Am Morgen wirkt das Schmerzmittel noch am besten. Drum schreib ich lieber jetzt weiter…
Die Suche nach der Zukunft - Teil 8
Nachdem Beltrak und Máirín ihre Mahlzeit beendet und die Hörner mit Ale geleert hatten, drängte Tolos darauf zum Unterschlupf von Sheital aufzubrechen. Beltrak gab zu bedenken, dass der Tag schon langsam dem Ende zu ging, aber Máirín konnte in Tolos Augen erkennen, wie wichtig ihm die Sache war. Tolos war sich nicht sicher, ob Máirín die Geschichte über Sheital und seiner Schwester glaubte, aber er war froh, weil sie einem baldigen Aufbruch zustimmte.
Während Beltrak und Tolos am nördlichen Ende von Marowen auf Máirín warteten, stellte Tolos seinen Freund zur Rede.
„Was sollte das vorhin?“ fragte er.
„Was meinst du?“ fragte Beltrak und legte eine unschuldige Miene auf.
„Das mit meiner Schwester.“ erinnerte Tolos. „Zum Einen ist es nicht wahr und zum Anderen hättest du das vorher mit mir absprechen sollen.“
„Ich weiß, dass es nicht wahr ist.“ entgegnete Beltrak. „Außerdem hatten wir darüber gesprochen, dass wir auf der Suche nach Sheital mit unseren Fragen und Beweggründen vorsichtig sein müssen. Wir wissen nicht, wer mit ihm im Bunde steht, also kann eine ungünstige Erwähnung entscheidend für unseren Erfolg oder Misserfolg sein.“
„Das ist mir schon klar.“ knurrte Tolos, „Aber warum musste es gerade diese Lüge sein? Hättest du dir nicht etwas Anderes einfallen lassen können? Das hat mich eiskalt erwischt. Hättest du mich irgendwie vorgewarnt, hätte es mich auch nicht so … schockiert.“
Beltrak musste lachen.
„Ja, dein Gesichtsausdruck war unbezahlbar, genau wie der von Máirín.“ er legte seine Hand auf die Schulter von Tolos, „Es tut mir Leid, wenn ich dich damit in eine unangenehme Lage gebracht habe. Ja, ich hätte dich vorwarnen sollen, aber es war spontan und improvisiert.“
„Das musst du mir erklären.“ sagte Tolos.
„Es lag daran, dass Máirín eine Frau ist.“ erklärte Beltrak, „Nur wenige Momente vorher hatten wir das noch nicht gewusst. Ich hatte mir einfach gedacht, dass eine Geschichte über eine verlassene Frau mit einem Kind bei einer Frau am Ehesten ziehen würde. Du weißt schon, Mutterinstinkte, Mitgefühl und solche Dinge. Es schien mit die einfachste Chance ihre Hilfe zu gewinnen, ohne unsere wahren Ziele preiszugeben.“
„Ich glaube nicht, dass sie uns die Geschichte wirklich abgekauft hat.“ meinte Tolos, „Sie kennt Sheital und hast gesehen, wie sie auf die Vorstellung von ihm mit einer Barbarenfrau reagiert hat.“
„Sie ist bereit uns zu helfen.“ entgegnete Beltrak, „Das ist es, was am Ende zählt.“
Tolos wollte noch etwas erwidern, aber da sah er auch schon Máirín auf ihrem Reittier ankommen. Es versetzte ihn in Staunen, weil es kein Pferd war, auf dem die Druidin ritt, sondern ein riesiger Elch mit einem prächtigen Geweih. Nur die hoch gewachsene und kräftige Frau in ihrem Wolfsgewand wirkte auf dem Rücken des Tieres etwas deplatziert.
„Ich wäre dann soweit!“ rief sie den beiden Barbaren entgegen, „Wenn wir sofort aufbrechen, können wir bei Sonnenuntergang an Sheital’s Unterschlupf sein.“
Tolos und Beltrak nickten nur als Antwort und schwangen sich auf ihre Pferde. Inzwischen war Máirín schon an ihnen vorbei geritten und deutete mit einem Winken an ihr zu folgen.
Tolos war sehr beeindruckt mit welcher Leichtigkeit der Elch in der felsigen udn zerklüfteten Landschaft voran kam. An Stellen, wo die Pferde von ihm und Beltrak vor sich plötzlich auf tuenden Felsspalten scheuten, schien der Elch schon fast magisch darüber hinwegzufliegen. Zum Glück brauchte es immer nur kleinere Umwege mit den Pferden, so dass Beltrak und Tolos schnell wieder zu Máirín aufschließen konnten.
