Weiche, dicke Schneeflocken segelten durch die abgenagten Baumkronen und bedeckten vollends den Waldboden. Über den Köpfen der drei Jäger krümmten sich die langen Äste unter der Last, der auf ihnen liegenden Schneeschicht. Nordorcs verstanden es hervorragend mit der Natur zu verschmelzen. Das Tarnen und der Angriff aus dem Hinterhalt, wurde ihnen von Geburt an in die Wiege gelegt. Sie befanden sich mehrere Tagesmärsche vom Clangebiet entfernt und waren nun schon seit zwei Sonnenaufgängen auf der Pirsch nach Fell und Fleisch. Mit leichten Jagdwaffen ausgerüstet und gehüllt in weiße Bärenfelle, bewegten sie sich leise und vorsichtig durch das Unterholz, was oft zu einer Geschicklichkeitsübung wurde, wenn bei jedem Schritt der Schnee unter ihren Füssen knirschte. Mehrmals befahl Narrgor, der älteste der drei, das Zeichen stehen zu bleiben und gab damit Arloc und Brogg zu verstehen, dass sie Ausschau halten sollten nach Spuren im Schnee. Jeder Abdruck und jede Unregelmäßigkeit konnte einen Hinweis auf die Beute geben. Immer wieder sogen die Drei tief die frische Luft ein und grunzten unzufrieden, als sie weder den Geruch von Wild noch essbare Wurzeln wahrnehmen konnten.
Das Waldgebiet, in dem sie sich befanden, wurde vom Donneraxt Clan als „Finsterwald“ bezeichnet. Ein Name, der nicht ohne Grund ausgewählt worden war, da nach Einbruch der Nacht solch eine Dunkelheit über das Waldgebiet sank, dass man annehmen konnte, die Elemente hätten diesen Landstrich verflucht.
Arloc fuhr sich mit dem Handrücken über das mit wuchtigen Hauern besetzte Maul und gähnte ausgiebig. Er freute sich wie jeder andere Nordorc, wenn er von der Schafseherin als einer von denjenigen aufgerufen wurde, um mit anderen Brüdern seines Clans auf die Jagd geschickt zu werden. Die Jagd, das Sha‘Prakh, war eine Jahrhundertalte Tradition, auf die sich besonders die jungen Nordorcs freuten, da es nicht nur Jagd und Kampf versprach, sondern auch das Ansehen unter den Clanbrüdern steigerte. Eine Willkommene Ehre, die mit der Zeit auch den sozialen Status innerhalb des Clans heben konnte.
Im Winter den Donneraxt Clan mit Nahrung zu versorgen war eine Lebenswichtige Aufgabe. Das Überleben vieler Familien war von dem Können und Jagdinstinkten der Jäger abhängig.
Das Wild zu jagen und es mit seinen Waffen zu erlegen, nährte den Krieger in Arloc, doch wie so viele seines Nordorc-Volkes, sehnte er sich vor allen nach einem würdigen Gegner. Nach einem Gegner der es verstand ebenfalls Waffen zu führen und sich mit mehr wehren konnte, als nur mit Klauen und scharfen Fängen.
Er umklammerte den hölzernen Speer und musterte die eiserne Spitze an dessen Ende. Mit welchem Genuss er es in das Fleisch eines anderen Feindes treiben würde. Aber das ewige warten auf ein verirrtes Tier im Wald, das man erlegen konnte, auf so einen mageren Ruhm könnte er wahrlich verzichten. Gedanken die seine Waffenbrüder sicherlich teilten, sie jedoch niemals aussprechen würden.
