Immer wieder wird sich innerhalb der HS-Community über Powercreep beschwert. Ein Thread wie dieser ist mir eigentlich schon seit längerer Zeit ein Anliegen, aber die neue Erweiterung verschafft mir eigentlich den besten Zeitpunkt, den man sich nur wünschen kann. Das Interesse an HS ist hoch und der Frustpegel noch höher. Jetzt will ich auch keine Zeit mehr mit einer Einleitung verschwenden, weil wie ich mich kenne, wird das wieder ein längeres Schriftstück.
Kartendesign war es, was mein Interesse an Hearthstone für länger als nur ein paar Matches für zwischendurch gebunden hat. Tatsächlich war ich schon im alten Forum vertreten, allerdings habe ich damals nur im Kartenkreationsthread gepostet (der hier schändlicherweise tot ist). Jedenfalls ist eine der ersten Sachen, die man beim Kartendesign lernt, ob durch Probieren und Scheitern oder Rat von anderen, dass die Stats einer Karte von ihren Manakosten abhängig sind und Keywords einen gewissen Wert haben.
Für die, die es nicht kennen, sei hier das Konzept von Vanillastats kurz erklärt: Die Formel für Vanillastats ist Manakosten*2+1. Für eine Karte, die 2 Mana kostet, kommt als Ergebnis somit 3/2. 2/3 ist auch möglich. Soweit, so gut. Wenn wir jetzt allerdings anfangen, der Karte irgendwelchen Text hinzuzufügen, müssen wir vielleicht anfangen, etwas an den Werten zu ändern. Ein 2 Mana 3/2 mit Eifer, Gottesschild und Spott ist einfach zu viel des Guten. Das wäre eine fürchterlich unausgeglichene Karte, deren Powerlevel schon fast an das von Zilliax heranreicht.
Im nächsten Schritt des Kartendesigns heißt es also, dass man sich entweder eingesteht, diese Idee nicht weiter verfolgen zu wollen, oder man schraubt an den Werten. Weil 3/2 mit all diesen Keywords zu viel ist, subtrahieren wir jeweils einen Punkt. Tada, ein 2/1er ist geboren! Der Diener kann noch immer eine sofortige Antwort liefern und wenn man ihn mit anderen Karten ähnlicher Funktion vergleicht, ist er auch im Rahmen des Angemessenen. Es gibt einen 1 Mana 2/1 mit Eifer und einen 2 Mana 3/1. Ersterer ist billiger, aber überlebt seinen Angriff nicht, zweiterer kostet mehr und überlebt ebenfalls nicht, fügt seinem Ziel aber mehr Schaden zu.
Es gibt übrigens zwar Listen, die genau aufschlüsseln, wie viel Mana jedes Keyword wert ist, allerdings sind diese mit Vorsicht zu befolgen. Hätte ich jede Regel befolgt, wäre der Diener entweder ein 2 Mana 0/0 oder ein schlechterer Zilliax für 5 Mana. In beiden Fällen also sinnlos. Durch die geringen Lebenspunkte des hypothetischen Dieners ist Spott quasi kostenlos, weil er eine leicht zu überwindende Mauer ist und der Gottesschild ist notwendig, um sein Design von dem ähnlicher Diener zu separieren. Somit ist es nur ein Keyword, was seine Werte um 1 Mana senkt und somit bei den Vanillastats eines 1 Mana-Minions ankommen lässt. Bei so simplen Karten ist es noch verhältnismäßig einfach, aber bei welchen mit komplizierteren Effekten ist das nicht mehr der Fall. Was sich auf jeden Fall festhalten lässt: Es ist ok, manchmal die Regeln zu brechen. Klassenkarten tun es immerhin auch hier und da, indem sie stärker auf ihre Klasse zugeschnitten sind und somit eine bestimmte Aufgabe besser erfüllen, aber das heißt nicht, dass sie einfach die neutrale Alternative komplett in den Schatten stellen sollten. Irgendwann fragt man sich, ob die Balanceabteilung beide Augen zugedrückt hat.
