Classic erscheint im August und der Hype darum scheint nicht abzureißen. Streams kommen auf 100.000 Zuschauerzahlen, woran das aktuelle WoW (Retail) nicht herankommt.
Ich habe mich gefragt: Was wird an Classic so geschätzt? Und was könnte Blizzard davon für Retail lernen? Dazu will ich eine kleine Analyse verfassen. Ich habe keine besondere Struktur sondern schreibe einfach mal drauf los.
1. Entschleunigung
Der massivste Punkt der mir bei Classic zunächst auffällt. Alles geht langsamer. Das Laufen, wenn man scchleicht, schleicht man tatsächlich. Die Kämpfe dauern länger, man muss danach gegebenenfall etwas essen & trinken. Es gibt Elite-Gegner, dafür benötigt man Gruppen. Ein Level aufzusteigen dauert lange, bis man überhaupt mal Geld hat, dauert lange. Überall zieht es sich wie ein roter Faden durch Classic: Entschleunigung.
Stellt man Retail und Classic gegenüber, so wirkt Retail wie ein Action-RPG. Mühelos schnetzelt man sich durch ganze Gegnerhorden, Elite-Gegner sind im Grunde irrelevant und innerhalb weniger Tage oder sogar noch schneller kann man einen Charakter auf die maximale Stufe bringen.
Fragen die sich dadurch ergeben in der Gegenüberstellung:
Ist Retail mittlerweile etwas zu schnell geworden? Und gäbe es einen Mittelweg zwischen Classic und Retail? Wird durch die Beschleunigung überhaupt die Spielwelt entwertet? Das wären Fragen, die hier zu debattieren wären.
2. Anspruch:
In Classic ist es mit einer hohen Wahrscheinlichkeit verbunden zu sterben, wenn man in der offenen Welt auch nur zwei Gegner pullt, bei noch mehr ist in der Regel direkt Schluss. Elite-Gegner funktionieren alleine nicht. Gruppenquests benötigen Gruppen und überhaupt gibt es Gruppenquests. Questmarkierungen gibt es keine, man muss die Texte lesen.
Zauber müssen unterbrochen werden und CC sinnvoll eingesetzt werden. Beim normalen Questen.
In Retail gibt es diesen Anspruch im Grunde überhaupt nicht mehr, was in dem zuvor getätigten Eindruck eines Action-RPGs resultiert.
Fragen, die sich daraus ergeben:
Stellt Retail zu geringe Ansprüche an den Spieler in der offenen Welt? Oder lliegt darin sogar auch der Spaß, dass man eben schnell durch die Gegner durchkommt? Und wäre auch hier ein Mittelweg vielleicht etwas Positives für Retail?
3. Charakterprogression
In Classic sind selbst graueGegenstände oftmals ein Upgrade auf den ersten Leveln. Auch später fühlen sich selbst rare Gegenstände wie absolute Schätze an. Der Charakter kann permanent geskillt werden, denn ständig können Talentpunkte frei verteilt werden und dies sogar höchst individuell und in verschiedene Spezialisierungen hinein, also z.B. ein Hybrid aus Tank und Heiler.
Berufe bieten echte Verbesserungen für den Charakter und auch Waffenfertigkeiten müssen entwickelt werden, dazu kommen Klassenfähigkeiten welche gekauft werden müssen sowie auch Klassenquests.
Beim Blick auf Retail kommt die Charakterprogression in der Gegenüberstellung sehr schlecht weg. In der Levelphase haben die meisten mittlerweile Erbstücke. Upgrades sind daher meistens unbedeutend. Durch die gesteigerte Geschwindigkeit (siehe Punkt 1 & 2) ist es oftmals auch nicht wichtig Items länger zu tragen.
Es gibt keine Talentbäume und über weite Levelstrecken bekommt der Charakter keinerlei Entwicklung. Waffenfertigkeiten gibt es nicht und die Berufe sind letztlich sinnlos für den Charakterfortschritt. Klassenquests und freischaltbare Klassenfähigkeiten gibt es nicht.
