In der Nacht vom ersten auf den zweiten Tag des Rates der Nebel wachte Jonathan Pique über die Unterkünfte seiner Ordenskammeraden. Schlaflose Nächte waren ihm schon lange nicht mehr fremd, doch verbrachte er die stillen Stunden meist in tiefer Meditation, die den Verlassenen so manches Mal an die süße Umarmung des Schlafes erinnerten.
Dieses Mal jedoch wanderte er auf und ab, steinernen Pfaden durch die Gärten des Tempels der Jadeschlange folgend, über Brücken und entlang der Teiche, die innerhalb der mächtigen Mauern angelegt wurden, um den hiesigen Gelehrten, Magiern und Mönchen ein angenehmes Lernumfeld zu bieten. Immerzu hatte er das kleine Gebäude im Blick, indem seine Schützlinge untergebracht waren.
Zwar fürchtete er keinen Angriff auf heiligem Boden wie diesem, doch waren dies seltsame Zeiten, wie die heutigen Verhandlungen gezeigt hatten.
Der Orden des Feuers war früh angekommen, den Weg durch das Arboretum einschlagend. Kurz nachdem sie den Seiteneingang passiert hatten, wurden sie von den Shado-Pan in Empfang genommen. Zwar hatten Sie sie am Haupteingang erwartet, doch zeigten sie sich respektvoll und zuvorkommend. Selbst als sie die Abgabe jeglicher Bewaffnung forderten. Und als man ihnen ihre Quartiere zugeteilt hatte sollte es nicht lange dauern, dass das Treffen begann.
Bereits zuvor, als sie vor den mächtigen Toren des inneren Sanktums auf Einlass warteten, war Pique aufgefallen, dass ihm keine Vertreter der Tushui unter den angereisten Gästen auffielen. Er hatte bereits spekuliert, dass sie sich wohl bedeckt hielten, doch zu welchem Zweck?
Angekommen im Raum der Verhandlungen setzte man sich entsprechend seiner Affiliationen, mit Vertretern der Allianz zur Linken des Sprechers, jener der Horde zur Rechten und Neutralen Gästen frontal. Erneut füllten sich die neutralen Plätze etwa zur Hälfte auf, während der Orden des Feuers von Senlin auf die rechte Seite des Raums geführt wurde. Zu ihnen gesellten sich eine Handvoll Pandaren und Mönche, die dem Verlassenen teils bekannt waren, wie die blinde Zhuan Xu oder Itaska Dämmerhorn von den Hochbergtauren. Ihnen gegenüber saß bis auf einige unscheinbare Pandaren niemand von Präsenz. Noch nicht zumindest…
Jener Sprecher stellte sich als Schwarzwache Shinkori heraus, einer der Shado-Pan, der sie zuvor begrüßt hatte. In großem Detail erzählte er ihnen von jener Zeit, als die Wassersprecher der Jinyu dem Kaiser von Pandaria mit einer Vision der Zukunft segneten. Einer Vision, die den Brunnen der Ewigkeit zeigte, die Invasion der Brennenden Legion und dem Zerfall der Alten Welt. Laisan Shinokori führte fort, dass die Wassersprecher erneut eine Vision hatten. Eine, die ähnlich wie jene vor tausenden von Jahren, von einer Bedrohung handelt, die alles Leben auf Azeroth bedrohte. Ohnoho nennen sie ihn, den großen Schatten. Die Jinyu fürchten ihn wie den Tod selbst, doch jagen ihn einige ihres Volkes durch die Tiefe - und haben ihn laut der Vision wohl gefunden.
Magier der Shado-Pan visualisierten die Eindrücke für die Anwesenden als Illusionen. Pique erinnerte sich an die Predigten des Kults der Vergessenen Schatten, die ebenso einen der Alten in den Tiefen vermuteten.
Die Schwarzwache sprach weiter, denn zeitgleich kreuzten die Flotten von Allianz und Horde meilenweit oberhalb auf den Wogen. Unter ihnen tat sich das Meer auf, als die Falle Azsharas zuschnappte. Die Ereignisse waren den Meisten bekannt, der Zusammenhang zu den Visionen der Jinyu noch nicht.
