenig breiter und sogar die Ohren hoben sich, was sie abgesehen von den feinen Fältchen in ihren Wangen etwa einhundert Jahre jünger aussehen ließ. Oder einfach nur vitaler. Sie wandte den Blick noch einen Augenblick länger nicht ab, beachtete die Nachfrage so rein gar nicht und griff erneut über Kreuz und ohne hinzusehen nach der dargereichnten Karte. Erst als sie sie einhändig aufgeklappt hatte wie einen Fächer setzte sie mehrfach dazu an, den Blick zu senken. Vielleicht… dreimal? Dann schaffte sie es, auch wenn die Mundwinkel nicht mitsinken wollten. Sie konnte kein einziges Wort erkennen. Sie war mit den Gedanken gar nicht bei der Sache. Ihr Daumen krümmte sich über seinem Daumengelenk und beschrieb einen Viertelkreis. Das Knie hielt still an Ort und Stelle.
Serathis beugte sich vor, die Augen halb geschlossen und flüsterte etwas in Nuiannas Ohr, das so nah, so dicht daran gewispert war, dass sie das Kratzen seiner Barthaare spüren konnte. „Die wollen eine Show, aber ich habe wirklich Hunger, also sollten wir definitiv etwas essen…neben all diesen Blicken und Berührungen.“ Mit einem angedeuteten Hauch auf ihre Wange lehnte er sich zurück und blickte endlich, breit lächelnd, in die Karte.

Jamelia - Superstar
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Sie holte Luft, als habe sie etwas antworten wollen, entschied sich dann aber anders, warf einen kurzen Blick über die Karte auf den atmenden Skandal, zog abermals einen Mundwinkel hoch, studierte kurz und präzise, klappte die Karte zu und legte sie geschlossen und die übereinander gelegten Hände abermals kreuzend ab. Ihr Getränk wurde abgestellt, die Karte mit einem Seitenblick auf Serathis liegengelassen, aber die Bedienung blieb in der Nähe. Aufmerksam. Andererseits - wer war das gerade nicht. Nuianna vermied Blicke in den Raum, dessen Geräuschpegel keinerlei Schlüsse auf die Inhalte der Gespräche zuließ, und sie vermied es ebenfalls sich darauf zu konzentrieren. Ihr Blick schweifte stattdessen ab und studierte die ausgestellten Edeletiketten der Flaschen hoch über den Reihen glänzender Gläser ihnen gegenüber.
Serathis benötigte etwas länger. Bei manchen Gerichten war er sich nicht einmal sicher, was er serviert bekommen würde. Die Karte war überschaubar, aber man bemerkte, dass darauf wert gelegt wurde, jede Rasse anzusprechen und zumindest einen Hauch heimischer Genüsse an diesen Ort zu bringen. Pandarische Dampfklöße wechselten sich ab mit schwer auszusprechenden Gerichten, die vermutlich zu den Draenei gehörten. Auch ein Hauch von Quel’Thalas schien vertreten zu sein und für einen Abend, der ihn schon ungeübt auf gesellschaftliches Parkett warf, schien das die beste Wahl.
„Was wählst du?“, fragte Serathis Nuianna und wartete, bis sie ihren Wunsch geäußert hatte. Dann bestellte er die kross gebratene Luchsbrust auf Gemüsepüree mit einer Sauce aus Rotwein und Immersangbeeren. „Welchen Wein könnt Ihr dazu empfehlen?“, befragte er die Bedienung und reichte die Karte zurück.
„Vierzehn“, hatte sie gesagt und er fragte sich, was die vierzehn gewesen war. Und dann sagte sie etwas unverständliches in das Luftholen der Empfehlung hinein, das noch schlimmer klang als das menschliche Gewelsche und orderte für sich selbst eine Weißweinschorle, halbtrocken. Sie sah ihn jetzt gerade nicht an, sie griff nach dem Glas und nippte an dem Aperitif, der Lahme zumindest zu dem aberwitzigen Versuch verführt hätte, es doch noch einmal mit dem Gehen zu versuchen und dann stellte sie das Glas ab und sah ihn immer noch nicht an und legte stattdessen die Hand auf das seiner Knie, das ihres nicht berührte, so als stütze sie sich ohne Gewicht darauf. Es war das Knie in den Raum hinein und sie tat so unbeteiligt und harmlos, als sei das tatsächlich eine unschuldige Geste gewesen und im Übrigen auch nichts dabei.
Nuianna dath’Arathi war seit Jahren nicht ausgegangen, nicht nach dem Einbruch der Dämmerung. Sie verbrachte ihre Tage beim Lustwandeln und saß oft auf den bequemen Polsterstühlen des Zauberkastens, doch stets bei Tageslicht und selten ohne Pergament oder Buch oder einem Gesichtsausdruck, der andere so sicher fernhielt wie ein unsichtbarer Elektrozaun.
Und da saß sie nun und schien gelöst und freundlich und anfassbar und berührte selbst eine andere Person und dann war es zudem eine solche und männliche und sie schienen sich wirklich zu mögen. Nach eingehender Betrachtung und beiläufigem Hin und Herkommentieren waren sich die, die sie aus der Ferne zu kennen glaubten überwiegend einig, dass es sich um einen entfernten Neffen oder vielleicht doch das verschwiegene Kind einer geheimen Liebe handeln müsse - wobei sich so recht keiner vorstellen konnte, dass die Frau mütterliche Tendenzen auch nur ansatzweise entwickelt haben könnte. Dem verschwindend geringen anderen Rest, der wildere Phantasien hegte, wurde mit allen Geboten der Zurückhaltung zu schweigen befohlen.
Ihre Hand griff gleitend um und nun waren es die vier Finger, die das Bein knapp oberhalb der Kniescheibe umringten und sich dem Raum zeigten, während ihr Daumen an der Innenseite lag. Sie sah ihn nicht an und die Hand hatte kein Gewicht, obwohl der Arm gestreckt war und ganz den Anschein machte. Es musste zumindest einiges an Körperbeherrschung und Konzentration kosten, so zu sitzen. Erst recht, weil sie sich ein wenig weiter zu ihrem Begleiter neigte, wohl, damit dieser besser verstand, was sie ihm sagte.
Das ganze Gewicht lag auf dem Unterarm, dessen Hand auf der Platte er hielt und die sie ihm ließ, nach wie vor. Ohne den Kopf zu drehen sagte sie gedämpft: „Und was ist es, das du wissen möchtest, über den Sex hinaus?“ Die Augen gingen auf, sie verharrte regungslos in dieser Haltung und ihr Blick fand ohne Abweichung sein felverhangenes Ziel. Ihr Daumen zog eine unsichtbare Linie und von Lächeln war keine Spur.

Ariana Grande - 7 Rings
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Nuianna - The original roleplaying character soundtrack. In order of appearing.

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Serathis griff nach dem Glas und nahm erneut einen Schluck. Die Manschetten des Hemds waren gestärkt und das matte Wurzelholz der Knöpfe schimmerte dumpf in der Beleuchtung des Zauberkastens. Seine Augen hielten sie gefangen und das Lächeln über seinem charmanten Dreitagebart war einerseits so gewinnend und andererseits so arglos, als würde er in Weihwasser baden.

„Erzähl mir von deinem Leben.“

Der Wunsch wurde leise an sie herangetragen, ein Flüstern wie seidene Laken, während sie sich offensichtlich amüsierten. Haut andere Haut berührte, Finger und Stoff, Hand und Handballen, Daumen, kreisende Bewegungen.
Sie verdrehte die Augen - es war nur eine kurze Andeutung eines Augenverdrehens, aber es war da. „Kannst du das etwas enger fassen?“ gab sie ebenso leise zurück. Wo sollte sie auch anfangen? „Mein Alltag hier?“ bot sie an. Sie hatte wirklich keine Ahnung, was der Junge von ihr wissen wollte. Die seichte Hilflosigkeit ließ sie durchschimmern und ihre Schulter hob sich kurz verstärkend zu dem flüchtigen Anflug eines entschuldigenden Lächelns.
„Deine Jugend“, kommentierte er lax und noch einmal zuckte das Grinsen um seine Mundwinkel. „Heimliches Knutschen mit deinen Freundinnen nach einer Party oder mit deinen Dozenten, was weiß ich… Leben, Nuianna. Wann hast du zum letzten Mal so richtig gelebt?“

Man hätte ihn leicht für einen Kerl halten können, der kein anderes Thema kannte, der sich mit diesen kleinen Anekdoten einsame Abende versüßte und seine Phantasie befeuerte, aber er hatte es nicht nötig. Und die Frage nach Leben war viel ernster als all seine halbseidenen Vorschläge zuvor.
Das Lächeln verflog. Die Ernsthaftigkeit und Strenge spülte jegliche weiche Entspannung aus ihrem Gesicht. Die Hand rutschte bis beinahe an die Hosentaschen und es kam tatsächlich Gewicht auf den Arm, der andere lag kaum noch auf, nur die Hand lag noch unbewegt unter seiner. Ihr Mund an seinem Ohr atmete ein. Und hielt inne. Und sagte dann sehr betont und leise und neutral wie ein weißes Blatt Papier: „Das letzte Mal so richtig gelebt habe ich mit dir , Serathis.“ Sie setzte sich gerade hin, ließ ihn los und entzog ihm Hand und Knie, griff nach dem Glas und zögerte nur einen kleinen Moment, bevor sie es halb leerte und in der Hand behielt. Der Alkohol spülte über ihre Zunge und brannte in den Wangen. Sie behielt ihn länger im Mund als notwendig. Als sie schluckte, tat sie es nur, um den Restinhalt des Glases ebenso verschwinden zu lassen.
Falls er von Ernsthaftigkeit oder Antwort enttäuscht oder überrascht war, verbarg er es hinter seinem Lächeln meisterhaft und das sachte Anheben seiner rechten Schulter verfestigte den Eindruck, dass er in diesem Punkt unerschütterlich war.