An die vielschichtigen Entwicklungsmöglichkeiten des Charakters in Classic kommt Retail überhaupt nicht mehr heran.
Erkenntnisse aus dieser Gegenüberstellung:
In Retail wurde ein Großteil der Charakterprogression durch Sammelelemente ersetzt, also noch ein Reittier, noch ein Haustier und so weiter. Die eigentliche Charakterentwicklung wurde auf den Faktor der GS-Steigerung reduziert und in der Levelphase findet quasi keinerlei Entwicklung statt und diese ist sehr schnell auch schon wieder vorbei.
4. Rollenspielelemente:
Während Retail zwar viele kleine Details bietet, die aber vor allem auf das Konto des Art-Teams gehen, so bietet Classic eine Vielzahl an Rollenspiel-Elementen wie z.B. Widerstände, Waffenfertigkeiten, Klassenquests, Materialien für bestimmte Fähigkeiten, eine Verlangsamung beim Schleichen, kein Atembalken der 5 Stunden hält und vieles weitere.
Hat sich Retail zu sehr vom Rollenspiel entfernt?
Was ist bei Retail aber eigentlich gut, könnte man nach diesen Ausführungen fragen?
Retail ist vor allem dynamischer. Es gibt starke Interfaceverbesserungen, WoW sieht heute natürlich sehr viel hübscher aus. Es gibt mehr Individualisierungsmöglichkeiten im Hinblick auf kosmetische Inhalte. Es gibt mehr Völker, mehr Dinge zum sammeln, diese müssen wiederum nicht mitgeschleift werden.
Es gibt sehr viel herausfordererenden Content in Mythisch+ Dungeons und in mythischen Raids, welcher aber eben sehr isoliert darsteht. Die Raids, die Bosse haben heute eine ganz andere Qualitätsstufe. Es gibt Arenen und mehr Schlachtfelder und es gibt vielle neue Features wie Haustierkämpfe oder den Kriegsmodus oder das Erfolgssystem, welche für viele Spieler eine willkommene Abwechslung darstellen.
Auch ist Retail vernetzter. Die Gruppenfindung ist einfacher über Features wie den Dungeonbrowser. Und Retail ist zugänglicher, d.h. jeder kann nahezu jeden Contentbereich in irgendeiner Form sehen und erleben.
Und zuletzt bietet Retaill auch große Verbesserungen bei der Erzählung von Geschichten, mit epischen Cinematics oder vertonten Questreihen.
Ergebnis der Gegenüberstellung:
Während Retail zwar viele neue Verbesserungen anbietet, punktet Classic bei zentralen Elementen von dem, was das Genre an sich auszeichnet. Retail hat sich in der Vergangenheit zu sehr auf Randelemente fokussiert, während die Kernelemente des Spiels ausgehöhlt wurden.
Blizzard sollte daher con Classic lernen und wieder ein Spiel entwickeln, welches die positiven Aspekte aus Classic wieder stärker mit denen aus Retail verknüpft.
Das heißt also z.B. das sie wieder Klassenquests bringen. Dass es wieder Dinge wie Waffenfertigkeiten gibt. Das es überhaupt Rollenspielelemente gibt, mehr Anpassungsmöglichkeiten.
Das heißt auch, dass es eine verbesserte Levelphase gibt, weniger epische Ausrüstung und weniger Ausrüstung im Allgemeinen. Das heißt eine Rückkehr zu den Talentbäumen, gerne auch in veränderter Form, damit wieder eine gesunde Charakterprogression entsteht.
Und d.h. vielleicht auch mal wieder mehr anspruchsvolle Gegner in der offenen Welt.
Dinge wie den Dungeonbrowser wird man nur schwer umkehren können und muss man ja auch nicht. Und auch nach jedem Gegner essen zu müssen, wollen wahrscheinlich die wenigsten Spieler von Retail wieder.
Aber derzeit kann Blizzard sicherllich viel von der Entwicklung von Classic für Retail lernen und die einige der positiven Aspekte davon zum Teil wieder in Retail einbauen oder stärker in ihrer Entwicklungsphilosophie berücksichtigen.