(Zur Mission 4: Geisterblut)
Wach lag Azzuron im Zelt und lauschte auf den Atem des Elfen neben ihm. Die Sorge ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Die Sorge über eine eigentlich gar nicht so große Sache.
Es war nur eine Bestrafung, wie jede Andere. Eine ganz übliche Art im Militär, um Soldaten zurecht zuweisen. Und es war auch wirklich nicht Azzurons erste Auspeitschung, obwohl die letzte schon lange, lange Zeit her war. Nur der Grund war neu. Denn Befehlsverweigerung war dem Jäger fremd, der früher nicht einmal eine eigene Meinung gehabt hatte.
Dennoch… Das nicht nur er, sondern auch Liron dran waren…
Der Jäger schnaubte leise, zog Liron näher an sich und seine Gedanken glitten zu heute Morgen, obgleich es ihm vorkam, als sei es gewiss schon drei Tage her gewesen.
Heute Morgen waren erneut Missionen verteilt worden. Und Liron hatte entschieden, dass sie dieses Mal wieder mit der Schamanin gingen. Blutritter, Druidin und eine Lichtwirkerin waren auch dabei. Sie würden wachen. Denn im Wachen war Azzuron ziemlich gut.
Der Hochexekutor hatte allerdings verlauten lassen, dass jeder sich von denen trennen sollte, mit denen man sonst auf Missionen ging. Befehl der Horde.
Erst hatte Azzuron das als Unsinn abgetan. Jeder wusste doch, dass man am Besten mit jenen zusammenarbeitete, die man kannte und denen man vertraute. Und bei Liron und ihm war es sowieso ein Sonderfall.
Irgendwie war alles immer ein Sonderfall.
Doch Befehl war Befehl und als Azzuron wütend dem Hochexekutor mitgeteilt hatte, dass er nicht von Lirons Seite weichen würde - da war das eben Befehlsverweigerung. Und Befehlsverweigerung gehörte natürlicherweise bestraft. Immerhin durften sie doch zusammen gehen, was Azzuron dem Untoten nobel anrechnete. Für Befehlsverweigerung hätte man auch ganz andere Maßnahmen ergreifen können. Azzuron hätte es ihm nicht einmal übel nehmen können, wären Liron und er sofort festgesetzt worden. Doch der Untote vertraute wohl auf ihre Rückkehr und ihre Ehre. Ein Vertrauen, dass Azzuron niemals enttäuschen würde.
Im Nachhinein betrachtet war es allerdings sehr gut gewesen, dass sie zusammen auf der Mission gewesen waren. Ein Stück Glück. Auch wenn es sie nachher kosten würde.
Die Gruppe war losgezogen, um Camp Taurajo einen Besuch abzustatten. Man wollte dort mit Geistern reden. Azzuron hatte es nicht ganz verstanden, aber die Schamanin war sich ihrer Sache und ihrer Führung so sicher, dass er es nicht hinterfragte. Sie waren zum Aufpassen da.
Ohne Probleme kamen sie am Camp an und es war natürlich zerstört. Zerstört. Geplündert. Gebranntschatzt. Die Druidin entpuppte sich als nette Person, deren Süße allerdings noch fraglich war. Weder Liron noch der Blutritter hatten Azzuron auf die diesbezüglichen Fragen sinnvoll geantwortet. Und Azzu selbst konnte die Trollin ja nicht sehen.
Aber man sollte erwachsen sein und das Thema wurde nicht weiter verfolgt.
Im Dorf trennte man sich. Die Schamanin tat das, was Schamanen eben so tun und die Druidin verschwand, um mit Tieren zu quatschen. Oder was auch immer Druiden so tun, dass es einem Nicht-Druiden so vorkommt, als würden sie mit Tieren quatschen. Azzu verstand sich auf Druidentum ebenso wenig, wie auf den Schamanismus. Zum Glück musste er das auch nicht verstehen.
Denn die Schamanin sagte nur, er solle ihr mit seiner Magie fernhalten und schickte die Priesterin, Liron und ihn fort, die Reste des Camps zu durchsuchen.
Auch wenn Azzuron es nicht sehen konnte, so konnte er es hören. Er hörte auf den stockenden Atem Lirons und nahm wahr, wie sich der Elf versteifte. Mehr brauchte es nicht, um zu wissen, dass das Dorf wirklich, wirklich wüst aussehen musste.
Der Jäger trabte hintendrein, aber da es weder Leben noch Magie gab, die er ausmachte, beschränkte er sich auf das Dabeistehen und Liron anzubieten, Planken kaputt zu machen.
