Dunkelheit
Die Schlotternächte kamen und gingen. Viele Bewohner des Guts bemerkten sie nur durch die Süßigkeiten, die im Guts-und Gardehaus in großen, kürbisförmigen Töpfen zu finden waren, oder weil sie die Strecke nach Sturmwind auf sich nahmen, um Erinnerungsstücke am Weidemann zu verbrennen. Viele hofften auf einen milden Winter, günstige Arbeit für die Verwandten in der Stadt und im nahen Goldhain. Die Alten kamen zusammen, um den Kindern Gruselgeschichten zu erzählen.Andere hatten eine etwas… direktere Begegnung mit den Schatten und den Gestalten, die in der Dunkelheit lauerten. In den letzten Tagen wurde es still auf den nächtlichen Straßen. Die Murlocgefahr hielt Reisende davon ab, dem Pfad nach Westen zu folgen und die noch immer unbekannte Gefahr sorgte dafür, dass Lampen und Laternen an jeder Straßenecke brannten, von den tapferen Gardisten angebracht, die selbst dabei beobachtet wurden, wie ihre Augen immer wieder nervös in die Dunkelheit zwischen Baumwipfeln wanderten.
Am Tag nach den Schlotternächten, als die Hausmädchen und Diener die Kürbislaternen, Girlanden und Süßigkeiteneimer entfernten, wisperte es im Gutsgelände. Über den Geisteszustand des Hausherren, der einen Kobold in der Kapelle leben ließ, wo dieser sich an den vielen brennenden Kerzen erfreute und mit außergewöhnlicher Höflichkeit beiseite rückte, wenn ihm ein Knappe mit dem Besen zum Ausfegen des Gebetshauses zu Leibe rückte. Der Kobold namens Grauhaar befand sich im Greisenalter, auch wenn das bei der grundlegend runzligen Visage, die Kobolde zu Eigen war, nur schwer zu sagen war. Er war kein beliebter Gast.
Die Stalljungen warfen Steine nach ihm, wenn er seine knollige Nase aus der Kapelle streckte, und die Gardisten behielten die Waffen stets in Reichweite. Niemand traute sich aber, ihn ehrlich zu verletzen oder die Entscheidung anzuzweifeln, dass er für‘s Erste in der Kapelle lebte – jedenfalls nicht laut. Geflüstert wurde viel. Mehr als einmal fiel, wie so oft, der Name von Sir Barath. Nostalgische, alte Männer fluchten um die Hälse ihrer Pfeifen über den Niedergang der Sitten, doch auch sie duldeten zähneknirschend, als Grauhaar mysteriöse Symbole an ihre Hauswände zeichnete. Schutz, angeblich.
Aber wovor?
Heute, am Tag der Toten, bereitete man sich auf einen Fackelzug zum Waldfriedhof vor. Jeder Gutsbewohner erhielt ein Lichtmittel – Erwachsene Fackeln, Kinder kleine Lampen oder lange Kerzen. Herbstliche Gestecke, schon Wochen zuvor geflochten, wurden bereitgelegt, frische Blumensträuße gepflückt oder kleine Säckchen mit Gaben gefüllt, die man auf die Grabeserde auflegen würde.
Die Gardisten waren nervös. Man wollte spät abends losziehen – unmöglich, den Leuten diese Gelegenheit zu verwehren. Aber riskant. Die Dunkelheit lauerte noch immer, und niemand wusste, worum es sich genau dabei handelte. Doch schon bald wurden die Zweifel vom Geruch von Gebäckstücken und Zuckerschädeln verbannt. Man sammelte sie in großen Körben und bewachte sie vor diebischen Leckermäuler.
Selbst die tiranischen Bewohner des Guts nahmen an den Vorbereitungen teil. In Kul Tiras ehrte man die Gefallenen mit Sternenmoos und dem salzigen Geruch verbrannten Treibholzes, mit selig-traurigen Liedern und dem Geläut von Glocken.
Hochländer mochten von ihren Ahnen erzählen, Sturmwinder sich auf die Standhaftigkeit und die Ehre der Gefallenen berufen, andere nur an den Süßigkeiten und einem Abend an einem gruseligen Ort interessiert sein. Vielleicht hoffte gar jemand, eine vergangene Liebe oder ein verlorenes Familienmitglied wiederzusehen. Wieder einmal zeigte sich, dass der Tod – oder der Gedanke daran – vor niemandem Halt machte. Er klopfte an jede Tür, stellte keine Fragen und machte letztlich jeden gleich.
Wie die Dunkelheit.
Ihr guten Bürger von Elwynn und Löwenbrück!
Der westliche Forst unseres Lehens ist bis auf Weiteres nachts nicht alleine und nur mit einer Lichtquelle zu betreten! Es wird empfohlen, Laternen an den Grenzen der Höfe und an den Ställen brennen zu lassen!
Lampenöl und Leuchtmittel werden am Gardehaus ausgegeben! Wer des Nachts Geräusche vernimmt, die an Gesang erinnern, ist angehalten, in den sicheren vier Wänden zu verweilen.Die Garde kümmert sich um diese Angelegenheit und wird Entwarnung ausrufen, sobald es möglich ist.
gez.
Wachtmeister Humphrey Oxberg
Sir Riordan Löwenbrück