„Hört!“ mahnte Narrgor von der Seite und deutete den anderen, dass sie sich in den Schnee legen sollten. Brogg, der größte und massigste der Drei, musste sich besonders flach machen, damit er so gut unsichtbar wurde, wie es einem Nordorc seiner Statur nur möglich war. Auch Arloc folgte den Anordnungen des älteren Jägers und kroch auf dem Bauch zwischen den Bäumen zu einer sicheren Stelle, von der er einen Teil des Waldes überblicken konnte. Beim Aufblicken sah er einen Elch mit einem mächtigen Geweih zwischen dem Gestrüpp umhertraben. Das Tier hatte ihre Anwesenheit noch nicht bemerkt, aber es war nur eine Frage der Zeit bis die Nüstern des Elchs den Geruch der Nordorcs wahrnehmen würden. Eile war geboten und Arloc suchte sogleich den Blick von Narrgor, der ihm auch sofort ein stilles Zeichen gab. Die Jäger verteilten sich leisen und vorsichtigen Schrittes um das nichtsahnende Tier, und hielten ihre Waffen bereit. Auf einen Pfiff von Narrgor stürmte Brogg mit einer Axt in den Händen und einem Kampfschrei auf den Lippen, aus seinem Versteck heraus. Der Elch zuckte zusammen und sprang davon. Zum bedauern des Tieres, hatte es ausgerechnet in Arlocs Richtung zu flüchten versucht. Nur einen Augenblick später durchbohrte die Eisenspitze von Arlocs Speer den Hals der armen Kreatur und grub sich tief in das muskulöse Fleisch. Der Elch stürzte tödlich getroffen zu Boden. Sich ans Leben klammernd strampelte es im eigenen Blut, dass den Schnee rot färbte.
„Ein echter Nordorc werden!“ weiterlesen . . .
„Grom urr Grom!“ brüllten die Nordorcs in den Himmel und streckten ihre Waffen empor.
„Gut erwischt Arloc“, lobte Narrgor und klopfte dem Nordorc auf die Schulter.
„Genau so habe ich mir das vorgestellt.“
Der Hochgewachsene Brogg schultere seine Axt im Vorbeigehen und grinste ebenfalls in Arlocs Richtung. „Dabuh, nicht übel, aber das nächste Mal bin ich wieder dran. Aber ich will einen Bären erlegen. So ein schreckhaftes Tier wäre nichts für meine Axt. Ich brauch etwas, dass mir entgegenstürmt und nicht vor mir davonrennt.“
„Du meinst also wie die Makas im Dorf, oder?“, scherzte Arloc und stieß ihn an, „Soviel ich weiß, laufen die auch immer davon, wenn sie dich sehen.“
Brogg machte eine wegwerfende Geste mit beiden Armen und grunzte. „Lass mich bloß in Ruhe mit den Weibern!“
Während die zwei jüngeren Nordorcs sich gegenseitig neckten und mit Rempeleien herausforderten, beendete Narrgor mit einem sauberen Schnitt den Lebensfaden des röchelnden Tieres.
Die drei Jäger sprachen ein Dankesgebet an den ewigen Jäger und machten sich daran das Tier zu Häuten und das Fleisch aufzuteilen.
„Glaubt ihr wir haben genug?“, fragte Brogg die anderen.
Arloc überlegte kurz. „Wie viel haben wir jetzt?“
„Hmmm… vier Hasen… drei Füchse… zwei Vögel … und jetzt noch einen Elch.“
„Ich denke wir sollten noch ein bis zwei Tage bleiben. Bis auf den Elch hier, ist der Rest nur was für Welpen. Ein oder zwei Wildscheine wären nicht schlecht. Oder vielleicht sogar ein Bär“, meinte Arloc. „Dein Bär Brogg!“
Während Brogg nur zustimmend grunzte, merkte Arloc das Narrgor gar nichts dazu sagte. Der ältere Nordorc hatte einen nachdenklichen Gesichtsausdruck aufgesetzt, von dem Arloc wusste, dass es in seinem Verstand gerade drunter und drüber ging. Egal was seine Gedanken gerade so zu beschäftigen schien, der Ausdruck seiner Augen sprach von Besorgnis und weitentfernten Überlegungen.
