Er machte keine Anstalten, sie abzusetzen. Verrückt hin oder her, Serathis kümmerte sich nicht darum, weil es ihn nicht interessierte, was irgendwer von ihm oder dieser Situation dachte, und er strahlte diese Selbstsicherheit noch weitaus heller aus als sein Licht. Egal wie leicht und einfach er wirkte, die Ausstrahlung hatte etwas von einem in sich zufriedenen Geist, den nichts erschüttern konnte - und das wirkte ganz und gar nicht profan.
Sein Blick ging nach oben, haftete sich an den Himmel, der bereits am frühen Tag die Andeutung von Sternen zeigte. In der Nacht war der Ausblick bestimmt atemberaubend. Serathis lächelte, auch wenn er nicht sagte warum, und setzte sich mit seiner fragilen Fracht auf den Armen in Bewegung.
Nuianna richtete sich auf den Armen ein wenig gerader auf und schlang den rechten Arm dazu versichernder um Serathis Schultern. Den linken behielt sie sich als Wegweise vor - zumal es einfach unmöglich gewirkt hätte, beidhändig am Hals eines Mannes zu hängen. Ihr Blick ging stur geradeaus, als sich Köpfe drehten. Ihre Ohren blieben verdächtig still - steif hätte man meinen können - als sich hinter ihnen die ersten Köpfe zusammensteckten. Mochten die Leute reden.
Das vornehmlichste Merkmal der schwebenden Stadt war die unfassbare Sauberkeit der Gebäude und Straßen. Unrat und Abfall schienen ein Fremdwort zu sein. Das Pflaster sah aus, als sei es gerade neu gelegt worden - und seither selten betreten, obwohl ein angenehmes Gedränge herrschte - die Straßen waren breit. Es gab selbst für die bulligsten Vertreter sämtlicher denkbaren Volksgruppen genug Raum, aneinander vorbei zu kommen, ohne sich dafür berühren zu müssen. Die strahlenden Fassaden verwehrten sich gegen jeglichen Schmutz und kein Hälmchen schien es zu wagen, außerhalb der so bedachten Flächen zu geraten. In dieser Stadt wurde die Form gewahrt. Die Architektur war nur ein schales Spiegelbild des geistigen Kerns.
Zu ihrer Linken tauchte das Schild „Zum Zauberkasten“ auf, kräftiger Kaffeegeruch trieb aus Türen und Fensteröffnungen auf die Straße und irgendwo zu ihrer Rechten roch es nach deftigen Käsesorten - und Kuchen. Der scharfe Geruch von glühendem Metall schlug ihnen entgegen unterwandert von frisch geschnittenem, blumigem Grün. An Straßenständen wurde gehandelt. Die Kleidung der verschiedenen Ethnien war sauber und hochwertig. Kaum, dass eine gerissene Naht zutage trat - geschweige denn Flecken oder starke Tragespuren. Auch wenn einige Kombinationen in Farbe oder Beschaffenheit durchaus denkwürdig und sonderbar (rot, gelb und violett?!) wirkten, an der Qualität des Materials konnte kein Zweifel Halt finden. Die regelmäßig und nicht sparsam verteilten Straßenlaternen ließen vermutlich kaum eine Ecke dunkel, so dass die Straßen selbst bei Nacht wohl ausgeleuchtet waren - jedenfalls stand das zu vermuten. Von Zwielicht war auf diese ersten Blicke hin keine Spur zu finden.
Vermutlich war der Blutritter das Schmutzigste, was dieser Ort, diese schwebende Stadt seit langem gesehen hatte. Silbermond hatte seine gepflegten Straßen, doch es gab das Zwielicht, wenn man wusste, wo man es suchen musste. Hier schien es nicht einmal ansatzweise zu existieren.