„Besser spät als nie“, kommentierte er es, löste seine Hand von der Theke und legte zwei Finger unter ihr Kinn. Er. Wagte. Es. Weil er ein einfacher Mann war, ohne Netz und doppelten Boden lebte, weil das Leben kurz und wunderschön war. „Leb ein bisschen“, sprach er - ungeflüstert - und küsste sie in all öffentlicher Pracht, räumte alle Spekulationen und Zweifel aus und krönte sie mit seinem Licht.
Das Glas kreiselte beinahe aus ihrer Hand und die Reaktion es festzuhalten sah fast unbeholfen aus. Sie benötigte beide Hände dazu. Den Kopf hatte sie gerade nicht zur Hand. Aber es war laut darin - sehr laut - im Gegensatz zum Raum, in dem sich die Gespräche halbierten und die aufgerissenen Augen und bedeutsamen Blicke verdoppelten.
Sie erinnerte sich, dass es keine gute Idee war, Alkohol im Mund zu schwenken, wenn man geküsst wurde und schluckte reflexhaft, was sie davon noch zurückbehalten hatte. Erst dann begriff sie so recht, was hier gerade geschah und es war nicht einmal eine bewusste Entscheidung nichts dagegen zu tun, sie tat einfach nichts dagegen. Weswegen hätte sie etwas dagegen tun sollen.
Es war schön.

Taylor Swift - Delicate
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Es gab ein Parkett, auf dem man ihm nichts vormachen konnte. Es existierte hinter geschlossenen Türen, in Schlafzimmern und kleinen Apartments. Und auch im Zauberkasten fand er ein wenig davon vor, in diesem Moment. Serathis strapazierte den Augenblick nicht und in seinen Augen war es ein recht unschuldiger Kuss, der zwar klarstellte dass er kein Neffe oder Cousin war, aber auch nicht der schmierige Gigolo aus der Kneipe nebenan. Es war ein angemessener Kuss für ihn und sie. Leicht lehnte er sich zurück, lächelte und seine Finger fassten wieder das Glas, aus dem er einen Schluck nahm, ohne den Blick von ihr gleiten zu lassen. Die Geste war genug, um noch mehr Zündstoff zu den lodernden Flammen zu werfen.

Sehr langsam nahm sie die Hände von ihrem - leeren - Glas, ihr Blick flirrte zu Serathis hinüber und sie holte zu wenig Luft für das Gefühl um einen Atemzug ringen zu müssen. Ihr Mundwinkel zuckte in so etwas wie ein flüchtiges, sehr flüchtiges Lächeln, doch bevor sie noch etwas sagen konnte, wurde eine kleine Karaffe und ein glänzend poliertes hochstieliges und voluminöses Glas vor ihn abgestellt. Der Inhalt der Karaffe war beinahe schwarz. Nur wenn man direkt hindurch in Richtung einer Lichtquelle sah, schimmerte die Flüssigkeit blutrot. So wie sie es tat, als aus der Karaffe in das Glas dekantiert wurde - die Hälfte ihres Inhalts floss in das Glas und benetzte die Wände, als sei die Flüssigkeit so schwer und ölig, dass sie selbst am Glas haften blieb.
Das perlende kondensierende Glas mit dem hellen Getränk, das gegen das leere Aperitifglas der Magierin getauscht wurde, war dagegen vollkommen unspektakulär.

Serathis lehnte sich ein Stück zurück und betrachtete sie mit einem zufriedenen, satten Ausdruck auf dem Gesicht, der noch etwas deutlicher wurde, als mit einem Mal das Tuscheln im Raum wieder einsetzte und sich alle ihren kleinen Unterhaltungen zuwandten. Er hatte es gewagt und es kümmerte ihn nicht. Im Gegensatz zu dem Rotwein in seinem Glas war er leicht und locker und so unbekümmert, dass sich manche Anwesenden wirklich fragten, was ihn dazu verleitet hatte, mit ihr, dieser Privilegierten auszugehen, die außer arbeiten nichts weiter mit anderen Elfen oder Männern im Allgemeinen zu tun hatte. Oder allgemein mit etwas, was annähernd mit Spaß, Freizeit oder Vergnügen zu tun hatte. Und dann…sowas!

Nachdem ihr Glas ihr jetzt endgültig genommen worden war und sie so den Gegenstand zum festhalten und spielen missen musste, sah sie einen Augenblick fast unschlüssig drein, dann ging ein Glanz durch ihre Augen, sie drehte halb den Kopf und streckte die Hand aus, um sehr kurz nur und lediglich mit den Fingerspitzen von Zeige-, Mittel- und Ringfinger seine Wange zu streifen. Eine zarte Geste, so alt wie die Welt. Ihr Mund lächelte nicht, aber ihre Augen taten es stellvertretend.
„Cassis, Kirsch, dunkle Schokolade und Lavendel“, sagte sie leise, laut genug, damit er sie verstehen konnte, „sind die Frucht- und Gewürznoten des…“ Hier folgte der unaussprechliche Zungenbrecher, den sie bereits bei der Order von sich gegeben hatte. Offenbar handelte es sich um den Namen des Getränks. Ein Wein, schätzte er.
Die Magierin nahm die Hand von seinem Gesicht und drehte sich ihm wieder etwas weiter zu.

„Hmm…“, machte er und probierte einen Schluck von diesem unaussprechlichen Getränk. Er schmeckte tatsächlich nach mehr. Nach warmen Sommern und Weinbergen, die von der Sonne geküsst wurden, nach einem angenehmen Abend in guter Gesellschaft und Stückchen dunkler, schmelzender Schokolade auf porzellangleicher Haut. Langsam schmeckte er dem Gefühl nach und stellte das Glas wieder auf dem Tresen. „Ich bin immer noch neugierig“, stellte er gedämpft fest und beugte sich zu Nuianna. „Hast du nie jemanden mitgebracht? Jemanden, den du mochtest? Hierher oder allgemein in dein Leben?“
Ob er seine Finger auf wunde Punkte legte? Vielleicht. Aber vielleicht schmerzte es nicht mal so sehr.

Das Lächeln war süffisant. „Ich mag niemanden besonders gern.“ Die Pause war zu kurz, um überhaupt reagieren zu können. „Scherz beiseite. Sicher habe ich dann und wann Besucher gehabt“, sagte sie. Besucher. „Oder Besuche gemacht, das fällt weniger auf. Ich mags nicht sehr gern, wenn ein dahergelaufener in meinem Leben herumpfuscht und meine Topfpflanzen gießt oder so etwas.“ Jetzt grinste sie sogar. „Es ist einfacher, das alles aus seinen privaten vier Wänden herauszuhalten, es wird dann meist so eng und streng und das bereits nach viel zu kurzer Zeit, aber …“ Sie sah ihn nachdenklicher an. „…die Bedenken hatte ich nicht bei dir. Ich weiß nicht wieso. Du störst mich nicht.“ Die letzten vier Worte klangen seltsam zufrieden.

„Deine Topfpflanzen sind bereits tot. Die würde doch niemand mehr gießen“, scherzte er zurück und nickte, als sie das Kompliment an ihn richtete. Er war nicht der Typ Mann, der sich danach eitel durch die Haare fuhr, aber er wusste es zu deuten. Das war nicht gewöhnlich, so wie sie nicht gewöhnlich war und auch nicht seinem Beuteschema entsprach. Normalerweise suchte Serathis sich Frauen heraus, die in seinem Alter waren, manche auch jünger, einige älter, aber niemals die unglaublich schweren und bockigen Kaliber. Nicht, weil er nicht gekonnt hätte, sondern weil es anstrengend war und er gerne ein einfaches Leben führte. Und doch saß er nun hier, mit einer vordergründig anstrengenden Frau, die - nachdem man Blatt für Blatt umgelegt hatte - gar nicht dem entsprach, was er von ihr erwartet hatte. „Ich verstehe“, erwiderte er nach dem stillen Moment innerer Kontemplation.

