- Havre, 9. Februar 2019
Wer Wind sät wird Sturm ernten
Im Haus ist es still. Die Stimmen im Schankraum sind verstummt und die letzte Zimmertür ist vor vielen Minuten zugeschlagen worden. Kein Aufruhr, keine Hektik - nichts erinnert mehr an das Schmierentheater, das sich früher in dieser Nacht im Etablissement abgespielt hat. Havre ist sich sicher, dass sogar der verschüttete Wein schon aufgewischt worden ist. Er selbst hat sich nach der Folter gewaschen, so gut es eben geht, sich dabei im Zimmer eingeschlossen und das Wasser benutzt, das er eigentlich für seine Mixturen in einer Flasche auf dem Tisch aufbewahrt. Jeder seiner Handgriffe ist ruhig, bedacht. Mit der Geduld einer Spinne, die die letzte Lücke in ihrem Netz ausfüllt und auf unvorsichtige Beute wartet, arbeitet er an seinem Platz hinter dem Bett. Tropfen für Tropfen kristallklarer Flüssigkeit. Eine winzig kleine Menge violetten Pulvers. Ein hauchzartes Rührstäbchen, das sich geräuschlos in dem Fläschchen dreht. Zuletzt ein Korken, der langsam in die Öffnung gedrückt wird. Die grünen Augen ruhen auf dem Gefäß, seiner letzten Mixtur, die er jemals für die Ölkanne herstellen wird. Ein Abschiedsgeschenk.
Er lässt es auf dem Tisch stehen, wäscht die gebrauchten Werkzeuge mit dem verbliebenen Wasser ab und sortiert sie in seine Tasche zurück. Der Blick wandert aus dem Fenster, hinaus auf die offene See, die im silbrigen Mondlicht glitzert. Erstaunlich, wie ruhig er ist. Das Mittel, das er vor einigen Stunden eingenommen hatte um seine Nervosität ob des lauernden Waldläufers zu schmälern, wirkt schon lange nicht mehr. Und doch zittert er nicht. Kein Zweifel. Keine Unsicherheit. Rezzi muss sterben. Ein Jammer nur, dass er nicht früher zu dieser Erkenntnis gelangt ist. Auf sein Bauchgefühl war schon immer Verlass gewesen, und ausgerechnet an jenem Tag, als sie ihm das Jobangebot unterbreitet hatte, hat er nicht darauf gehört. Und zu was hat es geführt? Er schnalzt einmal mit der Zunge, wirft sich die Tasche über die Schulter und lässt einen letzten Blick durchs Zimmer schweifen. Seine Aufzeichnungen hat er eingesteckt. Die Ölkanne soll nicht mehr von seiner Arbeit profitieren, egal was sich hieraus ergibt. Nur das Gläschen mit der vorbereiteten Mixtur lässt er stehen, wo es ist - gut sichtbar auf dem Tisch. Sie sollen es finden.
Still wendet er sich ab, schließt die Türe auf und streckt den Kopf in den Flur. Keiner da. Und unten ist es noch immer still, keine Stimmen, keine Schritte. Er huscht nach draußen, verriegelt die Tür hinter sich und steuert den Schankraum an. Auf der Brücke bleibt er kurz stehen, späht und lauscht nach unten. Wie immer brennt in der Küche noch irgendwo eine Kerze, aber die Angestellten sind längst im Bett. Die Gäste sowieso. Lautlos steigt er nach unten, verschwindet hinter dem Tresen. Er kennt die Zutaten für Rezzis sogenanntes Spaßbier . Dunkles Starkbier, Beutebuchter Rum, Kaja’Cola Zitrone und Zitronensaft. Eine ekelerregende Mischung, aber was erwartet man von einem Goblin? Das Bier lässt er außen vor, hat keine Zeit und nicht genug Gift um sich eines der Fässer vorzunehmen. Rum und Cola hingegen werden in Flaschen gelagert. Er schnappt sich je eine von jeder Sorte, verschwindet in der Küche und schließt die Tür hinter sich. Drei Dinge gibt es, in denen Havre wirklich Talent hat. Weglaufen, Rechnen und Schätzen. Die letzten beiden kamen ihm schon immer gelegen, wenn er sich selbst oder anderen eine Dröhnung verpasst hat. Und auch im Umgang mit dem farb- und geruchlosen Kugelfischgift sind sie außerordentlich hilfreich. Die tödliche Dosis für einen ausgewachsenen Elfen liegt bei weniger als einem Krümel der tückischen Substanz. Für einen Goblin reicht schon die Hälfte. Und für einen kleinwüchsigen Goblin? Eine lächerlich geringe Menge.
