Wo war sie da nur wieder hineingeraten? Bronde versuchte, auf den Beinen zu bleiben, klar zu sehen. Der scharfe Rauch biss in den Augen, alles um sie herum verschwamm, drehte sich. Die mussten irgendwelche giftigen Kräuter ins Feuer geworfen haben. Zum Trogghintern! Meister Matthias hatte sie hergeschickt und gesagt ‚Du wirst geprüft werden. Wirst dich verändern.‘ ‚Is das nich auf jeder Reise so?‘ hatte sie seufzend gefragt und er hatte gelächelt. Mist, sie hätte besser hinhören sollen. Bisher war alles eigentlich wie immer. Naja, eigentlich nicht wirklich. Der Weg hierher auf ein Anwesen, von dem sie eigentlich nichts wissen sollte, auf dem sie aber eine Rabenstation einrichten sollte. Der Weg, über Gebirgszüge und durch Flüssen, deren Namen sie nicht kannte. Durch Ebenen, von denen sie bislang noch nicht einmal gehört hatte. Tagelang, Nächtelang waren sie unterwegs gewesen. Offenbar mit immer wechselnden Führern. Mal in einem geschlossenen Wagen, mal waren sie geritten, sie mit verbundenen Augen. Die Raben und ihre Nachrichten waren diesen Leuten offenbar einiges wert. Schon öfter hatte sie für Meister Matthias gearbeitet, nie aber war so ein Theater nötig gewesen. Dem würde sie was erzählen, käme sie je wieder nach Sturmwind. Vielleicht würden die sie hier ja vergiften und die Raben behalten. Aber nein, das war Unsinn. Ohne sie täten die Raben nichts. Gar nichts. Vorhin noch hatte sie den Landestein eingerichtet, auf den Kolk und Thorn trainiert waren. Sie hatte zwei der größten und stärksten Raben ausgesucht. Matthias hatte gesagt, dass es um weite Wege ginge. Die beiden Raben hatten sie auf der Reise begleitet, waren neben Wagen und Widder hergeflogen. Wenn diese Leute wüssten, wieviel sie von ihren Raben erfahren konnte! Nichts von deren Maßnahmen war wirklich sinnvoll. Besser, sie wussten nichts.
Sie hatte also den Landestein eingerichtet, hatte Kolk und Thorn dort sitzen lassen und jedem ein Stück Fleisch verfüttert. Dann waren beide Raben wieder aufgebrochen, nach Hause. Sie würden jetzt diese Strecke kennen und für Nachrichten einzusetzen sein. Soweit wie immer. Dann aber wurde sie, Bronde, zu den Feuern geholt und der Unsinn ging los. Sie sah verschwommene, lachende Gesichter vor sich. Sie hörte sie singen und sie hörte Trommeln. Moment, Trommeln? Was sollte das alles? Sie war müde, die Nacht verschwamm um sie herum. Sie fühlte Hände an sich. Na wunderbar. Vergiftet und dann ausgeraubt. Bronde versuchte, sich zu wehren, stieß die Hände weg, trat um sich. Die Gesichter lachten weiter. Sie hörte die Stimme des Verwalters am Ohr. ‚Werden dich verändern müssen. Wird dir recht sein.‘ Nichts war ihr recht! Von wegen! ‚Verschwindet‘ schrie sie. Wie sie meinte. Tatsächlich nuschelte sie ein ‚…schwnded…‘ und verlor das Gleichgewicht, als sie erneut nach einer der Frauen vor sich treten wollte. Sie fiel und wurde aufgefangen und konnte sich nicht mehr wehren. Sie fühlte wieder die Hände an sich. Zogen die sie aus? Fuhren die ihr durch die Haare? Die Feuer tanzten um sie herum und wieder die Stimme des Verwalters… pah, von wegen, wer auch immer der war, aber kein Verwalter!
‚Gehörst du zu uns, bist du eine andere als bisher. Sollen die Götter hinter den Göttern die Hand über den Nachrichten haben, die du sendest. Sollen die Ahnen hinter den Uralten die Hand über dir halten! Soll all das in deinem Namen zu finden sein! Für uns wirst du Asrun heißen! … für uns und für alle, mit denen du zu tun hast. Asrun aus Thelsamar, Asrun, die Rabenfrau.‘
Dumpf hörte Bronde den Verwalter, weiter biss der Rauch in Augen und Hals und sie hustete und irgendwann verschwamm alles und sie wusste von nichts mehr.
Als sie wach wurde, blinzelte sie in die Morgensonne. Die Feuer waren heruntergebrannt. Irgendwer hatte sie in warme Decken gewickelt. Das scharfe Brennen in Augen und Rachen war einem rauchig bitteren Geschmack gewichen und ihre Augen fühlten sich an, als hätte sie geweint. Na toll. Sie bewegte sich in den Decken und fühlte, sie hatte nichts an. Erschrocken richtete sie sich ein wenig auf. Neben ihrem Lager lagen zwei Häufchen. Einmal ihre alten, verschlissenen Sachen. Die Tunika, die Hose und der Umhang, die sie immer wieder flickte und sehr gern trug. Daneben und in Griffweite lag ein Bündel mit neuen Sachen. Fein gearbeitete Kleidung aus schwerer Wolle und mit Leder verstärkt. Ein neuer Umhang, den sie staunend auseinanderfaltete. Ein Kapuze, gegen Wind und Regen und viele, sehr klug und zweckmäßig eingearbeitete kleine Taschen und Fächer. Sie hätte es selber nicht besser machen können. Schnell zog sie Hose und Tunika über. Alles passte, wie für sie gemacht. Erstaunlich. Sie verstaute ihre alten Sachen in ihrem Reisesack. Auch Dolche und Wurfmesser lagen neben ihrem Lager, nichts war weggekommen. Sie nahm alles an sich und verstaute die verschiedenen Messer in Gürtel und Brustriemen. Verwundert rieb sie sich die Stirn und als sie sich durch die Haare fahren wollte erschrak sie. Der lange Zopf war verschwunden. Sie hatten ihre Haare abgeschnitten und jetzt konnte sie mal eben noch in halblange Zotteln greifen. Was zum Trogghintern…
‚Guten Morgen, Asrun Thelmar…‘
Erschrocken drehte sie sich zu der Stimme. Der Verwalter saß nicht weit und lächelte. ‚Wir haben einiges zu besprechen!‘ Nickte er ihr zu.
Sie holte tief Luft.
Asrun…
Der Name, den sie ihr heute Nacht gegeben hatten. Asrun… der Namen schmeckte rauchig nach den Feuern und klang alt. Er klang … gut.
Die Zwergin schüttelte kurz den Kopf und die zotteligen Haarsträhnen fielen ihr vors Gesicht. Ein Grinsen schob sich in ihr Gesicht.
Asrun Thelmar, deren Gesicht hinter den Haaren nicht zu sehen war. Die Rabenfrau.
Der Verwalter beobachtete sie scharf, nickte dann zufrieden.
Alles war gut so.