„Der Punkt an der Sache ist“, sagte sie und redete mit den Händen ebenso beredt wie mit dem Mund, fischte in einer groß ausgeholten Geste das Glas vom Tisch und führte den Bogen mit der Hand unterstreichend damit fort, „sie sind tot, weil ich das will. Ich entscheide, ob ich meine Topfpflanzen gieße.“
Sie trank ab, ohne den Blick von ihm zu nehmen und stellte das Glas resolut ab.

„Wird Zeit für künstliche Blumen“, stellte er fest. „Ganze Stadt voller intelligenter Magier und Konsorten, hochrangig und weise und niemand hat dir Kunstblumen geschenkt. Das sind doch Banausen“, gab er amüsiert zurück und die felverhangenen Augen funkelten, als er erneut nach seinem Glas griff.

Sie rümpfte die Nase. „Nein“, sagte sie, „einfach nein. Ich bin doch kein Großmütterchen aus dem Rotkammgebirge. Tss.“

„Kakteen“, schlug er dann vor. Die waren immerhin auch stachlig.

Sie beugte sich vor, schob seinen Arm mit dem halb gehobenen Glas beiseite, weil er ihr auf ihrem Weg direkt vor sein Gesicht im Weg war und sagte zweikommasiebenachtfünf Millimeter vor seinem Mund bittersüß-zynisch: „Nein danke, da reibe ich mich lieber an einem Kaktus wie dir.“

„Später“, ergänzte er , und weil sie schon mal da war und nah war, stahl er sich noch einen Kuss von ihren Lippen ohne dass sie sich wehren konnte.

Gekonnt war gekonnt und das musste man ihm lassen - und ihr, dass sie billigend in Kauf genommen hatte, was sie gar nicht so unwillentlich provoziert hatte. Sie erwiderte und konsumierte nicht nur, dass er sie küsste und dieses Mal nahm sie wahr, dass irgendwo in ihrem Rücken jemand nach Luft schnappte. Es war ihr herrlich egal. „Versprich nichts, was du nicht vor hast zu halten“, murmelte sie, als sie sich von ihm löste - gerade rechtzeitig, denn es wurde vor ihnen eingedeckt. Serathis erhielt ein ganzes Konvolut von Tellern, Schalen und Platten, sowie einer zusätzlichen Sauciere. Beilagen wurden separat gereicht. Auf dem Teller selbst befand sich nur das Fleisch auf dem Püreespiegel.
Und die Magierin? Nummer vierzehn war ein Toast, der unter einem Haufen Pilze erstickte. Sahne floss auf den Teller, der Geruch von frischen Kräutern strömte grün und bitter auf. Als sie den Kopf drehte strahlte sie ihre Zufriedenheit beinahe schon greifbar aus.

„Tatsächlich“, setzte er nach und betrachtete sein Essen mit ausgesprochener Zufriedenheit. Es sah köstlich aus. Nuiannas Toast dagegen war…nun ja, ein Toast eben. Serathis wölbte eine Braue, bevor er auch nur ansatzweise erwog, seinen angefangenen Satz fortzusetzen. Das war alles, was sie zu sich nahm? Sicherlich kannte er die Art von Frauen, die auf ihre Linie achteten, aber in seiner Welt war dies keine vollwertige Mahlzeit. „Tatsächlich“, setzte er dann fort und strich mit seinen Lippen an ihrem Ohr vorbei, „frage ich mich, wie es wohl ist, einfach nur so neben dir einzuschlafen. Nicht, dass ich meine Versprechen nicht halten will, aber ich bin neugierig. Das mache ich nämlich normalerweise nicht.“

Sie drehte den Kopf und warf ihm einen Seitenblick mit einer deutlich gehobenen Braue zu. „Wie meinst du… das machst du normalerweise nicht?“ echote sie seinen Tonfall und griff nach ihrem Besteck, um es in die betreffenden Hände zu verteilen - nicht bevor sie nicht die (Stoff)Serviette über dem Knie ausgebreitet hatte, aufgefaltet, einmal halbiert, das offene Ende zum Körper.

„Ich schlafe nicht mit jemandem in einem Bett, wenn ich nicht mit ihm schlafe“, erklärte er leichthin und tat es ihr gleich, ein Seitenblick hatte genügt. Serviettenformationen waren nicht unbedingt in den Büchern geschrieben, die er zu lesen pflegte.

Verstehen huschte über ihr Gesicht und sie wandte sich urteilslos ihrem Toast zu. Sie klaubte Pilze auf die Gabel - nie mehr als zwei und schob sie in den Mund, geziert aber genussvoll und man sah ihr an, dass es ihr schmeckte. Sie wischte mit den Pilzen die dickflüssige Sahne auf und sah zu, jedes noch so kleine Kräutlein zu erwischen. Der Toast und seine schwere Last schwanden rapide.

Serathis tat es ihr gleich und für alle Anwesenden im Zauberkasten war endlich der Moment gekommen, in dem sie sich wieder ihrem eigenen Essen, Getränken oder der oberflächlich dahinplätschernden Konversation zuwenden konnten. Schweigend verzehrte er, nahm nur ab und zu einen Schluck Wein und konzentrierte sich ansonsten ganz auf das Abendessen. Das Aufatmen der stillen Beobachter war spürbar, wenn auch nicht hörbar. Wenn ein bürgerlicher Bengel eine Gabel runterwarf, war dies kein Skandal, an dem die ganze Schar erhabener Bürgerschaft an diesem Abend Anstoß nehmen wollte, denn immerhin hatten sie einen Leckerbissen vollkommen anderer Qualität serviert bekommen. Und dieser Klatsch und Tratsch reichte umfänglich.

Hozier - Dinner and Diatribes
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Ab und an huschten ihre Blicke zu Serathis hinüber und wenn sich ihre Blicke kreuzten, hob sich ruckartig ein Mundwinkel, aber sie sprach nicht weiter, sondern aß und trank in ununterbrochenem Schweigen. Die Form des Lächelns reichte auch nicht ganz in ihre Augen. Sie trank weniger zum eigentlichen Essen als er. Erst als sie den Teller bedeutsam zwei Fingerbreit von sich fortschob und das Besteck parallel darauf ablegte, die Schneide des Messers zu sich gewandt, und sich mit der Innenseite der oberen Lage der Serviette den Mund abgetupft hatte, griff sie nach ihrem Weinglas, um einen größeren Schluck zu nehmen. Ihr Blick verirrte sich ohne exaktes Ziel im Raum.

So, er schlief nicht im Bett mit Frauen, mit denen er nicht schlief. Sie fragte sich still, weswegen es ihn mit ihr interessierte. Weshalb er das ausprobieren wollte, denn es schmeckte wie ein ausprobieren; eine sehr seltsame Art Testlauf. Sie hatte nichts dagegen, es war so, wie sie es gesagt hatte. Er störte sie nicht. Auch als sie es jetzt dachte, überprüfte sie den Gedankengang mit ihren Emotionen und es fühlte sich stimmig an.
Als sie ihre Serviette zweimal zu einer Wickelfalzkonstruktion zusammengeschlagen hatte und neben dem Teller ablegte - außen blütenweiß - um sich erneut an ihrem Weinglas festzuhalten, legte sie eine etwas längere Spanne Aufmerksamkeit auf den Mann neben ihr. Er war so jung im Gegensatz zu ihr, dass sie sich berechtigt fragen musste, was sie beide aneinander suchten und wohin das führen sollte. Vielleicht nirgendwohin.
Vielleicht war das egal, solange es sich gut anfühlte.

Ariana Grande - 7 Rings
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Als die Bedienung die Teller abgeräumt hatte, wandte sich Serathis Nuianna zu und verlagerte sein Gewicht auf dem Hocker so, dass er sich leicht mit dem Oberkörper zu ihr herüber beugen konnte.

