Navarn erhebt sich etwas mühsam und schwerfällig, um vor die Feuer zu treten, um die alle geschart sind. Ein großer Sin’dorei, sogar ungewöhnlich groß für seine Rasse, mit steißlangem glutrotem Haar und einem ebenso gefärbten Vollbart. Ein halbes Ohr fehlt ihm, auch ein Auge ist erblindet und die schwarze Rüstung der Blutritter wirkt durchaus mitgenommen. Ein Kreuz wie der Kleiderschrank eines Fürsten und stämmige Beine wie die ältesten Eichen im Immersang. Ein alter Haudegen, mochte man meinen, nur noch zusammengehalten von seinem Waffengurt und dem Licht, an das er zutiefst glaubte. Die Stimme tief, fast dröhnend, als er zu sprechen beginnt, sich am Lichtkreis in Position bringt und seinen Schild vor sich auf den Boden stellt, um sich etwas darauf zu stützen.
„Ich bin Navarn Flammenschwur. Blutritter. Und meine Geschichte möchte ich einem Jungen widmen. Keinem dieser großen Männer, denen wir Paladine in unseren heiligen Hallen ebenso große Statuen erbaut haben. Nein … ihre Geschichte ist uns allen wohlbekannt. Meine gilt einem, den nur wenige kennen. Und der viel kleiner ist.“
Navarn dreht sich kurz seitlich zu einem anderen, deutlich jüngeren Blutelfen mit blondem Haar, der dort sitzt, wo auch er eben noch gesessen hat.
„Nun, heute ist er natürlich kein kleiner Junge mehr. Aber damals, vor so vielen Jahren, als wir uns kennenlernten … da war er noch einer. Ein aufstrebender kleiner Kerl, gerade ins Knappenalter hineingewachsen und etwa so groß wie das Schwert, das er für seinen damaligen Herrn ständig mit sich herumschleppte.“
Navarn hält eine Hand auf Hüfthöhe und zwinkert.
„Um es zu ölen, die Juwelen auf dem Griff und das edle Wappen auf der Parierstange auf Hochglanz zu polieren. Es schien sich damals alles für ihn um dieses Schwert zu drehen – weil sich auch für den edlen Mann, dem es gehörte, alles um dieses Schwert drehte. Ihr alle wisst, wie wichtig Symbole sind. Trügen wir sonst mit soviel Stolz unsere Wappenröcke und die Insignien darauf auf Brust und … in manchen Fällen wie dem meinem … auch Bauch vor uns her?“
Navarn sieht in die Runde der Versammelten, macht eine kleine Pause.
„Vermutlich nicht. Unser Wappen bedeutet für uns Zugehörigkeit, Bruderschaft. Auszeichnung. Leider gibt es jedoch auch solche, für die es etwas anderes bedeutet. Herrschaft. Macht. Und Anspruch auf Herrschaft und Macht. Durch Erbschaft oder Kauf, nicht durch Verdienst und Berufung. Und der Junge, von dem ich erzähle, ist genau an so einen geraten. Er war Offizier der Waldläufer – jedoch wohl mehr der Abstammung wegen ein gemachter als wirklich ein verdienter. Darum trug auch der kleine Arovin dieses Schwert viel öfter als der Mann, dem es gegeben worden war. Er liebte dieses Schwert und wie manch einer von uns auch in seinem Alter, träumte er davon, eines Tages selbst so eines zu besitzen und im Kampf zu führen. Der Moment, in dem das passieren sollte, kam jedoch viel eher, als es hätte sein sollen. Es war in jener Nacht, in der die Geißel ihr schrecklichstes Antlitz offenbarte und in unsere Länder einfiel, um sie zu verwüsten. Jene, die damals im Immersang oder auch in anderen Teilen Azeroths zu den Waffen gerufen wurden, wissen vielleicht noch, wie diese Nacht war. Wie sie sich anfühlte …“
Navarn hält inne, als die Erinnerungen zurückkehren.
"Trotz eines fast vollen Mondes und eines klaren Sternenhimmels war die Nacht dunkel. Es war, als hing ein seltsamer Schleier in der Luft, dicht und kalt, der das Licht der Gestirne verschluckte. Sie waren da und doch seltsam verhangen, ihr Funkeln nur trüb. Auch war es eigentlich eine laue Nacht, dennoch fröstelte man und die Herdfeuer wollten einfach nicht wärmen. Der Schrecken, der uns alle heimsuchen sollte, in einer Stunde … vielleicht auch schon in einer halben … kündigte sich durch diese Kälte an. Kroch die Beine hinauf, wie nebelwabernde Hände, die sich unter jedem Türschlitz hindurch wanden und nach dem griffen, was sie gerade fanden.
Navarns Stimme war nur noch zu einem Flüstern geworden, einem Hauch – doch nun holt der alte Blutritter tief Luft und lässt sie wieder voll und laut ertönen.
"„Sie kommen, sie kommen!“, rief jemand. Gehört von den Gerüchten, das etwas umging, das uns alle vernichten könnte, hatten wir. Aber hatten wir sie geglaubt? Vielleicht einige, aber nicht alle. Und ja, dann kamen sie. Aus Dunkelheit wurde Finsternis, aus Kälte wurde eisiger Frost. Stille legte sich auf die Wälder … bis der Sturm losbrach. Ein Flüstern zuerst, das Tappen und Schlurfen unzähliger widerwärtiger Knochenfüße, die unseren Boden besudelten. Dann das Schleifen gezogener Klingen in untoten Krallenhänden. Das Wummern von Keulen, die irgendwo am Wegesrand aufgelesen worden waren. Und das Brüllen aus verzerrten Kehlen, das uns den Tod ankündigen sollte. Wir erwiderten den Ruf zur Verteidigung: „Krieger, zu den Waffen! Schützen, spannt Eure Bögen! Ihr Magier, wirkt Eure Schilde!“
Navarns Stimme ist laut, dann erstirbt sie fast.