Es ging stetig weiter nach Norden. Schon nach kurzer Zeit konnte man in der Ferne ein Bauwerk erkennen, das sämtliche natürliche Formationen der Felsen überragte. Es musste der Leuchtturm vom Hoffnungsschimmer sein.
Kurz bevor die Sonne den Horizont berührte, brachte Máirín die Gruppe auf einem Felskamm zum Stehen. Sie stieg von ihrem Elch ab und lief zum nördlichsten Ende des Kammes, von wo aus sie in Richtung des Leuchtturmes blickte.
„Was ist los?“ fragte Tolos, während er von seinem Pferd abstieg. „Gibt es Probleme?“
„Nein. Der Unterschlupf von Sheital ist gleich dort vorn.“ antwortete Máirín und deutete zu einem Felsen nordwestlich ihrer Position. „Bevor wir dort hin gehen, sollt ihr euch aber noch etwas ansehen.“
Tolos und Beltrak traten an ihre Seite. Sie bemerkten, dass Máirín direkt zum Leuchtturm blickte, also taten sie es auch.
Die Sonne hatte den Horizont berührt und begann unter ihm zu verschwinden. Gleichzeitig begann der Mond an anderer Stelle des Horizonts aufzusteigen. Das entstandene Zwielicht lies den Leuchtturm wie einen gewaltigen schwarzen Finger aussehen, der sich mahnend in den Himmel erhob. Der Eindruck verstärkte sich sogar, als die Sonne vollends unterm Horizont verschwunden war und nur noch das Licht des Mondes für eine unheimliche Beleuchtung sorgte.
Nur wenige Augenblicke später wurde das Leuchtfeuer auf der Spitze des Turmes entzündet. Das Aufflammen machte den Eindruck von einem gewaltigen leuchtenden Auge, das plötzlich geöffnet wurde und von jetzt an in die Dunkelheit der Nacht blicken würde. Auffällig war auch ein Kegel aus reinem Licht, das ausgehend vom Turm zu kreisen begann.
„Ist das nicht wunderschön?“ fragte Máirín ehrfürchtig.
„Es ist wirklich beeindruckend.“ musste Beltrak zustimmen, „Diesen Anblick werde ich nie wieder vergessen.“
„Wie kommt dieser Lichtstrahl zustande?“ wollte Tolos wissen.
„Vor kurzer Zeit haben findige Leute ein paar Spiegel dort oben aufgebaut.“ erklärte Máirín, „Die sammeln das Licht und strahlen es konzentrierter in eine vorbestimmte Richtung ab. Damit wird der Leuchtturm für die Schiffe aus noch größerer Entfernung sichtbar.“
"Das ist … " begann Tolos, der nach den richtigen Worten suchte, „Das ist faszinierend.“
„Das ist es.“ bestätigte Máirín, „Ich schätze wirklich nicht viel, das von Menschenhand erschaffen wird. Die meisten Sachen dienen der Zerstörung der Natur und zum gegenseitigen Töten. Dieser Anblick erinnert mich aber immer daran, dass auch Gutes in der menschlichen Schöpfungskraft steckt. Der Leuchtturm hat wahrlich den Namen Hoffnungsschimmer verdient.“
Nachdem die Drei noch einige Minuten dort standen und den Leuchtturm betrachtet hatten, machten sie sich wieder auf den Weg zum Unterschlupf von Sheital. Es war wirklich nicht mehr weit und den Rest der Strecke bewältigten sie zu Fuß.
Als sie den Eingang einer eher unscheinbar wirkenden Höhle erreicht hatten und Máirín ihnen andeutete, dass sie am Ziel waren, banden Beltrak und Tolos die Zügel ihrer Pferde an einem Baumstamm fest. Etwas verwirrt blickte Tolos zu Máirín, die ihren Elch einfach stehen lies.
„Willst du dein Tier nicht sichern?“ fragte er.
„Das ist nicht nötig.“ entgegnete Máirín, „Ich vertraue ihm und er vertraut mir. Tiere schätzen ihre Freiheit genau so, wie wir Menschen. Würde ich ihn anbinden, würde es nur sein Vertrauen zu mir zerstören. Wenn Gefahr droht, weiß er sich zu schützen und wenn er flüchten muss, entfernt er sich nie zu weit, so dass ich ihn leicht zu mir rufen kann.“
„Du scheinst eine besondere Verbindung mit der Natur zu haben.“ bemerkte Tolos.
„Wusstest du das nicht?“ fragte Máirín, "Alle Druiden sind mit der Natur verbunden. Manch Außenstehender würde es als Hexerei bezeichnen und behaupten, wir sprechen die Sprache der Tiere. Wir haben aber nur ein sehr viel tiefer gehendes Verständnis zur Natur und all ihren Lebewesen, seien es Tiere oder Pflanzen.