Schritte und Unruhe kündigten das verspätete Kommen einer großen Fraktion neutraler Pandaren und einiger Allianzvölker an. Mit mahlendem Gebiss stellte Pique fest, dass es sich um Worgen handelte, die die Gruppe begleitet hatten. Er kam nicht umher, sie darauf hinzuweisen, dass sie alle zu spät seien. Eine schlagkräftige Antwort blieb aus, als der sogenannte Orden des Windes ihre Plätze einnahm. Die Schwarzwache ging dazu über, die Erzählung schlicht zu wiederholen, waren sie verpflichtet auf dem gleichen Wissensstand zu sein. Jonathan nahm es ihm nicht übel, nutzte er die Zeit, die Neuankömmlinge zu mustern. Bunt gemischt waren sie, seinem Orden nicht unähnlich. Doch trotz ihrer mittigen Position war ihm bewusst, dass sie nicht zuletzt durch ihre Begleitung wohl eher der Allianz nahe standen, als seiner Fraktion. Hatte er seine Tushui doch gefunden…
Jedoch sollten sie nicht lange bleiben. Als Laisan in seiner erneuten Erklärung der Dinge geendet hatte und kaum zu weiteren Themen übergegangen war, begannen sich die ersten bereits wieder zu erheben. Eine Pandaren mit Stohhut erhob sich aus der Mitte ihrer Ordensbrüder, dankte den Shado-Pan für ihre Einladung und Erklärung der aktuellen Lage, proklamierend dass sie wüssten was zu tun sei und ihren Orden für das Kommende stärken müsste. Und so schnell wie sie gekommen waren, verschwand der fremde Orden auch wieder. Jonathan sah den Pandaren und Worgen hinterher, gar nicht erst versuchend, die zornigen Ausrufe seiner Schützlinge zu unterdrücken.
Es verblieb eine einzige Abgesandte des Ordens der Winde, die mit ihnen weitere Schritte besprach.
Schwarzwache Shinkori erklärte, dass Pandaria sich vorbereiten müsse. Die Schlussfolgerung, dass Königin Azshara einen zerstörerischen Verbündeten für einen anderen eingetauscht hatte, lag nahe. Zudem berichteten die Shado-Pan vom Ausbleiben der Mantis an der großen Mauer im Westen. Sie würden ihre Truppen im Herzen ihres Machtbereichs in der Schreckensöde zusammenziehen. Vorbereitend. Wartend. Auch hier vermutete der Rat kollektiv einen Zusammenhang, dienten die Mantis einst einem großen Übel nicht unähnlich jenem, dass unter den Wogen, unter Nazjatar lauert.
Der Shado-Pan kam zum Punkt: Jeder Orden, jeder Tempel, jede Institution auf Pandaria müsse beginnen, ihre Mitglieder auf den Kampf vorzubereiten. Die Truppen der Allianz und Horde, die in Azsharas Falle sitzen, können nicht mit Sicherheit dafür sorgen, dass die Naga-Königin gefällt wird. Wenn sie, wo sie sich nun gezeigt und womöglich ein Exempel an den Flotten statuiert hat, ihre Aufmerksamkeit auf die Kontinente wie Pandaria richtet…müssen die Orden Pandarias bereit sein.
Dieser “Rat der Nebel”, wie Shinkori ihn getauft hat, müsse sich aus Abgesandten jener zusammensetzen, um im Falle eines Angriffs agieren zu können. Oder gar einen Erstschlag gegen die Mantis wagen.
Jonathan Pique dachte nicht lange nach, Senlin Eispfote als Abgesandte des Ordens des Feuers vorzuschlagen. Er wusste, dass sie annehmen würde. Sie wollte sich als Meisterin beweisen, er würde ihr diese Möglichkeit geben.
Senlin würde viel lernen, wenn sie sich regelmäßig mit Verhandlungspartnern herumschlagen dürfte, die zu spät kommen und zu früh gehen. Tatsächlich stahl sich bei diesem Gedanken ein Schmunzeln unter die Stoffmaske des Verlassenen.
Pique kehrte zu den Schlafgemächern seines Ordens zurück, warf einen Blick durch die halboffene Schiebetür und zählte wie so oft, ob sich noch genauso viele Leiber unter den Decken hoben und senkten, wie zuvor.
Leise seufzend trat er dann an einen nahen Teich heran, in dem sich der sternenlose Nachthimmel spiegelte.
Ohnoho nannten ihn die Jinyu. Damals in Lordaeron hatten sie einen anderen Namen für den letzten Alten Gott…