Das Problem ist, dass Blizzard zu oft die Regeln bricht und dann auch nicht nur ein kleines bisschen. So oft, dass es immer mehr Leuten auffällt. Ob auf einzelner Kartenebene oder als diffuses Gefühl des Unbehagens. Leider gibt es keine einfache Lösung, denn dieses Problem ist wie ein gordischer Knoten. Wenn man nur an einem Faden zieht, verengen sich die anderen. Nun könnte man herangehen und wie Alexander der Große den Knoten einfach entzweihauen, aber das würde erfordern, dass der Großteil der momentan in Standard befindlichen Karten geändert werden müssten. Weitaus mehr Karten, als in diesem Thread erwähnt sind:
Das ist einerseits extrem viel Aufwand und andererseits auch etwas, das nicht erstrebenswert ist. Wie ich schon sagte, es ist in Ordnung, wenn einige Karten stärker sind als andere ihrer Manakosten, aber es wird dann ein Problem, wenn sie anderen Karten vollends die Luft abschneiden. Welchen Grund hat ein Schurke, so etwas wie Sprint zu spielen, wenn es auch Secret Passage/Geheimgang gibt? Selbst ohne Secret Passage im Spiel würde Sprint trotzdem nicht das Licht des Tages sehen, weil die Karte einfach zu langsam ist/zu wenig macht. Iksar selbst hat in einem seiner AMAs verlauten lassen, dass es heutzutage nicht leicht ist, teurere Karten zu designen, sofern sie einem nicht sofort das Spiel gewinnen. Ich spitze hier natürlich etwas bewusst zu, allerdings sollten uns diese Worte zu denken geben. Einstige Staples wie die Savannah Highmane/Savannenhochmähne können nicht mehr in ihrem natürlichen Revier beachtet werden, weil sie „zu langsam“ sind.
Aber was heißt zu langsam? Diese zwei Worte tauchen immer wieder auf. Es ist die Wurzel all dessen, warum eine Entwicklung, die in Wild schon seit einigen Jahren im Gange ist und nun auf Standard übergreift, nämlich der übermäßige Profit von Aggro- und Combodecks von Powercreep im Vergleich zu Midrange und Control. Wie kommt es dazu?
Es gibt viele Gründe, aber im Wesentlichen lassen sie sich auf Folgendes destillieren:
- Carddraw/Generation
- Manacheat
- Reaktivität
- Burn
Diese verdammten Vier haben gemeinsam, dass es sie im Übermaß gibt und sie zu stark sind. Im Folgenden will ich auf jedes Einzelne dieser Probleme eingehen und welche Auswirkungen sich zeigen.
Ich fange mit Carddraw/Generation an. In den Anfängen von Hearthstone war Carddraw ziemlich beschränkt und es wurde deswegen sogar Nat Pagle generft, weil der damals ernsthaft als zu stark gegolten hat. Heute würden wir darüber lachen, aber das war wirklich kein Aprilscherz von Blizzard, sondern bitterer Ernst.
Mit League of Explorers wurde eine Alternative in Form von Discover ins Spiel gebracht. Das war Blizzards Versuch, die Möglichkeiten eines digitalen Kartenspiels vollends auszuschöpfen. Das Keyword ist gut angekommen und seitdem taucht es immer wieder auf, Tendenz steigend. Nun, zumindest bis zum Jahr des Drachen. In dem wurde nämlich ein Übermaß an Discovereffekten gedruckt und die Beliebtheit des Keywords ist gesunken.
Viele Decks in den letzten zwei Jahren bis zur Rotation haben ein Maß an Kartengenerierung besessen, das die Toleranz der Leute strapaziert hat. Am meisten auf die Spitze getrieben hat es der Galakrond Rogue, der nicht 30, sondern quasi an die 100 Karten in seinem Deck spielt. Aber auch Cyclone Mage, der Control Warrior mit der Endlosvaluebombe Dr.Boom, stellenweise der Schamane mit der Battlecryquest oder Galakrond Priest seien als Decks genannt, die zu ihrer Zeit besonders hervorstachen.