Liron fand erst ein Amulett und dann eine Spinne. Über letztere freute sich Azzuron insgeheim, denn hier war er gefragt: mit der Kraft des Dämons und eisernem Willen zertrat er die kleine Spinne mir dem Fuß, die es gewagt hatte, Liron zu erschrecken.
Endlich konnte er Liron beschützen und beweisen, dass er, der heroische Jäger, gut daran tat, nicht von Lirons Seite zu weichen.
Doch war er noch zu mehr zu gebrauchen. Denn Azzuron entdeckte eine magische Signatur. Erst dachte er, seine Sinne hätten ihm einen Streich gespielt, doch nach dem dritten Mal hatte er die Gleven gezogen und mähte über die Ebene, um einen, der sich dort versteckte, aufzuscheuchen.
Obgleich Azzuron sah, dass es eine humanoide Seele war, konnte er sie nicht erwischen, bis Liron ihm zutiefst, er hätte etwas gesehen.
Um auszuschließen, dass es ein neuer Trick der Allianz war, sprang Azzuron darauf zu. Mit ausgebreiteten Flügeln, ausgebreiteten Gleven und mit Felfeuer brennend. Dieser potentielle Allianzler musste seine Tarnung dringend verlieren.
Doch nichts. Weder die Priesterin, noch Liron, noch er selbst konnten dieses Wesen ausmachen. Etwas frustriert zog der Jäger die Gleven wieder auf den Rücken und ließ das Felfeuer erlöschen und die Flügel verschwinden.
Er war blind. War doch klar. Hatte sich die Augen ausgestochen. Und auch wenn er durchaus das stachelige Savannengras unter seinen Füßen spürte - nie wäre er auf die Idee gekommen, dieses als ‘leicht brennbar’ einzustufen. Doch - so wurde es ihm später erklärt - wenn Gras trocken war und die Sonne darauf schien, brannte es tatsächlich ausgezeichnet.
So hatte sein Felfeuer offensichtlich dem Gras um ihn herum den Rest gegeben und ein gewöhnlicher, unmagischer Brand breitete sich aus, der nichtmal eingedämmt werden konnte, nachdem Liron und Azzuron mit ihrem Wasser eine Decke tränkten und Liron sie über das Feuer warf. Nein, das Gras knisterte, knackte und brannte fröhlich weiter, bis man auf die Idee kam, einen Graben um das Feuer auszuheben, über den es nicht konnte.
Natürlich hatte nicht Azzuron diese Idee gehabt. Das ganze Konzept war nicht so seins. Aber er musste für sich nichts verstehen: Die Priesterin zauberte eine Kugel und hieß ihn, hinterher zu buddeln und das tat Azzuron einfach. Die Gleven stellten sich als annehmbare Schaufelwerkzeuge heraus. So könnte das Feuer eingedämmt werden und nur der Rauch hing in der Luft und der Ruß überall an ihnen, auf ihnen und in ihren Haaren. Es fühlte sich eklig schmierig an, wie sich Schweiß und Ruß mischten.
Da bemerkte Azzuron das ersten mal, dass Liron nicht gut klang.
Er bat ihm an, dass sie zurück zu den anderen gingen, damit Liron dort Wasser bekommen konnte, doch der Elf lehnte ab.
Stattdessen setzten sie das Durchsuchen des Dorfes weiter fort, unter der Hitze der Nachmittagssonne. Azzuron war besorgt.
Sie fanden noch einen Krug, der nach Fisch stank. Und ein intaktes Fass ohne Beschriftung. Liron öffnete es und es wurde als Alkohol identifiziert. Azzuron seinerseits konnte allerdings nicht glauben, dass es einen Plünderer gab, der wirklich Alkohol stehen ließ und so füllten sie nur den Krug mit dem Inhalt des Fasses, um ihn später auf Gift untersuchen zu können.
Weiterhin fanden sie einen intakten Sack mit gutem Korn, den Azzuron schulterte und mitnahm, während er besorgt zu Liron sah und zur Rückkehr zu den Anderen drängte.
Die anderen saßen abwesend im Kreis, was Azzuron merkwürdig fand.
Aber er war schon lange darüber hinweg, sich Gedanken über die Taten anderer zu machen - insbesondere, wenn es sich um Orcs oder Trolle handelte. Oder eigentlich alles, was kein Illidari war. Diese Lebewesen auf der Welt, die er beschützte, die waren eben einfach durchweg seltsam. Damit konnte Azzuron leben.
Aber Liron hatte noch immer kein Wasser.