Er lächelt matt. Die erste wirkliche Regung auf seinem Gesicht, seit er die sinnlose Folter hinter sich hat. Und dann öffnet er die Verschlüsse der Flaschen, fischt das Giftfläschchen aus seiner Hosentasche und kratzt mit dem Rührstäbchen eine ordentliche Menge in beide Getränke hinein. Bei weitem genug, um auch einen der Orcs umzuhauen und sowohl Tauren als auch Oger eine Weile gelähmt außer Gefecht zu setzen, wenn sie sich einen Schluck gönnen. Es sollte ihm leid tun, gewiss. Aber während Havre die Flaschen wieder ordentlich schließt und zusieht wie sich die Substanz nach und nach in den Getränken auflöst denkt er nur daran, dass er noch keine Lust hat selbst den Löffel abzugeben. Bei dem ein oder anderen fände er schade, wenn es sie erwischt - aber das Risiko ist er gewillt in Kauf zu nehmen. Hauptsache das kleine Monster Rezzi stirbt. Und dann auch noch ironischerweise an dem Zeug, das sie für einen ihrer Geschäftspartner vorgesehen hatte. So gern er bleiben würde um ihr beim qualvollen Ersticken zuzusehen, Havre ist ein Feigling. Er wirft sich die Tasche wieder über, nimmt die Flasche Cola und Rum mit zurück zum Tresen und verstaut sie wieder, sortiert sie weiter hinten ein. Das Haus ist noch immer ruhig. Keinen kümmert es, wenn sich ein Angestellter mitten in der Nacht noch Reste aus der Küche holt. Die Eingangstür wird entsperrt und er huscht nach draußen, wählt nicht den offenen Pfad zum Steg, sondern drückt sich hinter den krumm und schief gebauten Holzhäusern entlang. Jetzt heißt es noch ein paar falsche Spuren legen. Vielleicht ist er dann auch endlich den Waldläufer los…
Und so ist Havre verschwunden, nachdem er kürzlich sinn- und grundlos gefoltert wurde. Er hinterlässt nur die mit tödlichem Gift versetzten Getränke und das verkorkte Fläschchen auf seinem Zimmer, eine bitter riechende Mixtur, deren Bestandteile selbst einen anderen Alchemisten vor ein Rätsel stellt. Der Elf weiss was er tut.
Fragt man in Beutebucht nach seinem Verbleib erhält man unterschiedliche Antworten. Beim Hafenkontor soll er kurz gewesen sein und erwähnt haben, er müsse per Teleporter nach Ratschet reisen um ein paar Besorgungen zu machen. Beim Teleporter wiederum sagen sie, er habe mit einem Mietwyvern nach Grom’gol fliegen wollen. Der Wyvernführer erzählt, er habe Havre dazu geraten das nächste Schiff nach Orgrimmar zu nehmen, als der von seinen Reiseplänen in die Hauptstadt geschwafelt hat. Und die Wachen beim Eingang der Hafenstadt sagen, er habe um Geleitschutz gebeten, um im Dschungel nachtblühende Pflanzen zu sammeln.