Ohne Frage, Discover und Random Card Generation müssen zu dieser Zeit stark gewesen sein. Warum? Mal abgesehen von Heldenkarten, lässt sich dies auf Manakosten und/oder Stats zurückführen. Mit den Discovereffekten aus League of Explorers haben diese nur mehr den Namen gemeinsam. Zwischen einem Astral Conjurer/Astralen Beschwörer und einem Lackey liegen Welten. Der Lackey ist billig und somit gut als Notfallknopf einsetzbar und hat außerdem kaum Anforderungen im Deckbau.
Oder nehmen wir die Explorer aus Descent of Dragons als Beispiel, insbesondere die vom Jäger und Paladin. Das sind 3 Mana 2 /3er, die einen Drachen entdecken. Soweit, so gut. Aber hoppla, da ist noch ein Keyword abgedruckt! Und im Gegensatz zum Taunt bei meinem 2/1er Beispiel weiter oben lässt sich nicht die Vernachlässigbarkeit dieses Keywords als Entschuldigung nutzbar machen. Ein giftiges Minion oder eines mit Lebensentzug, das sich außerdem noch selbst ersetzt und aus einem tendenziell guten Pool entdeckt – wer so etwas zu Zeiten von League of Explorers als Custom Karte designt hätte, wäre von der Community abgestraft worden. Heute nehmen wir das einfach achselzuckend hin.
Jedenfalls war das Problem an der Created-by-Meta, dass Decks nicht an ein Ende ihrer Ressourcen gelangten, wenn sie eigentlich sollten und oft aus einer Karte in der Hand 10 wurden, falls es bei so viel Created by überhaupt jemals dazu kam.
Blizzard hat die Beschwerden erhört und sie haben reagiert. Oh, wie sie reagiert haben! Mit dem DH, der fast nur Carddraw anstelle von Discover hat, haben sie die Antithese zur Created-by-Meta in Form einer Klasse geschaffen, ein Heim für all die Spieler, die sich davon abgestoßen gefühlt haben. Alles wunderbar, nicht wahr? Ganz und gar nicht, denn der DH präsentiert dasselbe Problem, nur dieses Mal in Grün.
Wieder ist es nicht möglich, den Gegner sich abstrampeln zu lassen, bis er keine Karten hat. Sollte der DH mal nur eine Karte in der Hand haben – oh Schreck – so wird er unweigerlich Skull of Gul’dan/Schädel von Gul’dan oder eine andere seiner vielfältigen Drawoptionen ziehen und einem die Zunge zeigen. Zwar hat er im Gegensatz zu Created-by-Decks nicht die Möglichkeit, drölfzig Karten in einem Match zu spielen, aber das muss er auch nicht. Es ist einfach aus, bevor es so weit kommt. Echte Karten aus dem eigenen Deck sind einfach besser als irgendein zufälliges Zeug und für gewöhnlich sind DH-Decks so gebaut, dass die Teile, die keinen Carddraw beinhalten, aus Burn bestehen, womit sie einen umsensen.
Grundsätzlich ist es nichts Schlechtes, einen aggressiven Spielstil mit viel Carddraw zu haben. So etwas lässt sich jedoch ungefähr so gut ausbalancieren wie vier Kühe auf ebenso vielen Stapeln von Stühlen, die von einem Typen auf einem Springseil jongliert werden. Es ist extrem leicht, irgendetwas zu overtunen und das hat dann Konsequenzen auf die gesamte Meta. Konsequenzen, die noch heute zu spüren sind.
Ein Aggrodeck mit viel Carddraw ist gegenüber Control natürlicherweise mehr im Vorteil als andere Aggrodecks, weil eine der großen Schwächen, nämlich Anfälligkeit für Boardclears durch die reichhaltige Verfügbarkeit von Nachschub egalisiert ist. Das kann funktionieren, solange der Carddraw einen Preis hat. Eine rhetorische Frage an dieser Stelle einzubauen, erscheint mir überflüssig. Es gibt keinen Preis. Skull of Gul’Dan ist mit seinen geschenkten 3 Mana der Hauptschlingel, aber auch der Rest des DH-Carddraws liegt über dem Niveau der Vergangenheit. Früher musste man sich mühsam mit Azure Drakes durch das eigene Deck plagen. Karten wie Secret Passage/Geheimgang sind so krass für das Auge von Leuten, die schon länger dabei sind. Trump, ein berühmter HS-Streamer hat Secret Passage für einen Witz gehalten, als er die Karte zum ersten Mal gesehen hat. Soviel dazu.