Diese Worte machten Tolos nachdenklich. Er begann nicht nur zu erkennen, mit was für einer Frau er es hier zu tun hatte, er begann auch Parallelen zu der Ansicht der Menschen über sein Volk zu erkennen. Die Angst vor dem Unbekannten und Vorurteile könnten für Druiden genau so schädlich sein, wie für das Volk der Barbaren.
Beltrak hatte inzwischen einige Fackeln vom Sattel seines Pferdes geholt und diese entzündet. Er verteilte sie an Máirín und Tolos, bevor die Gruppe sich vorsichtig in die Höhle begab. Tatsächlich führte die Höhle aber nur wenige Meter in den Fels hinein. An einer Wand waren einige Symbole in den Fels geritzt worden, aber ansonsten war die Höhle leer.
„Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?“ fragte Beltrak, „Mir scheint eher, dass es nur eine Sackgasse ist.“
„Nicht unbedingt.“ erwiderte Máirín und trat auf die Wand mit den Symbolen zu, „Das sind druidische Schriftzeichen. Sheital hatte einige Zeit bei uns Druiden verbracht, um die Kultur und Riten zu verstehen. Er konnte sogar etwas über druidische Magie lernen. Ein wahrer Druide konnte er aber nicht werden, weil ihm die Verbindung zu den Geistern fehlte.“
„Was sagen dir diese Symbole?“ wollte Tolos wissen.
„Sie sind Teil eines natürlichen Siegels.“ antwortete Máirín, „Wenn ihr mir etwas Zeit gebt, kann ich sie entschlüsseln und das Siegel brechen.“
„Ich bitte darum.“ sagte Tolos, bevor er und Beltrak einige Schritte zurück machten, um Máirín etwas Raum zu lassen.
Die beiden Barbaren konnten beobachten, wie Máirín die Symbole mit ihren Fingerspitzen nachzeichnete. Dabei flüsterte sie leise Worte in Druidensprache, bevor sie sich nach einigen Minuten in der Höhle umsah. Dann lief sie zielstrebig auf eine unscheinbare Anhäufung aus Moos zu und schob ihre Hand hinein.
Kaum hatte sie dies getan, begann die ganze Höhle leicht zu zittern. An der Wand mit den Symbolen erschienen winzige Risse in dem massiv wirkenden Fels. Diese Risse wurden zu größeren Spalten und schließlich sank ein Teil der Wand langsam in den Boden hinab.
Staunend traten Tolos und Beltrak auf den nun entstandenen Durchgang zu und erleuchteten ihn mit ihren Fackeln. Dahinter erstreckte sich ein Gewölbe mit einigen erkennbaren Regalen und Feuerschalen. Das wahre Ausmaß des Gewölbes konnten sie aber noch nicht erkennen.
„Ich denke, hier sind wir richtig.“ bemerkte Tolos, „Ein solches Versteck würde tatsächlich zu Sheital passen.“
Er und Beltrak traten durch den Durchgang und begannen die Feuerschalen zu entzünden. Máirín folgte ihnen, blieb aber am Eingang des Gewölbes stehen, das nach und nach vom Licht enthüllt wurde.
Es wirkte viel größer, als es der Fels von außen vermuten lies. Das Gewölbe war mit unzähligen Regalen und Tischen gefüllt. Die Zahl der Schriftrollen und Bücher konnte man nicht einmal mehr schätzen. An den Wänden waren Karten von verschiedenen Regionen Sanktuarios befestigt worden, auf denen alle wichtigen und weniger wichtigen Orte verzeichnet waren.
„Schauen wir uns um.“ meinte Beltrak, „Hier muss es etwas geben, das uns zu Sheital führt.“
Die Drei trennten sich und begannen das Gewölbe zu untersuchen. Die Bücher und Schriftrollen in vielen Regalen waren mit einer Staubschicht bedeckt. Einige Schichten waren so dick, dass die Schriftrollen und Bücher seit Jahrzehnten nicht mehr bewegt worden sein mussten. Trotzdem nahm Tolos hier und da eines der Schriftstücke und sah es sich näher an.
„Weiß eigentlich jemand, wie alt dieser Sheital ist?“ fragte er plötzlich.
„Nein, warum?“ fragte Beltrak.
„Einige dieser Pergamente sind sehr alt und handeln aus der Zeit nach der Zerstörung des Arreat, während andere aus jüngerer Zeit stammen.“ erklärte Tolos. „Eines haben sie aber alle gemeinsam. Sie tragen alle die selbe Handschrift!“
„Was? Das kann nicht sein!“ entfuhr es Máirín, die an Tolos Seite eilte, „Sheital kann kaum älter sein, als du!“
Verwirrung breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als sie einen Blick auf die Schriftstücke in Tolos Händen warf. Dann lief sie zu anderen Regalen, um andere Schriftrollen zu holen und sie miteinander zu vergleichen. Ihre Verwirrung wurde nur größer.