„So…also, erzählen“, führte er aus und balancierte das Weinglas zwischen seinen Fingern, als wären sie gar nicht unterbrochen worden und als schulde sie ihm immer noch Auskunft. Sein Grinsen war so gewinnend wie eh und je. „Fahr fort.“

Nuianna war nicht das, was ihn normalerweise reizte und vielleicht deswegen wollte er ausnahmsweise andere Dinge versuchen. Sich unterhalten, reden, ein wenig mehr dem Mysterium auf den Grund gehen und die Karten langsam aufdecken, die sie vor ihm auf dem Tisch platziert hatte.
Sie seufzte leise, behielt ihr Glas in Händen und richtete den Blick auf den schimmernden blassgoldenen Inhalt, dem sie dann auch zu erzählen begann. Jedenfalls sah sie Serathis nicht an, als sie anhob zu sprechen. Es geschah im Plauderton, lose, locker und leicht dahingesagt. „Viele deiner Geschlechtsgenossen sind vollendete Idioten und das ist auch das einzige, in dem sie zur Perfektion gelangen werden. Sie sind großmäulig, empathieblind, unselbstständig, jähzornig, trotzig oder verbohrt und erkenntnisresistent ob ihrer eigenen Unzulänglichkeiten. Alles in allem wie die Kinder, die man nicht geboren hat. Wenn sie es denn schaffen, in ihrer Großherrlichkeit einen Zufallstreffer zu landen, dann brüsten sie sich und wollen gelobt werden…“ Hier hob sie den Blick und drehte ihm den Kopf zu. „Dafür dass sie nicht auf ganzer Linie versagt haben - wie üblich - oder zumindest eher wahrscheinlich. Ich bin müde, große Kinder zu erziehen, die nicht meine eigenen sind. Möchtest du wirklich mehr Details dazu wissen? Ich hoffe du hast viel Zeit dafür eingeplant.“
Sie senkte den Blick, hob das Glas an die Lippen und trank einen weiteren Schluck.
„Wir können auch über Frauen sprechen“, fügte sie dann unvermittelt hinzu. „Missgünstige, neidische und oberflächliche Geschöpfe, denen eine perfekt gezupfte Augenbraue oder eine nackte Scham wichtiger ist, als grundlegendes Allgemeinwissen, die ihre Körper dazu benutzen, das Defizit an Bildung oder Sozialkompetenz auszugleichen, wann immer ihnen ein Idiot begegnet, der dumm genug ist, darauf hereinzufallen - oder ein manipulativer Dreckskerl, der nur auf ein Geschöpf gewartet hat, das er mit der Karotte am Stiel zur unwissentlichen Marionette seiner Spiele machen kann.“ Das Glas in ihren Händen drehte sich. Hin. Her. Hin. Und her. Sie redete vollkommen emotionslos.
Er folgte ihren Ausführungen schweigend, und eine Wertung war seinem Gesicht nicht anzusehen. Ob er überhaupt irgendetwas dazu dachte? Nicht einmal das konnte man an seiner feinen Nasenspitze oder seinen Lippen ansehen. Er nahm einen weiteren Schluck Wein und schenkte sich aus der Karaffe nach, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Und es dauerte noch drei Schlucke aus dem Glas, bis er ihr antwortete.

„Da ist Feuer in dir, das respektiere ich, Nuianna. Es ist etwas, das ich bereits in der ersten Nacht mit dir bemerkt habe. Aber andere Lebenseinstellungen machen die Elfen, die du damit verurteilst nicht besser oder schlechter. Es ist lediglich eine andere Sicht aufs Leben. Manche sind gedankenlos und stürzen sich in Abenteuer, andere Leben in den Tag hinein und träumen vom Prinzen auf dem weißen Falkenschreiter und wieder andere lernen und forschen und finden darin ihre große Aufgabe. Allen ist eins gemein: Sie leben ihr Leben nach ihren Regeln. Alles, was wir tun, ist von außen draufschauen und urteilen.“
Sie hob den Kopf und sah ihn schweigend an.
Erst nach einer viel zu langen Pause sagte sie: „Wie recht du hast.“ Es klang nach allem.
Nur nicht nach Zustimmung.

Billie Eilish - Lovely
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„Sagst du das nur, weil du denkst, dass ich das hören will?“ Serathis stellte das Glas ab und griff nach ihren Händen, nachdem er ihr auch ihr Glas abgenommen hatte. „Erklär’s mir. Alles. Ich habe Zeit.“ Und er wollte diese Zeit scheinbar auf sie verwenden.
Nuianna sah sich dem Glas enthoben und richtete sich auf Serathis aus, weil es eine der Parkettangelegenheiten war, an denen der Arm eines Mannes beteiligt war und man ebenjenen nicht öffentlich diffamierte, indem man sich überzogen theatralisch gebärdete. „Ich sage das, weil du recht hast“, sagte sie. „Es hat nur nichts damit zu tun, was ich dir gesagt habe. Was nahe legt, dass du mich nicht verstanden hast.“ Still fügte sie innerlich hinzu, dass es zu hoch nach den Sternen gegriffen gewesen war, zu erwarten, hier vor ihr säße das Wunderkind, das alles intuitiv erfasste und spielend leicht umzusetzen imstande war. Es stach nicht einmal mehr. Sie schob die Gedanken beiseite, um die Pause nicht allzu lange ausfallen zu lassen.
„Es ist auch einerlei. Du hattest nach meinen Begegnungen gefragt, wenn ich mich recht entsinne. Ich schätze nicht, dass du wirklich mehr darüber wissen willst, was mich in meine jetzige - gewählte - und nicht gerade unglückliche Lebenssituation geführt hat.“ Sie klang neutral, aber nicht böse. Die Leichtigkeit vermisste ihre Rede ebenso wie ihre Hände den Alkohol.
„Und wenn ich dich nicht verstanden habe, kannst du es mir ja einfach erklären. Was wäre so schlimm daran?“, sagte Serathis und als die Kellnerin das nächste mal an ihnen vorbeirauschte, verlangte er nach der Rechnung, weil auch das etwas war, das ihm vorbehalten war. Nuiannas Hand hielt er dabei in seiner und warf ihr einen Seitenblick zu. „Und auch den Rest, den du angesprochen hast“, fügte er hinzu und beugte sich zu ihr, damit seine Lippen ihrem Ohr schmeicheln konnten. „Ich bin ein Mann, Nuianna. Manchmal muss man mir Dinge mehrfach sagen, aber ich bin lernfähig. Und ich will mehr von dir erfahren.“ Es hatte charmant geklungen, so charmant, wie sein angedeuteter Kuss auf ihrem Ohrläppchen war.
Das sehr plötzliche Gewicht unter seiner Jacke links hinten an seinem Gürtel, als zöge jemand persistent daran, war deutlich zu merken.
„Nichts“, sagte sie verzögert und das Wort und die Luft schmeckte nach Magie.
Dann sagte sie: „Nicht hier.“ Und das klang müde. Nicht müde, wie man aussah, wenn einem die Augen zufielen und der Körper schlapp machte - geistig müde. Und noch etwas sagte sie. „Bitte.“
Sie bat niemals. Aber hier bat sie um Verständnis. Und hoffte auf Verstehen. Sie senkte den Blick, entzog ihm ihre Hände und griff nach dem Glas, um es bis zur Neige zu leeren. Sie setzte es in eben der Sekunde ab, als die geforderte Rechnung kam, in einem kleinen eleganten Lederetui, geschlossen abgelegt.
Serathis reagierte nur minimal verzögert, vielleicht sah man es an seinen Augen, als sich das Gewicht bemerkbar machte, aber schenkte dem ledernen Etui genau die Art von Betrachtung, die man dem Ganzen wohl als Herr der Lage zugestehen musste. Er überzahlte den gewünschten Betrag deutlich, etwas, das er aus Literatur entnahm und aus Beobachtungen seiner reicheren Liebschaften, wenn sie ihn eingeladen hatten. Wie selbstverständlich schob er das Mäppchen über die Theke und erhob sich von seinem Platz, bot ihr Arm und Halt und es bedurfte nicht einmal weiterer Worte, damit sie verstehen konnte, dass er niemals vorgehabt hatte, dieses Thema hier zu besprechen und vollends ihrer Bitte nachkam.
Nuianna dath’Arathi nahm die Hand zur Aufstehhilfe und den Arm an, grüßte niemanden zum Abschied, sah aber über alle der Anwesenden so hinweg, als ginge sie erhöht und erhaben einen Steg entlang. Es kostete sie in diesem Augenblick unendlich viel Kraft. Doch sie verströmte Mühelosigkeit und Esprit wie der junge Frühling, der sie schon lange nicht mehr war. Bis weit auf die Straße hinaus, vorbei an den Massen vor der Tür, vorbei an den wenigen Gestalten, die sich draußen noch versprengt hatten und unter das tausendfache Funkeln der Sterne.
Tür auf, Tür zu, den Weg weisen, bestimmen und eine Richtung vorgeben. Es wurde erwartet und er tat es, kam dem ganzen Gehabe um Rang und Rolle nach, ohne sich darin zu verlieren, doch zu den Sternen sah er auf dem Rückweg nicht mehr.
Irgendwo auf der Straße sagte sie: „Es tut mir leid, dass die Stimmung so getrübt ist. Möchtest du schon zurück oder noch etwas an der Luft bleiben?“ Sie sprach leise und sie klang nicht halb so wie sie bei Licht noch ausgesehen hatte.
„Die Sterne sind auch morgen noch da“, erwiderte er ruhig und drückte wie beiläufig einen Kuss auf ihren Scheitel.
Aber du vielleicht nicht mehr , ergänzte sie still und resigniert, antwortete nicht und hielt mit ihm Schritt, als führe er sie im Scheinwerferlicht in einer komplizierten Paradefolge über die Tanzfläche.
„Möchtest du getragen werden?“, fragte er geradeheraus, bevor sie an dem Turm angelangten, in dem sie wohnte.
Ja , hätte sie am liebsten gesagt und sagte: „Nicht nötig.“ Sie ließ es so mild und salbungsvoll klingen wie ein Danke von Herzen, gerührt und weich und weiblich. Ihr war zum Weinen und sie wusste nicht einmal wieso. Sie unterdrückte es meisterhaft, grüßte die Wachablösung - eine weibliche und ein männlicher Draenei diesmal, ließ sich die Türe öffnen und trat mit Serathis über die Schwelle.
„Das war keine Antwort auf meine Frage, Nuianna“, gab er noch einmal zurück und tat dann das, was sich richtig anfühlte und was seinem Geist entsprang. Drauf gesch*ssen auf die Gesichter der Wachen, denn immerhin hatten sie das Schauspiel schon einmal gesehen, oder auch nicht. Ein Mann, ein Arm, ein Griff, viele Schritte und ehe sie sich versah, konnte sie ihn leise und mit einem Lächeln zählen hören. „Fünfzehn, sechzehn, siebzehn…“
Es waren vierhundertsechsundsiebzig Stufen bis zu ihrem Apartment.
Sie gab einen erschrockenen Laut von sich und sah ebenso drein, als sie sich noch im Schrecken festklammerte und vielleicht hatte das den Ausschlag gegeben oder auch nicht, aber sie war emotional so überfordert, dass ihr eine Träne aus dem Augenwinkel rann und sie hatte keinen Arm frei, sie abzuwischen, als sie Serathis ins Gesicht starrte, blass und mit großen Augen, während die Wache vor der Tür nach einem alarmierten Blick ins Innere und einem leisen Wortwechsel die Türe ins Schloss fallen ließ.
Das Licht bei Nacht war ein mildes Dämmerdunkel im gewundenen Aufgang, aber die Stufen selbst besaßen kleine Lichter, die aus der Wand darauf strahlten. Und ihre Augen glommen gegen die glitzernde Feuchtigkeit an, die Blicke irrlichterten über sein Gesicht. Aus der Fassung gebracht, sagte sie sich selbst. Und verurteilte sich hart dafür. Das würde böse enden. Und zwar für sie.
Es dauerte. Und das kümmerte ihn wenig, denn er war gut trainiert und auch seine Beine waren keine Ausnahme. Koordiniert und diszipliniert war die Ausführung seiner Schritte und doch konnte er den Blick nicht von ihr abwenden.
„Ist doch nicht schlimm“, sagte er leise, die Stimme ein raues Flüstern. Und er urteilte nicht, ganz wie er gesagt hatte.
Selbst wenn sie es versucht hätte, sie hätte kein Wort über die Lippen gebracht. Das geisterhafte Licht, das seine Züge schattierte und das Licht seiner Augen hielten sie fest wie angekettet. Ihr schoss das Blut in die Ohren und sie registrierte es nur nebensächlich. Sie atmete flach - wenn sie sich daran erinnerte, was nur alle paar Stufen vorkam. Ihre Hand hielt sich fest, und sie spürte ihre Finger zittern, obwohl sie nicht zitterten. Es war überwältigende Schwäche. Für ihn.