Der DH hat so viel billigen und guten Carddraw, dass es eine eigene Quest gibt, die darauf fokussiert ist. Jedes Deck, unabhängig vom Archetypen, hat nicht nur keinerlei Probleme damit, sondern treibt es auf die Spitze. Ein Aggrodeck mit gutem Carddraw, das nicht wesentlich an Tempo verliert, hat nicht nur gegen Control, sondern auch gegen andere Aggrodecks gute Karten… und schon beginnt die delikate Balance zu zerfallen.
Andere Aggrodecks müssen mitziehen, weil sie sonst im Aggro-Matchup kein Licht mehr sehen und Blizzard hat wieder mal geliefert. Dem Schurken Secret Passage, dem Hunter Barak Kodobama, dem Schamanen Primal Dungeoneer usw. Von Tutor-Effekten will ich gar nicht erst anfangen. Plötzlich sehen sich Controldecks überall einem nichtendenwollenden Ansturm ausgesetzt. Und dann – ein Schlag von hinterrücks.
Neben Aggro ist Combo der Hauptprofiteur von Carddraw. Je mehr Carddraw, desto weniger Züge braucht es, bis die Combo beisammen ist und umso früher kann sie ausgespielt werden. Das setzt Controldecks, die an sich zwar in der Lage sind, auch Druck auf den Gegner auszuüben (von reinen Grinddecks abgesehen), diesbezüglich aber behäbiger als Aggro oder Midrange sind, einen Timer, den sie oft nicht erfüllen können.
Was Cardgeneration angeht, hat Blizzard es deutlich übertrieben und sie sind von da aus mit zu viel Carddraw direkt ins nächste Fettnäpfchen getreten. Es ist eindeutig ein Werteverfall bei der heutigen Generation von HS-Karten erkennbar. Carddraw/Generation muss billig, am besten für umsonst zu haben sein, sonst wird das nicht akzeptiert. Und in rauen Mengen natürlich!
Es wäre allerdings falsch, von hier aus ins andere Extrem zu verfallen. Man rettet sich nicht vor dem Ertrinken, indem man sich in eine Wüste begibt. Eine schöne Wiese in gemäßigtem Klima reicht vollkommen aus. Auf Hearthstone übertragen bedeutet das:
Cardgeneration ist wichtig. Es separiert Hearthstone von seiner Konkurrenz und sorgt dafür, dass Spiele nicht dauernd gleichförmig nach Schema Z ablaufen, wie man es in Classic beobachten kann. Blizzard und die Spieler haben bereits erkannt, dass zu viel Cardgeneration böse ist, weshalb ich hierzu nicht mehr allzu viel schreibe.
Carddraw hingegen ist der Flächenbrand, der die zukünftigen Anbauflächen von Hearthstone verschlingt. Wie oben demonstriert, ist Carddraw primär für Aggro und Combo nützlich und trägt in einem Übermaß dazu bei, andere Archetypen zu verdrängen. Kein Carddraw ist allerdings auch nicht ideal. Ich gebe zu, dass ich kein Fan von Blizzards Ideologie bin, einige Klassen besonders zu bevorteilen, wenn es um Carddraw geht, während andere alles zusammenkratzen müssen, was sie haben. Mit solch fundamentalen Ressourcen eines CGs spielt man nicht! Etwas Carddraw, der für alle zugänglich ist, eröffnet Möglichkeiten. Aggrodecks sind nicht nach dem ersten Removal weg vom Fenster, Control- und Combodecks können effizienter nach Antworten suchen, anstatt nur auf Topdecks hoffen zu müssen und auch Midrange profitiert davon, etwas Carddraw zu haben, indem sie damit ihre ideale Manakurve leichter zusammenbekommen. So wird keine Klasse in eine ganz spezifische Richtung gezwungen, was genau das Gegenteil eines vernünftigen Entwicklers sein sollte. Je mehr Diversität, desto mehr Spaß, desto mehr zufriedene Kunden.