„Was plagt dich alter Freund?“ fragte Arloc direkt. Manchmal konnten einfache Worte schon einem anderen einen Teil der Last abnehmen.
Narrgor schüttelte jedoch nur den Kopf und zuckte mit den Schultern. „Nub, es ist nichts. Ich überlege nur was für einen enttäuschenden Anblick wir abgeben würden, wenn die anderen Jäger bei der Rückkehr in das Dorf doppelt oder vielleicht dreifach so viel Fleisch vorweisen? Dann stehen wir mit unserer mageren Beute ziemlich dämlich da.“
Brogg nickte zustimmend während er das Geweih des toten Tieres abtrennte. „Hmm… da könntest du recht haben Narrgor. Wir sollten noch etwas länger bleiben. Bin nicht gerade erpicht darauf mir den Grimm der Scharfseherin zuzuziehen.“
„Ugue?“ frage Arloc grinsend. „Lieber ziehe ich mir Ugues Zorn zu als Awas. Beim Orgus, kaum zu glauben, dass die beiden Schwestern sind.“
„Wie meinst du das?“ wollte Brogg wissen.
Arloc grunzte und bemühte sich die Hände im Schnee zu reinigen. „Während Ugues Grimm eher natürlicher nordorcischer Natur ist, brodelt es oft in Awatankas Seele, wie in dem eines Berserkers. Nicht zu selten lässt sie ihrem Zorn freien Lauf. Ihre Stellung passt nicht zu ihr.“
„Als Friedenshäuptling?“
„Dabuh. Der Krieg steckt ihr im Blut. Sie ist für den Kampf geboren und ich kann mir denken, dass es ihr ziemlich stinken muss ständig den Frieden im Clan aufrecht zu erhalten. Zum Orgus auch, für die meisten Streitereien und Vorfälle ist sie sogar selber verantwortlich.“
„Ganz die Schwester des Häuptlings“, meinte Brogg grinsend.
„Dabuh, ganz die Schwester des Häuptlings“, bestätigte Arloc.
Narrgor verpackte das Fleisch in die Lederbeuteln und hievte es sich über die Schulter. „Redet nicht so viel ihr beiden. Reinigt das Fell und vergesst das Geweih nicht. Bei den Ahnen, ihr beiden seid ja noch schlimmer als meine eigene Maka.“
Alle drei grinsten einander an und machten sich sogleich auf den Weg zu ihrem Lagerplatz. Keiner der Drei wollte so tief im Wald fristen, wenn sich die Dunkelheit über die Baumkronen legte.
Während Brogg mit seiner Axt die Vorhut übernahm, nutze Arloc die Chance, um ein paar Worte mit Narrgor zu wechseln. „Ich weiß, dass du natürlich nicht willst, dass wir als das schlechteste Donner‘Rudel dastehen bei unserer Rückkehr, aber das ist nicht das einzige das dich beschäftigt, oder?“
Erst schien es als ob Narrgor seine Worte gar nicht gehört hätte. Er stampfte noch mehrere Herzschläge weiter, bevor er mit einem tiefen Luftzug seine Lungen füllte, als ob er zu einer langen Antwort ansetzte, dann aber doch nur ein schlichtes „Nub“, herausbrummte.
Arloc runzelte die Stirn und übte sich in Geduld.
„Und…?“, drängte er dann doch weiter. Doch der alte Jäger winkte nur ab und grunzte als wäre nichts.
„War nur ein Gedanke, nub weiter.“ Ohne weitere Erklärung eilte er Brogg hinterher. „Beeilen wir uns. Ich will im Lager sein, bevor uns die Nacht einholt.“
Arloc wusste nicht was er davon halten sollte. Alles was er tun konnte war stumm hinterher zu trotten.