Camila Cabello - Never be the same
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Vierhundertsechsundsiebzig Stufen. Zittern, Tränen und ein Mann, der unerschütterlich schien, innen wie außen ein Fels in der Brandung und beständig, verlässlich. Serathis hatte früh lernen müssen, auf sich selbst zu vertrauen und es hatte ihn nicht gebrochen. Ein harter, steiniger Weg, den ein einfaches Leben begleitet hatte. Ein einträgliches Auskommen beim Orden, die Disziplinarstrafen trug er wie Orden. Wie auch immer er es anstellte, er verriet seine Prinzipien nicht, nicht unter Druck, nicht unter Folter.
Seine Hände trugen sie, ohne müde zu werden, bis sie die Tür erreicht hatten.

Die Tür schwang auf, als reiche die Präsenz der Magierin allein dafür, ob sie es willentlich entschied oder nicht.
Serathis trat durch die Tür hindurch und schloss sie mit seinem Fuß, Nuianna immer noch auf dem Arm. Er würde immer ein Pragmatiker bleiben und so trug er sie weiter, bis er das Bett erreichte. „Willst du mir sagen, was los ist?“, fragte er so charmant, so leicht und weich, wie es ihm möglich war. „Habe ich dich heute Abend beschämt?“

Aus der Fassung gebracht, wiederholten sich die Worte in ihrem Kopf und sie unterdrückte den Impuls sich schütteln zu wollen wie ein nasser Hund. Noch während sie ihn unverwandt und immer noch anstarrte wie eine dämliche Kuh vor einem Winterhauchbaum tat sie etwas, nur um irgendetwas zu tun, löste eine der krampfigen Hände und schnippste mit den Fingern. Ihre Abendtoilette war mit dem Verhallen des Geräuschs erledigt, sie trug ihren Morgenmantel und Pantoffeln, das Haar war gelöst und gekämmt worden und zu einem losen Zopf gewunden, der nach vorn über ihre Schulter fiel und sie hatte sich keine Sekunde aus dem Arm bewegt. Ihr Gewicht lastete nach wie vor auf den Armen des Burschen, der sie in ein sprachloses Chaos gestürzt hatte.
„Du warst wundervoll“, sagte sie, nachdem ihre trockene Zunge von ihrem Gaumen losgeschweißt war.

Er ließ sie auf das Bett hinab und setzte sich auf die Bettkante. Serathis löste die Hände langsam von ihrem Körper und entfernte die Geldkatze von seinem Gürtel. Sie fand den Platz auf ihrem Nachttisch. Mit beiden Händen lockerte er das Hemd, schlug die Ärmel hoch und knöpfte die ersten beiden Knöpfe auf, gab den Blick auf seine gebräunte Haut frei.
„Danke für die Einladung“, sagte er behutsam und strich nun endlich die salzige Spur von ihrer Wange. „Aber die blöden Gesichter sind doch nicht wert, dass du weinst“, versuchte er sich an einem zaghaften Scherz.

„Das hat mit den blöden Gesichtern nichts zu tun“, gab sie zurück und stellte fest, dass ihre Stimme kratzig klang. Sie räusperte sich mit der Hand am Hals und sah zur Seite, wich seinem Blick und seinem Anblick aus und stellte fest, dass sie den züchtigen Nachtanzug unter dem Morgenmantel bei ihrer Übersprungshandlung vergessen hatte. Sie konnte gerade noch verhindern rot anzulaufen. Nur ihre Ohren fühlten sich noch immer heiß an und sie konnte ihren Puls darin deutlich pochen fühlen.
Als sie den Blick in den Raum richtete, vermied sie es abermals, Serathis direkt anzusehen, dirigierte einen Stuhl zum Ablegen der Kleidung in Armreichweite und ließ den Waschtisch Gestalt annehmen, den sie lieber - wie alles andere private außer dem Bett - extradimensional astralverschoben möbliert hatte.

„Sondern?“, fragte er und legte die Jacke ab, warf sie schwungvoll und zum Leidwesen des Stuhls wenig treffsicher daneben und verlagerte sein Gewicht auf dem Bett. „Sieh mich an, hm?“ Eine Hand legte sich an ihre Wange und mit sanftem Druck drehte er ihr Gesicht zu sich. „Du hast mich in der ersten Nacht einen miesen, dreckigen Bengel genannt und geschimpft wie ein Rohrspatz. Wie eine wilde Furie warst du. Ich mag dich so lieber, wenn du nahbarer bist.“ Dass sie jünger wirkte, verletzlicher, fügte er nur gedanklich an.
Sie hob nicht einmal den kleinen Finger, aber die Jacke trudelte, als sie sich von selbst aufhängte. Ebenso unstet wie ihr Blutkreislauf. Sie bekam Flecken auf den Wangen und am Hals und sie wusste es, weil es begann zu jucken wie verrückt. Sie starrte, weil sie nicht anders konnte, obwohl nur ein Arm und kein Parkett beteiligt waren und sie dachte bei sich, wie gut er aussah und wie gut sich das alles anfühlte und dass es verboten gut war und dass es genau so sein sollte und schnitt sich die Gedanken rigoros ab. Um zu antworten. Weil er etwas gesagt hatte. Was hatte er gesagt?
„Das bist du ja auch“, unterbot sie sein zaghaftes Scherzen mit einem schlechten Scherz und hätte sich ohrfeigen mögen. Himmel und Hölle. War er das? Oder sie? Oder war es hier so heiß im Raum?

