Sand. Wie ich diese feinen Körner hasse, die sich immer wieder zwischen das Leder meines Wamses und die Beinlinge schmuggeln. Fein und doch so zermürbend. Wer würde es ihnen im ersten Moment zutrauen? Sie wirken so zierlich und unauffällig. Trotzdem ist es jedes Mal dasselbe mit ihnen: Je länger man sie um sich hat, desto mehr hinterlassen sie wundgescheuerte Haut und blutige Blasen. Und nicht nur das… Einem Impuls folgend hebe ich die Hände und betrachte die bloße, vernarbte Haut an ihnen. Ich kann nicht sagen, warum ich die Handschuhe nach dem Erwachen nicht angelegt habe. Normalerweise tue ich es immer. Es ist wie ein Zwang. Und doch stehe ich nun hier, die Füße im Schlick der heranrollenden Wellen vergraben, und starre auf etwas, das ich sonst vermeide zu sehen.
„Wieso seid ihr eigentlich von der Schildwache zum Zirkel gewechselt?“ Die Frage des jungen Druiden lässt mir keine Ruhe. Voller Unwissen und Naivität gestellt. Wieso habe ich darauf geantwortet? Mir diese Blöße gegeben? Vor allem vor Kaldorei, die ich kaum kenne? Mit aufeinandergepressten Lippen richte ich die Silberaugen auf den aufgewühlten Ozean, der mein Innerstes zu spiegeln scheint. Ich fühle die altbekannten Zweifel in mir aufsteigen, ob die Entscheidung, in den Schutz einer Einheit zurückzukehren, wirklich die richtige gewesen ist. Hätte ich Sinhael abweisen müssen? Die verlorene Wette einfach hinnehmen und widerrufen? Dann stünde ich jetzt nicht hier und zermarterte mir den Kopf über Dinge, die andere über mich erfahren könnten, sondern täte das, für was ich ausgebildet wurde: Den Feind aufspüren und töten. Kühle streift mein Gesicht. Als ich die Finger tastend über meine Wange fahren lasse, um das unangenehme Gefühl beiseite zu wischen, bemerke ich Nässe auf ihnen. Wut über diesen Anfall von Schwäche drängt sich in meinen Geist und ich schließe die Augen, nur um viel zu schnell in alte Ereignisse abzudriften.
Ich spüre meine Kiefer mahlen, als mein Blick abermals in verzweifelter Hoffnung den Horizont absucht und nichts als flatternde Körper dort entdeckt, die dicht an dicht den Himmel verdunkeln. Wir sind allein. Selbst Elunes Licht ist hier an diesem verlorenen Ort verblasst. Ihre Sichel, die mir in den letzten Nächten Trost spendete, liegt nun verborgen hinter einer dichten Wand aus Wolkentürmen und den Flügeln unserer Feinde. So als ob selbst die Natur sich gegen uns stellt. Jarisel hätte längst zurückgekehrt sein müssen. Was das bedeutet, weiß ich nur zu gut. Dennoch suche ich weiter nach ihrer zierlichen Gestalt, irgendeinen Hinweis auf die kleine Sturmkrähe, die sich todesmutig zwischen die Wespen stürzte, um Verstärkung zu holen. Meine Lider brennen und ich widerstehe dem Wunsch, mit den Händen über sie zu fahren. Stattdessen lasse ich meine Aufmerksamkeit über die vor uns liegende Hügelkette gleiten, auf denen es vor Jägern und Kriechern nur so wimmelt. Starr wie Statuen stehen sie dort und warten. Mehr brauchen sie nicht zu tun und ich muss nicht den Kopf zu den Bergen hinter uns drehen, um zu wissen, dass auch dort diese erbarmungslosen Tiere mittlerweile Position bezogen haben.
Meine Kehle ist ausgedörrt vor dumpfer Furcht, die in mir aufwallt und von der trockenen Hitze, die jedwedes Leben in dieser Einöde zum Sterben verdammt. Jedes…bis auf SIE. Meine rissigen Lippen öffnen sich, versuchen das staubige Gefühl loszuwerden, das sich, einem Parasiten gleich, an mich klammert. Vergeblich. Meine Sehnsucht nach kühlem Quellwasser ist überwältigend und doch unterdrücke ich ihn. Dafür bleibt jetzt keine Zeit mehr. Müde blicke ich über die Schulter zurück in die Augen meiner Schwester, suche den Kontakt zu der Älteren, ihren Rat, irgendetwas, das mir einen Schimmer von Mut verleiht, der in all den Leibern dort vorn zu ertrinken droht. Reilee weiß es. Ich sehe es im Ausdruck ihrer Lichter. Wir sind ihnen ausgeliefert. Ein flüchtiges Lächeln schenkt sie mir, schmerzlich und voller Trauer. Es wirkt wie ein Abschied und vielleicht ist er das auch. Trotzdem schafft sie es, mir aufmunternd zu zunicken. Dann verliert sich der Augenblick und unsere Verbindung reißt ab. In mir aber brennt sich diese Erinnerung bis in alle Ewigkeit ein, wie ein Stein, der sich auf die Seele legt. Ich hätte wissen müssen, dass es so kommt. Eine verdammte Falle. Und ich habe uns wie Schlachtvieh in sie hineingeführt.
Bald schon trägt der aufkommende Wind das unverkennbare Klicken heran, das uns seit Wochen die Ruhe raubt und das sich in die Eingeweide gräbt wie die Klauen des Raubtiers, das sie sind. Es ist der Stoff, aus dem Albträume gemacht werden. Widerwillig richte ich mich auf und recke das Kinn empor. Außer Reilee darf niemand meine Schwäche bemerken. Auch wenn ich meine Schwestern und Brüder an diesen Punkt geführt habe, so trage ich doch immer noch das Kommando, ob ich es nun will oder nicht. Sie vertrauen mir. Allein der Gedanke hallt höhnisch in meinen Ohren. Meine verkrampften Muskeln schreien auf, als ich die Gleven fester greife und sich meine Handschuhe knarzend um sie legen. Wer weiß schon, warum die große Göttin mich diesen Weg gehen lässt? Wenn es ihr Wunsch ist, dass wir in dieser Stunde als Lichter an ihre Seite zurückkehren, dann werde ich ihn ihr nicht verwehren. Entschlossen heben sich meine Lefzen zu einem grimmigen Zähnefletschen und ich setze meinen erschöpften Körper in Bewegung. Ich brauche mich nicht zu vergewissern, ob meine Einheit mir folgen wird. So oft haben wir in stetem Einklang miteinander geübt, damit unsere Bestrebungen eins sind. Was der eine tut, sieht der andere voraus und umgekehrt. Hier, an diesem düsteren Ort, inmitten von Chitin besetzten Felshängen, müssen wir zeigen, dass der Drill und die endlosen Übungen nicht umsonst gewesen sind.
Ein letztes Mal atme ich bewusst die trockene Luft ein, ehe unter meinen Stiefeln der Untergrund zu knirschen beginnt und ich loslaufe…