Das provisorische Lager bestand aus drei, aus Holz und Leder zusammengebundenen Zelten und einer mit Steinen umringten Feuerstelle. Es befand sich inmitten von zwei großen Felsen, die gerade genug Schutz vor dem Wind boten, damit das Lagerfeuer nicht ausging. Es war weder strategisch gut noch taktisch klug ausgewählt worden, einer eher untypischen Vorgehensweise der Nordorcs. Doch für mehr bestand auch keine Notwendigkeit, wenn man auf der Jagd war, auf seinem eigenen Gebiet.
Wie das restliche Fleisch, hatten sie auch das vom Elch in den Schnee vergraben, damit es frisch bliebe.
Sie versammelten sich still um das Feuer und hielten Fleischstücke über den knisternden Flammen. Während Brogg sich einen der erlegten Füchse zwischen die Hauer schob, beobachtete Arloc die Körpersprache von Narrgor. Der ältere Nordorc hielt zwar ebenfalls einen Fleischbrocken über den Feuer, starrte jedoch Gedankenverloren zu den Bäumen rundherum. Er schien gar nicht zu bemerken, das Arloc ihn schon seit mehreren Minuten mit seinem Blick geradezu durchbohrte. Schließlich reichte es Arloc und er packte Narrgor am Handgelenk, um dessen Trancezustand endlich zu lösen.
„Bei allen Hämmern und Äxten unserer Ahnen Narrgor, was ist los mit dir?“
Der ältere Jäger blickte ihn grimmig an und riss sein Handgelenk frei. „Ich habe es mir überlegt“; sprach er in einem fast zu lethargischen Ton für einen Nordorc. „Wir brechen morgen auf und kehren ins Dorf zurück.“
Brogg sah ihn über das Feuer verwirrt an. „Morgen? Und was ist mit dem Fleisch? Wir sollten noch mehr besorgen. Ich weiß, dass ich zu viel fresse, daher sollten wir wirklich nicht mit so wenig zurückkehren.“
„Das stimmt“, meinte auch Arloc grinsend in Broggs Richtung. „Die anderen wären nicht erfreut darüber, dass wir schon nach so kurzer Zeit zurückkehren und das noch ohne einen triftigen Grund.“
Alle Drei blickten sich schweigend an.
„Oder doch…?“ wagte Arloc zu bemerkten und blickte seinem älteren Jagdbruder in die Augen. „Gibt es einen Grund Narrgor?“
Narrgor schwieg noch ein paar Augenblicke, bevor er dann endlich nickte. Zum ersten Mal seit dem alle am Feuer saßen, holte Narrgor sein Fleisch aus dem Flammen und biss desinteressiert ein Stück ab. „Der Wald hat Augen“, sagte er beiläufig. „Wir sind nub allein Brüder.“
“Was?“ knurrte Brogg. „Du meinst ein anderer Clan ist auch hier?“
„Das kann nicht sein“, meinte Arloc zweifelnd. „Die Lachende Schädel sind weiter im Osten und die Kriegshymnen jagen weiter im Süden. Beide Clans haben ihre eigenen Wälder und würden keinen Zwist mit uns riskieren. Nicht einmal bei so einem harten Winter, wie dem diesen.“
„Ich bin mir nub sicher“; entgegnete Narrgor und aß weiter als würden sie sich über das unwichtigste auf der Welt unterhalten. „Aber ich sage euch – wir sind nub allein! Ich merkte es als wir heute den Elch erlegt hatten und das Fleisch teilten. Jemand oder etwas hatte uns beobachtet. Und dann dieser Geruch… Habt ihr den Geruch bemerkt?“
Beide schüttelten den Kopf.
„Es roch nach Kot und feuchter Erde. Es war etwas schwer wahrzunehmen neben dem metallischen Geruch von Tierblut, aber es war da.“
Brogg hielt beim Kauen inne. „Du meinst es roch nach Scheíße? Na ja, vorhin als ich hinter den Bäumen war…“
„Was willst du uns damit sagen?“ unterbrach Arloc Broggs Ausführung über dessen Verdauungsprozess und rückte etwas näher an Narrgor heran.