„Ich werde nicht schlauer aus diesem Ort.“ bemerkte sie schließlich. „Ich dachte, ich kenne Sheital, aber jetzt erkenne ich, dass ich eigentlich gar nichts weiß.“
„Ich glaube, ich habe hier etwas.“ rief Beltrak zu ihnen rüber. „Die Sachen auf diesem Tisch hier sind staubfrei. Hier sind viele Notizen, Briefe und auch Karten.“
Tolos und Máirín eilten zu ihm, um den Tisch genauer zu untersuchen. Die Briefe schienen von unterschiedlichen Personen zu stammen, denn die Handschrift war immer eine Andere. Die Notizen hingegen trugen wieder nur die Handschrift, die sie auch schon von den älteren Schriftrollen her kannten. Beltrak nahm eine große Pergamentrolle und breitete sie auf dem Tisch aus. Sie alle erkannten eine Karte von ganz Sanktuario, auf der einige Orte handschriftlich hervorgehoben waren.
„Ich weiß nicht, was hier vorgeht, aber es geht definitiv nicht um eine Barbarenfrau mit einem Kind!“ sagte Máirín.
„Du hast Recht, es geht nicht um meine Schwester.“ gab Tolos zu, „Es war eine Notlüge, weil wir nicht wussten, in welcher Verbindung du zu Sheital stehst. Ich hoffe, du verzeihst uns?“
„Ich habe irgendwie geahnt, dass Beltrak damit geflunkert hat.“ gab Máirín zu, „Dein Gesichtsausdruck hat Bände gesprochen. Das hat euch aber gleichzeitig wieder sympathisch gemacht und deshalb verzeihe ich euch. Außerdem ist die Vorstellung nach wie vor einfach zu köstlich!“
„Sheital war nach der Mine sehr fleißig.“ warf Beltrak ein, der sich inzwischen die Briefe und Notizen näher angesehen hatte, „Er scheint ein wahres Netzwerk aus Informanten zu haben. Es werden mehrfach alte Artefakte und deren mögliche Fundorte erwähnt. Wenn die Artefakte das sind, was ich vermute, dann sucht auch Sheital nach ihnen.“
„Dann hat er auf dieser Karte wohl die möglichen Fundorte markiert.“ meinte Tolos und warf einen weiteren Blick darauf. „Die sind wirklich über die ganze Welt verteilt. Der nächste Fundort ist dieser Karte nach Tor Dorla“
„Es heißt Túr Dúlra.“ mischte Máirín sich ein. „Das kann aber nicht sein. Túr Dúlra ist die Akademie von uns Druiden und meines Wissens gibt es dort keine unbekannten und uralten Artefakte. Was steht denn in den Notizen dazu?“
Beltrak wühlte etwas herum, bis er die richtige Notiz gefunden hatte.
„Hmm. Hier steht, dass eine der Höhlen unter Túr Dúlra einen versteckten und versiegelten Abschnitt haben soll. Er vermutet das Artefakt in diesem Abschnitt, weiß aber nicht, wie er geöffnet werden kann.“ erzählte Beltrak schließlich.
„Das sollten wir untersuchen!“ meinte Tolos, „Wenn das zutrifft, hat Sheital uns unwissentlich viel Arbeit abgenommen. Am Besten wir nehmen die Karte, die Briefe und Notizen mit.“
„Ich reite voraus.“ sagte Máirín, „Bevor ihr dort irgendwelche Höhlen untersuchen könnt, muss ich mich erst mit den Geistern und den Ältesten des Ordens beratschlagen. Wenn ihr mir in 2 bis 3 Tagen folgt, habe ich bestimmt schon mehr Informationen und die Erlaubnis, dass ihr die Höhlen betreten könnt.“
„Also gut.“ nickte Beltrak, „Ich denke das Vertrauen müssen wir dir jetzt zusprechen. Du hast uns jetzt schon sehr geholfen und dafür danken wir dir. Tolos und ich können in den drei Tagen unsere Kampfkünste trainieren. Wer weiß schon, was uns auf dieser Reise noch erwartet?“
„Dann sehen wir uns in ein paar Tagen in Túr Dúlra.“ fügte Tolos hinzu.
Máirín nickte zustimmend und drehte sich auf den Fersen um, bevor sie schnell aus dem Gewölbe verschwand. Tolos und Beltrak schauten ihr noch einige Momente hinterher, bevor sie anfingen das vorgefundene Material einzusammeln.
To be continued …
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