Er sah sich um, sein Blick versuchte alles aufzunehmen und doch unbeirrt den Weg zu halten. Gar nicht so einfach, wenn man aus dem wortlosen Staunen nicht herauskam. „Wie lange lebst du schon hier?“, raspelte seine Stimme an ihrem Ohr als er seinen Kopf dichter zu ihr beugte. Nur einen Augenblick, bevor er sich umsah und seine Schritte nicht verlangsamte, obwohl er allen Grund dazu gehabt hätte. Er konnte sich nicht vorstellen, hier zu wohnen. Vermutlich war diese ganze Sauberkeit so ansteckend, dass er sich irgendwann einen Stock in den Allerwertesten stecken müsste, um hier zu bestehen. Die Vorstellung amüsierte ihn so sehr, dass er grinsen musste und Nuianna noch etwas höher hob.
Die Magierin drehte den Kopf, als er sie nach oben ruckte und betrachtete ihn einige Meter lang. „Da wo ich jetzt lebe? Zirka dreißig Jahre. Nicht sehr lang…“ Sie verschwieg, dass sie lange auf das Freiwerden dieser Wohneinheit gewartet hatte. Sie war privilegiert - die Lage - und von der Ausstattung schwieg sie lieber ganz. Ihre Fingerspitzen verirrten sich vollkommen beiläufig in seinen Nacken und der Blick rutschte dorthin ab, als die Finger vollends in sein Haar eintauchten. Was auch immer sie dort zwirbelten oder sonst taten, das Gesicht richtete sich wieder kerzengerade aus.
„Wir müssen dort hinauf.“ Während die linke Hand nicht ausgestreckt sondern gemessen auf die große Freitreppe zum höchsten Turm der Stadt wies, beobachtete sie sein Profil verstohlen aus den Augenwinkeln.
Man konnte, auch ohne in Weissagung bewandert zu sein, an seiner Nasenspitze ansehen, dass ihn der Anblick der Stadt überwältigte. Wie ein Kind, das die ersten Geschenke von Winterhauch auspackte, so blickte er sich verstohlen um (immerhin hatte er eine Aufgabe) und konnte sich doch nicht sattsehen an all den Farben, den glänzenden Ziegeln der Dächer, den farbenfrohen Roben und Auslagen. An all der Pracht , die ihm noch nie im Leben so begegnet war. Von der prachtvollen Magierin in seinen Armen mal abgesehen. Er wollte sich nicht anmerken lassen, dass die Vorfreude in ihm kribbelte, als sie auf den höchsten Turm deutete, aber das Lächeln auf seinen Lippen zeigte es ansatzweise. „Ganz oben?“, fragte Serathis und nahm die erste Stufe mit Leichtigkeit. Er war ein Kind der Sonne. Eine Stadt voll Magie konnte ihn nur verzaubern.
„Zumindest würde es nichts bringen, mitten auf der Treppe vor der Türe stehen zu bleiben“, bemerkte sie beiläufig und starr geradeaus und zog federleichte Senkrechten über seine Wirbelsäule, versteckt unter seinem Haar, das sich wie flüssiges Feuer über ihren Unterarm wellte. Zehn Zentimeter. Ab und auf, in hastlosem Wechsel.
Der helle Stein der Treppenstufen war aus festem Kalk gehauen. Verwitterung und Einschlüsse verschönerten nur die wolkige, cremefarbene Glätte, deren matte Politur edler wirkte als obszön spiegelnder, eiskühl glänzender Marmor. Dieser Stein war warm in Haptik und Beschaffenheit. Er musste sich seidenweich anfühlen. Ebenso wie der Zopf, der an seinem Unterarm entlang schwenkte, bei jedem erklimmenden Schritt. Hin und her.
„Aber nein“, unterbrach sie das Empfinden von Haut und Haar. „Nicht ganz oben. Ein paar Treppen sind es dennoch im Inneren“, fügte sie warnend hinzu - als ob es einen Grund zur Sorge gegeben hätte, sein Überschwang könne sich vorzeitig erschöpfen. Pah!
Tal Bachmann - She’s so high
https://www.youtube.com/watch?v=_ElORM9O-0U