Schwur
Ein Begriff, der die Horde stets geprägt hat.
Manche legen ihn vor Zeugen ab.
Manche legen ihn mit Blut ab.
Manche geben sich ihm völlig hin.
Einen Schwur zu brechen, gilt als eine Todsünde.
Die ersten Sonnenstrahlen eines neuen Tages schoben sich so zaghaft über die Ränder des Canyons wie das leise Flüstern des Windes welcher durch die staubigen Schluchten Durotars whisperte, einzelne trockene Teufel über den Boden rollen und tanzen ließ. Langsam kehrte Leben in den Klingenhügel ein, den Ort an dem der Anfang vom Ende einer Sache, einer ganzen Nation stattfinden würde. In der Dunkelheit eines Zeltes berührten blaue Füße den Teppischboden, als der Besitzer ebenjener sich erinnerte.
Suramar
Seine Heimat. Schreie der Angst und Qual, als die Loyalisten Elisandes zusammen mit der Legion ein Exempel statuierten. Am eigenen Volk. Die Finger, welche soeben noch am Rande des Feldbettes aufgestützt lagen, schlossen sich fester um den Rand, gruben sich die Kuppen in die dünne Decke. Als sein Vater diesen Wahnsinn aufzuhalten versucht hatte, aufbegehrte und schlussendlich ebenso verbrannte wie der Rest der Rebellen vor Ort. An diesem Tag hatte er seinen ersten Schwur gegenüber sich selbst abgelegt.
Er würde nicht wegsehen, wenn Andere unterdrückt wurden.
Er würde aus den Schatten heraus das tun, worin sein Vater versagt hatte.
Die Erleichterung, als das kühle Wasser aus der nahen Schüssel über sein Gesicht lief, im Rücken über das Rückgrat hinabrann, einen eisigen Schauer nach sich zog. Einen ebensolchen hatte er an anderer Stelle, ebenso nahe dem Wasser erfahren.
Teldrassil
Er saß allein am Strand, die Stiefel – ebenjene Stiefel in die er nun im aufkommenden Morgenlicht schlüpfte – mittlerweile völlig durchweicht. Seine Schnitte, hervorgerufen durch die Klingen der Schildwachen von Lor’Danel schmerzten. Doch nicht so sehr wie die lähmende Leere, das Gefühl von Ohnmacht. Am Horizont, weit von den silbernen Wellenkämmen entfernt erhob sich das erste Mahnmal des Krieges. Kahl, eingefallen, zu Asche verbrannt. Wie seine Bewohner. Wie einfach doch alles erschienen war, seit seinem Beitritt zur Horde. Eine Hand strich geistesabwesend über den nahen Abstelltisch, traf auf Metall.
Ein Abzeichen.
Das Abzeichen jener Einheit, der er schließlich seine Treue geschworen hatte.
Das Abzeichen jener Einheit, mit der er und den anderen Gruppierungen der Horde an der Seite des Hochfürsten ins Eschental eingefallen war.
Das Abzeichen jener Einheit, die ein Dorf voller Zivilisten der Nachhut von Verlassenen überlassen musste.
Das Abzeichen jener Einheit, die an der Schlacht bei den Windschnellen und in Lor’Danel geblutet hatte.
Einer Einheit, die wie er am Strand anwesend war.
Als die feurigen Geschosse den Sternenhimmel erhellten, ihre Bahnen zum Weltenbaum hinüberzogen.
Die Hand, welche das Abzeichen hielt, verkrampfte sich um jenes bis die Ränder ins Fleisch stachen. Der Schmerz war gut. Er lenkte ihn ab. Von der Schuld, nicht früher gehandelt zu haben. Aber was hätte er schon ausrichten können? Ein einzelner Mann, gegen das sich drehende Rad des Krieges?
Ein Krieg, der wie die Gezeiten vor- und zurückebbte. Den Stiefeln folgte die Hose, ebenso wie der Waffengürtel.