Das ist die ideale Balance für Carddraw, die ich sehen möchte. Zugegebenermaßen ist das leichter gesagt als getan. Es ist leichter, die Dinge zu benennen, die falsch sind, als Lösungen vorzubringen, aber irgendwo muss mal ein Anfang gemacht werden. Bevor man ein Problem lösen kann, muss man es erst mal verstehen.
Jetzt geht es also zu meinem zweiten Punkt und der wird sehr viel schneller erledigt sein als der erste. Sofern man die letzten vier Jahre oder eigentlich schon seit der Einführung von Thaurissan nicht hinter dem Mond gelebt hat, sollte man eigentlich wissen, dass Manacheat nicht in Ordnung ist. Aber wie kommt es eigentlich dazu, dass wir so viel davon haben und manche Leute (insbesondere Druidenspieler) ihn als absolut notwendig erachten?
Nun, es ist bereits etabliert worden, dass Aggro sehr von Carddraw profitiert. Außerdem wissen wir, dass es für die HS-Devs anscheinend schwierig ist, teure Karten zu designen. Was ist also die Krücke, mit der sie teure Karten spielbar machen wollen? Das sollte keine Überraschung sein: Manacheat. Wenn der fette 8drop in Runde 8 unspielbar ist, weil man mit normalen Mitteln eher nicht bis dahin überlebt, wie wäre es damit, ihn schon in Runde 5 rauszuhauen?
Langsame Decks sind aber nicht die einzigen, die gerne Manacheat sehen wollen. Jeder will Manacheat. Im Gegensatz zu Carddraw ist es universell op. Aggrodecks schmeißen damit in Runde 3 ein Board mit zweistelligen Stats hin und Combodecks können ihre Combo viel früher als erlaubt spielen.
Manacheat und die Aggressivität von Decks sind zudem zwei Probleme, die sich gegenseitig befeuern. Je aggressiver Decks sind, desto mehr Manacheat braucht es in langsamen Decks, um sich verteidigen zu können. Aber wenn es zu viel Manacheat in der Richtung gibt, brauchen aggressive Decks wiederum Hilfe usw. Irgendwann, wenn es zu viel Manacheat gibt, fallen Midrange und Control weg. Ersteres verliert hauptsächlich gegen den Manacheat von aggressiven Decks, zweiteres hauptsächlich gegen den von Combodecks, auch wenn es Überschneidungen geben kann.
Manacheat ist fundamental ein Designfehler, weil es die Geschwindigkeit des Spiels immer mehr forciert. Wenn keiner mehr Karten für ihre normalen Kosten aktzeptiert, zeigt sich das zweite Symptom des Werteverfalls in Hearthstone. Mana hat am besten so zu sein wie die Währungen von Deutschland und Österreich nach dem ersten Weltkrieg: Inflationär. Geben wir dieser Entwicklung noch ein paar Jahre, bis Decks in Yugioh-Manier schon ab Runde 1 damit anfangen, sich durch das halbe Deck zu ziehen, für x Schaden Face zu gehen und im besten Fall zu gewinnen.
Während ich vorhin bei Carddraw/Generation für Milde plädiert habe, weil Hearthstone ohne diese zwei Mechaniken nicht überleben kann, verdient Manacheat eine weitaus härtere Behandlung. Bis auf ein paar vereinzelte Ausnahmefälle gehört einfach universell eine Regel etabliert, dass Karten maximal auf 1 Mana reduziert werden können.
Somit sind wir bei dem 3. Punkt meiner Liste und vermutlich dem Kontroversesten angelangt. Jetzt berühre ich nämlich die Herzen derer, die gerne längere Spiele wollen. Durch Reaktivität sind sie schließlich in der Lage, früher Aggression zu widerstehen. Aber das ist auch etwas, was angefasst werden muss, weil Aggrodecks sonst nach den nötigen Änderungen an Carddrawmöglichkeiten schlicht nicht mehr am Leben sein werden und Midrange-Decks es weiterhin schwer haben werden.