Narrgor blickte die zwei abwechselnd an, während er fortfuhr. „Damals als der Häuptling noch ein junger Welpe war, beauftragte dessen Vater, der damalige Häuptling Dugghar, seinem Sohn Drago sich mit sechzig seiner besten Krieger im Norden einer einfallenden Übermacht zu stellen, welche die Grenzen unserer Heimat bedrohte. Ich war damals jung und voller Blutdurst. Etwas anderes als meine Axt irgendwo einzugraben konnte ich mir nicht vorstellen. Wir reisten nach Norden zu den Bergen. Damals herrschte dort ein Clan der sich Wargh Hall nannte und den Zugang über die Berge bewachte.“
„Der Wargh Hall Clan? Angeblich sind sie eines Tages einfach verschwunden“, bemerkte Arloc nachdenklich.
„Dabuh“, entgegnete Narrgor. „Wie von der Erde getilgt. Die Wargh Hall waren von Geburt an Kriegsgeweihte, ein Leben nur dem Kampf gewidmet. Man sagte das sie die direkten Nachfahren von Gruumsh waren, seine Töchter und Söhne im Atem und Blut.“
„Gegen wen habt ihr dort gekämpft?“
Narrgors Blick verlor sich in der Vergangenheit während er sprach. „Gegen einen Feind, der mich zum ersten Mal in meinem Leben das Fürchten lehrte. Wir dachten alle wir würden uns mit Ruhm überschütten. Orgus auch, es war ein Gemetzel!“
Brogg und Arloc glotzen den alten Jäger mit Ehrfurcht an und keiner der beiden wagte zu Atmen, wie aus Angst, sie könnten sie nur eine Unze der Geschichte durch diese kleine Ablenkung verpassen.
„Gegen wen habt ihr gekämpft?“ fragte Arloc abermals und umklammerte instinktiv seinen Fleischbrocken noch etwas fester, bis das Fett heraustropfte.
Narrgor richtete seinen Blick auf den jungen. „Oger. Sie leben in Erdhöhlen und stinken nach feuchter Erde und Scheíße! Und genau das habe ich vorhin gerochen. Und genau deshalb will ich von hier so schnell wie möglich verschwinden“
Wenn Arloc und Brogg noch in diesem Moment am Leben waren, dann war dies eine Tatsache die für einen Außenstehendem schwer zu erkennen war. Nach Narrgors Worten versteiften sich die beiden und glotzten regungslos in die Flammen, als ob ihr Verstand Zeit brauchen würde, um diese neue Information zu verarbeiten.
Oger waren seit Jahrhunderten nicht nur die verhassteste Rasse aller Orcs, sondern auch im Kampf äußerst harte Gegner. Von alten Erzählungen, der noch wenig verbliebenen Schamanen und den einigen älteren Nordorcs die den letzten Krieg überlebt hatten, waren Oger zähe und brutale Krieger, die weder Mitleid noch Erbarmen kannten. Nicht das man dasselbe nicht von den Orcs allgemein sagen könnte, jedoch folgten die Orcs so etwas wie einem Kriegerkodex und halten nicht viel davon andere Orcs zu fressen. Oger aßen alles was sie in die Hände kriegen und totschlagen konnten. Jahrhunderte lang waren viele der Orcclans den Ogerangriffen zum Opfer gefallen und nur selten gab es überlebende. Doch den Legenden nach wurden sie schon vor Jahrzehnten von hier vertrieben. Die jüngere Generation der Nordorcs kannten die Oger nur aus den Geschichten ihrer Großväter und überlieferten Ahnengeschichten die auf Steintafeln festgehalten wurden von orcischen Erzählern, deren Namen, genauso wie ihre Körper schon seit Jahrhunderten zu Staub zerfallen waren.
Arloc spürte wie verschiedene Gefühle seinen Körper durchfluteten. Neben der aufsteigenden Kampferregung, ergriff auch so etwas wie Furcht Besitz von seinem Herzen und kämpften um das Vorrecht. Seine Muskeln zuckten und sein Atem beschleunigte sich merklich, als ob etwas Unbekanntes, etwas in seinem Inneren tief Vergrabenes versuchen würde aus ihm auszubrechen.