Unterstadt
Später, am selben Abend des Brandes von Teldrassil hatte er mit den Anderen des Kriegerbundes am Feuer ihres Lagers gesessen. Die Stimmung war nachdenklich, betrübt, aber auch freudig. Eines der Kriegsbanner der Horde hing am Rande des Lagerfeuers dessen Schein feine Schatten über den roten Stoff tanzen ließ, mal die Eine, mal die Andere Seite erhellte. Ein Riss, durch eine Waffe hervorgerufen zog sich senkrecht über den Stoff. Die Hände, die bis eben den Waffengürtel zurechtgerückt hatten, zitterten.
DAMALS hatten sie auch gezittert. Als er seinen Entschluss gefasst hatte. Aufgestanden war, von seinem Umhang einen Streifen abgerissen hatte, um das Banner wieder zusammenzuflicken.
Er erinnerte sich.
Wie die Anderen von ihren Humpen aufgeschaut hatten.
Wie Gespräche kurz ins Stocken gerieten.
Wie einer der Hexendoktoren zu ihm hinübergetreten und ihm einen Fetzen seiner Tunika angeboten hatte.
Wie Maa’Gal, „Krieger“, wie er genannt wurde, stolz zu ihm blickte.
Ein Mann, der schon viele Schlachten geschlagen hatte.
Ein Mann, der für ihn in diesem Moment ein Richtpunkt war.
Ein Mann, der den Kriegerbund durch die Ereignisse dieses Krieges geführt hatte.
Ein Mann, der selbstständig die Hinrichtung des besten Freundes und Mentors seiner Vorgesetzten und Freundin vollstreckte, als jener sich dem Verrat an der Horde schuldig gemacht hatte.
Die Einigkeit, die die beiden vergangenen Ereignisse innerhalb der Horde durch diese Vergeltungsschläge der Allianz hervorgebracht hatte, geriet ins Wanken. Ein tiefes Luftholen folgt in der Dämmerung, zwängt sich der schlanke Körper des Silberhaarigen langsam ins Leder seiner Rüstung. Einer Rüstung, die Dellen und Kerben erhalten hat.
Heimat
Dort, wo das Herz der Horde liegt. Dort, wo auch er einst bis vor Kurzem stand, nicht gewillt, die Bande zu kappen ohne Gewissheit erlangt zu haben. Das Abzeichen wird an der Brust befestigt. Jenes Abzeichen, welches Zeuge war, als ein weiterer Schwur gesprochen wurde.
Der Schwur gegenüber Krieger, zurückzukommen.
Der Schwur, nicht überzulaufen.
Der Schwur, bei Bwonsamdi selbst den Schwörenden im Zweifel zu töten.
Der Schwur, welcher in den Düstermarschen sich in Rauch und Schatten auflöste, wie auch derjenige der ihn leistete.
Die Finger der linken Hand streichen höher zur rechten Schulterpolsterung die einen Einschlag aufweißt, einem Pfeil nicht unähnlich. Fahren wiederrum tiefer zur Brustrüstung deren Ränder schwarzverkohlt sind, die Mitte geziert wird von parallel zueinander verlaufenden Krallenspuren.
Er hört die Worte des Mannes, in dem er einst so viel gesehen hat in seinem Geist nachhallen.
„…Aber wenn du mich doch belügs‘ – dann wird es die letzte Lüge sein, die du ausgesprochen has‘. Das schwör’ch dir bei Bwonsamdi…“
Muskeln strecken sich, Blut fließt durch Venen unter blauer Haut hindurch die von silbrigen Linien überzogen ist. Dolche werden in vorgesehenen Schlaufen und Halterungen befestigt. Der silbrigblaue Blick des Elfen schweift in Richtung Zelteingang, folgt der Körper wenige Augenblicke später während um ihn herum einsetzendes geschäftiges Treiben herrscht.
Eine Azeritmaschine ist auf den Canyon und die dortigen eingestürzten Felsen gerichtet. Irgendwo in der Ferne ist der beständige Klang von dumpfen Kriegstrommeln zu hören. Den Kopf gegen das Sonnenlicht anhebend, sieht der Mann nach oben, zweien Windreitern folgend, die ihren Weg einschlagen.
Langsam richtet sich der Blick auf das Ziel der Reiter.
Auf Anfang und Ende eines Krieges.
Auf Anfang und Ende eines Schwurs.
Orgrimmar