Gerne hätte Azzuron einfach welches von den anderen geholt, doch die Schamanin hatte ihm verboten, zu nahe zu kommen, und eine Befehlsverweigerung reichte für einen Tag vollkommen.
Immerhin saß Liron nun ruhig im Schatten, sparte seine Kraft, während Azzurons Sinne wieder ausschlugen.
Ein Wesen. Im Osten. Das Gleiche, wie vorhin? Mit wenigen Worten teilte Azzuron mit, dass er das untersuchen würde. Und bald darauf fand er eine Gnomin in einem Baum.
Und Liron kam ihm von hinten hinter. Der Jäger hätte nicht sagen können, was ihn mehr störte. So oder so - wenn die Gnomin hier war, konnte das nur eines bedeuten:
Sie hatte Wasser.
Nachdem ein Kommunikationsversuch fehl schlug, griff der Dämonenjäger an. Liron brauchte das Wasser dringend und gewiss war Azzuron bereit, für den Elfen zu töten. Doch die Gnomin wurde nur an der Schulter erwischt und floh mit Rauch und Explosion. Azzuron merkte, dass er nicht folgen konnte und drehte schnell wieder um. Gerade, als die Seele seines Liebsten merklich schwächer wurde. Liron war bewusstlos geworden.
Fluchend sammelte Azzuron den leblosen Körper auf, sah, wie die Seele darin immer schwächer und schwächer wurde, wie das Leben langsam verblasste.
Schnell wurde Liron zu den Anderen gebracht und Azzuron rief ihnen zu, dass sie Wasser brauchten. Er rief und rief und tänzelte mit Abstand um sie herum. Doch die drei im Kreis wachten nur sehr langsam auf, während Liron buchstäblich am Sterben war. Azzuron konnte es wahrnehmen und er hasste es. Und dann fragte dieser Blutritter auch noch so blöd, warum sie Wasser brauchten! War er denn der Blinde?
Azzuron ging es zu langsam und er war nicht bereit, noch für Liron wertvolle Sekunden mit sinnlosen Worten zu verbringen, brach in den Kreis, um sich eben Wasser zu holen. Liron starb.
Und wenn er ehrlich zu sich war: Azzuron hätte für jeden seiner Kameraden Wasser von anderen geholt, wenn es um Leben oder Tod gegangen wäre.
Der Blutritter schien anderer Meinung zu sein, denn von dem bekam Azzuron auf die Nase, als zum Glück die Schamanin sich um Liron zu kümmern begann.
Azzuron wusste noch, wie aufgeregt er war, wie verzweifelt und wie wütend. Wie besorgt und wie ängstlich. Denn Liron war für ihn eine Welt.
Offensichtlich war sein Herumlaufen zu ablenkend für die Schamanin, denn Azzuron fühlte plötzlich Dunkelheit.
Erst Minuten später kam er wieder zu sich, Lirons Seele war wieder stabil hinter sich und es war kühler geworden. Der Geschmack von Rum auf seiner Zunge.
So kehrten sie alle zurück.
Liron und Azzuron bildeten die Nachhut, doch die Allianz war nicht mehr zu sehen. Und am Ende kamen sie in der Nacht im Lager an, als nur noch die Wachbesetzung Acht gab und das Groß der Leute bereits zu Bett gegangen war.
Der Jäger gab das Korn an den Versorgungsmeister. Das Amulett wurde in den Zelteingang der Schamanin gelegt. Und der fischige Krug wanderte mit ins Zelt.
Doch bevor sie sich entgültig zur Ruhe begaben, hieß Azzuron Liron noch, sich zu waschen. Der Ruß wurde festgetrocknet zum Problem werden. Erst Recht bei dem, was sie erwartete.
Währenddessen informierte er eine der Wachen am Haupthaus, dass sie zurück gekehrt waren. Die Wache sollte es dem Hochexekutor mitteilen, doch ob die es tat, war fraglich.
Zumindest wollte Azzuron ehrenhaften Verhalten mit ebensolchem vergelten und hoffte nur, dass man sie sich die Nacht noch erholen lassen würde.
Dann hatte auch er sich sauber gemacht und hier waren sie nun.
Liron in seinem Arm. Ein Geruch von Alkohol in der Luft.
Azzuron drehte den Kopf und schnupperte. Nein, nicht in der Luft. In Lirons Haar. Und seinem ebenfalls.
Sacht strich eine Hand über die Seite des erschöpft Schlafenden. Es war kühl draußen, doch so, wie Liron an den Jäger geschmiegt war, würde ihm nicht kalt werden.
Denn er achtete darauf.
Er war doch Lirons Beschützer.