- Rezzi, 12. Februar 2019
Der Boss
Sie hatte es verbockt. Das wusste sie. Stunden um Stunden wartete sie in ihrer Bürowohnung. Vielleicht waren dies gar die letzten Stunden, die sie in diesen prachtvollen vier Wänden verbleiben durfte. Das einzige Zimmer der Ölkanne mit einem eigenen Kamin! Mit diesen Mosaikfenstern und ihrer erlesenen Gestaltung! Und das nur wegen eines blöden Spaßbiers. Ihres Spaßbiers. Das Gebräu hätte sie trinken sollen. Nicht dieser vermaledeite Blutelf, der Stunden später an der Dosis des Giftes verreckte. Ein qualvoller und langsamer Erstickungstod. Ganz wie sie es für diesen dämlichen Zwerg vorgesehen hatte. Sie drehte sich im Bett und starrte geradewegs die hölzerne Decke an. Havre. Ihre Gedanken waren von diesem Namen besessen. Von seinem Träger, der ihr seit der Tat keine ruhige Minute ließ. Ihre Gedanken rasten, überschlugen sich - doch sie konnte sich einfach keine Ruhe gönnen. Zu groß war die Gefahr, dass noch weitere Produkte vergiftet waren. Zu groß war die Gefahr für einen weiteren Toten - aus ihren eigenen Reihen. Dies schmälerte aber den Tod des Kunden nicht. Und dann auch noch bei einem vollen Betriebstag. Röchelnd und keuchend hatte er auf sich aufmerksam gemacht, ehe ihm der Krug ihres selbst kredenzten Gebräus aus der Hand glitt und der Humpen laut auf dem Boden zerschellte, den Inhalt über die Dielen verteilte.
So ein verdammter Mist. Autark hatte sie sich gefühlt. Und doch lag sie hier, zitternd, wie ein unbedeutender, kleiner Wurm, der es nicht einmal Wert war, zerquetscht zu werden. Aber sie wusste, dass er auf dem Weg war. Er, dessen Name niemand kannte - wohlmöglich nicht einmal er selbst. Er, der immer direkt über alles Bescheid wusste, weil er sich mit seinem Gespür und der finanziellen Leichtigkeit, über die er verfügte, über die Jahre hinweg ein riesiges und beinahe schon undurchdringliches Netzwerk an Spionen aufgebaut hatte. Er, der sich nur selten selbst die Hände schmutzig machte und wirklich nur dann auf den Plan trat, wenn Dinge sehr schief aus dem Ruder gelaufen waren. Dinge wie der Tod eines Kunden, das wusste sie. Und sie betete, dass er nur seinen Henker schickte und nicht selbst kam. Er, der Boss.
Der Boss. Ein älterer, grimmiger Goblin, von dem alle sagten, seine Augen seien so rot wie die Glut, die Todesschwinge vor etlichen Jahren zur Zeit des Kataklysmus aus seinem Mund spie. Er trug die teuersten Anzüge Azeroths, die maßgeschneiderter nicht sein, deren Manschettenknöpfe nicht goldener und deren Perfektion nicht perfekter sein konnte. Der Boss. Ein Goblin, der seinem Namen in nichts nachstand. Böse Zungen munkelten, dass er durch den Handelsprinzen Dampfdruck, dem reichsten Goblin Azeroths, eine Unmenge an Gold durch eine List verlor und somit selbst die Chance, selbst einmal ein Handelsprinz zu werden. Die größte Ehre in der Goblinzivilisation. Nein. Keine Ehre. Luxus. Rezzi hatte den Boss schon ein paar Mal gesehen. Das erste Mal, als sie Model stand, für seinen liebsten Maler, Lando Leuchtschraube, in Gadgetzan. Und Gerüchten zufolge, war er so angetan von dem Bild, dass er gleich zwei Stück davon orderte. Sie fühlte sich damals geschmeichelt. Nun hoffte sie, dass er sie nicht selbst aus dem Verkehr zog für ihren Fehler. Dabei wollte sie diesem Elfen doch nur eine Lektion erteilen! Havre. Er, der sie töten wollte.
Es war ruhig in der Ölkanne. Vermutlich würde sie heute endlich eine ruhige Nacht haben. Endlich, nach all dem Stress, den Mordversuchen und dem Chaos der letzten Wochen. Nur selten hatte sie wirklich ein Auge zutun können. Aber heute, das spürte sie, heute Nacht war es anders. Und sie war in der Tat müde. Ein wenig Schlaf würde ihr gut tun. Ihre Augen wurden schwer und sie glitt mit dem Kopf zurück in das weiche Ebenenschreiterfederkissen. Kaum war sie dabei zu entspannen, klopfte es plötzlich markant an der schwarzen Eschenholztür. Das war doch ein schlechter Scherz… Inmitten in der Nacht, jetzt, als sie endlich Ruhe findet? Sicherlich war das Nathanjael, der nach einer Woche Abstinenz seinen Weg nachhause fand. Ihm konnte sie nicht böse sein. Nur die Zeit… die Zeit. Sie schwang sich leise meckernd aus dem Bett und suchte nach ihren Yakfell-Pantoffeln. Niemals würde sie mit bloßen Füßen den Dielenboden berühren! In der Nacht war ihr immer verflucht kalt und ein Feuer im Kamin prasselte gerade schließlich nicht. Nur die unangenehme Dunkelheit umhüllte sie, wie eine kalte, verräterische Aura. Sie tapste an die Tür.
