Oribos
Im Lager der Schleieroffensive, in der Hauptstadt der Schattenlande, scheint der ergraute Mann wohl neben seiner Ausrüstung auf dem Boden zu sitzen. Die Rüstung abgelegt, versucht man irgendwie zu entspannen. Nachdenklich ruht der Blick des Narbengesichts auf dem bläulichen Feuer auf etwas, was er als eine Art „Kamin“ zuordnen würde. Die eisblauen Iriden wenden den Blick vom Feuer und richten sich nun auf die schlafende Kommandantin. Ein sorgenvoller, gar schon väterlicher Blick wirft Darius der auf dem Stuhl schlafenden Alyssera zu und deckt diese ordentlich zu. Abstrus, wenn man bedenkt, dass die Elfe Jahrhunderte älter ist als der ergraute Mensch. So ruht er sitzend, nicht allzu weit von ihr entfernt, mit sämtlichen Verbänden, Salben, Kräutern und Tränken in Griffreichweite für den Fall der Fälle. Erneut schüttelt Darius sein Haupt. Es wird schon nichts passieren. Das waren nur ein paar blaue Flecken. Mit diesem Gedanken atmet er noch ein weiteres Mal durch. Die Pfeife wird aus dem Gürtel genommen und mit Tabak befüllt. Auch ohne zu brennen, umspielt das intensive Kirscharoma seine Nase. So schnappt er sich seine Schreibfeder, sein Tintenfässchen und ein Buch aus seinem Rucksack ehe er etwas auf Abstand geht und sich in Ruhe niederlässt. Der Tabak wird angezündet und eins, zwei kräftige Züge genommen, damit die Glut sich auf den restlichen Tabak überträgt. Schon bald hüllt das starke Kirscharoma seine Umgebung. Das Buch wirkt gepflegt, wenn auch man schon sehen kann, dass es in die Tage gekommen ist. Es wird eine neue Seite aufgeschlagen, das Tintenfässchen geöffnet und die Schreibfeder in jene eingetaucht. Nachdenklich vergehen einige Momente, ehe Darius zu schreiben beginnt:
„Ich weiß nicht, wie ich dieses Mal beginnen soll. Unsere Mission im Ardenwald ist gescheitert. Zwar haben wir, dank der Wilden Jagd, keine Verluste erlitten, jedoch kann von einem Sieg nicht die Rede sein. Dunkle Loa sind erwacht, um den Feind zu dienen und der Troll, den wir retten wollten, ist tot. Viel mehr Sorgen bereitet mir jedoch die Art wie er starb und die Tatsache, dass dies dazu gedient hat, ein uraltes Übel zu erwecken, dessen Diener, mit seiner Macht, meine Heimat belagerten und terrorisierten. Hakkar. Allein den Namen auszusprechen – oder in dem Falle zu schreiben – fühlt sich wie ein Fluch an. Eine recht paradoxe Situation, wenn man bedenkt, dass das Ziel des Trolls war, den Loa zu töten und er letztlich als zu seiner Erweckung geopfert wurde. Nun ist der Seelenschinder wiedererwacht und, beim Licht, ich sorge mich um Sturmwind, auch wenn die Gurubashi wohl mittlerweile mehr ein Schatten ihrer selbst sein dürften. Es erzürnt mich sehr, dass wir dieses Vorhaben nicht vereiteln konnten. Viel mehr muss ich darauf achten, mich selbst zu beherrschen. Die Gurubashi und ihr Gott… Das geht mir sehr nahe, fast schon zu nahe. Ich glaube, das Licht stellt mir eine Prüfung. Spätestens als sich herausgestellt hat, dass der gefallene Kamerad ebenfalls aus dem Schlingendorntal kam. Das wiegt schwer, auch wenn der Gurubashi-Krieg schon lange her ist.“
Kurz blickt Darius in die Ferne des Raumes. Ein prüfender Blick auf die schlafende Alyssera, als erneut ein Zug von der Pfeife genommen wird. Die Augen geschlossen, wird der Geschmack des aromatischen Tabaks genossen, ehe der Rauch aus der Nase hinausgleitet. So widmet er sich wieder dem Text.