Narrgor sah die Anspannung der jungen Orcs und mahnte sie zur Ruhe. Noch konnte keiner sagen, ob Narrgors Instinkt gerechtfertigt war. Aber selbst er konnte nicht bestreiten, dass es ihm in den Pranken juckte.
„Behaltet Ruhe und legt euch schlafen“, beschwichtigte er die beiden. „Ich übernehme die erste Wache.“
Schon bei den ersten Anzeichen von Tagesanbruch, stampften die drei Nordorcs durch den Schnee Richtung Heimatdorf. Nordorcs waren eine Kriegerrasse, zäh und ausdauernd, wie es üblich bei ihrem Volk war. Bei deren flotten Schritttempo, würden sie sich schon innerhalb eines halben Tages an den Feuern und Fellen ihres Dorfes wärmen können.
Während Arloc dieses Mal die Führung übernahm, bildete Narrgor die Nachhut mit einem stetigen Blick über der Schulter. Sie umgingen rasch dichtes Gestrüpp, durchwateten einen schmalen Fluss und hielten auf Anox Kralle zu, einem gigantischem, in den Himmel emporragendem Baum, der durch eine Laune der Natur mit seinen dicken Ästen die Form einer offenhaltenden Hand darstellte. Die Orc-Clans erzählten untereinander, dass der Baum nach einer Schamanin benannt wurde, die ihre Kräfte dazu genutzt hatte, die Macht der Erde für üble Zwecke auszunutzen. Die Erdgeister straften Anox damit, dass sie die Schamanin in das Erdreich hinabzogen, um die Oberfläche von ihren finsteren Mächten zu befreien. Aus Verzweiflung und einem letzten Versuch nach Rettung, soll Anox ihre Hand nach der Oberfläche ausgestreckt haben - man möge ihr vergeben. Eine Bitte der jedoch weder die Ahnen noch die Elemente nachgekommen waren. Und so thronte der skurril aussehende Baum einsam auf einer kleinen Lichtung, dessen Erde wie der Baum selbst, zu jeder Jahreszeit fruchtlos und kahl blieb.
„Anox Kralle Brüder! Jetzt immer weiter, bis die Sonne wieder untergeht!“ rief Brogg den anderen zu.
Narrgor drehte leicht den Kopf als ob er etwas erwidern wolle, hielt dann jedoch inne und deutete mit dem ausgestreckten Arm zwischen die Bäume rechts von der Gruppe. „Seht dort! Zum Orgus, ich hab’s gewusst!“
Sowohl Brogg als auch Arloc folgten Narrgors Blick. Im Unterholz, zwischen den wilden Farben des Waldes und dem gespenstischen Weiß des Schnees, bewegten sich massige Gestalten und schienen ihnen zu folgen. Sie liefen parallel zu der Gruppe und jedes Mal wenn Arloc dachte einen von ihnen im nächsten Moment besser erblicken zu können, verdeckte ein besonders breiter Ast oder ein anderer Körperteil der Natur die Wesen. Brogg grunzte beiläufig und ließ das zusammengebundene Fleisch, dass über seiner Schulter geschnallt war in den Schnee fallen. Mit beiden Händen umschloss er seine Axt fester und beschleunigte das Tempo. Arloc tat es ihm gleich und lief auf gleicher Höhe mit Narrgor.
„Was jetzt?!“ rief er dem älteren Jäger zu.