„Nahbarer oder ein idiotischer Bengel?“ Er machte keine Anstalten, ihre Schwäche auszunutzen, ihre roten Flecken oder Ohren zu kommentieren. Das Offensichtliche wusste sie, wusste er und er tat gut daran, nicht weiter darauf einzugehen. Es gehörte sich nicht, in diesem privaten Umfeld, wie ein Heer einzufallen und Krieg auf ihrem Boden zu führen. Sie hatte ihn eingeladen, war zugänglich, nett und großzügig und das Mindeste, was er im Gegenzug tun konnte, war freundlich zu sein und ihre Schwächen nicht auszunutzen Ein goldenes Kupferstück von Mann. Der sich nach einer langen Pause das Hemd auszog, aufstand und es eigenhändig über den Stuhl hängte, damit sie keine Magie bemühen musste. „Ich habe das übrigens ernst gemeint, Nuianna. Ich würde gerne heute einfach nur neben dir einschlafen. Ist das okay?“
„Ist egal“, sagte sie, versuchte seinem Blick auszuweichen und scheiterte - also veränderte sie die Position. Sie schwang die Füße aus dem Bett und drehte den Kopf über die Schulter, als sie aufstand, ohne ihn anzusehen. Sie sah stattdessen schräg zu Boden. „Ich bezahle dich nicht mit Sachleistungen oder Gold für Dienste“, kommentierte sie die Frage und es klang seltsam. „Du bist mein Gast und Gäste können tun, was ihnen beliebt.“ Sie schlüpfte aus ihren Pantoffeln und durchquerte den Raum barfuß und lautlos, öffnete die linke Flügeltür und schob sich nach draußen.

„Ich weiß dass du das nicht tust“, entgegnete er und schob sich hinterher, nur noch in der seidenen Unterbekleidung, die sie zweifelsohne auch bezahlt hatte. Darum ging es nicht. „Du kannst dir Leute kaufen, sicherlich. Aber mich nicht. Ich wäre auch in meinen alten Klamotten mit dir Essen gegangen, mich stört das nicht, aber deinen Ruf kratzt es an.“ Serathis richtete die Augen auf sie, sah auf die kleine, fragile Magierin hinab und schüttelte den Kopf. „Und flieh nicht vor mir, nur weil dir ein bisschen warm ist.“
Sie stützte sich auf das fein geschwungene Geländer - vielleicht hielt sie sich auch nur daran fest, denn gestreckt waren ihre Arme keineswegs, aber die Hände fest um den Lauf geschlossen. „Mein Ruf ist erbärmlich, wenn du nach mir fragst“, sagte sie, „wenn man mich überhaupt noch kennt nach den Jahren im Turm.“ Das kleine Lachen klang falsch. „Wobei ich da keine große Ausnahme bin. Viele Leute haben eine Meinung; unter dem Strich zählt nur die Meinung derjenigen, die dein Gehalt zahlen - und das sind die wenigsten. Ist es nicht so.“ Sie starrte blind geradeaus.

„Das habe ich nicht gemeint. Ich möchte dir nicht peinlich sein.“ Serathis trat hinter sie und legte die Hände auf ihre Schultern und konnte doch nicht anders, als seine Nase in ihrem Haar zu vergraben. Der Griff war fest und versichernd und doch sanft, genau die richtige Dosierung. Und dann spürte sie, wie es unter seinen Händen warm wurde, wohlig. Ein Gefühl, dass all die innere Unruhe beruhigte und Wogen glättete, bis die See spiegelglatt war. Licht, so anders als die Male zuvor, in seiner zartesten Ausprägung, zum Heilen gemacht.
Die Schultern sackten nach unten, der Griff der Hände lockerte sich und das alles im Bruchteil einer Sekunde. Sie verfluchte sich für das Wachs, das sie in seinen Händen wurde. Genau so war es am ersten Abend gewesen. Lichtfunken und … ihre Knie rieben aneinander, als sie versuchte, den hitzigen Knoten in ihrem Unterleib in sich selbst zu ersticken. Sie rang sich zu einem tiefen Atemzug durch, aber hielt die Luft an, bis es in den Lungen brannte. Dann kippte sie.
Sie lehnte sich in den Griff, gegen die Wärme, die sein Körper gegen die Kühle der Nachtluft verströmte und drehte den Kopf, als sich ihre Arme über dem dünnen Stoff um ihre Brust verschränkten. Serathis roch nach Wein und Trost und Mann und da war auch eine Spur Zimt und da musste sie lächeln, selbst wenn es schräg ausfiel und in etwas schiefes floss. Schief und schräg war die gesamte Situation. Dann passte es ja. Ihre Lider schlossen sich. Nicht flatternd, sondern leicht. Die Augen zuckten - ihre Stirn runzelte sich - und dann gingen Kinn und Blick nach oben. „Wieso solltest du mir peinlich sein?“ Als ob sie es eben erst so recht wahrgenommen hätte, was er gesagt hatte. Streng genommen hatte sie das. Aber das würde sie selbst unter Folter nicht zugeben.

Er hielt sie, leicht und beweglich und ganz und gar anders als er sich am ersten Abend aufgeführt hatte. Das war ein Kampf um Vorherrschaft gewesen und nun war es ruhig zwischen ihnen, erschienen mit einem mal leichte Zwischentöne neben den Bässen ihres Schlagabtauschs.
„Armer Kerl und schlechter Umgang“, bemerkte er lässig und blickte zum Himmel hinauf. „Aber ich kann damit leben.“
Sie hakte nicht weiter nach. Lehnte nur die Schläfe schwerer an und schloss die Augen wieder.
Sie wollte versuchen zu denken. Einen vollständigen Gedankengang. Und alles was sie denken konnte, war wie das aussah, was sie gerade fühlte und spürte - wie Vertrautheit vollkommen Fremder aussah, unter den tausend Sternen auf dem schmalen Rundgang um ihr Domizil.
Sie hatte gar nicht bemerkt, wie tief sie geseufzt hatte.

Tom Odell - Heal
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Wie schwer lastete das Leben auf Nuiannas Schultern, fragte er sich und fand in seinem Kopf keine Antwort darauf. Er konnte sich nicht vorstellen, wie es war, ihr Leben zu leben. Forschung und Studien, alles für die Lehre aufzugeben und in diesen einsamen Turm zurückzukehren, wenn man fertig war. Selbst wenn er nach Hause ging, wartete Tharelle auf ihn, beständig und verlässlich und eine Konstante in seinem aufregenden Leben. All das sprach er nicht aus, stattdessen blieb er ruhig hinter ihr stehen, hielt ihre Schultern über ihr Seufzen hinaus, war präsent und verlässlich, wie er es nur sein konnte. Ein Fels in der Brandung in mehr als einer Hinsicht.
Anderthalb Anläufe nahm sie, dann drehte sie sich um, wand ihre Arme auseinander und schob ihre Hände um seine Hüften herum, um sie in seinem Rücken zu verschränken und den Kopf an seine Schulter zu lehnen. Ihre Füße standen geschlossen zwischen seinen und er konnte das seichte Frösteln ihres Körpers durch den dünnen Stoff spüren. Es war nicht kalt.
Selbst in dieser großen Höhe und ohne die Straßenbeleuchtung war es hell genug, um Gesichtszüge und Details aus der Nähe klar erkennen zu können, selbst wenn der Turm nicht so hell angestrahlt wurde wie viele andere Gebäude - sogar bis hinauf zu den Dächern. Sie hatte etwas gesagt. Es war leise gewesen, aber bemüht deutlich ausgesprochen, nicht genuschelt. Und mehr gestattete sie sich nicht.
„Schön, dass du da bist.“

Serathis verbarg das Lächeln nicht, das sich auf seine Lippen stahl und legte eine Hand an ihren Hinterkopf, teilte ihre Haare in weiche Strähnen und strich hindurch.
„Es ist schön, dass ich hier sein darf“, erwiderte er so sanft, dass es ihr Flüstern imitierte und hob den Blick zu den Sternen. Von hier aus konnte man sie noch besser sehen, war der Himmel näher als je zuvor.
Die Sterne waren viele - aber es gab mehr Fragen in ihrem Kopf als Sterne und mehr als sie Antworten darauf wissen wollte. Sie hätte das Gedankenkarussell gerne abgestellt. Oder weniger Unruhe in sich getragen, die sie nur allzu gern vertrieben gesehen hätte. Weswegen fiel es ihr nur so schwer sich fallen zu lassen? Loszulassen? Den Augenblick zu greifen? Ihre Finger zuckten. Das Stillstehen mit dem warmen Geruch eines Mannes in der Nase machte sie nervös. Ihre Hände fächerten an seinem Rücken auf und begannen wie von selbst, darüber zu streichen. Kein zwanghaftes Hin und her. Es waren vereinzelte, langsame Bewegungen. Über keine davon dachte sie nach.
Unter ihren Fingern waren die Dinge definierter als in ihr. Und Serathis? Dachte nicht darüber nach, warum dieser Moment der Schwäche anziehender war als das Gekeife zuvor. Er dachte nicht darüber nach, was dieser Moment mit seinem Ruf machte. Nichts davon kam ihm in den Sinn. Er war frei davon und es strömte aus seinen Poren, vermischte sich mit der Ahnung von Zimt auf seiner Haut. „Bist du müde?“, fragte er sie und strich mit den Fingern weiter durch ihr Haar.

