Ganz still sitzt er auf der breiten Wurzel zu Füßen eines uralten, riesigen Baumes. An seiner Grenze beginnt zur einen Seite der üppige Wald des Feralas, zur anderen die stattliche Mondfederfeste. Es ist ruhig um ihn herum. Nur die schweren Baumkronen zu seiner Linken wiegen sich im seichten Meerwind, der eine salzige Note mit sich bringt. Die Beine hat Sinhael von der Wurzel herabbaumeln lassen, während seine Hände auf der Wurzel und den von ihr zur Wucherung genutzten Efeublättern liegen. Unter den Handflächen tanzen grüne Energiefunken, die ein sanftes, weiches Glimmen erzeugen und beweisen, dass der Druide im Austausch mit der Natur steht. Die goldenen Lichter sind unter den Lidern vor der Welt verborgen und so bekommt auch niemand den nachdenklichen, teilweise besorgten Blick mit. Tatsächlich ist Sinhael beuruhigt. Nicht, weil die Mission besonders schwierig oder besonders aufregend gewesen wäre. Nicht, weil besonders bahnbrechende Ereignisse stattgefunden oder Erkenntnisse gewonnen werden konnten. Der Druide wusste, was Azerith anrichten konnte. Zu lange hatte er in Silithus mit aller Kraft geholfen die Wunde zu schließen und dabei war natürlich auch das ein oder andere Experiment sowie Debatte aufgekommen.
Etwas anderes hatte ihn aus der Bahn geworfen, die sonst eigentlich selten durchbrochen wurde. Der Kampf in der Ölgrube. Sein Versagen. Oh nein, es war nicht das Versagen an sich. Es war das Versagen bei etwas, dass ihm bisher vorgekommen war wie Atmen: Die Kraft der Natur zu kanalisieren, sie zu nutzen und nach seinem Willen zu formen. Tiefe Falten verunstalten Sinhaels Stirn. Wie hatte das passieren können? Wann hatte er das Band zur Natur verloren, wann die Verbindung gekappt…und warum war es ihm nicht aufgefallen? War sein Band doch fragiler, seit dem Tod seines Zwillingsbruders, als er gedacht hatte? Oder wurde es schwächer…? Vielleicht hatte das alles aber auch nichts mit Sinhael selbst zutun, sondern mit dem, was er dort tief in der Welt gefunden hatte. Mit der Stimme, die nicht in seinem Ohr gelegen sondern tief in seinem Bewusstsein gesprochen hatte. Ungreifbar, unhörbar und trotzdem da. Sie hatte sein Innerstes erschüttert, hatte ihn gezwungen jegliche Verbindung zu kappen, alles von sich zu stoßen und sich volkommen zurückzuziehen. Hatte er zu tief gegriffen? Zuviel verlangt von diesem geschundenen Land? Hatte er etwas geweckt, dass dort schlummerte…? Er würde darüber mit jemandem sprechen müssen. Aber wem vertraute er genug…und wer würde ihm uneingeschränkt glauben?
Er verstärkt den Austausch zwischen Wurzel, Efeu und Händen. Ganz so, als brauche er die Nähe zu etwas vertrautem. Er muss seinen eigenen Gedanken widersprechen. Alles war richtig mit im. Alles in Ordnung. Sinhael fordert mehr von der Pflanzenwelt um ihn herum. Mehr. Mehr. Und zäh, aber stetig, kommt das Gewächs ihm nach und leitet seine Energien in den Druiden. Sinhael spürt nur langsan, wie er stärker wird und die Schwäche aus seinen Gliedern weicht. Und mit der Stärke und dem warmen Gefühl des Verbundenseins erholt sich auch seine Zuversicht. Sicher war nicht alles so schlimm wie er dachte. Natürlich mussten einige Fragen geklärt werden. Aber das hatte Zeit, bis Sinhael sich wieder erholt hatte.
Die Rückkehr aus dem Resort hatte ihm viel abverlangt. Ohne seine Verbindung zur Natur, ohne diesem beinahe endlosen Kraftreservoir, hatte er alles aus seinen eigenen Reserven speisen müssen. Insbesondere der Weg durch den Sumpf, wo er die Gruppe mit seiner Aura vor dem Bewusstsein der aggressiven, veränderten Pflanzenwelt hatte schützen müssen, war anstrengend gewesen. Einen derartigen Radius abzudecken verlangte viel Kraft, sodass er sich an Fenubar hatte klammern müssen. Er hätte die Druiden um Hilfe bitten können, aber er wollte nicht noch mehr Energien klauen. Auch Fenubar war erschöpft, hatte er doch mit seiner Magie den ausschlaggebenden Vorteil im Kampf gegen die Ogermaschinen gegeben. Außerdem fürchtete er sich. Davor, was ihre beiden Energien miteinander tun könnten. Davor, was sie ihm für ein Gefühl vermitteln würden. Ganz so, wie es bereits auf dem Hinweg durch den Sumpf gewesen war. Auch das beunruhigt ihn. Irgendwie. Er würde mit Fenubar darüber sprechen müssen. Denn in all seinen Jahrtausenden hatte es nur einen einzigen gegeben, dessen Energie eine derartige Resonanz in Sinhael hervorgerufen hatte: Sein Zwillingsbruder Leahnis.
So viele Fragen. So wenig Antworten. Der Geruch von Reiskuchen steigt ihm in die Nase und Sinhael öffnet die Augen. Ein Lächeln gleitet über seine Züge. Valimee steht vor ihm und zeigt eines ihrer seichten Schmunzler. Mir ihrem Auftreten verziehen sich die letzten schlechten Gedanken in den Hintergrund.