„Ich komme ja schon…“, murmelte sie klagend, als sie sich den Schlaf aus den Augen rieb und nach der Klinke griff. Die Tür schwang auf und auch dahinter war nur die gähnende Schwärze präsent. Sie runzelte die Stirn. Es hatte doch jemand geklopft? War sie wahnsinnig geworden? Sie versuchte, den Kopf nach draußen zu stecken und knallte schmerzhaft mit etwas warmen, mittelweichen zusammen. „Das kitzeln“, *begrüßte sie eine tiefe, brummige Stimme, die der eines Ogers glich. Und im nächsten Augenblick erkannte sie, warum sie dahinter nichts wahrnehmen konnte – Der Türrahmen war gänzlich vom Oger eingenommen. Schlimmer noch, er ragte noch darüber hinaus. Und dieser Oger versuchte sich gerade, in ihr Büro zu quetschen. „Hey!“, stieß sie aus und wich zurück, „Was soll das denn?!“ *Doch es half nichts. Der Oger hatte sich bereits hindurchgezwängt und stellte sich brav neben der Tür als lebendiger, unbeweglicher Schrank ab, als eine schlaksige, deutlich kleinere Gestalt mit einem weiten Hut erschien, die in aller Seelenruhe an einer Zigarre paffte und das Zimmer betrat. „Aber, aber, Miss Jelin Gozzlevex. Begrüßt man denn so einen alten Vertragspartner?“ ,ertönte die süffisante Stimme des Goblins, der sich an ihr vorbeischob und sich prüfend in der Dunkelheit im Zimmer umsah, „Ja… ich denke das wird es für diese Nacht tun."
„Was zum…Wer bei Gallywix‘ verflucht vielem Zaster bist du?“, keifte sie ihn an, als sie sich breitbeinig vor ihm aufbaute und ihn aus verengten Augen betrachtete, „Das ist das Zimmer der Geschäftsleitung! Mein Zimmer!“ „Ab heute ist es das nicht mehr.“ Sie hielt inne und runzelte die Stirn. „Und wer bitte bist du, dass du es wagst, mit deiner Halben Portion da hinten hier hereinzuplatzen und mich bei meinem Schönheitsschlaf zu stören?“, sagte sie, als sie die Hände vor der Brust verschränkte und wartete. Der Goblin lachte auf. Das Lachen klang alt und rau. Verbraucht und beinahe monoton. Als er sich fing, breitete sich ein gehässiges Goblingrinsen auf seinen Lippen aus, und mit der Zigarre noch im Mund, tippte er sich an die Hutkrempe, um den Blick auf sein Gesicht freizugeben. Glutrote, angriffslustige Augen funkelten sie an. Sie trat gelähmt einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf. Sie versuchte noch ihren Gedankengang zu Ende zu führen, als er schon die Stimme erhob. „Ich bin Jasper Bumm. Der Name einer meiner vielen Alter Egos und der Name, den ich für mein Ankündigungsschreiben benutzte. Ich bin der Boss. Und, Miss Jelin Gozzlevex, ich verkünde, dass Sie in ernsten Schwierigkeiten stecken. Brogak. Sei doch so gut und schließ die Tür hinter dir. Ich will doch die ganze Belegschaft hier nicht aufwecken, bei dem Spaß, denn ich gleich mit Miss Gozzlevex haben werde.“
In der Nacht dürfte der eine oder andere Bewohner der Ölkanne hin und wieder gedämpfte Schreie und das eine oder andere wehleidige Schluchzen vernehmen, welche wohl aus Rezzis Büro stammen. Vor ihrer Tür ist ein unbekannter, in einem riesigen, maßgeschneiderten Anzug steckender, beleibter und bullig aussehender Oger zu sehen, der wohl Wache hält. Man sollte ihm besser nicht zu nahe kommen.