Zunächst schlüssele ich auf, was ich mit Reaktivität meine: Einerseits Removal in Form von Zaubern, so alt wie Hearthstone selbst und größtenteils auch nicht so problematisch und als weitaus heikleren Part: Rush.
Rush ist eine Erfolgsgeschichte. Es ist die gezähmte Version von Charge, erstmals in Witchwood eingeführt und seitdem immer wieder auffindbar. In vielerlei Hinsicht lässt sich Rush mit Discover vergleichen. Und im Grunde hat Rush schon seit einiger Zeit den Punkt erreicht, wo es einfach zu viel davon ab. Ich habe heutzutage förmlich den Eindruck, dass eine Karte ohne Rush als wertlos angesehen wird. Das liegt darin begründet, dass wenn eine Karte nicht sofort Einfluss auf dem Board hat, man sich selbst mit recht hoher Wahrscheinlichkeit verdammt. Taunt wäre die Alternative dazu, aber Taunt ist für gewöhnlich besser gebalanced als Rush, weil es immer noch dem anderen Spieler überlässt, wie Trades vonstatten gehen.
Etwas Rush ist gut für das Spiel, weil es Interaktivität herstellt. Das ist auch der Grund, warum es in Witchwood so populär angekommen ist. Was die Rushkarten von damals und heute unterscheidet, sind aber die Stats und Effekte. Wenn man Rusher aus Witchwood mit modernen Karten vergleicht, sieht man wieder mal, dass der Powercreep unbarmherzig zugeschlagen hat.
Ich habe vor einiger Zeit ein älteres Review zu Custom Karten gesehen. Darunter ein 3 Mana 4/1, der eine Rush Karte gezogen hat. Klingt das bekannt? Der Reviewer hat diese Karte als Hirngespinst abgetan. Nun, mittlerweile ist das eine echte Karte. Oder nehmen wir Houndmaster Shaw im Vergleich zum Broomstick. Praktisch derselbe Effekt, aber bei zweiterem in jeder Klasse und für nur 1 Mana.
Früher musste man bei Rush in Kauf nehmen, dass man suboptimale Minions im Deck hat. Man war zwar etwas flexibler für den Fall, dass man irgendwie langsamer als der Gegner ist, aber dafür hat man Einschränkungen in Kauf nehmen müssen, falls man selbst der Schnellere war. Heute schmeißt man einfach Rush-Minions aufs Board und spürt kaum einen Unterschied zu normalen Dienern. Wenn man allerdings auch noch einen Valuetrade machen kann, ist es schnell mal übertrieben. Wieder mal ist ein Wert degeneriert, in diesem Fall der von Rush. Man zahlt nicht mehr dafür, sondern kriegt es geschenkt. In unserer schnellebigen Zeit ist es Pflicht, ansonsten ist man zu langsam.
Der andere Part der Reaktivität sind Removals. Bis auf ein paar Ausnahmen wie Hysteria/Mass Hysteria, Cascading Disaster oder Brawl, was ich seit Anbeginn meiner Hearthstonekarriere als dezent unfair empfinde, sind sie eigentlich alle gut gebalanced. Bei ihnen ist das Problem leider, dass es zu viele gibt. Nun gut, das ist mehr ein Wild- als ein Standardproblem, aber es ist trotzdem relevant. Eine gewisse Zeit lang profitieren Controldecks davon, wenn sie Removals kriegen, aber das setzt leider einen Teufelskreis in Gang. Irgendwann halten Aggrodecks nicht mehr mit. Blizzards Lösung dafür ist neben Manacheat, um die Minions ein paar Runden vor einem passenden Removal aufs Feld zu bekommen, auch Carddraw. Jetzt schlägt das Pendel in die andere Richtung aus, bis es wieder mehr Removal braucht usw. Das Problem an zu viel Removal ist allerdings, dass ein vernünftiges Controldeck gar nicht so viel davon brauchen sollte. Nur die ultragreedy Decks haben es nötig, aber ein gut gebautes Controldeck fängt irgendwann auch mal an, von selber Druck aufzubauen und dann ist Removal nicht mehr so dringend nötig, weil auch viel über Valuetrades mit Dienern gemacht werden kann.