„Zum Baum! Wenn sie uns über die Lichtung folgen, sehen wir vielleicht wie viele es sind!“
Immer die Umgebung im Auge behaltend, liefen die Nordorcs das letzte Stück bis zur Lichtung von Anox Kralle bergab. Inzwischen konnten sie überall um sich herum die Schatten und Silhouetten der Verfolger erkennen. Als sie die Lichtung endlich betraten, sprinteten sie mit neuer Kraft zum Baum – und hielten abrupt an. Alle Drei schnauften schwer und glotzten ungläubig auf das Bild, welches sich vor ihnen bot. Auf der anderen Seite der Lichtung wurden sie schon erwartet. Ein Dutzend breiter und massiger Gestalten, jeder einer Größe von zwei ausgewachsenen Nordorcs, blickten ihnen ruhig entgegen. Einige wenige waren leicht bis schwer gepanzert, von Leder über Kettenhemd bis Plattenrüstungsteilen, doch der Rest von ihnen war lediglich in Felle gehüllt. Hässliche und vernarbte Fratzen mit übergroßen, hervorstehenden Mündern, thronten auf Schultern auf die man ohne Mühe einen Ochsen hätte ablegen können. Breite und klobige Waffen, mehr hieb als Stich- oder Schneidewerkzeuge lagen in ihren gewaltigen Händen. Alles an den Ogern strahlte furchteinflößende Brutalität aus.
„Ahnen steht uns bei…“ flüsterte Narrgor unbewusst. Inzwischen hatten die Verfolger den Moment der Verwirrung der Nordorcs genutzt, um die Lichtung von allen Seiten abzuriegeln. „Sie haben uns in die Falle gelockt. Sie wollten nur sehen ob wir auch wirklich nur zu dritt sind. Und jetzt, wo sie es wissen…“
Arloc drehte sich einmal um die eigene Achse und hielt drohend seinen Speer vor sich hin. Inmitten dieser Gefahr kam er sich mit der Jagdwaffe lächerlich vor. Dieses mal beneidete er Brogg um dessen Axt, der schnaufend die Oger anstarrte. Niemals im Leben hatte er solch eine Angst empfunden und er schämte sich als Nordorc und Krieger, dass er sich das eingestehen musste. Wütend schüttelte er den Kopf und blickte grimmig auf die Feinde neben dem Baum.
Plötzlich löste sich einer aus der Gruppe des Ogertrupps und breitete seine Arme aus. Seiner Rüstung und dem Fellumhang nach zu urteilen konnte man ihn als den Anführer ansehen. In seiner rechten hielt er einen Steinhammer, der die Länge und Masse eines kleinen Baumes hatte. In einer brummenden gutturalen Sprache rief er seinen Männern etwas zu, dass Arloc und die anderen nicht verstanden. Doch als die Ogertruppe anfing zu brüllen und zu jubeln, wussten alle drei, dass es nichts Gutes zu bedeuten hatte. Anschließend richtete der Anführer seinen Hammer auf die Nordorcs – und der Kampf begann.
„Verkauft euer Leben teuer Brüder!“ rief Narrgor den beiden zu und zog neben seinem Beil einen breiten Steindolch. „Möge uns die Ahnen in der ewigen Steppe willkommen heißen.“
„Grom uur Grom!“ entgegneten Arloc und Brogg synchron.
Drei Nordorcs gegen drei Dutzend Oger. Keiner musste sich etwas vormachen. Der Tod hatte ihre Namen schon auf den Lippen. Keiner der Drei würde diese Lichtung lebend verlassen. Kriegerehre und verzweifelte Wut war alles was ihnen neben den lederumwickelten Griffen ihrer Waffen blieb.
