»Es ist an der Zeit.« Ein Raunen aus einer heiseren Kehle, welche in den letzten vier Jahren nur spärlich Benutzung erfahren hatte. Die kahlköpfige Zauberwirkerin wusste instinktiv, was mit den Worten der schweigsamen Elfe gemeint war.
»Du wirst fortziehen.« Keine Frage, nur eine Aussage. Die Antwort darauf war ein bemessenes Nicken, denn die Gedanken des Gegenübers waren ohne Frage bereits auf ganz anderen Pfaden unterwegs. Die Frage nach dem ‘Wohin?‘ war allenfalls überflüssig. Es war – besonders für diese beiden, vergessenen und verstaubten Relikte der nachtelfischen Gesellschaft – nur eine kurze Zeit, in der sie das Vergnügen hatten. Gleichgesinnt wie sie jedoch waren, so wusste die Magierin doch genau, dass die Kriegerin dorthin ziehen würde, wo sie gebraucht werden würde.
Alaryth nahm sich zum ersten Mal nach all dieser Zeit, die Elfe noch einmal genau in mondgespiegelten Augenschein zu nehmen. Krater und Schluchten taten sich in dem Gesicht auf, begünstigt vom momentanen Licht- und Schattenspiel der dämmrigen Wälder – wahrlich ein schlachtengeformtes Mosaik aus tausend Bruchteilen, dem sie sich da gegenüber sah. Die Unterschiede zu zuvor waren jedoch klar wie diese unberührte Nacht: Verbissene Bitterkeit und anhaltende Melancholie sind ruhiger Ausgeglichenheit gewichen und wenn man genau hinsah, dann war da sogar der Glanz von Schalk, den man vorher vergeblich dort gesucht hatte. Vergraben zwischen Träumen von Trapezen und dem Wunsch nach eigener Wahl. Jetzt so präsent, wie es wahrscheinlich seit Jahrtausenden nicht mehr der Fall gewesen ist. Trotzdem war die Furche der Nachdenklichkeit, die sich stets über ihre Stirn zog, auch jetzt noch ein steter Begleiter.
»Mein Angebot bleibt bestehen.« raunte die Elfe mit belegter Stimme. Die Monde der Magierin übersahen daraufhin das weitläufige Gelände des magischen Sanktums und in ihnen spiegelte sich Sehnsucht wider – nach dem Nahen und dem Fernen. »Hier habe ich mein Handwerk gelernt, hier werde ich mein Handwerk weiter lehren.«
Ein resigniertes Heben und Senken der Brust war ihre Antwort; ein gewichtiger Atemzug der Kriegerin, der ihr Wehmut vermittelte. »Freiheit war dein Geschenk an mich. Lass mich wissen, wenn du bereit für deines bist.« Die Elfe sammelte ihr schlohweißes Haar mit wenigen Handgriffen und hinterließ einen gedrehten Knoten an ihrem Hinterkopf, von dem sich die ein oder andere Strähne bereits wieder verabschiedete.
»Hier.« Mit einem Schritt war sie zu Alaryth aufgeschlossen und griff vorsichtig nach ihrem Handgelenk, um etwas auf ihrer geöffneten Handfläche zu hinterlassen, bevor sie die Finger darum verschränkte. Holz, mutmaßte die Magierin, als das Material ihre Haut berührte. »Du weißt, wie du uns finden kannst.« Die Elfe schenkt ihr ein spärliches Lächeln – nicht gerade begünstigt von den wulstigen Narben, die sich da in ihre Wangen gefressen haben.
»Wir haben uns nie einander vorgestellt.« stellte die Zauberwirkerin fest, als die Elfe bereits im besten Begriff war, sich abzuwenden. »Mein Name ist Alaryth Laren’thyr-el.« korrigierte sie den Missstand der vergangenen Jahre im letzten Moment, begleitet von einem respektvollen Neigen des Hauptes. Es war ihr nie aufgefallen – und zu ihrer eigenen Belustigung war es auch fast nicht notwendig gewesen, denn beide wussten sich auch immer so zu verstehen. Für den flüchtigen Moment eines Lidschlags bemerkte sie das Zögern der Elfe, bevor jene in ehrfürchtiger Geste eine Hand auf ihrem Torso ablegte und sich leicht nach vorne beugte. »Ihr könnt mich Shendori nennen.« Die Stille danach war nicht von bedrückender, sondern besonnener Natur – begleitet von der Ahnung, dass sie sich alsbald wiedersehen würden, ob in Jahren oder Jahrhunderten spielte dabei lediglich eine untergeordnete Rolle.
Beide Elfen gingen von nun an wieder für unbestimmte Zeit getrennte Wege; denn als Alaryth noch einmal über die Schulter sah, da fand sie nicht mehr vor als die vagen Umrisse Shendoris, die sich dort in den hinabrieselnden, magischen Partikeln zeigten und nur von der kurzen Dauer eines Blinzelns waren. Jetzt erst entfaltete sie einen Finger nach dem anderen, um das Geschenk der Elfe zu offenbaren. Es war eine kunsthandwerklich Schneeflocke mit einer Nadel – eine dezente Brosche, aus heimischem Holz geschnitzt. »…dabei habe ich rein gar nichts für derlei Sentimentalitäten übrig.« stellte die Shen’dralar mit gekräuselter Nase fest und steckte sich das Schmuckstück dennoch an.