Der wahre Profiteur von zu viel Reaktivität ist Combo, denn es kann dann realistisch gegen Aggro und Midrange am Leben bleiben und das ist der Moment, an dem Controldecks nichts mehr zu melden haben. Um drei Ecken herum ermordet von dem, was ihnen eigentlich helfen sollte. Was außerdem an zu viel Reaktivität leidet, ist Midrange, weil es nicht in demselben Maß wie Aggro von Carddraw profitiert und während Aggro-Decks mit ihrer neuen Hand sehr schnell ein neues Board aufbauen können, braucht ein Midrange-Deck erst mal eine Weile, bevor es wieder ein neues Midrangeboard auf dem Feld liegen hat.
Schlussendlich bleibt mir zur Reaktivität in Hearthstone nur dasselbe zu sagen wie bei Carddraw/Generation: Die Dosis macht das Gift.
Und damit sind wir bei Burn angekommen. Auf der Basis meiner vorhergehenden drei Probleme habt ihr, kluge Köpfe, die ihr seid, bestimmt schon geschlossen, dass Aggro und Combo wieder diejenigen sind, die es für ihre Zwecke ausnutzen. Jahrelang wurde auf Leeroy rumgehackt, obwohl er noch eine der fairsten Burnkarten war. Immerhin lässt er sich von einem Taunt aufhalten. Was ist mit Fireball, was ein Leeroy für 1 Mana weniger ist, der an einem Taunt vorbei kann? Und jetzt haben wir Illidari Inquisitoren, Kayn, Wicked Stab, Aimed Shot uvm.
Bei Burn gibt es im Grunde eine einfache Faustregel: Wenn Decks sich Tauntminions sparen, weil sie eh keinen Sinn mehr machen, dann liegt was im Argen. Und wenn eine Klasse bereits sehr gut darin ist, Facedamage zu machen, braucht es nicht unbedingt noch mehr Karten dafür. Als bei Sturmwind Garrotte und Aimed Shot revealt wurden, war meine erste Reaktion, meinen Kopf in Richtung Tisch zu bewegen. Ist ja nicht so, als ob diese Klassen vorher Probleme damit gehabt hätten, viel Schaden zu machen.
Ganz nebenbei gibt es auch noch Karten wie Il’gynoth oder die Questlines, die vermeintlich unschuldige Karten in blutrünstige Finisher verwandeln. Um die Ecke gebracht zu werden, wenn man gerade dabei ist, sich zu konsolidieren, ist bereits unangenehm, aber aus dem Nichts heraus von 30 auf 0 gelasert zu werden, schmeckt nicht gerade gut. Dank der Solitaire-Meta haben wir in letzter Zeit eine besonders große Portion davon verdrücken müssen.
Bei Burn ist – wieder mal – Mäßigung das Ziel. Eine Welt ohne Burn wollen wir auch nicht haben. Sonst läuft es so wie in Spielen gegen Priester vor der Einführung von Benedictus, dass man auf 2 Lebenspunkten herumsitzt und eigentlich schon längst tot sein müsste, wenn man nichts mit Heilung dagegen unternimmt, es sich aber irgendwie noch ewig hinzieht. Wir sind im Moment im anderen Extrem beheimatet, wollen aber auch nicht dorthin umziehen.
In einer Welt mit weniger Carddraw ist Burn per se besser balanced, weil er nicht so konsistent angebracht werden kann. Für die Reaktivität ist so ebenfalls gesorgt und Manacheat ist dann zum Glück weg vom Fenster. So löst sich langsam der gordische Knoten, in dem Hearthstone im Moment gefangen ist. Einiges wird sich hoffentlich durch die Jahresrotation von alleine lösen, anderes sollte hingegen jetzt schon angegangen werden. So werden wir hoffentlich in einer Zukunft landen, in der alle 4 Archetypen gespielt werden können und wir uns nicht dauernd in allzu polarisierende Begegnungen gezwungen fühlen.