„Und dann … zum Schluss … „Ihr Priester, spendet Euren Segen für die Gefallenen. Wenn Ihr noch könnt.““
Navarn fügt diesen Satz leise und traurig an. Erst nach einer kleinen Pause richtet er sich wieder hoch auf.
„So viele Seelen hatte diese Nacht gekostet. So viele waren der Verzweiflung erlegen. Fast alle waren wir getötet worden. Die Schlacht war verloren. Der König … tot. Und jenes goldene Schwert, das man dem jungen Arovin anvertraut hatte? Was war damit geschehen? Lag es irgendwo begraben unter einem Haufen toter Körper? Lag es an der Seite seines Herrn, den man noch im Sattel sitzend unter seinem erschlagenen Pferd fand? Fernab des Schlachtfeldes … der Stadt Silbermond den Rücken zugewandt und offenbar auf der Flucht vor dem Feind? Nein … man sah es immer noch in Arovins Hand.“
Navarn deutet kurz auf den sitzenden Arovin.
„Hoch erhoben in der dünnen Hand an diesem dünnen Arm, der es kaum halten konnte. Der Helm, der ihm viel zu groß war, vom Kopf gerutscht und blondes Haar entblößend, das ebenso schimmerte in der Dunkelheit wie das Gold auf dem Griff jener Klinge, hielt er sein Schwert fest. Arovin war nicht geflohen wie sein Herr. Er versuchte viel mehr zu Fuß die kämpfende Armee einzuholen, deren Bestreben die Heimat zu schützen doch beinahe gänzlich zerschmettert war. Er lief dennoch unermüdlich weiter vorbei an denen, die ihn aus leblosen Augen ansahen zu seinen Füßen. Oder die ihm die Hinterköpfe zuwandten, gefallen bei dem Wunsch lieber zu entkommen und sich selbst zu retten, als wenigstens den Versuch zu unternehmen, jene zu beschützen, die in hinter den Mauern unserer Hauptstadt hilflos bangten.“
Navarn spricht etwas schneller, um das Rennen des Jungen darzustellen.
„Ja, einer war da eben noch, der das Wappen der Rechtschaffenheit hochhielt, obgleich es nicht einmal sein eigenes war. Es war dieser Junge, der die Kraft und die Hoffnung des Lichts fühlte. Die Berufung, die Pflicht, füreinander einzustehen - bis zuletzt. Das möchte ich für immer festhalten. Denn dieser Gedanke bestärkt mich in jedem Kampf, in den ich zog und in den ich vielleicht noch ziehen muss.“
Navarn hatte es bedächtig gesprochen, den Kopf dabei leicht gesenkt, den er nun wieder hebt. Er atmet sehr tief durch und nach einem Moment ist auf einmal ein kleines, väterliches Schmunzeln auf dem Gesicht des Elfen zu sehen.
„Als die Hörner in dieser Nacht das letzte Mal zum Sammeln vor dem Tor erschallten, sah ich Arovin über das Schlachtfeld stolpern. Asche im Gesicht, das Wams halb zerrissen. Ich packte diesen Dreikäsehoch am Arm und zog ihn zu mir in den Sattel auf mein Pferd, weil er kurz davor war, doch noch auf sein Hin-ter-teil zu fallen.“
Navarn sieht Arovin, der mittlerweile hochrot geworden ist, mit einem kurzen Zwinkern an. Die Stimme ruhig.
„In dieser Nacht fand ich den, der später mein Adept wurde und den ich dieser Tage mit Ehre und Stolz für den Orden der Blutritter ausgebildet habe. Der mir immer ein Freund war und eine Inspiration. Arovin ist heute jedoch leider immer noch nicht der Größte …“
Navarn lacht leise auf diesen Scherz hin, denn natürlich war Arovin sehr stattlich anzusehen und ziemlich hochgeschossen.
„Aber was ich sagen will ist ja auch, dass es darauf eben nicht ankommt. Sondern nur darauf, wie hell das Licht in uns brennt, unsere Zuversicht und unsere Hoffnung. Selbst in der finstersten Nacht, wenn alles verloren scheint und wir denken, wir sind allein. Wir sind es nicht. Einer unserer Brüder wird immer für uns aufstehen. Und oftmals dort, wo wir es am wenigsten erwarten würden.“
Navarn verneigt sich, das ihm das lange Haar nach vorn auf die Brust fällt. So verharrt er ehrfürchtig einige Augenblicke, bevor er sich wieder aufrichtet.
„Vielen Dank. Ich danke Euch für’s zuhören. Trinken wir nun einen. Auf den Mut der Verteidiger und die Tapferkeit der Gefallenen. Mögen wir sie niemals vergessen.“
Er nimmt den Schild vom Boden hoch und kehrt zu Arovin und seiner Begleitung zurück. Der einstige Knappe wirkt so verlegen, das man wohl meint, er müsse gleich im Boden versinken. Navarn legt ihm freundschaftlich und mit einem tiefen, warmen Lachen die Hand auf die Schulter. Und so denn man will, kann man für einige Augenblicke jenes Schwert an Arovins Seite hängen sehen …