[ Richtungswechsel ]
Sie nickte, und atmete tief durch. Noch mehr von dem beißenden Gestank erfüllte ihre Nase, Kälte und Tod, das hatten sie hier gefunden. „Nur eine Kleinigkeit“, sagte sie und meinte die Ohrspitze, die sie durch seine Gleve verloren hatte, ohne die anderen Wunden zu spüren, die sie sich eingebracht hatte. Das Pochen in ihrem Ohr dröhnte, aber für Schmerzen saß Schock und Aufregung zu tief. Ihr Blick glitt an ihm hinab, die Kratzer auf seiner Haut, die sich mit Blut gefüllt hatten, waren das eine, aber die Fleischwunde auf seinem Rumpf sah wüst aus und blutete immer noch. „Nether…warte…ich hole Wasser“, sagte sie und berührte seinen Arm, strich darüber bevor sie zu ihm aufsah. „Wir müssen uns erst darum kümmern.“ Und dann sprach sie aus, was beide wussten.
„Dann müssen wir hier weg.“
Wie auch immer sie es machte, sie funktionierte. War Sasarya sonst mit einigen Dingen überfordert, Gefühle an vorderster Front, sorgte der Schock und das Adrenalin, aber auch die erlebte Routine dafür, dass sie in diesen Momenten den Kopf behielt. Sie blieb in seiner Nähe, sammelte die Pfeile wieder ein, die noch ein weiteres mal verwendbar schienen, und schob sie in den Köcher zurück. Sie würde sie reinigen müssen, aber es war besser so bewaffnet als unbewaffnet zu sein. Und die Geschäftigkeit in die sie verfiel, war ebenso notwendig für sie, um in Sicherheit zu gelangen. Funktionieren, das war es doch, was Soldaten im Angesicht ihrer Auslöschung machten. Sasarya wollte nicht daran denken, was aus Silbermond wurde, wenn die Geißel wieder aktiv war.
Schweigend kümmerte sie sich um seine Verletzung, die Handschuhe hatte sie von ihren Fingern gezerrt und kaltes, klares Wasser wusch Dreck und Überreste aus seiner Wunde bevor sie ihre Hand knapp über dem klaffenden Spalt in seiner Haut auf ebenjene legte. Sie wusste, wie er auf ihre Magie reagiert hatte, wenn sie ihn ihre Wahrnehmung spüren ließ, sie wusste auch wie es sich angefühlt hatte, als sie versuchte ihn zu heilen. Dieses mal hoffte sie, dass sein Körper sich nicht gegen ihre Magie wehren würde. Es war schneller, sauberer als den Schnitt zu nähen, es war die einzige logische Konsequenz. Sasarya schloss die Augen und dann spürte er, wie ihre heilende Naturmagie in seinen Körper sickerte. Wie sie sich mühte, die Wunde zu schließen. Die Bilder waren nicht fern, Sasarya spürte ihre eigenen Erinnerungen an Momente wie diese, an blutende, klaffende Wunden, die sie irgendwo allein hinter der Feindeslinie versorgte. An jede Narbe auf ihrem Körper, die geblieben war. Das verteidigend, was klein und fragil war, ihre Heimat, ihr Volk.
Er knurrte sie an und schob sie von sich weg. Keine unbedingte Geste der Vernunft, aber was war schon vernünftig, am Ende. Stattdessen stopfte er irgendeinen Lappen in das suppende Loch und zerrte einen Stoffstreifen darum fest. „Nicht“, fuhr er auf, als sie sich versuchte noch einmal zu nähern. Zu heftig und aufbrausend für seinen gewöhnlichen Tonfall ihr gegenüber. Das „Später.“ fügte er viel leiser an, obwohl es auch nicht nach einer Entschuldigung klang. Er hob die Gleve auf und hängte sich beide Waffen um. Es ging nicht langsamer als sonst, wohl aber wirkte die Bewegung steif und eckig und sein Gesichtsausdruck hätte einem Steinkeil alle Ehre gemacht.
Noch einmal versuchte sie es nicht, stattdessen verstaute sie ihre wenige Habe an ihrem Gürtel und ging stur neben ihm her, Bogen in der einen, zwei Pfeile in der anderen Hand. Unter ihren Stiefeln knirschte der Sand und als sie den Kreis, die Schneise verließen, die sie selbst gerissen hatten, legte sich gespenstische Stille über sie. Sie ging einfach, mechanisch und pragmatisch, mit festen Schritten obwohl ihr kalt war. So kalt, in der kargen Steppe, die Augen auf den Horizont gerichtet und die Sinne hellwach.
Er deutete auf den östlichen Horizont, der keine rechte rechte Farbe in seinem zunehmend heller werdenden Schleier aufweisen wollte. Die Sümpfe waren bereits gestern hinter ihnen zurückgelieben. „Lass uns einen Pfad durch die Hügel finden und am Wasser entlang gehen.“ Er hatte noch nie gehört, dass eine Rotte der Geissel dem Meer entstiegen war wie die Nymphen aus Märchen und Seemannsgarn. Das sagte er nicht, aber daran denken musste er schon. Auch daran, wie viele Monate es her war, dass er über den Karten der bekannten Welt gebrütet hatte, um Flüsse auswendig zu lernen und gleich wieder zu vergessen. Es war etwas anderes als mit dem Finger auf der Landkarte zu wandern, eine Gegend wirklich unter den Stiefeln zu haben. Und er fragte sich, ob ihn seine alten Kenntnisse nicht doch trogen. „Dort drüben, wo die Sonne aufgeht ist doch Durotar - oder?“
“Ja, dort ist Durotar”, hörte sie sich sagen, und die Vergangenheit, in der sie hier schon einmal gewesen war, schien viel ferner als noch vor dem Einfall der Geißel. Sie biss sich auf die Zunge, sparte Worte und Atem, und schob sich vor ihn. Seine Sicht im Dunkel, das sanfte Grün gegen das Grau in Grau der Nacht, nur Schemen ohne Signaturen. “Bleib einfach bei mir”, sagte sie und es klang wie vertrau mir. Aber auch wie ‘lass mich nicht allein’. Noch war keine Zeit dafür, zu verstehen und zu verarbeiten was passiert war.
Er löste die linke Hand, in die sich die Riemen geschnitten hatten mit einem leisen Zischen des Unmuts aus der Halterung, das den Schmerz, den er durchaus fühlte - er war ja immerhin kein Stein - übertönte, um Sasarya an sich zu drücken. Wenigstens ihren Kopf. Kurz zu halten. Still zu stehen für ein paar Atemzüge. Nicht zu lange. Nicht so lange, bis er begann, sich zu spüren. Beginnen würde. Nur noch einen. Er atmete aus.
Nur für diesen Moment ließ sie es geschehen, ruhte obwohl ihre Instinkte sie verleiten wollten, zu laufen, drückte ihren Kopf an den Illidari und schloss die Augen.
Nur eine Sekunde. Und noch eine. Sie löste sich noch bevor sie spürte wie Feuchtigkeit in ihren Augen aufstieg, und das Brennen ihrer Wunden zunahm.
Durotar war das Ziel, versprach Siedlungen, und ein wenig mehr Sicherheit.
Das, was sie neben sich selbst noch brauchten.
Katie Melua - Fields of Gold
https://www.youtube.com/watch?v=hPvFxbnPr1Q