So, jetzt sind wir am Ende angekommen… oder etwa nicht? Es gibt noch eine Sache, die besprochen werden muss und das ist die Community. Die ersten 4 Verursacher des Powercreeps gehen alle auf Blizzards Kappe, aber wir sind der fünfte und vielleicht stärkste Antrieb hinter der ganzen Entwicklung. Das fängt bei Cardreviews an. Mich stimmt es jedes Mal traurig, wenn irgendein Streamer in einem Kartenreview zu einer perfekt gebalancedten Karte „zu fair“ sagt. Wie verdreht ist das eigentlich, dass Fairplay nicht mehr erwünscht ist? Mit so einer Haltung ist es klar, warum es immer mehr Powercreep gibt.
Dann geht es weiter mit fälschlicher Aufregung, der ich mich auch schuldig gemacht habe. Bei Darkmoon habe ich mich auf Tickatus gefreut, nur um wenig später zu realisieren, dass die Karte eigentlich Dreck ist. Und jetzt bei Sturmwind ist es die Hunterquest. Ich maine diese Klasse und ich erkenne, wenn da was im Argen liegt. Neben dem Facehunter ist es die Hunterquest, um die ich mir Sorgen mache, auch wenn sie momentan in Standard nicht allzu gut ist. Ich habe mich sehr auf diese quest gefreut, finde sie auch spaßig, aber sobald die dritte Stufe in einem darauf zugeschneiderten Deck erfüllt ist, bezweifle ich, dass mein Gegner noch allzuviel Spaß damit hat. Immerhin macht es mir selber auch keinen Spaß gegen einen Raza Priest zu spielen. Und das ist auch einer der Gründe warum ich mit Wild jetzt auch aufgehört habe und nur Arena und BG spiele. Die quest stellt momentan meine einzigen brauchbaren Wilddecks, aber ich übe mich in Verzicht, weil ich nicht Teil des Problems sein will.
Zu schlechter letzt gibt es die Spieler, die Hearthstone anscheinend nur dann spielen, wenn sie auf dem Thron sitzen. Für diese Art von Spieler darf ein Spiel maximal so lange dauern wie ihre Sitzung, denn sonst verlieren sie ihre Aufmerksamkeitsspanne. Das ist die Zielgruppe von kurzen Aggro- und Combospielen und das Problem mit denen ist, dass ihre Wünsche zu sehr erhört werden, was zum Schaden der restlichen Spielerschaft ist. Aber ich will hier nicht mit dem Finger zeigen. Stattdessen schreibe ich einfach vier Statements auf, in denen sich bestimmt jeder irgendwie wiedererkennt:
Aggro dumm-dumm
Curvestone langweilig
Combo blöd und uninteraktiv
Control böse
Die Person, die noch nie dunkle Gedanken wegen eines Decktypen gehegt hat, möge den ersten Stein werfen! Was uns Hearthstonespieler letztendlich verbindet, ist die Tatsache, dass wir uns alle dasselbe Spiel als Freizeitvergnügen ausgesucht haben. Und wir sind uns alle hoffentlich einig, dass aus Hearthstone kein zweites Yugioh werden soll. Für diese Leute gibt es immerhin schon ein Spiel. Aber wenn Hearthstone eines Tages vor die Hunde gehen sollte… sind wir heimatlos. Weder Magic noch Runeterra und schon gar nicht Gwent bieten dasselbe Spielgefühl. Es liegt daher in unser aller Interesse, den Powercreep nicht zu sehr befördern und Blizzard darauf aufmerksam zu machen, falls dies der Fall ist.
Vielen Dank, wenn ihr euch das bis hierher durchgelesen habt.
PS: Der Autor behauptet nicht, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben, aber wenn ihr das nach dem Lesen dieses Textes von mir denkt, fühle ich mich sehr geschmeichelt ^^