„Nun, es ist Vergangenheit und alte Wunden sollte man nicht aufreißen. Ich hoffe nur, dass meine Vorväter nicht allzu schlecht von mir denken, weil ich nun mit Trollen zusammen kämpfe, statt gegen sie. Aber dies ist nun einmal der Lauf der Dinge. Gut, dass meine Rasse so vielseitig und anpassungsfähig ist. Zumal ich zugeben muss, dass ich die sprechende Tikimaske recht sympathisch fand. Ich hoffe nur, dass Aly das hier nicht liest, sonst dreht sie wieder durch. Auch wenn ich nicht daran zweifle, dass der ‚Loa der Gräber‘ – wie er sich nannte – weniger als einen halben Gedanken benötigen würde, um uns auszulöschen, muss ich sagen, dass er auf mich von seinem Verhalten weniger wie ein Gott gewirkt hat, so wie man sich eigentlich einen Gott verstellen würde. Sarkasmus und Ironie scheinen einen großen Teil von ihm auszumachen. Auf der einen Seite stimmt es damit nicht überein, wie man sich eine Gottheit vorstellt. Auf der anderen Seite muss ich zugeben, dass ihn diese Art jedoch auch ‚näher‘ zu seinen Anhängern wirken lässt. Aber wer bin ich schon, dies beurteilen zu können? Dies ist lediglich mein persönlicher Eindruck.“
Erneut ruht der Blick prüfend auf den elfischen Paladin und Darius seufzt aus, ehe weitergeschrieben wird.
„Doch wo wir schon beim Tod sind, im Gegensatz zu ihr oder den anderen Elfen ist meine Zeit begrenzt und viel bleibt davon nicht mehr übrig. Ich frage mich, ob ich als Seele einfach neben meinem Körper auftauche, wenn ich hier sterben sollte. Die Priester und Paladine sprachen stets davon, dass wir nach dem Tode ins Licht übergehen. Bisher habe ich davon hier nicht viel gesehen. Eher ist das Gegenteil der Fall. Viele Bewohner der Schattenlande – allen voran diese sogenannten ‚Venthyr‘ – scheinen nicht gut auf das Heilige Licht zu sprechen zu sein. Lagen unsere spirituellen Führer vielleicht etwa falsch? Das Licht hat schon so vieles bekämpft und uns vor so vielem bewahrt. Warum nur wird dann hier so distanziert, gar ablehnend darauf reagiert?“
Erneut ruhen die eisblauen Iriden des ergrauten Narbengesichts auf der schlafenden Elfe und die Mundwinkel werden leicht gehoben. So wird leicht das Haupt geschüttelt und man nimmt einen weiteren Zug von der Pfeife. Es wird weitergeschrieben.
„Nein, ich darf nicht verzweifeln. Selbst hier, selbst nach all dem ist sie noch immer Eins mit dem Licht. Und solange sie das ist, ist es an mir die Hoffnung zu bewahren. Ich vertraue ihr blind, wie auch sie mir blind vertraut. Ich wäre nur gerne etwas nützlicher für die Offensive, denn im Gegensatz zum Rest, bin ich nur ein einfacher Krieger. Ein alter Krieger, dem das Schlachtfeld bisher den Tod verwehrte oder das Glück hatte, einen Heiler in der Nähe zu haben. Nichtsdestotrotz gebe ich mein Bestes. Allerdings glaube ich, dass die Verzauberungen auf meinem Schwert und Schild nicht wirklich etwas bringen. Vielleicht sollte ich einmal den Illidari bei Zeiten darauf ansprechen. Ich habe nämlich das Gefühl, dass man mich übers Ohr gehauen hat…“
So verschließt Darius das Tintenfässchen und lässt die Tinte auf den Seiten trocknen, ehe das Buch wieder geschlossen und jenes mit den Schreibutensilien wieder in den Rucksack gesteckt wird. Es wird der letzte Zug aus der Pfeife genommen, ehe man den aufgebrauchten Tabak aus dem Rauchwerk klopft und jenen wieder am Gurt heftet. Anschließend nimmt der alte Mann sein Werkzeug mit und begibt sich in die Richtung der Schmiede, wo er wieder die nächsten Stunden verbringen wird.