Die drei stürmten auseinander, jeder seinem Tod entgegen. Letzten Endes stirbt doch jeder für sich allein, schoss es Arloc durch den Kopf. Brüllend und das Gesicht grimmig im Kampfesschrei verzerrt, stürmte er seinem ersten Oger entgegen. Der Koloss schwang eine Riesenkeule mit der Absicht Arlocs Kopf mit nur einem Schwung zu zertrümmern. Arlocs Herz machte einen Sprung als er sich unter dem Hieb weg zu ducken schaffte und seinen Speer in den Wanst der fettleibigen Kreatur rammte. Der Oger brüllte vor Schmerz auf und sackte gekrümmt nach vorne. Der Krieger in Arloc jubelte vor Stolz und Freude. Unvergleichbares Kribbeln durchzuckte seine Muskeln und schlich sich bis in jede Faser seines Körpers. Es war ein ganz anderes Gefühl als am Vortag bei dem Elch. Ein erhabenes Gefühl der Stärke! Doch der Jubel war von kurzer Dauer, als ihn der Hammer eines anderen Gegners in das Kreuz traf und ihn durch die Luft wirbelte. Er landete hart und schwer, paar Schritte weiter auf dem Rücken. Noch leicht verwirrt drehte er den Kopf nach seinen Brüdern. Narrgor konnte er nicht ausmachen, aber Brogg hatte es sogar geschafft zwei der Bestien zu Boden zu bringen. Mit Zorn begrub er seine Axt im Schädel seines letzten Opfers und brüllte seine Herausforderung anderen entgegen, die sich nicht lange bitten ließen. Sie begruben ihn zu dritt oder viert unter sich.
Arloc wollte aufstehen und ihm helfen, doch sein Körper gehorchte ihm nicht mehr. Ein dumpfer Schmerz in seinem unteren Rücken sagte ihm, dass das der Grund war wieso er seine Beine nicht bewegen konnte. Im Hintergrund hörte er noch immer Brogg brüllen und fluchen. Arloc wusste nicht ob sein Jagd – nein! –, ab heute sein Waffenbruder vor Schmerz brüllte oder nicht. Dies war nun auch egal. Noch nie in seinem Leben war er so stolz auf seine Rasse wie in diesem Moment, als er Brogg untergehen sah. Ein glorreicher Tod unter so vielen Feinden sterben zu dürfen! Es hatte ihn auch mit Stolz erfüllt seinen ersten Oger töten zu dürfen. Einen epischen Gegner. Einen würdigen Gegner. Das einzige was er bedauerte, war, dass es auch sein letzter Oger sein würde.
Als der Todeshieb Arloc vollends erreichte, spürte er es noch kaum. Und als sie über seinen Köper herfielen und ihn in Stücke hackten, hatte sein Geist schon längst die ewige Steppe betreten. Donneräxte sterben, doch neue werden geboren und zu wahren Nordorcs heranwachsen.
„Grom uur Grom!“
Und so ziehen viele Winter ins Land. Generationen vergehen und neue werden geboren, um erneut Krieg zu erfahren . . .
Ob im Kampf gegen Oger oder andere Orc-Clans. So macher Krieg fand auch sein Ende und ein friedliches Leben konnte fortgesetzt werden. Doch ein Konflikt sollte alle bisherigen überschatten, der heute sogar noch tobt. Ein Krieg, der eine ganze Welt gar an den Rand des Abgrund brachte. Und so fand auch der Donneraxt Clan seinen Weg nach Azeroth, wo die Nordorcs heute noch leben und ihre alten Traditionen hoch halten, wie ihre Ahnen einst.
Nach vier großen Kriegen, wir befinden uns auf Azeroth. Aus dem fernen Osten kommt ein in Fell und Pelz gehüllter Wolfsreiter in Orgrimmar an. Er spricht nicht viel und sieht sich lieber das chaotische Treiben in Orgrimmar an, welches sich Tagtäglich am Handelsplatz dieser Horde-Metropole abspielt. Es ist ein Nordorc mit einem Doppelschneidigen Axt-Blatt-Symbol, welches auf seinem Fellwams prangt. Ein Angehöriger vom Donneraxt Clan. Ein Clan welcher ursprünglich aus dem hohen Norden kommt, doch auf Azeroth abgeschieden im fernen Osten lebt. Der Nordorc hängt einen Aushang ans Botschaftenbrett und wendet seinen Reitwolf gen Heimat wieder . . .
„Im Norde hoch, im Norde kalt,
lebe Nordorcs, groß von Gestalt.“
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