„Ich war noch nie so wach“, sagte sie, „aber wenn wir uns hinlegen, schlafe ich sicher binnen Minuten. Was seltsam ist.“ Die Pause war nur sehr kurz. „Vielleicht bedeutet das, dass ich ein reines Gewissen habe.“ Der Scherz war sicher nicht ihr bester und er klang nicht einmal so recht nach einem. Sie verkniff sich, nachzusehen, wie er das auffassen würde. Sie war sich darüber im Klaren, dass ‚wach‘ nicht das richtige Wort für das war, was sie war. Serathis hatte sie geöffnet wie eine Knospe im Frühling - den ganzen Frost geschmolzen wie die Sonne an den ersten warmen Tagen. Sie hatte das nicht geplant. Lebendig fühlen hatte nicht auf ihrer Agenda gestanden. Und sie würde die Protokolle noch fertigstellen müssen. Morgen, sagte sie sich und schob, schob, schob alles auf soweit es ging. Jetzt und hier. Warm. Und wie das erste Grün im Frühling tat sie das Selbstverständlichste der Welt - ihre Arme schlossen sich in sanftem Zug - und strebte dem Licht und der Wärme entgegen.
„Vielleicht hast du auch einfach nur Angst, etwas zu verpassen und eigentlich bist du müde?“, schlug er als Alternative vor. „Du verpasst nichts. Ich bin morgen auch noch da, so wie die Sterne hier.“
Zug an ihrem Rücken, unter ihren Armen und dann hob er sie an, so einfach und leicht, in einer fließenden Bewegung. Näher zu den Sternen und so, dass sie auf Augenhöhe waren. „Lass uns reingehen. Morgen ist auch noch ein Tag!“
Ihre Augen zuckten in seinen Blick, dann nach unten auf ihre aneinandergepressten Körper. Die Hände, die unwillkürlich gekrampft hatten, lockerte sie willentlich langsam und hob den Blick wieder an. Der Kuss war ein kleiner, zarter, der kaum beide seiner Lippen gerecht und ausgeglichen streifte. Sie wehrte sich nicht und sie sagte ihm nicht, was ihr Körper mit ihr tat und was in ihr vorging und war bereit, seinen seltsamen Wunsch zu erfüllen, den sie als ganz und gar ungewöhnlich empfand, aber war hatte sie denn schon zu verlieren außer Zeit? In ihrer Sanduhr war mehr Sand gelaufen in als in manch anderer Lebenszeit möglich war und es war gleich wie wenig davon übrig war. Sie hielt die Zeit an. Nicht dass sie es gekonnt hätte. Aber sie konnte es sich einreden.
„Ja“, bestätigte sie ihn also, friedfertig und versöhnlich und schob sich selbst beiseite.

Sigma - Nobody to love
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Serathis trug sie erneut, anscheinend hatte er seine Freude daran, die leichte Magierin umherzutragen und sie, an sich gehoben, zu halten. Er erklärte ihr nicht warum, aber sie machte den Eindruck, als müsse man sie auffangen, tragen. Wie eine Feder so leicht und so fragil wie ein Gespinst aus Spinnweben. Seine Schritte waren auf dem Boden zu hören, dann das Rascheln des Stoffes, nachdem er sie in den Laken platziert hatte. Sein Gewicht neben ihr und wieder seine Arme, die sie in eine Umarmung zogen. Wie ein enganliegendes Löffelpaar, so dass seine Nase wieder ihren Weg in ihr Haar finden konnte.
Sie räusperte sich.
„Hm?“, machte er.
Das Lachen war ein echtes und es war verlegen. Sie flocht sich aus der Umarmung, schlüpfte aus dem Bett, warf ihm einen Blick zu, als habe er einen guten Scherz gemacht, schlüpfte aus dem Morgenmantel , wischte einen Wink mit der Hand in die Luft und ließ ihn über einen Stuhl auf ihrer Bettseite - ungewöhnlicherweise die linke - schweben. Er sank elegant wie ein Blütenblatt. Sie begutachtete den Flug, stand einen Augenblick nackt und bloß im unwirklichen Halblicht des Zimmers, das mehr Schatten als Beleuchtung warf, drehte den Kopf zurück und betrachtete den Schemen, der Serathis Konturen bildete. Das Bett war noch beschatteter als der Rest des Zimmers. Schwere Vorhänge und ein Betthimmel schirmten es zusätzlich ab. Ein flüchtiges Lächeln erhellte ihre Züge und verschmälerte das Licht ihrer Augen.

Dann setzte sie sich, streifte die Fußsohlen mit der flachen Hand ab und schob die Beine zurück ins Bett. Sie rückte seitlich zurück an seinen Körper heran und zog seinen Arm um sich.
„Oh…OH!“, machte er und griff sich an den Kopf, als er sah, was er da fabriziert hatte. „Willst du mich jetzt ausschimpfen?“
„Nein“, sagte sie, „nicht mal klapsen.“ Sie gluckste, unhörbar, aber spürbar. Schultern und einiges andere zuckten.
Mit beiden Händen hatte sie sein Handgelenk umgriffen, faltete die Hand vor ihrem Gesicht auf, und fuhr die Linien in der Handfläche mit den Daumen nach. Dann küsste sie sie. Mit geschlossenen Augen. Die Wimpern flatterten gegen die halboffenen Finger.
„Zu freundlich“, lautete seine Antwort und erst dann gestattete er sich, ihre Geste vollends wahrzunehmen. Ein Finger zuckte nur angedeutet, strich zart über ihre Stirn, während sie seine Lebenslinien liebkoste. „Was meinst du, wirst du Probleme bekommen, jetzt wo du mit mir ausgegangen bist?“
„Nein - von welchem Bodensatz sollte ich denn Probleme bekommen?“ Sie murmelte gegen seine Haut und fuhr mit den Liebkosungen fort. Sie klang so selbstsicher, als sei das Pferd, auf dem sie saß, so fest gesattelt wie ein guter Vorsatz, der letztlich auch geritten wurde. Ihr Gesicht schmiegte sich in seine Hand, strich darüber, ließ ihn spüren, Augenbrauen, Wimpern, Nase, Wangenknochen, Kiefer und Lippen. Sie küsste seine Fingerspitzen. Einzeln und hingegeben, während ihre Körper sich flächig berührten.
„Ich weiß nicht. Aber wer auch immer dir Probleme macht…ich kann ihn für dich vermöbeln.“ Ob das ein Scherz gewesen war? Sie konnte sich gar nicht so sicher sein, immerhin hatte er seine Suspendierung deswegen erhalten. „Mache ich gratis, mit Freuden, denn niemand…hörst du…“, seine Stimme war nun ganz dicht an ihrem Ohr zu vernehmen, „niemand hat das Recht, dich für das zu verurteilen. Du lebst…und das macht dich unglaublich anziehend.“
Ihr Kopf hielt still. Serathis konnte fühlen, wie zwei leise Atemzüge durch die Nasenflügel an seine Hand brandeten. Dann senkte sie ihre Hände und somit auch den Arm, den sie hielt und drehte den Kopf - weit - zurück über die Schulter. Das Licht ihrer Augen glomm in der Finsternis der raschelnden Kissen und Laken. Alles hier roch nach ihr und frisch gestärktem Leinen, nach Seide und Nonchalance.
Das Ohr hatte sie ihm mit der Drehung entzogen. Sie strahlte Hitze aus. „Was machst du nicht gratis?“ Die Frage hatte keinen Tonfall.
Serathis hob eine Braue. „Das war ein Spruch. Lotest du aus, ob ich käuflich bin?“ Neben ihr der Geruch von Zimt und das Wissen darum, dass er sich nicht gewaschen hatte, seit sie ihn gesäubert hatte.
„Ich lote aus, wofür man dich bezahlt.“ Das Grinsen war der Stimme anzuhören. Die schmalen Augen funkelten.
„Mich kann man nicht bezahlen.“ Er schmunzelte, aber es klang ehrlich.
„Das erklärt weswegen du blank bist.“ Der Kommentar war in ganz vernünftigem und verständigem Tonfall erfolgt. Der Kopf drehte sich zurück, sie hob seinen Arm wieder an ihr Gesicht und roch einen tiefen Atemzug in die Handfläche hinein. Die Geste wiederholte sich an seinem Puls. Mund und Nase streiften das empfindsame Stückchen Handgelenk, die Daumenwurzel und kehrten in einer Schleife zurück.
„Lieber ehrlich blank als irgendwie käuflich. Sicher, Angebote gibt es, gab es immer…ich habe schließlich einen Ruf zuhause, aber…ich bin einfach unbezahlbar.“ Er grinste noch einmal, zog sie näher und drückte einen Kuss auf ihren Hinterkopf.
„Was für ein Ruf?“ fragte sie zurück und biss aus einer Laune heraus in seinen Daumen. Nicht fest. Nur eben so, dass es deutlich spürbar und die Zähne zu unterscheiden waren. Sie machte es ja gleich wieder gut. Der sanfte Kuss war versöhnlich.
„Schlecht für dein Herz, gut für das Ego, ‚annehmbare‘ Leistung in der Horizontalen, vögelt alles, was nicht bei Drei auf dem Baum ist, wahllos, Macho, A.rschloch, Schürzenjäger…such dir was davon aus.“ Er zuckte nicht einmal, stattdessen grinste er nur noch breiter.
Sie zuckte auch nicht, hörte sich die Aufzählung an und gab ein vibrantes hmmm von sich. Der Mund hatte noch zu tun. Sie löste sich mit einem leisen Geräusch von seinem Finger und bemerkte: „Annehmbar? Wen hast du geärgert für diese Reputation?“ Und schob den Daumen wieder exakt dorthin, wo er gewesen war, um ihn mit den Zähnen zu schleifen und ein wenig seines Geruchs schmecken zu können. Vollkommen versunken hätte man meinen können. Die hellwachen Antworten straften es Lügen.
„Ich untertreibe. Ich würde ja fast so weit gehen und sagen, dass du mich kennst.“ Er ließ ihr die Hand, die nach ihm und einer Ahnung von Zimt roch und ganz entfernt auch nach dem Duft ihrer Kleidung. „Zumindest in diesem Punkt.“
„Kein Stück“, kommentierte sie und wechselte zu Zeige- und Mittelfinger. Sie war ein gerechter Richter. Jeder Finger bekam einen Biss. Und eine hingebungsvolle Versöhnung.
„Jetzt untertreibst du.“ Serathis entzog ihr die Hand und legte sie ungeniert auf ihre Oberweite. „Erzähl mir, waren meine Vorgänger besser?“
Sie erstarrte nur den Bruchteil einer Sekunde, dann bewegte sie sich bezeichnende zwei Zentimeter - zwei Zentimeter, die sich ihre Wirbelsäule bog, um ihm exakt und sämtliche Rundungen, seien sie auch noch so sanft ausgeprägt, entgegen zu wölben. Dezent. Elegant. Perfektioniert. Ihre Hände waren mit seinem Arm gegangen, die Rechte löste sich, um sich über den Handrücken hinweg zwischen seine Finger zu flechten, ohne ihn zu behindern. „Besser“, sagte sie nachdenklich und es klang, als würde sie das Wort beim Sprechen überprüfen, „ist ein sehr wertendes Wort.“
„Mir ist kein besseres Wort eingefallen.“ Es klang nicht wie eine Rechtfertigung und seine Gegenbewegung ließ nicht lange auf sich warten. Er wollte nicht mit ihr schlafen, warum auch immer er das in diesem Moment nicht wollte, er wusste es nicht, aber sein Körper reagierte dennoch auf die Bewegung. Die Natur der Sache.
Sie ließ seine Hand wo sie war, drehte aber den Kopf abermals zurück und die glimmenden Augen teilten in schmalen Linien das Dunkel. Ihre Hand löste sich, griff nach hinten und streifte sein Gesicht. „Willst du das wirklich wissen?“ Sie klang nicht abweisend, im Gegenteil: aufgeschlossen. Aber er konnte ihr anhören, dass sie sich zurückhielt. Oder etwas.
„Ich werde dich nicht zwingen. Wir kämpfen nicht miteinander. Aber ich bin neugierig. Auf deinen Männergeschmack.“ Er beugte sich für einen Moment halb über sie, Haut streifte Haut, Wärme, Seide und er strich ihr eine Strähne aus der Stirn.
Er konnte das lautlose Lachen hören, ihre Wangen klickten, sie stieß einen halben Atemzug dazu aus und die Augenlichter gerannen zu Schlitzen. „Ich habe einen. Du matchst ihn gut. Das hat allerdings wenig damit zu tun, mit wem ich mich im Laufe der Jahre eingelassen habe.“ Mehr Augenlicht. Das Lachen war einem Wohlwollen geschwunden. „Manchmal ist es nur ein Funke der eigenen Vorstellung. Meistens reicht er nicht. Die meisten überdauern keinen Monat.“ Das Lächeln klang durch die Worte. Sie klang, als habe sie ihren Frieden damit.
„Hier sind wir, zwei Elfen mit flüchtigen Verbindungen“, erwiderte er leise und jeglicher Schalk fehlte in der Aussage. „Du scheinst damit zufrieden zu sein, Nuianna. Oder trügt mich das?“
„Wieso an etwas festhalten, das keine Substanz hat?“ erwiderte sie ernsthaft und reuelos. Wenn sie lächelte, war es ein ebenso ernsthaftes, wie ihr Tonfall geklungen hatte.
„Wieso nicht Substanz suchen?“ Die Frage war kein Angriff, er konnte sie sich sogar gut selbst stellen.
„Wieso suchen, wenn man sie auch finden kann?“ Das hatte nicht einmal eine Sekunde gedauert.
„Wo finden?“ Er war eben doch nur ein Mann.
Sie küsste ihn. Auch wenn es ihr das Genick fast brach. Und alles andere als bequem, einfach oder schön war. Aber es war eine Antwort.

Ed Sheeran - Kiss me
https://www.youtube.com/watch?v=3IUfGfOK3z0

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Dieses Mal überrumpelte sie ihn, aber es war eine schöne Art und er legte die Arme um sie, drehte sie halb und in eine bequemere Position, in der es sich viel leichter küssen ließ.
Sie drehte sich ganz und schlang ein Bein um seine Hüften und flocht sich enger an seinen Körper. Es geschah absichtslos. Arme und Beine waren nützlich, aber wo man sich zuweilen acht einer Sorte wünschte, gab es in anderen Augenblicken einfach viel zu viele davon. Und beinahe alle waren im Weg. Ihre linke Hand glitt in seinen Nacken, leicht und ohne Zug - den rechten Arm ignorierte sie in die Bedeutungslosigkeit unter dem Kissen.
Sie dachte nicht nach. Nicht über seinen Wunsch und nicht über sich selbst, nur über das unmittelbare Bedürfnis, sich ausdrücken zu wollen, exakt über diese Art der Antwort, in dieser Sprache, wortlos und direkt. Sie tat wonach ihr war.
Später würde ihr einfallen, wie lange sie das schon nicht mehr getan hatte. Wie oft sie auf die Erlaubnis oder ein Signal, nicht selten auf eine Entschuldigung gewartet hatte, die niemals kamen. Gekommen waren und kommen würden.
Aber jetzt gerade tat sie, wonach ihr war und das war liegen und riechen und schmecken und spüren und fühlen - zart und blind und weich und anschmiegsam - und sie hörte ihr Blut in den Ohren rauschen. Es war eine Schneeschmelze. Und er… er war die Sonne.

Er war immer noch überrascht, von sich selbst und seinem Wunsch, von ihr und ihrer Ausführung in aller stiller Zärtlichkeit, die es so für eine lange Zeit nicht gegeben hatte. Wie es sich anfühlte, dieses Gefühl, so viel reiner und berauschender, als würde er von Fusel auf das reinste Destillat umsteigen und feststellen, dass der Kopfschmerz danach nur eine Option war, die er immer gewählt hatte. Eine Hand glitt spiegelgleich in ihren Nacken, seine Lippen fassten ihre - und er betrank sich an ihr.

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